Montag, 5. November 2007

Zins als Anachronismus

Bemerkung zu: „Seltsame ‚Freiwirtschaft’“ von Heiko Langner, (ND, 27./28. Oktober 2007)

(Veröffentlicht in: "Neues Deutschland", 5. November 2007, S. 14)

Langners Kritik an der „Freiwirtschaft“ sollte nicht dazu verführen, den Zins in unserer heutigen Gesellschaft zu rechtfertigen. Langner irrt, wenn er meint, es seien „schlichtweg die Produktionsmethoden einer kapitalistischen Marktwirtschaft, die zur Entstehung eines Zinses führen …“.

Montag, 22. Oktober 2007

Gespenster von heute

Die Begriffe "Kapitalismus" und "Sozialismus" vernebeln klar erkennenden Blick auf die gesellschaftliche Realität des 21. Jahrhunderts

(Erschienen in: „Sozialismus“, Heft 5/2007)

Ende Februar 2007 gab es einen Einbruch an Chinas Börsen mit weltweiten Reaktionen. Die Wall Street erlebte den größten Absturz seit 2001, in Tokio fielen die Kurse um knapp drei und in Australien um dreieinhalb Prozent. Doch einen Tag nach dem schwersten Kurssturz seit zehn Jahren legten die Börsen in China wieder deutlich zu, denn Peking hatte für Schadensbegrenzung gesorgt, indem es Gerüchte entkräftete, nach denen eine Steuer auf Kapitaleinnahmen aus Aktiengeschäften geplant sei. Obwohl der Vorfall inzwischen längst wieder aus dem Bewusstsein der großen und kleinen Spekulanten verdrängt ist (der Rausch geht weiter, die Spielsucht hält an), sollte er als ein Zeichen verstanden werden. Er ist nicht nur ein Hinweis darauf, wie unsicher private Finanzvermögen und vor allem die privaten Finanzanlagen der „kleinen Leute“ sind, wie gemeingefährlich also jegliche neoliberalen Empfehlungen zur Privatisierung z.B. der Altersvorsorge sind. Das alles wurde schon vielfach öffentlich besprochen. Nein, das nun zum xten Mal Geschehene beleuchtet erneut auch die gravierenden Veränderungen in der Weltökonomie, wenn man das 21. mit dem 20. Jahrhundert vergleicht. Dass China auch in ökonomischer Hinsicht zu einer Großmacht geworden ist, wurde ebenfalls von zahlreichen Kommentatoren bereits angesprochen. Aber unterbelichtet scheint bisher die politökonomische Würdigung der Vorgänge in der Weltwirtschaft zu sein. Zwar ist die Fragestellung nach Chinas sozialökonomischem System („sozialistisch“ oder „kapitalistisch“) unter Linken nicht neu, doch legen gerade Ereignisse wie der jüngste Crash in China den Gedanken nahe, dass der Unterschied zwischen „Kapitalismus“ und „Sozialismus“ immer unschärfer wird, wenn er nicht schon längst verschwunden ist. Gemeint ist hier nicht der vermeintliche „Untergang“ des osteuropäisch/sowjetischen „Realsozialismus“, sondern die Gleichartigkeit einer dem Wesen nach vergesellschafteten ökonomischen Basis in „West“ wie in „Ost“. Nicht hauptsächlich in ihr unterschieden sich der Westen und der Osten, sondern in den politischen Herrschaftssystemen und den von ihnen gestalteten Steuerungsmechanismen und Verfügunskompetenzen in der Wirtschaft.

Satire oder Programm?

 (Veröffentlicht in: „Das Blättchen“, Nr. 6, 19. März 2007)
Die Satire „Michel schlägt zurück“ von Jörg Hellmann könnte Programmgrundlage einer linken Partei sein, denn bei ihr stellte sich plötzlich "heraus, dass es für sämtliche Probleme eine Lösung gab, wenn man denn nur wollte und das Wohl der Gesamtheit im Auge hatte.“

Abschied vom "Marxismus"

(Oder: Die veränderte Welt bedarf einer veränderten Theorie)
Es geht hier nicht um einen Abschied von Marx, sondern darum, festzustellen, was die gewaltigen Umwälzungen seit dem 19. Jahrhundert in wissenschaftlich-technischer und ökonomischer Hinsicht sowie ganz allgemein im Leben der menschlichen Gesellschaft für das Theoriengebäude von Karl Marx, für seine Analysen und Schlussfolgerungen bedeuten. Dabei ist zu fragen, wie weit die heutige Realität bezüglich der Produktion und des Austausches sowie der Aneignung und Darstellung des gesellschaftlichen Reichtums von derjenigen zu Zeiten von Marx und Engels abweicht und inwieweit die Analyse der heutigen Wirklichkeit zu neuen Ergebnissen, Einschätzungen und Konsequenzen führt. Unbestritten soll sein, dass Karl Marx wie kein anderer die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit treffend ökonomisch und politisch analysierte und erfasste, von seinem philosophischen Werk ganz zu schweigen. Und nicht weniger bedeutsam ist sicherlich sein Vermächtnis, das er in methodischer Hinsicht hinterließ.

Der Wunsch als Vater des Gedanken

In den ähnlichen Äußerlichkeiten der Gesellschaft von heute im Vergleich mit der des 19. Jahrhunderts - Jagd nach Gewinn, respektive Profit, als subjektives Ziel allen unternehmerischen Handelns - sehen „Marxisten“, alten Dogmen getreu, das Weiterbestehen der kapitalistischen Produktionsweise, d.h. der kapitalistischen Warenproduktion und Ausbeutung. Denn die Marxsche Erkenntnis ist ihnen heilig.

Was treibt China?

(Erschienen in: Das Blättchen, Heft 18/2007)
Wenn ein offensichtlich armseliger Mann mit einem klapprigen Wägelchen vor einer großen Bank Halt machte und einen Koffer voll Geld hinein schleppte, würden wir erstaunt hinsehen. Kaum jemanden aber scheint es zu wundern, dass die Volksrepublik China Ende vergangenen Jahres für 232 Milliarden Dollar mehr Waren und Güter nach den USA exportiert als von dort importiert hatte, um so die chinesischen Devisenreserven auf satte 1200 Milliarden (1,2 Billionen!) Dollar zu erhöhen.

Der Wert in der Finanzform

Ich wurde gebeten, mich zu dem in „offen-siv“ geführten Disput zwischen Wolfgang Hoss und Hermann Jacobs über Warenproduktion und Geld im Sozialismus zu äußern. Das ist insofern nicht leicht, als bei der Länge der sehr ins Detail gehenden und mit Zitaten gespickten Beiträge die Unterschiede in den Ansichten unscharf werden. Immerhin stimmen ja beide Autoren darin überein, „dass die Theorie, die die Beibehaltung der Warenproduktion in den Ländern des ehemaligen Ostblocks forderte, nicht nur einer grundsätzlichen Revision der Sozialismustheorie von Marx und Engels gleichkam, sondern ein verhängnisvoller Irrtum war.“ (Zitat Hoss) Trotz dieser Übereinstimmung, worin ich beiden folge, meint Hoss, wie er mir mitteilte, „dass das Geld in einer sozialistischen, nicht mehr auf Warenproduktion gegründeten Wirtschaftsordnung fortbestehen kann, und dass es bereits heute schon keine Ware mehr ist“, während Jacobs meint: „… einen Sozialismus mit Arbeitszeitzertifikaten hat es nicht gegeben, er blieb stattdessen beim Geld“, (denn) ein Arbeitszertifikat sei „ein an die Person gebundener Schein über eine Arbeitsleistung…“ Wieso an die Person gebunden?

Ich halte es für notwendig, tiefgründiger von den Erscheinungen der Wirklichkeit zu abstrahieren und auf das Wesen der Sache zu schließen, sowohl was die damaligen „sozialistischen“ als auch was die heutigen Verhältnisse betrifft. Bereits in UTOPIEkreativ (Heft 212, Juni 2008) zeigte ich

  1. wie sich für Marx Entstehung und Entwicklung der Wertform darstellten,
  2. wie Marx auf ihr schließliches Verschwinden schloss,
  3. dass und wie sich dieser Prozess aus der Logik der kapitalistischen Reproduktion heraus, also auf Grund des Bewegungsgesetzes der bürgerlichen Gesellschaft in der Realität bereits vollzogen hat,
  4. wie dieser Wandel logischerweise zu einer veränderten Betrachtungsweise des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses (quasi aus einem anderen Blickwinkel heraus) führt bzw. durch diese veränderte Betrachtungs- und Darstellungsweise offenbar wird.

Ein Mann der CIA als Stasi-Informant?

(Erschienen in: Das Blättchen, heft 20/2007)

Ungewöhnliches ereignete sich in den ersten Septembertagen des Jahres 1950 an der Ernst-Thälmann-Oberschule in Falkensee, vor den Toren Westberlins. Ein neuer Schüler erschien zu Beginn des für die 12. Klasse letzten Schuljahres - als einziger - Tag für Tag im Blauhemd der FDJ. Gut zwei Jahre später berichtete Der Spiegel (28. 01. 1953) über den nun beginnenden Kampf der Schulklasse „gegen ihre kommunistische Vergewaltigung“ durch eben diesen neuen Mitschüler. 

Schlaraffenland

(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 22/2007)

Wer wünschte sich nicht einen Hauptgewinn in Frank Elstners ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“; etwa eine monatliche Sofortrente von 7.500 Euro? Ach, so um die 1000 Euro würden den meisten ja auch schon genügen. Das wird nun jedem, ob er mitspielt oder nicht, in Aussicht gestellt – jedenfalls wenn es nach dem Willen der rund 300 Teilnehmer des 2. deutschsprachigen Grundeinkommens-Kongresses ginge, der Anfang Oktober an der Universität Basel veranstaltet wurde.

Organisiert wurde das Treffen der Akteure aller politischen Parteien und sozialen Schichten – zu den Befürwortern der Grundeinkommensidee gehört der Gründer und Besitzer der Drogerie-Kette „DM“, Götz Werner, ebenso wie die Stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Katja Kipping - von sogenannten Netzwerken Grundeinkommen sowie Attac-Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Deren Bestreben ist es, allen „Menschen in einer Gesellschaft“ einen „individuellen Rechtsanspruch“ auf ein Grundeinkommen zu verschaffen, das existenzsichernd ist und bedingungslos, also beispielsweise „ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitsnachweis und ohne Arbeitsverpflichtung“ ausbezahlt werden sollte. In Basel nun diskutierte man über das Grundeinkommen als Menschenrecht, über den Arbeitsbegriff und das Menschenbild in Bezug auf das Grundeinkommen, über Entwicklungen im Arbeitsmarkt und bei der Beschäftigungspolitik, über Finanzierungsmodelle von Grundeinkommen und vieles andere mehr.

Obwohl die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auf dem Vormarsch ist – die Kongresse, vor zwei Jahren in Wien und nun in Basel, belegen es -, sehen sich ihre Protagonisten mit heftigen Widerständen konfrontiert. Gerade die marxistische Linke, beklagte Werner Rätz als Mitglied des deutschen Netzwerks Grundeinkommen im Vorfeld der Baseler Veranstaltung, habe bisher systematisch auf die Rolle der Arbeit gesetzt. Die Vorstellung von einer anderen Gesellschaft sei immer damit verbunden gewesen, „dass aus der Erwerbsarbeit heraus verändert oder revolutioniert wird“. Das habe große Teile der Arbeiterbewegung über ein Jahrhundert geeint, und die Vorstellung, sich davon lösen zu müssen, sei natürlich für viele erstmal ungewohnt und schwierig.

Aber hat denn die marxistische Linke, so ist zu fragen, den Gedanken einer großen revolutionären Umwälzung nicht ohnehin längst über Bord geworfen? Und ging es ihr überhaupt – im Zusammenhang mit der Rolle der Arbeit – vordergründig darum? Für Friedrich Engels jedenfalls hatte die Arbeit eine viel grundsätzlichere Bedeutung, indem sie maßgeblich zur Menschwerdung des Affen beitrug. Heute, da der Kreationismus, die Lehre von der göttlichen Schöpfung, sich wieder ausbreitet und sogar ins Schulwesen drängt, kann die marxistische Erkenntnis nicht genug verteidigt und beherzigt werden. Denn das Elend der rund vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland (vor allem der jugendlichen) besteht weniger darin, dass sie darben, als vielmehr darin, dass sie seelisch, moralisch und vielfach auch körperlich verkrüppeln, unter einer Sinnentleerung ihres Lebens leiden. Mit mehr Geld – so wünschenswert das wäre – hülfe man ihnen nicht grundsätzlich. Arbeit brauchen sie, jeder einzelne, eine sinnvolle Betätigung und ein ausgewogenes Pendeln zwischen Rechten und Pflichten, zwischen Schaffen und Konsumieren. Bezieher eines Grundeinkommens täten das von sich aus, meinen dessen Verfechter. Von Ausnahmen abgesehen scheint aber die heutige Wirklichkeit mit Millionen (wenn auch mehr schlecht als recht) bezahlten Arbeitslosen etwas anderes erwarten zu lassen. Und der Glaube, die Arbeit der so staatlich Versorgten würde die Wirtschaft nichts kosten, so dass Arbeitsplätze entstünden, trügt. Der Staat, die Gesellschaft als ganze trüge die Kosten - zu Gunsten der (privaten) Wirtschaft und bei Aufgabe des Leistungsprinzips, bei allgemeiner Gleichmacherei.

Die Gesellschaft braucht die Teilnahme jedes einzelnen Individuums sowohl an der Schaffung als auch am Verbrauch des erzeugten Reichtums. Sonst funktioniert ihre eigene Reproduktion nicht. Die heutige Misere besteht ja gerade darin, dass die einen, die „Besserverdienenden“, gar nicht mehr in der Lage sind, ihren Verdienst zu konsumieren, während die anderen mit ihrem Einkommen nicht auskommen und sich verschulden müssen, damit der sachliche Reichtum, der erzeugt worden ist, verbraucht werden kann. Andererseits steht Millionen Arbeitslosen ein gewaltiger Berg ungetaner Arbeitsaufgaben der Gesellschaft gegenüber. Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen gehören dabei vielleicht zu den bedeutendsten Problemfeldern. Gewiss, hinter uns liegen Jahrzehnte einer Realität, in der „die Gesellschaft“ alles, das Individuum aber wenig, oftmals nichts gelten sollte. Dieses System hat sich als nicht überlebensfähig erwiesen. Aber ist das ein Grund, ins gegenteilige Extrem zu verfallen und jedem Bürger ein grundsätzliches Recht zur Konsumtion auf Rechnung der Gesellschaft, ohne jegliche Pflicht zu gesellschaftlich notwendiger Arbeit, einzuräumen?

Die Annahme, die Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde ganz neue Potenzen der Individuen wie auch der Gesellschaft insgesamt freisetzen und letzterer sogar neue Impulse verleihen, dürfte sich bald als ein Trugschluss erweisen. Wenn auf dem Kongress beklagt wurde, die Menschen würden ihre Ansprüche zurückschrauben und aus Verzweiflung jede Arbeit annehmen (müssen), so ist doch zu fragen: Ja, wer soll uns denn die weniger attraktiven Aufgaben, die etwa bei der Müllbeseitigung anstehen, abnehmen – vielleicht Kulis aus Asien und Afrika? Auch denen stünde ein Grundeinkommen zu, wenn es sich tatsächlich um ein allgemeines Menschenrecht handelte. Warum aber sollten sie oder irgendsonstjemand dann für andere die Dreckarbeit (heute spricht man vornehm von „prekärer“ Arbeit) übernehmen? Die gesellschaftliche Reproduktion wird nicht funktionieren, wenn jeder lernt und arbeitet, wann und wozu er Lust hat, denn sie erfordert ein Mindestmaß an Ordnung, Organisation und Disziplin. Eine sozialutopische, individualistische Chaoswirtschaft wäre gegenüber anderen Zivilisationen nicht weniger überlebensgefährdet als seinerzeit die realsozialistische „Kommandowirtschaft“ mit ihrem Mangel an Flexibilität infolge zu geringer Eigenverantwortung der Betriebe und Wirtschaftsorganisationen.

Aber zwischen beiden Extremen gibt es einen Mittelweg, der die heutige illusionäre Selbstvermehrung und realwirtschaftlich leistungslose Aufblähung des Finanzsystems zu überwinden hätte. Die Lösung der dringenden ökonomischen und sozialen Probleme der Gegenwart erfordert nicht die Gestaltung eines „Schlaraffenlandes“ (das auch den weltweiten Migrationsdruck weiter erhöhen würde), sondern die Kontrolle und Regulierung des (internationalen) Finanzsystems durch die Gesellschaft. Auf diese Weise könnte und müsste ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden hin zu einer tatsächlichen Leistungsgesellschaft, in der – wie der verstorbene Andre Gorz gefordert hatte – jeder Mensch ein Recht auf ein anständiges Leben hat, das er dank Beschäftigungs- und Mindestlohgarantie auch realisieren kann. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine allgemeine Aufklärung über das Wesen der heutigen (Finanz-) Gesellschaft voraussetzt. Wird diese Einsicht nicht durch Aufklärung erreicht, so werden die ökonomischen Realitäten mit ihren Verwerfungen sie früher oder später erzwingen.

(Siehe auch: H. Hummel, Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag, Halle, 2005, ISBN 3-86634-048-6)

Gästebuch („Das Blättchen)


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Geschrieben von: Ralf Peters am 07.12.07
um 09:21
Auch Ihr habt nun das Thema Grundeinkommen aufgenommen. Mal abgesehen davon, dass man damit ganze Diskursbücher füllen könnte: Bei Euch steht ein selbstdenkender Heerke Hummel gegen einen Klassikerberufungskünstler (R. Blaschke.Und nun?
Ralf Peters, Oldenburg



Erwiderung auf Ronald Blaschke
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Heft 26 / 2007)

Im „Blättchen“, Nr. 24/2007 hat R. Blaschke auf den oben stehenden Artikel geantwortet. Er wirft mir u. a. vor, den emanzipatorischen Gehalt der Marxschen Kritik an der entfremdeten Arbeit nicht zu reflektieren. Diese Absicht hatte ich auf dem knappen Raum eines „Blättchen“-Artikels umso weniger, als ich bei meiner Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens von den realen Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft ausgehe. Ich halte es eben für erforderlich, die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft (auch unter veränderten politischen Machtverhältnissen) über ein „System materieller Anreize“ (womit ich nicht das heutige Verteilungssystem des Finanzkapitalismus meine) zur sinnvollen Einordnung in den gesellschaftlichen Arbeits- und Reproduktionsprozess mit seinen Erfordernissen zu bewegen. Und ich denke, dass nicht die Pflicht zur Arbeit diese dem Menschen entfremdet, sondern die spezifisch kapitalistische Art und Weise ihrer Durchsetzung (als Verkauf der Ware Arbeitskraft). Nicht dass der Einzelne sich an der gesellschaftlichen Produktion beteiligen muss, um sein Recht zur Teilnahme an der Konsumtion (nach Maßgabe seiner Teilhabe) zu sichern, entfremdet ihn seiner Arbeit, sondern dass er nicht im Bewusstsein seiner eigenen Gesellschaftlichkeit am Produktionsprozess teilnimmt bzw. teilnehmen kann, weil die heutige Art und Weise der Produktion und Verteilung (und auch deren Leitung und Kontrolle) privaten Interessen, Zielstellungen, Maßstäben usw. unterworfen ist.

Wenn ich also einerseits meine Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens aus meinen Erfahrungen und Beobachtungen von Verhaltensweisen sowohl im Realsozialismus als auch in der realen Finanzgesellschaft der Gegenwart ableite, so andererseits auch aus theoretischen Erwägungen heraus: Das Geld (das bedingungslos verteilt bzw. zugeteilt werden soll) ist seinem Wesen nach in seiner heutigen Konstitution nichts anderes als ein gesellschaftliches Arbeitszertifikat, eine Bescheinigung für geleistete oder gegebene gesellschaftliche Arbeit und damit Berechtigung zur Teilhabe am Realreichtum der Gesellschaft. (Zwischen letzterem und dem Finanzvermögen der Gesellschaft ist genau zu unterscheiden, denn dieses ist nur eine ideelle Widerspiegelung des Realreichtums.) Mit Keynesianismus, den R. Blaschke bei mir vermutet, hat das überhaupt nichts zu tun. Dennoch sehe auch ich den Staat als Herausgeber dieses von ihm sanktionierten Geldes in der Verantwortung, vor allem durch seine Geld- und Finanzpolitik dafür zu sorgen, dass der gesellschaftliche Reproduktionsprozess im Interesse der ganzen Gesellschaft, ihrer ökonomischen und ökologischen Erfordernisse, abläuft und von dem irrationalen Wachstumszwang befreit wird.. Dazu gehören untere und obere Einkommensbegrenzungen ebenso wie Arbeitszeitbeschränkungen und ein Kreditsystem, das auf Zinsnahme verzichtet, weil das Geld als Bescheinigung für eine Arbeitsleistung logischerweise nur aus einer solchen heraus entsteht. Die durch Illusionen erzeugte leistungslose Selbstvermehrung des Geldes widerspricht der Ökonomik des 21. Jahrhunderts und lässt den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess kollabieren.

Eine vernunftorientierte staatliche Geld-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik (mit einer schrittweisen Verkürzung der allgemeinen - notwendigen - Arbeitszeit bei unbedingter Beschäftigungsgarantie und Mindesteinkommen) scheint mir angesichts der gravierenden technisch-ökonomischen und sozialen Widersprüche in der Welt der bessere und sicherere Weg zu dem Ziel zu sein, das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen erreicht werden soll, zur (allmählichen, wie ich meine) „Überwindung fremdbestimmter Arbeit“.





Eine fast unglaubliche Geschichte

Im achtzehnten Jahr nach dem Fall der Mauer scheint bei manchen Amtsträgern der CDU auf der unteren Ebene, wo eine gewisse Volksverbundenheit noch nicht abhanden gekommen ist, die Verbissenheit im Umgang mit der DDR und ihren Funktionären allmählich einer wohltuenden Lockerheit zu weichen. So gedachte der Bürgermeister von Werder a.d. Havel, W. Große, im Sommer dieses Jahres in seiner Begrüßungsrede zur Wiedereröffnung des großen Ballsaales in der restaurierten, zu DDR-Zeiten verfallenen Gaststätte „Bismarckhöhe“ eines Besuchs Walter Ulbrichts in der Blütenstadt etwa in den sechziger Jahren.[1]

Nachlese

Klärung eines scheinbaren Widerspruchs

Hier soll ein Widerspruch aufgelöst werden, der zwischen dem, was ich 1989 schrieb, und dem, was ich später dann festgestellt habe, zu bestehen scheint. Bis in die 1990er Jahre hinein war mir der innere Wandel der westlichen Gesellschaft, den diese durch die Fortentwicklung ihres Geldwesens (insbesondere durch die Kündigung des Abkommens von Bretton Woods) erfahren hatte, nicht bewusst, weil ich mich mit ihr so gut wie gar nicht theoretisch auseinandergesetzt, mich nur mit dem Sozialismus beschäftigt hatte. In Auseinandersetzung mit Reformvorschlägen hochrangiger Mitarbeiter der Staatsbank der DDR, die gleich nach dem Fall der Berliner Mauer forderten, „die Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße (zu) stellen“ und „Schluß mit einer überzentralisierten Kommandowirtschaft“ zu machen, „in der die Leitung der materiellen Prozesse dominierte und das Geld eine sekundäre Rolle spielte“ („NBI“, Nr. 50/89), bemerkte ich (in „Was kann unser Geld?“): „Wer … die jetzige Wirtschaft ‚vom Kopf auf die Füße’ stellen will, indem er anstelle der Dominanz materiell-sachlicher Strukturentscheidungen einen Steuerungsmechanismus mit finanziellen Instrumentarien setzt, wird innerhalb kurzer Zeit noch größeren Schiffbruch erleiden als die bisherigen Strategen. Denn unser „Geld“ ist kein wirkliches Geld im Sinne eines allgemeinen Äquivalents in einer warenproduzierenden Gesellschaft, das man ohneweiteres in ein Steuerungsinstrument der Wirtschaft verwandeln könnte. Als gesellschaftliche Quittung für geleistete Arbeit müsste man es erst in ein solches (wirkliches allgemeines Äquivalent) verwandeln, indem man tatsächlich zuerst nicht nur die Wirtschaft, sondern die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse umkrempelt und die Wirtschaft reprivatisiert, kurz: monopolkapitalistische Verhältnisse schafft – mit all ihren Folgen für die Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte zwischen hoch industrialisierten Staaten und der Mehrheit der unterentwickelten Welt, mit ihren Folgen für soziale Sicherheit und Harmonie, für Ökonomie, Ökologie und Kultur nicht nur in unserem Lande, sondern in der Welt.“ (Seit nunmehr siebzehn Jahren wissen wir, dass diese Entwicklung auch ohne die Sozialismus-Reformer, „dank“ der D-Mark-Einheit, eingetreten ist.)

Neuer ökonomischer Denkansatz der LINKEN gefragt

Bemerkungen zum Positionspapier der „Kommunistischen Plattform“ betreffend den Sozialismus im 21. Jahrhundert (Material des Landeskoordinierungsrates der KPF in der Partei DIE LINKE des Landes Brandenburg für die 3.Tagung der 13.Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform am 10. November 2007)

Lebensfremder als der Papst

(Zu: „Debatte“, ND, 28. 12. 07, S. 14)

Da debattieren Zwei professoral über das Wachstum der Wirtschaft und erschöpfen sich auf einer ganzen Druckseite in der Verbreitung von Pessimismus der Eine („…dass die Wahrscheinlichkeit einer Rezession von der zweiten Jahreshälfte 2008 an weit höher ist, als dass sich die relativ günstige Entwicklung weiter fortsetzt.“) und von Optimismus der Andere („Der Aufschwung kommt an, die Veränderungsrichtung stimmt. Das sollte Mut machen!“). – Als drohte unsere Gesellschaft – als Folge des allgemeinen Wahns vom Wirtschaftswachstum - nicht schon seit langem in dem Überfluss von Müll (in des Wortes weitester Bedeutung) zu ersticken, der täglich wider jegliche Vernunft auf Kosten unseres Planeten, seiner Natur und Millionen armer Menschen erzeugt wird!

Selbst Papst Benedikt XVI. benannte die eigentlichen Probleme unserer Zeit konkreter und zutreffender, als er in seiner Weihnachtsmesse auf die große Not von Millionen Armen und Heimatlosen hinwies und den Zustand einer durch Umweltsünden «geschundenen Erde» beklagte. Eindringlich kritisierte er den Missbrauch der Energien und deren schonungslose Ausbeutung für unsere Interessen heute. Denn der Mensch lebe auf einem verschmutzten und in seiner Zukunft bedrohten Planeten, so der Papst.Friedrich Wilhelm I., der „Soldatenkönig“, soll, wenn er sich amüsieren wollte, auf einen eigentlichen Hofnarren verzichtet und statt seiner zwei „professores“ kommen lassen haben, um sie „konträr disputieren“ zu lassen. Der heutige Gegenstand ist dafür allerdings zu ernst. Doch mehr als Unterhaltungswert haben oben erwähnte Beiträge kaum.

Samstag, 22. September 2007

Bürger aller Länder, vereinigt euch!

Der Widerstand gegen die neoliberalen Reaktionen auf die ökonomische Globalisierung wächst. Doch er scheint sich in deren Kritik zu erschöpfen. Die Lösungen, die von den Kritikern für die ökonomischen Herausforderungen der Gegenwart angeboten werden, besitzen, weil sie sich an der unmittelbaren Vergangenheit, also an der „sozialen Marktwirtschaft“ orientieren, für die allgemeine Öffentlichkeit bisher weniger Überzeugungskraft als die des Neoliberalismus. Letzterer erscheint mit seiner marktorientierten Privatisierungswut nur deshalb moderner und überzeugender, weil er auf eine noch weiter zurück liegende Vergangenheit orientiert, die schon nicht mehr zum Erfahrungsschatz der meisten Akteure und Betroffenen der Gegenwart gehört und daher scheinbar Neuheitswert besitzt. Logik können auf der Grundlage unseres bisherigen ökonomischen Denkens, also im Rahmen unserer Vorstellung der Wirtschaft als einen durch Geld vermittelten Austausch von privat hergestellten Gütern, beide wirtschaftspolitischen Ansätze für sich beanspruchen.

Montag, 6. August 2007

Sieben Tage Istanbul

(Veröffentlicht in: "Das Blättchen", Nr. 16, 6. August 2007)Alles, was im osmanischen Machtapparat geschah, war gewollt, nichts dem Zufall überlassen – ganz im Gegensatz zu den chaotischen, desaströsen Zuständen in der bürgerlichen, vom Profitstreben dominierten Konkurrenzgesellschaft von gestern wie von heute.

Ein Widerruf aus der SPD

(Veröffentlicht in: "Das Blättchen", Nr. 17, 6. August 2007)Ungeachtet der Fede zwischen SPD-Führung und LINKER hofft SPD-MdB Karl Lauterbach, "dass sich über alle Parteigrenzen hinweg wieder mehr von uns darauf besinnen", dass der Kampf für Gerechtigkeit und nicht die Bedienung einer kleinen Klientel von Saturierten die zentrale Aufgabe der Politik sei.

Montag, 14. Mai 2007

Gläubiges Rätselraten

(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 10, 14. Mai 2007)

Drei Tage lang begeisterten sich mehrere Hundert Sozialisten während einer bundesweiten Konferenz in Berlin an dem Gedanken, dass die tot gesagten Ideen ihres großen Lehrmeisters Karl Marx wie Phönix aus der Asche des Realsozialismus auferstehen. „Marxismus für das 21. Jahrhundert“ lautete das Aktualität versprechende Thema. Doch die Vorträge – so wenigstens der subjektive Eindruck auf der Grundlage einer notwendigerweise stichprobenartigen Auswahl – wurden dem Anspruch von heute nur teilweise gerecht.

Montag, 22. Januar 2007

Zwei Döner für Goethe

(Veröffentlicht in: „Das Blättchen, Nr. 6, 22. Januar 2007)Goethe liebte das Volk und bemühte sich um dessen Wohl. Aber er hegte „einen grundsätzlichen Verdacht gegen demokratische Majoritätsentscheidungen“, wie Walter Dietze in seiner Einleitung zur wohl letzten DDR-Ausgabe von Goethes Werken schrieb.