Samstag, 22. Oktober 1988

Währungs- oder Wirtschaftsreform?



Bemerkungen zu dem Artikel von Prof. Dr. Michail Burlakow „Welche Währungsreform ist die richtige?“, in: „Neue Zeit“, Moskau, Nr. 35/1988. Sie sind auch heute, in der Welt des 21. Jahrhunderts noch aktuell.


M. Burlakow stellt die Dinge auf den Kopf, wenn er am Schluß seines Artikels schreibt: „Eine neue Weltwährungsordnung kann erst dann effektiv sein, wenn sie die Laster der Dollarordnung aufgibt und die Schleusen der ökonomischen Zusammenarbeit weit vor der Weltwirtschaft öffnet.“ Der ganze Artikel ist von der Auffassung durchdrungen, mit einer besseren, „gerechteren“ Weltwährungsordnung könne eine Lösung der Probleme in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen wie Unterentwicklung von Ländern der „Dritten Welt“, Tilgung ihrer Auslandsschulden, Einbeziehung dieser Länder in die wissenschaftlich-technische Revolution, Lösung ökologischer Probleme usw. erreicht werden. Umgekehrt: Die kooperative Zusammenarbeit zur Bewältigung derartiger Sachfragen ist Voraussetzung für ein funktionierendes Weltwährungssystem, welches durch vollständige oder teilweise Demonetisierung des Goldes und Schaffung einer künstlichen, kollektiven internationalen Währung gekennzeichnet ist. Stabilität und Sicherheit in den Währungsbeziehungen setzt Stabilität und Sicherheit Wirtschaftsbeziehungen im allgemeinen voraus, die entsprechende sachliche Abstimmungen erfordern und mit demgemäßer Aufgabe von (nationaler) Souveränität verbunden sind. 

In dem Maße, wie die einzelnen Länder, respektive Wirtschaftspartner, ihre Souveränität nicht aufzugeben bereit sind, sich nicht einem gemeinsamen Willen (Plan) unterordnen, bzw. überhaupt einen solchen zu erstellen nicht in der Lage sind, erhöht sich mit der gegenseitigen Abhängigkeit das Risiko disproportionaler Entwicklungen, von Störungen und Krisen, Verlusten, welche von der Gemeinschaft nicht gleichermaßen getragen werden, sondern in der Regel die ökonomisch schwächsten Partner am meisten treffen. Eben daraus resultiert doch, daß das Gold seine Funktion als Weltgeld, wie Burlakow bemerkt, nicht verliert. Es ist ein echtes, wertbeständiges al1gememeines Äquivalent, repräsentiert nicht nur Reichtum, sondern ist selbst Reichtum, vergegenständlichte gesellschaftlich notwendige Arbeit, ein Faustpfand in dar Welt der Waren. Die Frage nach der Rolle des Goldes als Geld - im nationalen wie im internationalen Rahmen - reduziert sich doch immer auf das gleiche Problem: Wie sicher und stabil ist der Mechanismus der Wirtschaftsbeziehungen, welche dieser zu vermitteln hat? Jede künstliche Währung – das nationale Papiergeld nicht weniger als das internationale Buchgeld – vermag die reale Geldware (Gold) so gut oder so schlecht zu ersetzen, wie es die ökonomischen Verhältnisse erlauben. Allgemeine Anerkennung dieser Währung und Vertrauen in sie sind Bedingungen beziehungsweise Ausdruck ihrer Fähigkeit, die Beziehungen zwischen den Wirtschaftspartnern zu vermitteln. Je mehr dabei das Gold in den Hintergrund tritt beziehungsweise treten soll, um so stärker ist beziehungsweise muß das Vertrauen sein, welches die Partner dem Goldersatz, dem Kunstgeld und dem ganzen Mechanismus der Zusammenarbeit entgegenbringen.
Bezogen auf den RGW heißt das, die kollektive Währung, der transferable RubeI, kann den an ihn gestellten Ansprüchen nur in dem Maße genügen, wie die nationalen Wirtschaften der einzelnen Mitgliedländer des RGW in sich und untereinander bilanziert sind, sich harmonisch entwickeln - entsprechend den Möglichkeiten und Erfordernissen der Produktivkräfteentwicklung. Ein gut funktionierender transferabler Rubel setzt eine sinnvoll abgestimmte, harmonische und garantierte Wirtschaftsentwicklung im RGW-Bereich voraus. Er wird diese aber niemals aus sich heraus hervorbringen - auch wenn man ihn noch so konvertibel macht (ich halte daher die zunehmenden Forderungen, den RGW in erster Linie durch finanztechnische Maßnahmen zu aktivieren, denen der Artikel von Burlakow Vorschub leisten dürfte, für außerordentlich irrig). - Es sei denn, man machte ihn in Gold konvertierbar. Aber das wäre das Ende des transferablen Rubels und der Ruin der RGW-Länder, die sich dann auf Gedeih und Verderb, jedes einzeln, den Gesetzen des kapitalistischen Weltmarktes auslieferten, indem sie auch die Beziehungen untereinander auf quasi dasselbe Prinzip stellten. Denn Gold als Geldware bedeutet Verzicht auf jegliche kollektive Zwecksetzung und gewährleistete Sicherheit durch gemeinsame Absprachen oder Autoritäten der Wirtschaftspartner, weil das Gold als "der Reichtum schlechthin" keine Autorität neben oder über sich duldet.
Garantien für eine harmonische und stabile Wirtschaftsentwicklung im RGW-Bereich als Ganzes und im gemeinsamen Interesse setzen aber nicht nur großen Sachverstand für die Planung und Leitung des großen, gemeinsamen Reproduktionsprozesses als Ganzes voraus, sondern auch die Aufgabe nationaler Borniertheit und Souveränitäten. Dabei gibt es gewiß nicht nur ein „Entweder - Oder", sondern auch ein „Sowohl als auch“. Der multinationale Wirtschaftskomplex der UdSSR hat in der Vergangenheit die negativen Folgen einer Überzentralisation bei Verletzung des Leistungsprinzips deutlich werden lassen. Doch auch das Wirtschaften der einzelnen RGW-Länder auf eigene Faust, das seit Ende der 70er Jahre sogar von dem Motto geprägt zu sein schien "Rette sich wer kann!", war meines Erachtens weder dazu angetan, die dem Sozialismus innewohnenden Potenzen zu entfalten noch mit der technologischen Entwicklung in der Welt Schritt zu halten. Die nationale Eigenbrötelei mangels besserer, kollektiver Konzepte und eines besseren sowjetischen Vorbildes hat uns viel Zeit und Kraft gekostet.
Eine gravierende Beschleunigung des technischen Fortschritts, der ökonomischen Leistungssteigerung, der Erhöhung des Lebensniveaus der Menschen in den RGW-Ländern dürfte unmöglich sein, wenn wir uns nicht zu tiefgreifenden Umgestaltungen im System der ökonomischen Zusammenarbeit der RGW-Länder entschließen. Doch kann meines Erachtens der Anfang dazu nicht auf Währungspolitischem Gebiet liegen. Wir sind keine Gemeinschaft privater Warenproduzenten, deren Produktionsziel der Profit ist und deren Zusammenarbeit durch das Wertgesetz über den Mechanismus von Angebot und Nachfrage geregelt wird. Organisierte Produktion und Verteilung und darauf beruhende Leitung des Reproduktionsprozesses ist heute schon ein Merkmal der Arbeit großer kapitalistischer Konzerne. Unter unseren Bedingungen des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln ist sie eine Bedingung für rationelles, effektives Wirtschaften. Entgegengesetzte Vorschläge widersprechen nicht nur der Logik der marxistischen Wirtschaftstheorie, sondern auch den internationalen Trends in den höchstentwickelten Ländern.
Eine Umgestaltung der ökonomischen Zusammenarbeit im RGW müßte sicherlich beinhalten:
·                     Eine weitere Demokratisierung der Wirtschaftsbeziehungen der RGW-Länder;
·                     eine unbedingte Durchsetzung des Leistungsprinzips auf der Grundlage objektiver Kriterien ökonomischer Effektivität;
·                     die Formulierung eines gemeinsamen wirtschaftspolitischen Ziels und einer gemeinsamen ökonomischen Strategie zu seiner Erreichung;
·                     eine dem entsprechende schrittweise Aufgabe nationaler Souveränität und Angleichung der nationalen Wirtschaftsmechanismen.
Das heißt, wir müssen uns gemeinsam über die notwendigen sachlichen Prozesse der Reproduktion - von der Produktion bis zur Konsumtion - in der Gesamtwirtschaft des RGW klar werden und verständigen und zu verbindlichen Festlegungen kommen, deren Einhaltung garantiert ist. Die dazu erforderlichen finanztechnischen Voraussetzungen sind mit dem transferablen Rubel bereits weitgehend gegeben beziehungsweise leicht zu schaffen, wozu gewiß auch eine wesentliche Erweiterung seiner Konvertierungsmöglichkeiten und überhaupt eine bedeutende Vereinfachung des ganzen Finanzmechanismus im RGW gehört, bis hin zu spürbaren, die Integration stimulierenden Erleichterungen für die Menschen im privaten Reiseverkehr. Denn anders als durch die eigene prktische Erfahrung wird sich kein gemeinsames Problembewusstsein der Völker von der gegenseitigen Abhängigkeit und den gemeinsamen Interessen herausbilden. Ohne ein solches gemeinsames Bewusstsein wird es keine echte ökonomische Integration unserer Länder geben.
Vor der prinzipiell gleichen Aufgabe steht jede internationale Wirtschaftsgruppierung, die sich anschickt, mit Hilfe einer künstlichen Währung eine harmonische regionale Wirtschaftsentwicklung zu gewährleisten. Denn das Außerkraftsetzen des Goldes, die Abkehr von ihm als Vermittler der Wirtschaftsbeziehungen (egal ob im nationalen oder internationalen Maßstab) bedeutet nichts anderes als den Versuch, die elementaren Kräfte des Marktes zu bändigen und sie mehr oder weniger der gesellschaftlichen Kontrolle zu unterwerfen. Entsprechende Ideen reichen weit in die Geschichte zurück. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang das Modell einer Tauschbank, welches der französische kleinbürgerliche Ökonom Proudhon Mitte des 19. Jahrhunderts entwarf. Es ist deshalb von besonderem Interesse, weil Karl Marx mit seiner Kritik an dieser Theorie schon seinerzeit eine prinzipielle Auseinandersetzung zu dem Thema „Künstliche Währung“ führte und eigentlich eine allgemeine Lehre vermittelte, die bisher allerdings als solche kaum verstanden wurde.
Bekanntlich wollte Proudhon die Gebrechen der „freien Marktwirtschaft“ überwinden, ohne das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufzuheben. Und er schlug die Bildung einer staatlichen Behörde vor, einer Tauschbank, welche den Produktenaustausch der privaten Produzenten mittels eines von dieser Bank herausgegebenen künstlichen Geldes vermitteln sollte, welches den Wert der Produkte unmittelbar in Arbeitszeiteinheiten zum Ausdruck zu bringen hätte und selbst nichts anderes als ein „Stundenzettel" wäre.
Marx hat in seiner Schrift „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“ nachgewiesen, dass eine solche Bank der allgemeine Käufer und Verkäufer wäre und statt der „Stundenzettel“ ebenso gut irgendwelche Noten herausgeben oder einfach Konten für alle „Kunden“ führen könnte. Und er kommt zu dem Schluß, dass eine solche Bank entweder die despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution wäre oder nichts anderes „als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch- und Rechnung führte.“
Jede tatsächliche Demonetisierung des Goldes, sein Ersatz durch Papier- oder Buchgeld welcher Art auch immer - im nationalen oder internationalen Verkehr - ist eine Folge der Vergesellschaftung der Produktion und ein Zeichen mehr oder weniger großen Vertrauens der Kooperations- und. Handelspartner in die Stabilität und Sicherheit der gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen und - darauf fußend – des künstlichen Geldes. Schwindet dieses Vertrauen, so setzt eine Flucht in reale Sachwerte ein, vor allem ins Gold.
Eine unbedingte Garantie für ökonomische Stabilität und Sicherheit kann es unter den Bedingungen des Privateigentums an Produktionsmitteln bzw. des nationalen Eigentums (oder besser: des eingeschränkten gesellschaftlichen Eigentums – Gruppeneigentums) nicht geben. Deshalb setzt jede Demonetisierung des Goldes, jeder Rückgriff auf irgendwelche künstlichen Währungen die Schaffung von Sicherheitsgarantien voraus, bzw. erfordert diese, - durch die Staatsmacht im nationalen bzw. internationalen Rahmen (denkbar zum Beispiel in Form eines internationalen Gerichtshofes, dessen Entscheidungen sich alle Partner zu unterwerfen hätten) und Aufgabe entsprechender privater respektive nationaler Souveränitäten. Dabei geht es natürlich nicht um die Staatsgewalt an sich, sondern um die Fähigkeit – ausgehend von den Bedürfnissen der Gemeinschaft -, in ihrem Interesse wirtschaftsleitende Maßnahmen durchzusetzen. Die dazu möglichen und erforderlichen finanztechnischen Instrumentarien leiten sich aus den sachlichen Bedingungen der ökonomischen Zusammenarbeit ab, die selbst wieder dem Einfluß der Produktivkräfte unterliegen.
Daß die internationale Tendenz immer stärker vo zunehmend bewusster , planmäßiger Gestaltung des Reproduktionsprozesses bestimmt wird – bedingt durch den Einsatz ungeheurer wissenschaftlich-technischer und ökonomischer Mittel, zunehmende Langfristigkeit zu treffender Entscheidungen oder zunehmende gesellschaftliche Zwecksetzung in Bezug auf solche Problemfelder wie Ökologie, Überwindung der Unterentwicklung, soziale und kulturelle Gesichtspunkte und so weiter -, ist unübersehbar. Eines von vielen Beispielen dafür liefern die multinationalen Konzerne der Automobilindustrie mit ihren internationalen Absprachen über Kooperation.
Nicht eine neue Weltwährungsordnung muß also, um noch einmal Professor Burlakow zu zitieren, „die Schleusen der ökonomischen Zusammenarbeit weit vor der Welt öffnen“, sondern eine ökonomische Zusammenarbeit nach neuen Prinzipien und Methoden kann und muß eine neue Weltwährungsordnung ermöglichen und begründen. Der RGW hat dafür die Richtung gewiesen – wenn auch noch nicht das Ziel. Denn sowohl sein Mechanismus der Leitung und Planung der ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit als auch sein finanztechnischer Apparat sind im höchsten Maße entwicklungsbedürftig.