Sonntag, 16. Dezember 2012

Ende des Kapitalismus?




(Zur Diskussion Burow / Richter etc. im Forum der Online-Zweiwochenschrift "Das Blättchen")
Immer häufiger und heftiger wird darüber diskutiert, wann und wie der Kapitalismus verschwindet. Was wir gerade erleben, ist nicht mehr „der Kapitalismus“ . Wir leben bereits in einer Art Übergangsgesellschaft. Ihre ökonomische Basis ist seit 1971 de facto bereits vergesellschaftet. De jure beruht sie auf dem Privateigentum, weil die sachliche Veränderung der Ökonomik in ihrem Wesen nicht verstanden und die Gesetzeslage demzufolge nicht verändert worden ist.
Es ist ein Zustand, wie er vielleicht lange Zeit beim Übergang von der Sklaverei zur Feudalgesellschaft in ähnlicher Weise geherrscht haben mag. Auch dort vollzog sich der Übergang ja über einen langen Zeitraum ohne einen „revolutionären“ Akt einer neuen, zur Macht strebenden Klasse, sondern in einem unbewussten kontinuierlichen Wandlungsprozess der sachlichen Produktionsverhältnisse  einerseits und des Rechts andererseits. Niemand wollte „die Sklavenhaltergesellschaft“ durch „den Feudalismus“ ablösen.
Was wir also heute vor allem brauchen ist ein Rechtssystem, das den Erfordernissen der ökonomischen Basis der Gesellschaft gerecht wird, und zu allererst eine vernünftige Vorstellung davon, was wirtschaften dem Wesen nach bedeutet und wie sich dieser Prozess heute an der Oberfläche der Erscheinungen einerseits und dem Wesen nach andererseits  selbstorganisatorisch gestaltet. Das heißt, wir müssen begreifen, dass der „freie Unternehmer“ zum „Agenten der Gesellschaft“ auf der Basis eines bestimmten Rechtssystems geworden ist, das ihm einen bestimmten Handlungsrahmen vorgibt, bestimmte Kompetenzen gewährt und Pflichten auferlegt. Diese Bedingungen müssen den Erfordernissen der Realität immer wieder angepasst werden, also das Recht bzw. die Rechte und Pflichten kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Das ist zwar schon immer geschehen, doch stets - und noch immer - unter der Vorstellung, das Wirtschaften sei Privatsache und das Eigentum Privateigentum der Akteure. Doch das ist spätestens seit 1971 der sachlichen Lage nach nicht mehr der Fall.

Donnerstag, 29. November 2012

Wuchern oder Wirtschaften?

Wuchern oder wirtschaften?
von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen" Nr. 24, 26. November 2012)

Endlich! Europa wehrt sich gegen den antisozialen Sparwahnsinn seiner Finanzoligarchen mit
länderübergreifenden Aktionen. Millionen Menschen folgten am 14. November dem Aufruf des
Europäischen Gewerkschaftsbundes, legten die Arbeit nieder, brachten in Spanien und Portugal
mit Generalstreiks das öffentliche Leben zum Erliegen, protestierten gegen das Spardiktat ihrer
Regierungen. Staunend betrachteten die Deutschen das Treiben vom Turme ihres Wohlstands.
Wenigstens versicherte DGB-Chef Sommer die Protestierenden ringsum seiner Solidarität.
Auch das Institut Solidarische Moderne (ISM) unterstützte den „ersten breit getragenen, gren
züberschreitenden Aufruf zu Streiks in Europa“ und stellte Maßnahmen vor, die den europäischen
Integrationsprozess stabilisieren und progressiv weiterentwickeln können. Doch das alles genügt nicht.

Dienstag, 13. November 2012

Gesunder Pragmatismus



Gesunder Pragmatismus
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 23/2012)
Ein offensichtlich gut betuchter Tischnachbar - sein Name ist mir längst entfallen - antwortete auf meine Bemerkung, im Spielkasino unseres Kreuzfahrtschiffs, wo er Abend für Abend seinen Nervenkitzel suchte, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Geld verlieren als gewinnen: „Eine alte Regel besagt, man soll nur mit dem Geld spielen, das man übrig hat.“ Dieser Satz kam mir oft wieder ins Gedächtnis, seitdem der Begriff „Kasino-Kapitalismus“ Mode wurde; auch kürzlich wieder, da viel über die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank debattiert wird. Deren Chef, Mario Draghi, wurde unter andrem von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kritisiert, weil die Programme der EZB zur Bekämpfung der Eurokrise "reine Geschenke an die Banken" seien. Dem widersprach nun der Sprecher für Finanzpolitik in der Bundestagsfraktion der Linken, Axel Troost, mit der Bemerkung, in einer Krise müsse der Staat den Banken notwendige Liquidität bereitstellen, weil sonst das Bankensystem zusammenbricht.

Montag, 29. Oktober 2012

Wer oder was veränderte die Welt?



Wer oder was veränderte die Welt?
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 22/ 2012)
Nach John Reed waren es wohl vor allem zehn Tage, die vor nunmehr 95 Jahren die Welt erschütterten.  Dieser Aussage des amerikanischen Journalisten und Arbeiterführers, der die Oktoberrevolution in Russland (Beginn 7. November nach dem derzeit gültigen Gregorianischen Kalender) hautnah miterlebte und auch Lenin kennenlernte, ist auch heute, in Kenntnis des dann folgenden Verlaufs der Weltgeschichte, nicht zu widersprechen. Aber was würde ihm und den führenden Akteuren der großen Welterschütterung alles durch den Kopf gehen, könnten sie aus dem Grabe steigen und erfahren, was aus ihrem damaligen Werk von „zehn Tagen“ geworden ist?

Montag, 22. Oktober 2012

Die Finanzkrise und die Moral


Von Heerke Hummel

(Erschienen in: „Das Blättchen“, Sonderausgabe 3/2012)

Aus einem sehr ungewöhnlichen Blickwinkel betrachtet David Graeber die Finanzkrise in seinem Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“.[i] Der Anthropologe blickt weit in die Geschichte zurück, um zu ergründen, was es mit der Schuld, dem und den Schulden, mit Kredit, Geld und Kapital sowie mit dem Verhältnis von Staat und Markt auf sich hat. Ins Gericht geht er mit Ökonomen, die alle menschlichen Beziehungen vorrangig auf Tausch und Tauschhandel reduzieren. Mit Erkenntnissen der Anthropologie erläutert er „eine Sicht der moralischen Basis des Wirtschaftslebens“ und zeigt, wie das Tauschprinzip weitgehend als eine Folge von Gewalt entstanden ist und dass „die wahren Ursprünge des Geldes bei Verbrechen und Vergeltung zu finden sind, bei Krieg und Sklaverei, Ehre, Schuld und Sühne“.

Montag, 1. Oktober 2012

Politik in den Fesseln der Zeit



Politik in den Fesseln der Zeit
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 20/2012)
Hätte die Geschichte auch anders verlaufen können? Diese Frage stellen vor allem wir Deutschen – und zum Tag der Deutschen Einheit besonders gern. Einen bemerkenswerten Beitrag dazu schrieb Evelyn Finger fast vor Jahresfrist in der „Zeit“. Sie beklagte darin den Umgang mit Alternativen – ehemals zum DDR-Sozialismus und heute zum derzeitigen Kapitalismus – und stellte fest, die Alternative sei eine mühsame Arbeit gewesen, über die alle diskutierten, aber die am Ende keiner machen wollte; auch heute. Warum? Diese sich dem Leser am Schluss stellende Frage ist offen geblieben. Vielleicht ist uns bei ihrer Beantwortung Karl Liebknecht mit seiner Schrift „Studien über die Bewegungsgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung“ hilfreich.

Freitag, 7. September 2012

Kommentar zu Heiner Flassbecks Aufruf „Trennt euch!“


Kommentar zu Heiner Flassbecks Aufruf „Trennt euch!“ 
(„Das Blättchen", Nr. 18/2012; http://das-blaettchen.de/2012/08/trennt-euch-16047.html )

Viele mögen H. Flassbecks Skepsis gegenüber dem Euro teilen, ich teile sie nicht. Gewiss, Wirtschaftspolitik muss den Ausgleich von Handels- und Leistungsbilanzen zwischen den Staaten im Auge haben. Aber sie muss gleichzeitig zur Herausbildung einer komplexen Proportionalität – in finanzieller und in sachlich-struktureller Hinsicht – eines Wirtschaftsraumes beitragen. Und sie muss dazu ein System selbstregulierender Marktbeziehungen gestalten, das eingebettet ist in sinnvolle gesetzliche Vorgaben entsprechend ökonomisch-ökologischen, sozialen und politischen sowie kulturellen Erfordernissen. (Das alles existiert bereits, wenn auch in unbefriedigender Art und Weise.)
Europäische Kleinstaaterei steht dem meines Erachtens im Wege. Europa braucht, denke ich, eine politische Zentralmacht und eine zentrale wirtschaftslenkende Behörde, um einen relativ selbständigen und harmonisch gestalteten ökonomischen Großraum schaffen zu können, der sich im Konzert internationaler Giganten Gehör zu verschaffen und seine sowie die Interessen seiner Bürger – auch gegenüber Finanzmächten – zu wahren vermag, beispielsweise durch Schutz vor Billig-Importen und Regulierung von Finanztransaktionen.
Noch sind wir von einem solchen Europa weit entfernt. Die jüngsten Beschlüsse der Europäischen Zentralbank zur Bekämpfung der europäischen Staatsschuldenkrise durch Ankauf von Staatsanleihen einerseits und Einflussnahme auf die nationale Haushaltspolitik begünstigter Staaten andererseits dürften allerdings im Prinzip einen – wenn auch nur sehr kleinen – Schritt in die richtige Richtung bedeuten. Der Prozess der europäischen Einigung unterliegt doch wohl, wie alle Politik, den Fesseln der Zeit; was bedeuten soll, dass das Machbare und sich Vollziehende immer abhängig ist von einer Unzahl objektiver und subjektiver Faktoren zum gegebenen Zeitpunkt. Und was derzeit zur Krisenbewältigung getan wird geschieht leider nicht aus Einsicht in objektive Zusammenhänge, sondern nur der äußersten Not gehorchend.

Mittwoch, 11. Juli 2012

Flickschusterei oder ein Paar neue Schuhe?


Flickschusterei oder ein Paar neue Schuhe?
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 14/2012)

Ist die Not nur groß genug, wird auch in Regierungskreisen eine Änderung des Grundgesetzes in Erwägung gezogen. Sogar von einer eventuellen Volksabstimmung ist die Rede. Der Grund diesmal: Die Europäische Union braucht eine zentralisierte Finanzpolitik, um, was das Finanzsystem betrifft, wirklich handlungsfähig zu sein. Und dazu müssen nationale Kompetenzen an die EU abgetreten werden, was in Deutschland eine Änderung des Grundgesetzes erfordere. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat mit seinen dahin gehenden Äußerungen ein Tabu gebrochen und eine fast hektische Diskussion ausgelöst.
Der Euro-Zone steht nach dem griechischen Staatshaushaltsdesaster, dem spanischen und nun auch dem zyprischen Bankendesaster das Wasser bis zum Halse. Und ein Ende des Pegelsteigens ist bisher nicht in Sicht. Kritiker der Euro-Einführung im letzten Jahr des vorigen Jahrhunderts mahnten damals, die notwendigen Rahmenbedingungen einer so gravierenden Aktion seien nicht gegeben gewesen, während in Kreisen der Europrotagonisten wohl gehofft wurde, der Euro werde die politische Integration Europas beschleunigen und notwendige Reformen erzwingen. Nun scheint, wenigstens was den Finanzsektor betrifft, die Zeit bald gekommen zu sein. Die Ökonomie demonstriert – ganz im Marxschen Sinne – ihr Primat gegenüber der Politik.
Dennoch bleibt diese mit ihrem Löcherstopfen, beispielsweise mittels „Rettunsschirme“ und „Rettungsfonds“, in Flickschusterei stecken. Denn es ist bisher eine Politik, die der äußersten praktischen Not gehorcht, anstatt der Erkenntnis, der Einsicht in die Materie, also dem richtigen Sachverstand zu folgen. Wird eine Politik die anstehenden Probleme im Finanzsystem dadurch  besser lösen, dass sie von einer Mehrheit des Volkes, der Wähler beschlossen wird? In einer so komplexen und durch höchste Spezialisierung von Fachwissen geprägten Welt wie der unsrigen würde eine Volksabstimmung, beispielsweise über grundgesetzliche Neuregelungen von Budgetkompetenzen, zu einer Entscheidung des Bauches statt des Kopfes, des Glaubens statt des Wissens, also der Manipulation durch die Medien.  Und die Frage wäre: Welche Interessen werden dabei verfolgt? Stutzig machen sollte doch der Umstand, dass mit einem Mal alle Parteien eine solche Befragung des Volkes favorisieren. Sind es private oder Gruppeninteressen oder die des Gemeinwesens? Was ist oder wäre gut für die Gesamtheit der EU und ihrer Bürger? Nach dem heutigen Stand der Diskussion und der praktischen Politikansätze in Sachen Finanzsystem gibt es wenig Grund für die Zuversicht, die Probleme könnten in Bälde bei der Wurzel gepackt und wirklich gelöst werden. Nach jeder „Rettungsaktion“ während der letzten vier Jahre taten sich neue Löcher auf, und so wird es bleiben, solange nicht neue gesellschaftliche und ökonomische Denkansätze zum Tragen kommen, ein der heutigen Welt entsprechendes  Verständnis vom Wirtschaften und Bewirtschaften unserer Mutter Erde, wenigstens und zunächst im Rahmen Europas. Was soll da eine Volksabstimmung über das Budgetrecht? Es scheint, als wollten sich die Parteien entweder eine Rückversicherung für die Zukunft schaffen, um dem Volk nach gewiss auch künftig nicht ausbleibenden Misserfolgen sagen zu können: Ihr habt es mehrheitlich ja so gewollt. Oder sie hoffen, das Gruppeninteresse ihrer Klientel einer Mehrheit der Wähler als das Gemeinwohl einreden zu können.
Auch ein europäisches Finanzministerium würde die Krise nicht bewältigen, wenn es, um im Bild zu bleiben, nicht neue Schuhe fertigte, also verstünde, dass die Finanzkrise nur die heutige Erscheinungsform einer allgemeinen, kapitalistischen Verteilungskrise in der Gesellschaft ist. Was produziert wird, muss verbraucht werden. Es lässt sich nicht über Jahre und Jahrzehnte aufbewahren. Wer sein Einkommen nicht ausgibt und verbraucht, sondern spart, läuft Gefahr, es zu verlieren. Die Illusion, jeder könne seinen Reichtum durch Verborgen erhalten und sogar durch Zinsnahme vermehren, sollte durch die weltweiten Erfahrungen während der letzten Jahrzehnte doch endgültig geplatzt sein. Griechenland ist da nur die deutlich sichtbare Spitze des Eisbergs „Lehren aus der Wirtschaftsgeschichte“. Die Hauptschuld am Desaster trägt wohl nicht einmal der Schuldner, wenn er nicht um den Kredit gebeten und gebettelt hat. Er hätte zwar wissen müssen, wie schwer es ihm fallen wird, nicht nur das Geliehene zu erstatten, sondern auch noch die Zinslast zu tragen, mit der sich die Gesamtlast oftmals verdoppelt. Doch auch der Gläubiger musste das wissen. Wenn er dennoch den Kredit vergab, ja seinem Kontrahenten möglicherweise aufdrängte, diesen vielleicht sogar zum Kreditgeschäft überredete, dann hat er seinen Ausfall selbst verschuldet.
Und was macht in der gegebenen Situation die deutsche Regierung? Sie tut alles, um mit einer europäischen Finanzreform ganz Europa ihren desaströsen Sparkurs aufzuzwingen, mit dem die Ungleichgewichte von Produktion und Verbrauch, von Export und Import in der Welt nur weiter vergrößert werden. Ihr Streben beruht auf den Denkansätzen des klassischen Kapitalismus aus dem 19. Jahrhundert. Deren Prämissen sind Konkurrenz statt solidarischer, sachorientierter Ökonomie, Eigennutz statt Gemeinwohl, Geld und Finanzwerte statt Sachreichtum und in der Konsequenz all dessen: grenzen- und sinnloses Wachstum des Verbrauchs der begrenzten natürlichen Ressourcen, statt mit diesen verantwortungsbewusst gegenüber den nachfolgenden Generationen zu haushalten.
Nun soll, so ist zu hören, über notwendige Reformen in Europa nachgedacht und diskutiert werden. Will man erreichen, dass danach nicht wieder nur an Schräubchen gedreht wird, um das System zu flicken, so müsste das System in seinem wesentlichen Kern so geändert werden, dass unter anderem folgendes erreicht wird:
-          Gewährleistung, dass der in Europa erzeugte Reichtum an Sachwerten und Leistungen verbraucht werden kann, ohne dass sich dazu weder private noch öffentliche Verbraucher bzw. Einrichtungen dauerhaft verschulden müssen.
-          Das setzt untere und obere Grenzen für die zu erarbeitenden Einkommen (Mindestlöhne und Höchstgehälter) auf wenigstens europäischer Ebene voraus.
-          Ferner müssten die Entscheidungskompetenzen von Personen und Institutionen  über Finanztransaktionen begrenzt werden.
-          Zu begrenzen wäre auch die Anhäufung von Finanzbeständen überhaupt in der Hand von Privatpersonen sowie von privaten und öffentlichen Einrichtungen. Darüber hinausgehende Bestände müsste eine staatliche Institution  im allgemeinen Interesse bedarfsgerecht umverteilen. Damit würde unter anderem auch erreicht, dass der Anreiz zur grenzenlosen Anhäufung von Geld- und Finanzvermögen, zum Raubbau an der Natur aus dem System verschwände.
-          Überhaupt müsste die Selbstvermehrung von Finanzvermögen durch Zinsnahme unterbunden werden, weil Geld seinem Wesen nach zum finanziellen, quasi buchhalterischen Gegenpol der in der Realwirtschaft durch Arbeit geschaffenen Sachwerte und Leistungen geworden ist, mit dessen Hilfe Produktion und Verbrauch des gesellschaftlichen Reichtums verbunden werden.
-          Und schließlich müsste die Finanzierung der öffentlichen Hand vom konjunkturellen Auf und Ab, also vom Steuerfluss unabhängig gemacht werden und direkt durch die Zentralbank erfolgen.
Gewiss, dies alles wäre weder kurzfristig noch mit einer einzigen Aktion zu erreichen. Aber jeder weitere Schritt bei der künftigen Reformierung des europäischen Finanzsystems müsste sich an einem solchen oder ähnlichen Konzept orientieren, wenn es gelingen soll, Europa ökonomisch, sozial und politisch dauerhaft zu stabilisieren. Europa muss sich als Wirtschaftsgroßraum verstehen, der nicht schlechthin produzieren, sondern sich auch reproduzieren muss. Und diesen Prozess gilt es, zwar nicht nach einem zentralen Plan, doch mit einem Gesamtkonzept zu steuern.

Montag, 16. April 2012

Chinesische Denkanstöße


Chinesische Denkanstöße
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 8/2012)

Die Mitteilung, die Chefs der BRICS-Staaten hätten auf Ihrem Treffen Ende März in Neu-Delhi die Gründung einer gemeinsamen Entwicklungsbank als Gegenpol zur Weltbank ins Auge gefasst, erregte nur sehr kurze Zeit die Aufmerksamkeit der hiesigen Öffentlichkeit. Dann ließ man sich von Kommentaren beruhigen, welche die Bedeutung dieses Beschlusses mit der Bemerkung herunterspielten, er sei die bisher einzige kreative Idee dieser gerade mal drei Jahre kooperierenden Staatengruppierung gewesen. Beruhigen mochte in heutiger,  schnelllebiger Zeit auch der Hinweis, dass die betreffenden Finanzminister den Vorstoß zu prüfen und sich beim nächsten Gipfel dazu zu äußern haben, man von einem solchen Finanzinstitut also noch weit entfernt sei. Außerdem glaubte man feststellen zu können, dass es sich bei Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika um Länder mit konkurrierenden politischen Systemen und entgegengesetzten geostrategischen Interessen handelt, ohne historischen Zusammenhalt. BRICS ein Chaosklub statt ernstzunehmende Alternative zur westlichen Globalisierungsstrategie? Diese Frage aus dem ARD-Hörfunkstudio Südasien konnte auch Hoffnungen derjenigen ausdrücken, die den Bestrebungen der bisher Benachteiligten dieser Welt mit Argwohn begegnen.

Dienstag, 20. März 2012

Aufklärung, Warnung, Mahnung


Aufklärung, Warnung, Mahnung
 Von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen", 6/2012)

Vor einem Scheideweg stehen Deutschland, Europa und die Weltgemeinschaft der Völker. So etwa sieht die heutige Situation Heiner Flassbeck in seinem Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“[i], mit dem er für ein ökonomisches Umdenken und Überwinden der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus kämpft, weil der soziale Friede in Gestalt der Demokratie in höchstem Maße gefährdet ist. Das ideologische Trommelfeuer einer übergroßen Mehrheit der Ökonomen habe in den letzten vier Jahrzehnten ein falsches, eben neoliberales „Weltbild“ zur Herrschaft in der Volkswirtschaftslehre gebracht. Und die Versuche, darüber aufzuklären, dürften nicht aufgegeben werden – auch wenn, bzw. gerade weil die auf ihre Exportüberschüsse so stolzen deutschen Politiker und Unternehmer das System nicht verstanden haben und sich damit abfinden werden müssen, ihre Marktanteile wieder zu verringern, wenn der Euro aus der Krise gebracht werden soll. (S.15)

Mittwoch, 7. März 2012

Gauck versus Wulff?

von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen", 5/2012)

Im September 2011 äußerte ich die Meinung, der damalige Bundespräsident habe sich „in Sachen Euro-Krise weit aus dem Fenster gelehnt. Wahrscheinlich zu weit! Seine scharfe Kritik am massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank könnte sich schon bald als kurzsichtig und realitätsfremd erweisen, wenn sich die Europäische Zentralbank vielleicht zu noch viel drastischeren Maßnahmen im Interesse der Euro-Rettung gezwungen sehen sollte, auch wenn sie damit die ihr zugestandenen Kompetenzen weitaus stärker übertreten müsste. Zwar studierte Wulff einst Rechtswissenschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht, doch was er in Lindau am Bodensee kürzlich ausgerechnet zur Eröffnung des vierten Treffens der Wirtschafts-Nobelpreisträger als seine persönliche Meinung zum Besten gab, zeugte von nichts weniger als von Kompetenz.“ (vergleiche Das Blättchen, 19/2011) Dazu kann ich auch heute noch stehen, denn inzwischen warf die Europäische Zentralbank dem Bankensektor über eine Billion Euro (im Dezember 490 Milliardenund nun im März noch einmal 530 Milliarden für ein Prozent Zinsen) zur äußerst profitablen und sicheren Verwertung durch wesentlich höhere Zinsnahme bei Weitergabe des Geldes in den Rachen. Die Inkompetenz des Mannes resultiert(e) nicht nur aus der Ohnmacht des präsidialen Amtes, sondern gleichermaßen aus seinem Unvermögen, die in der Entwicklung des ökonomischen Systems dieser Gesellschaft liegenden Ursachen der Krise zu überblicken. Daher wurden alle Probleme banalisierend auf Gier, Moralverfall und Mangel an Solidarität reduziert. Bestätigt sehe ich mich durch den Gang der Dinge nun auch in einem ganz anderen Sinne. Denn nur drei Monate später kam der Bundespräsident tatsächlich aus dem Gleichgewicht. Immerhin so lange brauchten seine Gegner, um Peanuts in seiner vorpräsidialen Vergangenheit zu finden und ihm an den Hals zu hängen. Inzwischen haben sie ihn damit tatsächlich zu Sturze gebracht.

Montag, 20. Februar 2012

Demokratischer Kapitalismus?


Demokratischer Kapitalismus?
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 4/2012)

Über das Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus sinnierte unlängst Dirk Kurbjuweit im „Spiegel“. Unter dem vielsagenden Titel „Rückkehr der Ruchlosen“ waren da manche Wahrheit, viel Halbwahrheiten mit Widersprüchen und auch Irrtümer niedergeschrieben. „Rettet den Kapitalismus!“ hätte der Essay auch betitelt werden können. Immerhin mehren sich ja die Stimmen, welche das heutige System in Frage stellen. Laut ARD-Deutschlandtrend sagten unlängst 51 Prozent der befragten Deutschen, die Wirtschaftsordnung müsse grundlegend verändert werden – was natürlich noch nicht bedeutet „sozialismus ante portas est“.

Dienstag, 7. Februar 2012

Koalition der Vernünftigen?


Koalition der Vernünftigen?
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, 15. Jahrgang | Nummer 3 | 6. Februar 2012)

„Stoppt das Euro-Desaster!“ Zu diesem Thema referierte kürzlich Professor Max Otte vor gut hundert Zuhörern im Auditorium der „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“. Diese ist die freidemokratisch orientierte Schwester der Rosa-Luxemburg-Stiftung von der LINKEN. Otte wurde vorgestellt als Inhaber eines Lehrstuhls für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms. Seit 2011 ist er zudem Professor für quantitative und qualitative Unternehmensanalyse und -diagnose an der Universität Graz, außerdem leitet er das 2003 von ihm gegründete Institut für Vermögensentwicklung (IFVE) und betätigt sich als unabhängiger Fondsmanager. Seine Voraussage einer Finanzkrise machte ihn nach deren Eintreffen zum begehrten Vortragsredner und Fernsehgast; so die Ansage.
Was Otte vorzutragen hatte, gab er seinen Zuhörern gleich schriftlich mit: Eine „Streitschrift“ gleichen Titels[i]. Dass er sie kostenlos verteilte, obwohl den nicht gerade armen Mittelständlern der Preis von 3,99 € mehr als zumutbar gewesen wäre, deutet an: Dem Autor geht es nicht ums Geld, er verfolgt ein Anliegen. Als konservativ denkender Ökonom zieht er zu Felde gegen „die Herrschaft der Finanzoligarchie“ und ihre Helfershelfer in den einschlägigen Ministerien der USA und Europas, auch Deutschlands. Das klingt dann beispielsweise so:

Dienstag, 24. Januar 2012

Die Welt der theoretischen Ökonomen

Werner Richter hat im „Blättchen“ den nachfolgenden Beitrag veröffentlicht, in welchem er das wegen seines grundlegenden theoretischen Gehalts herausragende Buch „Wirtschaft ohne Markt“  von Heinrich Harbach (Pseudonym) bespricht und auch mich erwähnt – mit der Empfehlung an uns beide, uns zu verbünden. Richters Aufsatz erlaube ich mir meinen Lesern auch auf diesem Wege zur Kenntnis zu geben, bin ich mir doch im Klaren darüber, wie schwierig es ist, in die Tiefen ökonomischer Theorie vorzudringen bzw. anderen zu folgen, Zusammenhänge richtig zu erkennen bzw. Gedanken anderer nachzuvollziehen. Daher sollte, was nicht unmittelbar auf der Hand liegt und daher einiges Nach- und Mitdenken erfordert, nicht leichtfertig in die Schublade der Utopien und Schrulligkeiten verbannt werden.

Die Welt der theoretischen Ökonomen
Von Werner Richter in: „Das Blättchen“, 15. Jahrgang | Nummer 2 | 23. Januar 2012
Verzweifelt hatte ich an dieser Stelle schon vor Jahren nach den großen Ökonomen gerufen, die ihr bisheriges Leben der „Kapital“-Forschung gewidmet hatten, immer einen gescheiten Eindruck zu hinterlassen bemüht waren und bei schlechter Laune ihrem Unmut gegen Marx freien Lauf ließen, denn der hatte nicht all ihre Fragen schon beantwortet. Ein richtiger Marxkenner ist dessen Interpret, aber nicht Verbesserer. Naive Fragen von Studenten nach der Marxschen Aktualität, noch schlimmer deren Infragestellung, boten dann ein weites Feld für arrogante Attacken gegen die Dummheit des Fragenden. Die tatsächlich klugen Professoren verwiesen auf die Aktualität der Marxschen Methodologie als einzig gültiges Erbe.
Mein Ruf blieb hier ungehört, auch von den namentlich Genannten, mein Glaube an die Kraft der ökonomisch Vernünftigen drohte zu zerbrechen. Bis auf Heerke Hummels geld- und werttheoretische Abhandlungen, die auch nicht zu viel Echo hervorriefen, kam mir nichts zu Gesicht, das bei Marx anknüpfend, dessen Methodik anwendend einer ökonomischen Basisanalyse zustrebte.