Von Heerke Hummel
Der hier (https://www.wirtschaftstheorie-forum.de/wom/?p=11#comment-369) wiedergegebene Disput über Wesen und Messbarkeit der abstrakten Arbeit als Wert bildendes Moment der Produktion von Waren hätte vor mehr als 50 Jahren an der Wiwi-Fak der Humboldt-Universität Berlin geführt worden sein können. Im Zusammenhang mit den ökonomischen Reformplänen der Ulbricht-Administration im Rahmen der Theorie einer „sozialistischen Warenproduktion“ sollte erforscht werden, wie die abstrakte Arbeit gemessen und erfasst werden kann, um sie zur Grundlage einer leistungsgerechten und leistungsstimulierenden Entlohnung sowie volkswirtschaftlich effektiverer Preisbildung unter den Bedingungen eines sozialistischen Planungssystems zu machen. Ich selbst stellte als Wissenschaftlicher Assistent arbeitswissenschaftliche Untersuchungen im Lausitzer Braunkohlenrevier an. Dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass die „Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv“ als Leistung von abstrakter gesellschaftlicher Arbeit nicht messbar ist und auch nicht Grundlage oder Kriterium der tatsächlichen Entlohnung der Kohlekumpel war. Auch das Tarifsystem spielte nur eine formale, untergeordnete Rolle. Entscheidend war, so stellte ich fest: Die realen, gezahlten Löhne und Gehälter mussten so hoch und so gestaffelt sein (bzw. waren es), dass die Werktätigen materiell an der Verrichtung ihrer konkreten Arbeitsaufgabe unter diesen bestimmten, notwendigen Arbeitsbedingungen interessiert waren. Zum Beispiel wurden sogar Meister – der schlechteren Vergütung von Meistern gegenüber sogenannten Häuern wegen - in den betrieblichen Unterlagen nicht als Meister, sondern als Häuer geführt. Und ich zog daraus die Schlussfolgerung, dass die materielle Interessiertheit der Werktätigen das entscheidende Kriterium leistungsgerechter Entlohnung ist und die Herausbildung eines dementsprechenden Lohnsystems einen im Wesentlichen spontanen, nicht a priori berechneten Prozess darstellt. Nicht eine berechnete Leistung (Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv) bestimmt den Lohn, sondern der volkswirtschaftlich sinnvoll stimulierende Lohn drückt die Leistung, das geschaffene Wertprodukt des Werktätigen aus. Stehen diese Schlussfolgerungen im Widerspruch zu den Erkenntnissen von Karl Marx? Zunächst natürlich nicht, denn seine ganze Analyse betrifft eine auf Privateigentum und spontaner Regulierung beruhende Produktionsweise. Diese Umstände erfordern ja gerade, dass sich das ganz allgemeine, von Marx formulierte „Gesetz der Ökonomie der Zeit“ in der bürgerlichen Gesellschaft über das Wertgesetz durchsetzt und dass im Warenaustausch der Wert als in der Ware vergegenständlichte abstrakte Arbeit im Gebrauchswert des Äquivalents erscheint. Unter realsozialistischen Bedingungen war das nicht der Fall – ganz im Einklang mit Marx‘ Vorstellungen von der „neuen Gesellschaft“. Der prognostizierte in seiner „Kritik des Gothaer Programms“, in dieser auf der Basis von Gemeineigentum an den Produktionsmitteln nach einem gesellschaftlichen Plan wirtschaftenden, neuen Gesellschaft würde der einzelne Produzent von der Gesellschaft einen Schein bekommen, dass er soundso viel Arbeit geleistet hat. Damit könnten aus dem gesellschaftlichen Vorrat so viel Produkte bezogen werden wie gleich viel Arbeit kosten. Hier unterscheidet Marx nicht zwischen konkreter und abstrakter, hier ist konkrete gleich abstrakter Arbeit gedacht. Sie ist von vornherein, vom Plan her, als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt. Dies war sie im Realsozialismus zwar auch, doch sie musste der bestehenden Unterschiede und der notwendigen materiellen Stimulierung wegen auf abstrakte, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, reduziert werden. Letzteres war für Marx nicht vorhersehbar. Die Reduktion vollzog sich aber nicht – wie in der Marxschen Analyse des Warenaustauschs dargestellt – nach der Produktion auf dem Warenmarkt, sondern vor Beginn der Produktion im realen Lohnvereinbarungsprozess. Was aber war der Arbeitslohn im Realsozialismus seinem Wesen nach? War er – wie es der formalen Ähnlichkeiten wegen scheinen könnte – wie in der kapitalistischen Welt Wertäquivalent bzw. Preis der Ware Arbeitskraft? Dann hätte der Werktätige seine Arbeitskraft verkaufen gemusst haben. In solchem Fall: an wen aber? An „die Gesellschaft“, deren Mitglied, deren Teil er selber war? Nein, der Lohn im Realsozialismus war eine Bescheinigung über Arbeit, die für die Gesellschaft geleistet wurde entsprechend dem „Gesetz der Verteilung nach der Leistung“ (Leistungsprinzip), und entsprach insofern den Erwartungen von Karl Marx. Doch das Maß war nicht die Zeit der Verausgabung von konkreter Arbeit, sondern die Menge geleisteter abstrakter Arbeit, wobei die Reduktion konkreter auf gesellschaftlich durchschnittliche, abstrakte Arbeit nicht auf Messungen oder Berechnungen beruhte, sondern durch vertragliche Vereinbarungen im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen, Vorschriften und Tarifsysteme zustande kam. Und heute? Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist die hier geführte Diskussion über die Interpretation des von Marx entwickelten Wertbegriffs insofern gegenstandslos, als sich die von Marx analysierten gesellschaftlichen Bedingungen grundlegend verändert haben, gar nicht mehr existieren. Denn was Lenin vor genau hundert Jahren mit einem revolutionären Akt gezielt initiierte – die Vergesellschaftung des Eigentums an Produktionsmitteln und der Produktion -, das vollzog sich in der westlichen Welt im Verlauf von gut einem halben Jahrhundert – und auch wesentlich durch den im Osten existierenden Sozialismus beeinflusst - als spontaner Prozess der Selbsttransformation schleichend, bis heute so gut wie nicht bemerkt beziehungsweise nicht verstanden hinter dem Rücken der Gesellschaft. Produktion, Verteilung und Austausch des gesellschaftlichen Reichtums, einschließlich der damit verbundenen Risiken, haben die Grenzen des Privaten weit überschritten. Das zentrale Element in diesem gesellschaftlichen Prozess des Wirtschaftens, das Geld, hat seinen privaten Charakter mit der Aufhebung des Goldstandards durch die Kündigung des Abkommens von Bretton Woods im Jahre 1971 endgültig verloren. Denn seitdem ist es nichts weiter als ein Arbeitszertifikat, eine Bescheinigung der Gesellschaft für geleistete gesellschaftliche Arbeit und entsprechenden Anspruch auf Teilhabe am Reichtum der Gesellschaft. Es bescheinigt bzw. ist Information über Anspruch auf Produkte beliebiger konkreter Arbeit der Gesellschaft im Maß der abstrakten Arbeit (dargestellt im Geld beziehungsweise im Preis der Ware). Direkt gemessen wird diese abstrakte Arbeit nicht. Sie wird vereinbart und mittels (von Notenbanken kreierten) Währungseinheiten wie Dollar oder Euro ausgedrückt im Preis (als Lohn, Vergütung) der lebendigen konkreten Arbeit, deren Maß die Zeit ihrer Verausgabung ist. Es handelt sich um einen Prozess der sozialen Auseinandersetzung, der weitgehend spontan, wenn auch nicht unorganisiert abläuft. Und der Unternehmer ist in diesem Prozess zum gesellschaftlichen Agenten geworden. Wir sehen: Der Westen kam 1971 unwissentlich da an, wo der Osten 1917 bewusst begonnen hatte. Doch der Westen bewahrte immer die unternehmerische Eigenverantwortung und gewährleistete so die ihm eigene hohe Flexibilität in der Wirtschaft. Um diese ging es dann später bei den Reformen des Realsozialismus, die allgemein als dessen Zusammenbruch wahrgenommen, besser: missverstanden wurden. Und worin besteht heute das Problem? Es besteht vor allem darin, dass in dieser neuen, heutigen Gesellschaft, in der das Geld nur noch eine Information darstellt, der Umgang mit diesem Medium einer gesellschaftlichen Regelung (und Kontrolle) bedarf. Während die unternehmerische Eigenverantwortung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess in dessen sachlichen Strukturen und Aspekten bereits einer weitest gehenden Regulierung und Kontrolle durch Gesetze, Vorschriften und Bestimmungen unterliegt, ist die Freiheit im Umgang mit dem Geld, diesem ganz allgemeinen, abstrakten Inbegriff von Reichtum, der in seiner Abstraktheit keinerlei Lebensgrundlage mehr darstellt, fast grenzenlos. In diesem Widerspruch liegen die Wurzeln des seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zu beobachtenden, geradezu von Erscheinungen des Wahnsinns geprägten ökonomischen, ökologischen und sozialen Desasters der Weltgesellschaft. Worauf kommt es also an? Zu allererst auf die Gewährleistung eines Primats der Politik über die Ökonomie! Denn die notwendige, sicherlich schrittweise Einschränkung der Freiheit im Umgang mit dem Geld und den Finanzen im weitesten Sinne – und seien diese Eingrenzungen noch so gering – wird immer ein politischer, gesetzgeberischer Akt sein. Dafür gilt es parlamentarische Mehrheiten zu organisieren. (Siehe auch: H. Hummel, Als das Ende des Kapitalismus begann – https://sites.google.com/site/heerkehummel/artikel/als-das-ende-des-kapitalismus-begann) |
Montag, 4. Dezember 2017
Abstrakte Arbeit - nicht messbar, aber verhandelbar!
Donnerstag, 9. November 2017
Alles gottgewollt?
Des Menschen Gott weilt in der Dialektik der Welt
Von
Heerke Hummel
Was ist los in dieser Welt von heute? Alle Ordnung
scheint dahin und weiter im Schwinden begriffen zu sein. Seit dem Amtsantritt
von US-Präsident R. Trump ist von Kommentatoren zu hören, die Nachkriegszeit
des zweiten Weltkrieges sei beendet. Für uns Deutsche war die politische Nachkriegsordnung
schon vor einem Vierteljahrhundert mit der Wiedervereinigung beider deutscher
Staaten vorbei. Dabei hatte US-Präsident Richard Nixon die Nachkriegsordnung für
das Weltfinanzsystem mit seinem Paukenschlag, der Kündigung des Abkommens von
Bretton Woods aus dem Jahre 1944, bereits 1971 begraben. Danach setzte sich,
mehr und mehr, neoliberale Zügellosigkeit in allen Bereichen der Wirtschaft
durch: Kapitalismus pur, nach dem Gesetz der Wölfe, das da lautet „fressen oder
gefressen werden“ ohne Gnade und – im Unterschied zum Tierreich – ohne Grenzen
der Sättigung. Diese Grenzenlosigkeit störte und stört zunehmend den sozialen
Frieden der Gesellschaft und das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten; in
welcher Hinsicht und in welch katastrophalen Dimensionen, das vermitteln uns täglich
die Nachrichten.
Grenzenlosigkeit charakterisierte auch die politischen
Konflikte in der Welt seit dem Ende des Kalten Krieges als besonderer Erscheinungsform
des politischen Weltkonflikts in der Nachkriegszeit. Das Ende der Bipolarität
hatte zur Folge, dass sich die politischen Konflikte in allen Teilen der Welt
unkontrolliert ausbreiten, entwickeln und in militärische Auseinandersetzungen
ohne räumliche Grenzen umschlagen konnten. Dies dürfte allerdings nur scheinbar
in krassem Widerspruch zu der Tendenz der Weltfinanzmärkte stehen, den ganzen
Globus zu umschlingen und zu durchdringen, also vermeintlich zu einigen und zu
befrieden. Denn diese Finanzmärkte sind Kapitalmärkte mit dem Ziel, Menschen
und Natur auszubeuten, um kapitalisierten Wert zu vermehren. Und der Zweck ist
auch hier nicht die Sättigung, sondern ein von Menschen gedachtes Prinzip:
Nichts zu tun ohne Gewinn! Karl Marx hat es schon vor rund anderthalb
Jahrhunderten analysiert und als widersinnig charakterisiert. Dennoch
verstummten seine Gegner im Geiste bis heute nicht, allen schlimmen Erfahrungen
der Menschheit mit diesem Prinzip zum Trotz. Diese Erfahrungen besagen, dass
ökonomische Interessen sich in politischen Interessen und Konflikten äußern
und, wenn diese politisch nicht gelöst werden, in militärische umschlagen
können. Wer je in der DDR ein Studium absolvierte, dem ist im Pflichtfach
„Gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium“ – die Philosophie des
dialektischen Materialismus einschließend – vermittelt worden, dass Marxisten
in solchem Fall von einem qualitativen Umschwung, von einer qualitativ neuen
Bewegungsform eines Widerspruchs sprechen, der dem Konflikt zu Grunde liegt. Dass
solche Philosophie bei den Studierenden aus verschiedensten Gründen nicht
besonders viel Gehör fand, ändert nichts an ihrem Wahrheitsgehalt. Seinerzeit,
zwischen 1949 und 1989, war halt solches Philosophieren für die meisten Menschen
in der DDR – und nicht nur für sie - eher graue Theorie. Denn es gab feste
Ordnungen in und mit festen Grenzen in den Staaten und zwischen ihnen. All das
gewährte (zumindest relative) Stabilität und Sicherheit. Aber 1990 war es damit
zunächst im Osten Deutschlands vorbei, dann im Osten und Südosten Europas, in
Eurasien und in Afrika.
Die Europäische Union hat inzwischen ein mächtiges Hin
und Her, Rauf und Runter erlebt. Die Ordnung, die sie sich in Gestalt der EU-Verträge
gab, ist so ungenügend, dass sie an sich selbst zugrunde zu gehen droht. Denn
sie vermochte es nicht, den seit dem 19. Jahrhundert die Weltgesellschaft dominierenden,
grundlegenden Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater
Aneignung des Produkts zu lösen, ja nicht einmal seine Verschärfung bis in die
Gegenwart hinein zu verhindern. Auch nicht innerhalb der Europäischen Union.
Daher muss es nicht verwundern, wenn sich jetzt Menschen für diesen Widerspruch
interessieren, die das bis vor zweieinhalb Jahrzehnten wohl am wenigsten taten
– Christen, welche die Dialektik von Karl Marx vor allem wegen ihres
philosophisch-materialistischen Inhalts und daraus resultierenden Atheismus‘
ablehnen („mussten“). Die Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel „Die
Wirtschaft zur Vernunft bringen. Sozialethische Grundlagen einer
postkapitalistischen Ökonomie“ gegen Ende vorigen Jahres könnte nun den zarten
Beginn eines Wandels im Bewusstsein der Christenheit bedeuten.
Herausgegeben wurde es von der Akademie Solidarische
Ökonomie (ASÖ – eine aus der ökumenischen Bewegung engagierter Christen hervorgegangene
Arbeitsgemeinschaft). Es ist ein
außergewöhnliches Buch, dessen Inhalt weit über seinen Titel hinausgeht. Der
Autor, Bernd Winkelmann, will als Theologe über Ansätze und Bausteine einer
postkapitalistischen Ökonomie hinaus die sozialethischen und spirituellen
Grundlagen einer solchen Ökonomie und ihre geistesgeschichtlichen Hintergründe
herausarbeiten. Eine Schlüsselrolle für eine sozialethisch gegründete Ökonomie
spielen, so Winkelmann, das Menschenbild und die Frage, „woher die Kraft zum Guten kommt“. Er wagt „die
These, dass wir aus einem Wiedergewinnen einer ganzheitlichen
Wirklichkeitserfahrung, aus einem Neuentdecken von Transzendenz und
Spiritualität die Umkehrkräfte für eine ‚große Transformation‘ unseres
Wirtschaftens und unserer Gesellschaft finden könnten.“
Als das Ende des Kapitalismus begann
Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Sozialismus“, Heft Nr. 12, Dezember
2017, Supplement „Die Oktoberrevolution 1917 und die Folgen“)
Anlässlich des hundertsten Jahrestages der russischen
Großen Sozialistischen Oktoberrevolution fehlte es nicht an Versuchen, die
geschichtliche Bedeutung dieses herausragenden Ereignisses zu kommentieren.
Viele würdigten es als den großen Versuch russisch-bolschewistischer
Sozialdemokraten, die Gesellschaftstheorie von Karl Marx und Friedrich Engels
in die Praxis umzusetzen. Andere arbeiteten besonders dasjenige heraus, was in
der Folge als Verbrechen des Stalinismus und Verletzung der Menschenrechte in
die Geschichte einging und vermeintlich zur politischen Polarisierung der Welt
führte. Und wieder andere mochten die Ironie der Geschichte im Auge gehabt
haben. Denn schlussendlich seien ja alle Opfer, die der Ost-West Konflikt der
Menschheit abverlangte, umsonst gewesen. Der Kapitalismus, dessen Überwindung
mit der von den Bolschewiki Russlands am 7. November (nach unserem Kalender)
1917
begonnenen Revolution eingeleitet werden
sollte, sei heute so mächtig und weltumspannend wie nie zuvor. Die Kommunisten
Russlands und Chinas seien von selbst in den Schoß des Kapitalismus
zurückgekehrt.
Ja, so oder so und auch so kann man die zehn Tage, die,
wie John Heartfield schrieb, die Welt erschütterten, je nach eigener
Lebenserfahrung, Bildung und Erziehung im weitesten Sinne ansehen. Hier
allerdings soll gerade deutlich gemacht werden, dass und warum sowohl einerseits
Jubel über den Sieg des Kapitalismus im Ost-West-Konflikt als auch andererseits
Wehmut über die vermeintliche Niederlage des Realsozialismus unangebracht sind.
Denn diese Wehmut wie jener Jubel verkennt wohl das Wesen dessen, was sich in
den letzten hundert Jahren ereignet hat.
Montag, 14. August 2017
Ist China sozialistisch?
Von
Heerke Hummel
(,Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 17/2017 (http://das-blaettchen.de/2017/08/ist-china-sozialistisch-40933.html)
Es soll hier das Buch eines hundertjährigen
Kommunisten[i] besprochen werden, der die
Kämpfe des 20. Jahrhunderts nicht nur als Zeitzeuge erlebte, sondern sich als
Mitglied der KPD-Opposition auch an ihnen beteiligte und dennoch seinen
Optimismus, seine Hoffnung auf eine bessere Welt nicht verlor. Mitte Juni
dieses Jahres ist Theodor Bergmann im Alter von 101 Jahren verstorben, wenige
Monate nach Erscheinen seines nun letzten Werks. Der chinesische Weg gehörte zu
den ihn über Jahrzehnte am meisten interessierenden Fragen der Zeitgeschichte.
Unter dem Einfluss von August Thalheimer und Heinrich Brandler hatte T. Bergmann
sich schon früh nicht nur gegen den aufsteigenden Faschismus engagiert, sondern
auch gegen die stalinistische Entwicklung in der Sowjetunion und später gegen
die Diktatur Mao Zedongs und dessen „Kulturrevolution“. Umso mehr begrüßte er
nach dessen Tod die unter Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen hin zu „einer
unverwechselbaren chinesischen Strategie“ auf dem Weg zum Sozialismus. Vierzehn
mal fuhr er nach China, meist für mehrere Wochen, besuchte Dörfer, Fabriken
Schulen, Universitäten und Forschungsinstitute, um die Entwicklung im
volkreichsten Land der Erde zu verstehen und nun mit seinem Buch den
zweifelnden Sozialisten und Kommunisten verständlich zu machen – ohne
allerdings diesen chinesischen Weg als „Modell für die Sozialisten der
Industrieländer“ empfehlen zu wollen.
Dienstag, 18. Juli 2017
Grüner Kapitalismus?
Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen, Nr. 15/2017 - http://das-blaettchen.de/2017/07/gruener-kapitalismus-40661.html)
Das Buch „Auf dem Weg zum grünen Kapitalismus?“[i] von Hendrik Sander ist die
gedruckte Version einer an der Universität Kassel verteidigten Dissertation.
Entsprechend theoretisch anspruchsvoll ist sein Inhalt. Ausgangspunkt der
Analyse ist die 2007/08 ausgebrochene Krise der Weltwirtschaft, die sich, so
der Autor, zu einer multiplen Krise der Weltgesellschaft zugespitzt hat. Dabei
interessieren ihn besonders die Entwürfe eines Green New Deal mit ihren
Vorschlägen für eine forcierte ökologische Modernisierung von Wirtschaft und
Gesellschaft im Interesse der Gestaltung einer neuen, zukunftsfähigen
Gesellschaftsform. Ein solcher grüner
Kapitalismus könnte zwar, schreibt Sander, die Ursachen der kapitalistischen
Krisenprozesse nicht lösen, aber der Bearbeitung der gesellschaftlichen
Widersprüche eine relativ stabile Bewegungsform geben. Und um die Bedeutung
eines solchen Szenarios einschätzen zu können, sei es notwendig, das Verhältnis
von Gesellschaft und Natur auf einer theoretischen Ebene zu bestimmen. Dies ist
Gegenstand des ganzen ersten Kapitels. Dabei geht der Autor der Frage nach, ob
sich in den Auseinandersetzungen um die Überwindung der multiplen Krise
gesellschaftliche Veränderungen vollziehen beziehungsweise Strategien
vorangetrieben werden, die auf eine tiefgreifende ökologische Modernisierung
der kapitalistischen Gesellschaft zielen, und ob sich dadurch ein grüner
Kapitalismus als neue historische Formation durchsetzen könnte.
Dienstag, 2. Mai 2017
Elend der Politischen Ökonomie
Elend der Politischen
Ökonomie (Kommentar in: „Das Blättchen“-Forum, 30. April, 2017)
Falls es noch interessiert, hier eine Nachbemerkung zum
Thema „Politische Ökonomie des Sozialismus“. Von 1963 bis 1967 war ich als
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politische Ökonomie der WiwiFak,
Fachrichtung PolÖk Sozialismus, der Humboldt-Uni tätig. Für diese Fachrichtung
hatte ich mich entschieden, weil ich während des Studiums zu der Meinung
gekommen war, dass es gerade auf dem Gebiet Sozialismus noch enormen Bedarf an
Forschung und Theorieentwicklung gab. In Zusammenarbeit mit dem Institut für
Arbeitswissenschaften Dresden forschten wir in der Lausitzer
Braunkohlenindustrie.
Herauszufinden war, wie die Arbeitsleistung der Werktätigen
zu erfassen und zu messen ist, um deren materielles Interesse an hohen
Leistungen und volkswirtschaftlicher Effektivität zu stimulieren.
Donnerstag, 5. Januar 2017
Zurück zu Keynes?
Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 1/2017 - http://das-blaettchen.de/2016/12/zurueck-zu-keynes-38495.html)
Offenbar weil Politik und Wirtschaftswissenschaft
keine plausiblen Antworten auf brennende Tagesfragen mehr zu geben vermögen,
haben Kabarettisten sich mehr und mehr der Sache angenommen - dabei nicht nur
die Lachmuskeln ihrer Zuschauer reizend.
Vielfach führen sie mit dem aufgedeckten Unsinn des Handelns von Politik und
Finanzwirtschaft den Ernst der Lage vor Augen, in der sich die Welt befindet.
Wenigstens sie haben die Bodenhaftung noch nicht verloren. Nun hat es sich mit
Ulrike Herrmann zu wiederholtem Male eine Journalistin zur Aufgabe gemacht,
aufzuklären. Mit ihrem Buch für die Studierenden der Ökonomie, wie sie es
nennt, will sie den Leser „das Abenteuer Kapitalismus“ erfahren lassen. Und das
könne am besten, wer „seine klügsten Theoretiker kennt. Also Smith, Marx,
Keynes.“ Der Titel des Buches, „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“, ist
einerseits ironisch gemeint. Denn er zielt auf die mathematisierte
Mainstream-Ökonomie mit ihren Wachstumsmodellen, die so tut, als könne man sich
in die heile Welt der kleinen Wochenmärkte zurückziehen, wo nur Äpfel und
Birnen gehandelt werden. Andererseits spielt der Artikel, so die Autorin, auch
darauf an, „dass es nicht so einfach ist, den Kapitalismus abzuschaffen“. Denn
er sei „ein totales System, das nicht nur die Wirtschaft, sondern alle
Lebensbereiche durchdringt.“
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