Montag, 4. Dezember 2017

Abstrakte Arbeit - nicht messbar, aber verhandelbar!

Von Heerke Hummel

Der hier (https://www.wirtschaftstheorie-forum.de/wom/?p=11#comment-369) wiedergegebene Disput über Wesen und Messbarkeit der abstrakten Arbeit als Wert bildendes Moment der Produktion von Waren hätte vor mehr als 50 Jahren an der Wiwi-Fak der Humboldt-Universität Berlin geführt worden sein können. Im Zusammenhang mit den ökonomischen Reformplänen der Ulbricht-Administration im Rahmen der Theorie einer „sozialistischen Warenproduktion“ sollte erforscht werden, wie die abstrakte Arbeit gemessen und erfasst werden kann, um sie zur Grundlage einer leistungsgerechten und leistungsstimulierenden Entlohnung sowie volkswirtschaftlich effektiverer Preisbildung unter den Bedingungen eines sozialistischen Planungssystems zu machen. Ich selbst stellte als Wissenschaftlicher Assistent arbeitswissenschaftliche Untersuchungen im Lausitzer Braunkohlenrevier an. Dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass die „Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv“ als Leistung von abstrakter gesellschaftlicher Arbeit nicht messbar ist und auch nicht Grundlage oder Kriterium der tatsächlichen Entlohnung der Kohlekumpel war. Auch das Tarifsystem spielte nur eine formale, untergeordnete Rolle. Entscheidend war, so stellte ich fest: Die realen, gezahlten Löhne und Gehälter mussten so hoch und so gestaffelt sein (bzw. waren es), dass die Werktätigen materiell an der Verrichtung ihrer konkreten Arbeitsaufgabe unter diesen bestimmten, notwendigen Arbeitsbedingungen interessiert waren. Zum Beispiel wurden sogar Meister – der schlechteren Vergütung von Meistern gegenüber sogenannten Häuern wegen -  in den betrieblichen Unterlagen nicht als Meister, sondern als Häuer geführt. Und ich zog daraus die Schlussfolgerung, dass die materielle Interessiertheit der Werktätigen das entscheidende Kriterium leistungsgerechter Entlohnung ist und die Herausbildung eines dementsprechenden Lohnsystems einen im Wesentlichen spontanen, nicht a priori berechneten Prozess darstellt. Nicht eine berechnete Leistung (Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv) bestimmt den Lohn, sondern der volkswirtschaftlich sinnvoll stimulierende Lohn drückt die Leistung, das geschaffene Wertprodukt des Werktätigen aus.

Stehen diese Schlussfolgerungen im Widerspruch zu den Erkenntnissen von Karl Marx? Zunächst natürlich nicht, denn seine ganze Analyse betrifft eine auf Privateigentum und spontaner Regulierung beruhende Produktionsweise. Diese Umstände erfordern ja gerade, dass sich das ganz allgemeine, von Marx formulierte „Gesetz der Ökonomie der Zeit“ in der bürgerlichen Gesellschaft über das Wertgesetz durchsetzt und dass im Warenaustausch der Wert als in der Ware vergegenständlichte abstrakte Arbeit im Gebrauchswert des Äquivalents erscheint.
Unter realsozialistischen Bedingungen war das nicht der Fall – ganz im Einklang mit Marx‘  Vorstellungen von der „neuen Gesellschaft“. Der prognostizierte in seiner „Kritik des Gothaer Programms“, in dieser auf der Basis von Gemeineigentum an den Produktionsmitteln nach einem gesellschaftlichen Plan wirtschaftenden, neuen Gesellschaft würde der einzelne Produzent von der Gesellschaft einen Schein bekommen, dass er soundso viel Arbeit geleistet hat. Damit könnten aus dem gesellschaftlichen Vorrat so viel Produkte bezogen werden wie gleich viel Arbeit kosten. Hier unterscheidet Marx nicht zwischen konkreter und abstrakter, hier ist konkrete gleich abstrakter Arbeit gedacht. Sie ist von vornherein, vom Plan her, als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt. Dies war sie im Realsozialismus zwar auch, doch sie musste der bestehenden Unterschiede und der notwendigen materiellen Stimulierung wegen auf abstrakte, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, reduziert werden. Letzteres war für Marx nicht vorhersehbar. Die Reduktion vollzog sich aber nicht – wie in der Marxschen Analyse des Warenaustauschs dargestellt – nach der Produktion auf dem Warenmarkt, sondern vor Beginn der Produktion im realen Lohnvereinbarungsprozess.

Was aber war der Arbeitslohn im Realsozialismus seinem Wesen nach? War er – wie es der formalen Ähnlichkeiten wegen scheinen könnte – wie in der kapitalistischen Welt Wertäquivalent bzw. Preis der Ware Arbeitskraft? Dann hätte der Werktätige seine Arbeitskraft verkaufen gemusst haben. In solchem Fall: an wen aber? An „die Gesellschaft“, deren Mitglied, deren Teil er selber war? Nein, der Lohn im Realsozialismus war eine Bescheinigung über Arbeit, die für die Gesellschaft geleistet wurde entsprechend dem „Gesetz der Verteilung nach der Leistung“ (Leistungsprinzip), und entsprach insofern den Erwartungen von Karl Marx. Doch das Maß war nicht die Zeit der Verausgabung von konkreter Arbeit, sondern die Menge geleisteter abstrakter Arbeit, wobei die Reduktion konkreter auf gesellschaftlich durchschnittliche, abstrakte Arbeit nicht auf Messungen oder Berechnungen beruhte, sondern durch vertragliche Vereinbarungen im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen, Vorschriften und Tarifsysteme zustande kam.
Und heute? Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist die hier geführte Diskussion über  die Interpretation des von Marx entwickelten Wertbegriffs insofern gegenstandslos, als sich die von Marx analysierten gesellschaftlichen Bedingungen grundlegend verändert haben, gar nicht mehr existieren. Denn was Lenin vor genau hundert Jahren mit einem revolutionären Akt gezielt initiierte – die Vergesellschaftung des Eigentums an Produktionsmitteln und der Produktion -, das vollzog sich in der westlichen Welt im Verlauf von gut einem halben Jahrhundert – und auch wesentlich durch den im Osten existierenden Sozialismus beeinflusst - als spontaner Prozess der Selbsttransformation schleichend, bis heute so gut wie nicht bemerkt beziehungsweise nicht verstanden hinter dem Rücken der Gesellschaft. Produktion, Verteilung und Austausch des gesellschaftlichen Reichtums, einschließlich der damit verbundenen Risiken, haben die Grenzen des Privaten weit überschritten. Das zentrale Element in diesem gesellschaftlichen Prozess des Wirtschaftens, das Geld, hat seinen privaten Charakter mit der Aufhebung des Goldstandards durch die Kündigung des Abkommens von Bretton Woods im Jahre 1971 endgültig verloren. Denn seitdem ist es nichts weiter als ein Arbeitszertifikat, eine Bescheinigung der Gesellschaft für geleistete gesellschaftliche Arbeit und entsprechenden Anspruch auf Teilhabe am Reichtum der Gesellschaft. Es bescheinigt bzw. ist Information über Anspruch auf Produkte beliebiger konkreter Arbeit der Gesellschaft im Maß der abstrakten Arbeit (dargestellt im Geld beziehungsweise im Preis der Ware). Direkt gemessen wird diese abstrakte Arbeit nicht. Sie wird vereinbart und mittels (von Notenbanken kreierten) Währungseinheiten wie Dollar oder Euro ausgedrückt im Preis (als Lohn, Vergütung) der lebendigen konkreten Arbeit,  deren Maß die Zeit ihrer Verausgabung ist. Es handelt sich um einen Prozess der sozialen Auseinandersetzung, der weitgehend spontan, wenn auch nicht unorganisiert abläuft. Und der Unternehmer ist in diesem Prozess zum gesellschaftlichen Agenten geworden.
Wir sehen: Der Westen kam 1971 unwissentlich da an, wo der Osten 1917 bewusst begonnen hatte. Doch der Westen bewahrte immer die unternehmerische Eigenverantwortung und gewährleistete so die ihm eigene hohe Flexibilität in der Wirtschaft. Um diese ging es dann später bei den Reformen des Realsozialismus, die allgemein als dessen Zusammenbruch wahrgenommen, besser: missverstanden wurden.

Und worin besteht heute das Problem? Es besteht vor allem darin, dass in dieser neuen, heutigen Gesellschaft, in der das Geld nur noch eine Information darstellt, der Umgang mit diesem Medium einer gesellschaftlichen Regelung (und Kontrolle) bedarf. Während die unternehmerische Eigenverantwortung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess in dessen sachlichen Strukturen und Aspekten bereits einer weitest gehenden Regulierung und Kontrolle durch Gesetze, Vorschriften und Bestimmungen unterliegt, ist die Freiheit im Umgang mit dem Geld, diesem ganz allgemeinen, abstrakten Inbegriff von Reichtum, der in seiner Abstraktheit keinerlei Lebensgrundlage mehr darstellt, fast grenzenlos. In diesem Widerspruch liegen die Wurzeln des seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zu beobachtenden, geradezu von Erscheinungen des Wahnsinns geprägten ökonomischen, ökologischen und sozialen Desasters der Weltgesellschaft.
Worauf kommt es also an?  Zu allererst auf die Gewährleistung eines Primats der Politik über die Ökonomie! Denn die notwendige, sicherlich schrittweise Einschränkung der Freiheit im Umgang mit dem Geld und den Finanzen im weitesten Sinne – und seien diese Eingrenzungen noch so gering – wird immer ein politischer, gesetzgeberischer Akt sein. Dafür gilt es parlamentarische Mehrheiten zu organisieren.
(Siehe auch: H. Hummel, Als das Ende des Kapitalismus begann –
https://sites.google.com/site/heerkehummel/artikel/als-das-ende-des-kapitalismus-begann)

Donnerstag, 9. November 2017

Alles gottgewollt?



Des Menschen Gott weilt in der Dialektik der Welt
Von Heerke Hummel

Was ist los in dieser Welt von heute? Alle Ordnung scheint dahin und weiter im Schwinden begriffen zu sein. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident R. Trump ist von Kommentatoren zu hören, die Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges sei beendet. Für uns Deutsche war die politische Nachkriegsordnung schon vor einem Vierteljahrhundert mit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten vorbei. Dabei hatte US-Präsident Richard Nixon die Nachkriegsordnung für das Weltfinanzsystem mit seinem Paukenschlag, der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods aus dem Jahre 1944, bereits 1971 begraben. Danach setzte sich, mehr und mehr, neoliberale Zügellosigkeit in allen Bereichen der Wirtschaft durch: Kapitalismus pur, nach dem Gesetz der Wölfe, das da lautet „fressen oder gefressen werden“ ohne Gnade und – im Unterschied zum Tierreich – ohne Grenzen der Sättigung. Diese Grenzenlosigkeit störte und stört zunehmend den sozialen Frieden der Gesellschaft und das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten; in welcher Hinsicht und in welch katastrophalen Dimensionen, das vermitteln uns täglich die Nachrichten.
Grenzenlosigkeit charakterisierte auch die politischen Konflikte in der Welt seit dem Ende des Kalten Krieges als besonderer Erscheinungsform des politischen Weltkonflikts in der Nachkriegszeit. Das Ende der Bipolarität hatte zur Folge, dass sich die politischen Konflikte in allen Teilen der Welt unkontrolliert ausbreiten, entwickeln und in militärische Auseinandersetzungen ohne räumliche Grenzen umschlagen konnten. Dies dürfte allerdings nur scheinbar in krassem Widerspruch zu der Tendenz der Weltfinanzmärkte stehen, den ganzen Globus zu umschlingen und zu durchdringen, also vermeintlich zu einigen und zu befrieden. Denn diese Finanzmärkte sind Kapitalmärkte mit dem Ziel, Menschen und Natur auszubeuten, um kapitalisierten Wert zu vermehren. Und der Zweck ist auch hier nicht die Sättigung, sondern ein von Menschen gedachtes Prinzip: Nichts zu tun ohne Gewinn! Karl Marx hat es schon vor rund anderthalb Jahrhunderten analysiert und als widersinnig charakterisiert. Dennoch verstummten seine Gegner im Geiste bis heute nicht, allen schlimmen Erfahrungen der Menschheit mit diesem Prinzip zum Trotz. Diese Erfahrungen besagen, dass ökonomische Interessen sich in politischen Interessen und Konflikten äußern und, wenn diese politisch nicht gelöst werden, in militärische umschlagen können. Wer je in der DDR ein Studium absolvierte, dem ist im Pflichtfach „Gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium“ – die Philosophie des dialektischen Materialismus einschließend – vermittelt worden, dass Marxisten in solchem Fall von einem qualitativen Umschwung, von einer qualitativ neuen Bewegungsform eines Widerspruchs sprechen, der dem Konflikt zu Grunde liegt. Dass solche Philosophie bei den Studierenden aus verschiedensten Gründen nicht besonders viel Gehör fand, ändert nichts an ihrem Wahrheitsgehalt. Seinerzeit, zwischen 1949 und 1989, war halt solches Philosophieren für die meisten Menschen in der DDR – und nicht nur für sie - eher graue Theorie. Denn es gab feste Ordnungen in und mit festen Grenzen in den Staaten und zwischen ihnen. All das gewährte (zumindest relative) Stabilität und Sicherheit. Aber 1990 war es damit zunächst im Osten Deutschlands vorbei, dann im Osten und Südosten Europas, in Eurasien und in Afrika.
Die Europäische Union hat inzwischen ein mächtiges Hin und Her, Rauf und Runter erlebt. Die Ordnung, die sie sich in Gestalt der EU-Verträge gab, ist so ungenügend, dass sie an sich selbst zugrunde zu gehen droht. Denn sie vermochte es nicht, den seit dem 19. Jahrhundert die Weltgesellschaft dominierenden, grundlegenden Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung des Produkts zu lösen, ja nicht einmal seine Verschärfung bis in die Gegenwart hinein zu verhindern. Auch nicht innerhalb der Europäischen Union. Daher muss es nicht verwundern, wenn sich jetzt Menschen für diesen Widerspruch interessieren, die das bis vor zweieinhalb Jahrzehnten wohl am wenigsten taten – Christen, welche die Dialektik von Karl Marx vor allem wegen ihres philosophisch-materialistischen Inhalts und daraus resultierenden Atheismus‘ ablehnen („mussten“). Die Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel „Die Wirtschaft zur Vernunft bringen. Sozialethische Grundlagen einer postkapitalistischen Ökonomie“ gegen Ende vorigen Jahres könnte nun den zarten Beginn eines Wandels im Bewusstsein der Christenheit bedeuten.
Herausgegeben wurde es von der Akademie Solidarische Ökonomie (ASÖ – eine aus der ökumenischen Bewegung engagierter Christen hervorgegangene Arbeitsgemeinschaft).  Es ist ein außergewöhnliches Buch, dessen Inhalt weit über seinen Titel hinausgeht. Der Autor, Bernd Winkelmann, will als Theologe über Ansätze und Bausteine einer postkapitalistischen Ökonomie hinaus die sozialethischen und spirituellen Grundlagen einer solchen Ökonomie und ihre geistesgeschichtlichen Hintergründe herausarbeiten. Eine Schlüsselrolle für eine sozialethisch gegründete Ökonomie spielen, so Winkelmann, das Menschenbild und die Frage, „woher  die Kraft zum Guten kommt“. Er wagt „die These, dass wir aus einem Wiedergewinnen einer ganzheitlichen Wirklichkeitserfahrung, aus einem Neuentdecken von Transzendenz und Spiritualität die Umkehrkräfte für eine ‚große Transformation‘ unseres Wirtschaftens und unserer Gesellschaft finden könnten.“

Als das Ende des Kapitalismus begann



Von Heerke Hummel



(Erschienen in: „Sozialismus“, Heft Nr. 12, Dezember 2017, Supplement „Die Oktoberrevolution 1917 und die Folgen“)


Anlässlich des hundertsten Jahrestages der russischen Großen Sozialistischen Oktoberrevolution fehlte es nicht an Versuchen, die geschichtliche Bedeutung dieses herausragenden Ereignisses zu kommentieren. Viele würdigten es als den großen Versuch russisch-bolschewistischer Sozialdemokraten, die Gesellschaftstheorie von Karl Marx und Friedrich Engels in die Praxis umzusetzen. Andere arbeiteten besonders dasjenige heraus, was in der Folge als Verbrechen des Stalinismus und Verletzung der Menschenrechte in die Geschichte einging und vermeintlich zur politischen Polarisierung der Welt führte. Und wieder andere mochten die Ironie der Geschichte im Auge gehabt haben. Denn schlussendlich seien ja alle Opfer, die der Ost-West Konflikt der Menschheit abverlangte, umsonst gewesen. Der Kapitalismus, dessen Überwindung mit der von den Bolschewiki Russlands am 7. November (nach unserem Kalender) 1917  begonnenen Revolution eingeleitet werden sollte, sei heute so mächtig und weltumspannend wie nie zuvor. Die Kommunisten Russlands und Chinas seien von selbst in den Schoß des Kapitalismus zurückgekehrt.
Ja, so oder so und auch so kann man die zehn Tage, die, wie John Heartfield schrieb, die Welt erschütterten, je nach eigener Lebenserfahrung, Bildung und Erziehung im weitesten Sinne ansehen. Hier allerdings soll gerade deutlich gemacht werden, dass und warum sowohl einerseits Jubel über den Sieg des Kapitalismus im Ost-West-Konflikt als auch andererseits Wehmut über die vermeintliche Niederlage des Realsozialismus unangebracht sind. Denn diese Wehmut wie jener Jubel verkennt wohl das Wesen dessen, was sich in den letzten hundert Jahren ereignet hat. 

Montag, 14. August 2017

Ist China sozialistisch?



Von Heerke Hummel
(,Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 17/2017 (http://das-blaettchen.de/2017/08/ist-china-sozialistisch-40933.html)
Es soll hier das Buch eines hundertjährigen Kommunisten[i] besprochen werden, der die Kämpfe des 20. Jahrhunderts nicht nur als Zeitzeuge erlebte, sondern sich als Mitglied der KPD-Opposition auch an ihnen beteiligte und dennoch seinen Optimismus, seine Hoffnung auf eine bessere Welt nicht verlor. Mitte Juni dieses Jahres ist Theodor Bergmann im Alter von 101 Jahren verstorben, wenige Monate nach Erscheinen seines nun letzten Werks. Der chinesische Weg gehörte zu den ihn über Jahrzehnte am meisten interessierenden Fragen der Zeitgeschichte. Unter dem Einfluss von August Thalheimer und Heinrich Brandler hatte T. Bergmann sich schon früh nicht nur gegen den aufsteigenden Faschismus engagiert, sondern auch gegen die stalinistische Entwicklung in der Sowjetunion und später gegen die Diktatur Mao Zedongs und dessen „Kulturrevolution“. Umso mehr begrüßte er nach dessen Tod die unter Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen hin zu „einer unverwechselbaren chinesischen Strategie“ auf dem Weg zum Sozialismus. Vierzehn mal fuhr er nach China, meist für mehrere Wochen, besuchte Dörfer, Fabriken Schulen, Universitäten und Forschungsinstitute, um die Entwicklung im volkreichsten Land der Erde zu verstehen und nun mit seinem Buch den zweifelnden Sozialisten und Kommunisten verständlich zu machen – ohne allerdings diesen chinesischen Weg als „Modell für die Sozialisten der Industrieländer“ empfehlen zu wollen.

Dienstag, 18. Juli 2017

Grüner Kapitalismus?



Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen, Nr. 15/2017 - http://das-blaettchen.de/2017/07/gruener-kapitalismus-40661.html)
Das Buch „Auf dem Weg zum grünen Kapitalismus?“[i] von Hendrik Sander ist die gedruckte Version einer an der Universität Kassel verteidigten Dissertation. Entsprechend theoretisch anspruchsvoll ist sein Inhalt. Ausgangspunkt der Analyse ist die 2007/08 ausgebrochene Krise der Weltwirtschaft, die sich, so der Autor, zu einer multiplen Krise der Weltgesellschaft zugespitzt hat. Dabei interessieren ihn besonders die Entwürfe eines Green New Deal  mit ihren Vorschlägen für eine forcierte ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse der Gestaltung einer neuen, zukunftsfähigen Gesellschaftsform. Ein solcher grüner Kapitalismus könnte zwar, schreibt Sander, die Ursachen der kapitalistischen Krisenprozesse nicht lösen, aber der Bearbeitung der gesellschaftlichen Widersprüche eine relativ stabile Bewegungsform geben. Und um die Bedeutung eines solchen Szenarios einschätzen zu können, sei es notwendig, das Verhältnis von Gesellschaft und Natur auf einer theoretischen Ebene zu bestimmen. Dies ist Gegenstand des ganzen ersten Kapitels. Dabei geht der Autor der Frage nach, ob sich in den Auseinandersetzungen um die Überwindung der multiplen Krise gesellschaftliche Veränderungen vollziehen beziehungsweise Strategien vorangetrieben werden, die auf eine tiefgreifende ökologische Modernisierung der kapitalistischen Gesellschaft zielen, und ob sich dadurch ein grüner Kapitalismus als neue historische Formation durchsetzen könnte.

Dienstag, 2. Mai 2017

Elend der Politischen Ökonomie



Elend der Politischen Ökonomie (Kommentar in: „Das Blättchen“-Forum, 30. April, 2017)

Falls es noch interessiert, hier eine Nachbemerkung zum Thema „Politische Ökonomie des Sozialismus“. Von 1963 bis 1967 war ich als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politische Ökonomie der WiwiFak, Fachrichtung PolÖk Sozialismus, der Humboldt-Uni tätig. Für diese Fachrichtung hatte ich mich entschieden, weil ich während des Studiums zu der Meinung gekommen war, dass es gerade auf dem Gebiet Sozialismus noch enormen Bedarf an Forschung und Theorieentwicklung gab. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitswissenschaften Dresden forschten wir in der Lausitzer Braunkohlenindustrie.
Herauszufinden war, wie die Arbeitsleistung der Werktätigen zu erfassen und zu messen ist, um deren materielles Interesse an hohen Leistungen und volkswirtschaftlicher Effektivität zu stimulieren.

Donnerstag, 5. Januar 2017

Zurück zu Keynes?



Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 1/2017 - http://das-blaettchen.de/2016/12/zurueck-zu-keynes-38495.html)
Offenbar weil Politik und Wirtschaftswissenschaft keine plausiblen Antworten auf brennende Tagesfragen mehr zu geben vermögen, haben Kabarettisten sich mehr und mehr der Sache angenommen - dabei nicht nur die Lachmuskeln ihrer  Zuschauer reizend. Vielfach führen sie mit dem aufgedeckten Unsinn des Handelns von Politik und Finanzwirtschaft den Ernst der Lage vor Augen, in der sich die Welt befindet. Wenigstens sie haben die Bodenhaftung noch nicht verloren. Nun hat es sich mit Ulrike Herrmann zu wiederholtem Male eine Journalistin zur Aufgabe gemacht, aufzuklären. Mit ihrem Buch für die Studierenden der Ökonomie, wie sie es nennt, will sie den Leser „das Abenteuer Kapitalismus“ erfahren lassen. Und das könne am besten, wer „seine klügsten Theoretiker kennt. Also Smith, Marx, Keynes.“ Der Titel des Buches, „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“, ist einerseits ironisch gemeint. Denn er zielt auf die mathematisierte Mainstream-Ökonomie mit ihren Wachstumsmodellen, die so tut, als könne man sich in die heile Welt der kleinen Wochenmärkte zurückziehen, wo nur Äpfel und Birnen gehandelt werden. Andererseits spielt der Artikel, so die Autorin, auch darauf an, „dass es nicht so einfach ist, den Kapitalismus abzuschaffen“. Denn er sei „ein totales System, das nicht nur die Wirtschaft, sondern alle Lebensbereiche durchdringt.“