Mittwoch, 5. Februar 2014

Scheitern an der Lüge



Von Heerke Hummel

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 3/2014 - www.das-blaettchen.de)

Da erhält im Juli 1948 ein achtzehnjähriger Flüchtlingsjunge aus Breslau an der Oberschule Dresden-Ost von seiner Russischlehrerin ein Buch als „Prämie für fleißiges Lernen in der Klasse 9s“. Dessen Titel: „W. G. Korolenkos Leben“, von A. Dermann, eine Übersetzung aus dem Russischen und 1947 im Verlag der Sowjetischen Militäradministration erschienen. Ein paar Seiten liest der Junge darin, dann legt er das Buch zur Seite und vergisst es. Er hat andere, Nachkriegssorgen, die sich um den persönlichen Lebensunterhalt drehen. Doch gute vier Jahrzehnte später, als das Bundesgesetzes „Rückgabe vor Entschädigung“ ihn zum wohl letzten Wohnungswechsel zwingt, fällt ihm beim Umzug der „Korolenko“ wieder in die Hand. Der Name wird ihm ein Begriff, und als er zufällig irgendwo auf dessen autobiografisches Werk „Die Geschichte meines Zeitgenossen“ stößt, greift er zu. Zur größten Überraschung darin werden ihm die klein gedruckte Bemerkung „Aus dem Russischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Rosa Luxemburg“ sowie am Ende der Einleitung der Hinweis „Geschrieben im Strafgefängnis Breslau, im Juli 1918. R. Luxemburg“.