Alles
nur Geschichte?
Von
Heerke Hummel
(Erschienen
in: „Das Blättchen“, Nr. 5/2016)
Klaus Behlings Buch „Die Treuhand“ erschien
pünktlich zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit. Der Autor beschreibt darin –
so auch der von ihm gewählte Untertitel -, „wie eine Behörde ein ganzes Land
abschaffte“. Das klingt nach Geschichte. Ist es auch, aber bei weitem nicht
nur! Denn Klaus Behling ist es gelungen, eine fundierte, umfangreiche
politisch-ökonomische Analyse des Transformationsprozesses zu erarbeiten, mit
dem die zentralistisch geleitete Wirtschaft der einstigen DDR dem
marktwirtschaftlichen System der Alt-BRD angepasst und angegliedert wurde. Er
schrieb die Geschichte einer Institution, deren Wirken zu den am meisten
umstrittenen Themen der Wiedervereinigung Deutschlands gehörte, welche politisch mit dem Beitritt der Deutschen
Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990
vollzogen wurde, sich ökonomisch aber
bis in die Gegenwart hingezogen hat und als „Kapitel Treuhand“ nach Aussagen
des Bundesfinanzministeriums, so K. Behling, erst „2020/21 endgültig abgehakt
sein“ wird. Dabei bringt er so hoch brisante Erscheinungen der Gegenwart wie
die Pegida-Demonstrationen in Dresden mit der Art und Weise in Verbindung, in
der die Treuhand ihre Aufgabe wahrnahm. Der frühere DDR-Diplomat und vielfache
Buchautor hat geleistet, was von Regierungsseite „geradezu für schädlich“
gehalten wurde, nämlich „die sensiblen Ermittlungen öffentlich bekannt zu
machen und zu diskutieren.“ So lautete nämlich schon 1999 die Antwort im
Deutschen Bundestag auf die Frage: „Wie beurteilt die Bundesregierung die
Notwendigkeit, in einem öffentlichen Forum die Aufarbeitung des Verbleibs des
DDR-Vermögens fortzusetzen?“
Behling vermochte es, in seinem Buch sehr detailliert,
realistisch und ausgewogen „die Mühen des ‚Weges ins Wirtschaftswunderland‘ zu
betrachten.“ Und er resümiert: „Wunschgemäß
‚nahm uns Helmut an die Hand‘, den Weg wählten die Ostdeutschen selbst. (Sie
taten es im März 1990 mit den Wahlen zur Volkskammer der DDR. – H. H.) Es war
der des Wechsels in eine andere Gesellschaftsordnung. So etwas ging bislang nur
mit Blut und Trümmern, dieses Mal ersetzen Tränen das Blut.“ Das provoziere die
Frage, ob die Treuhand alles genau so tun musste, wie sie es tat. Und K. B.
meint, es gebe sicherlich immer verschiedene Wege, um ein Ziel zu erreichen.
Viele Spielräume für die wirtschaftliche Vereinigung der beiden deutschen
Teilstaaten habe es aber nicht gegeben. Beide Partner wünschten, dass es
schnell gehen möge. Im Osten sei dieser Wunsch demokratisch legitimiert
gewesen, im Westen ein über vierzig Jahre lang akzeptierter Auftrag des
Grundgesetzes. Den Transformationsprozess zu verzögern, als sich eine
realistische Chance dafür bot, wäre demnach undemokratisch und gesetzeswidrig
gewesen. Die Teilung war die aus den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges
gewachsene Besonderheit Deutschlands. Mit dem Weitblick eines ehemaligen
Mitarbeiters am "Institut für Internationale Beziehungen" in
Potsdam bis zum Ende der DDR schätzt Behling ein: „Auch wenn damals nicht viel
darüber diskutiert wurde: Politisch ging es um den endgültigen Schlussstrich
unter die über vierzig Jahre lange Nachkriegszeit. Sie begann mit dem ‚Wettlauf
der Systeme‘ und mündete in den ‚Kalten Krieg‘. Nun hatte ihn die eine Seite
gewonnen, die andere verloren. Für den Bereich der Wirtschaft hieß das, die
Marktwirtschaft besiegte die Planwirtschaft. Diesen Sieg in die Praxis zu
übertragen, war die Aufgabe der Treuhandanstalt.“
Neben vielen Anderen aus Ost und West lässt Behling auch Gerhard Schürer zu
Wort kommen, der seine Arbeit als Planungschef an der Spitze der DDR-Wirtschaft
im Nachhinein sehr selbstkritisch eingeschätzt hat. Er hatte, so Behling, nicht
die Kraft, eine Wirtschaftsreform anzuschieben, weil seine Partei, die SED,
nicht reformfähig war. Es sei um die Macht gegangen. Diese wurde „nicht
demokratisch errungen, sondern mit dem ‚Primat der Politik‘ über die Wirtschaft
‚gesichert‘. Diese Grundlage des Verständnisses einer ‚sozialistischen‘
Entwicklung schuf eine ökonomische Struktur der DDR, die letztlich zum Verlust
der Macht führte.“