Dienstag, 15. November 2011

Banker, hört die Signale!


Von Heerke Hummel

(Erschienen in: Das Blättchen, Nr. 23/2011 - www.das-blaettchen.de)

So skeptisch man die Ergebnisse des G20-Gipfels im südfranzösischen Cannes auch beurteilen mag – eines hat er erreicht: Er erteilte der Welt eine Lektion in Sachen Demokratie. Griechenlands Ministerpräsident Papandreou wurde vom internationalen Finanzadel bzw. dessen Machtausübenden gezwungen, seine Ankündigung einer Volksbefragung über die erpressten Sparmaßnahmen zurückzunehmen. Die Völker dürfen – nach welchem Modus auch immer - frei ihre Herren wählen. Doch wo sie eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums erzwingen wollen, endet der Spaß, auch wenn nur auf diese Weise der ökonomische Kreislauf funktioniert, der produzierte Reichtum konsumiert werden kann. Da soll dann eher gespart und dank Massenarbeitslosigkeit einfach weniger geleistet und produziert werden. Gegen diese volksverachtende Strategie wehrt sich das griechische Volk schon seit Monaten mit seinen Protesten und Streiks, weil „freie Wahlen“ nicht helfen. Diese Aktionen, wie auch die Vorgänge auf dem G20-Gipfel, zeigen, dass Demokratie kein Geschenk, kein Zustand (der Ruhe) ist, sondern gesellschaftliche Aktion. Um mit Goethe zu reden: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!

Freitag, 4. November 2011

Ratingagenturen - die Bösen oder die Dummen


Wieder und wieder sorgen Ratingagenturen mit ihren Bewertungen der Kreditwürdigkeit von Banken, Unternehmen und sogar Staaten für mediale Aufmerksamkeit. Und sie geraten, weil ihre Einschätzungen immer häufiger die Weltwirtschaft zu gefährden drohen, in die öffentliche Kritik, werden nun – nach den „Bankern“ – zu Prügelknaben nicht nur an den Stammtischen, sondern auch der Ökonomenzunft in der Wissenschaft und sogar von Regierungskreisen. Dabei verkünden sie doch nur, was Sache ist; in der Regel jedenfalls.

Freitag, 14. Oktober 2011

Der Staat als Lakai

Der Staat als Lakai

Von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 21/2011) 

Die Europäische Kommission hat sich nun (endlich!) dazu durchgerungen, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der Europäischen Union vorzuschlagen - mit einer geradezu lächerlichen Belastung der "Finanzindustrie". Und der Staat als deren Lakai schnappt, wie ein Hund nach dem Knochen, nach den aus der Schweiz herüber geworfenen Steuerbrosamen, anstatt zu herrschen, den Flüchtigen an die Kehle zu gehen.

Montag, 3. Oktober 2011

Von Schröder nichts Neues


Von Schröder nichts Neues
(Erschienen in: "Das Blättchen"/Forum/03.10.2011)
 

Die brandenburgische Landtagsfraktion der SPD hatte für letzten Donnerstag zu ihrem 20. Wirtschaftsforum zahlreiche Gäste aus Politik und Wirtschaft eingeladen. Prominentester und Hauptredner zu „Perspektiven und Herausforderungen für Deutschland und Europa in einer globalisierten Welt“ war Gerhard Schröder, Bundeskanzler a. D. Ministerpräsident Platzeck gab nur eine sehr knappe Einführung ins Thema aus seiner Brandenburger Perspektive.
Natürlich ging es zunächst gleich um den Euro und seine derzeitige Krise. Und wie jedermann verwies Schröder auf angebliche Irrtümer seines Amtsvorgängers H. Kohl und des Franzosen Mitterrand, die bei ihren Beschlüssen zur Währungsunion geglaubt hätten, der Euro werde die Herausbildung der erforderlichen politischen Union Europas schon voran bringen. Tut er das denn nicht gerade mit aller Macht?

Montag, 29. August 2011

Computer kippt Einstein?

Von Heerke Hummel
(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 19/2011)

Der Bundespräsident hat sich in Sachen Euro-Krise weit aus dem Fenster gelehnt. Wahrscheinlich zu weit! Seine scharfe Kritik am massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank könnte sich schon bald als kurzsichtig und realitätsfremd erweisen, wenn sich die EZB vielleicht zu noch viel drastischeren Maßnahmen im Interesse der Euro-Rettung gezwungen sehen sollte, auch wenn sie damit die ihr zugestandenen Kompetenzen weitaus stärker übertreten müsste. Zwar studierte Christian Wulff einst Rechtswissenschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht, doch was er in Lindau am Bodensee kürzlich ausgerechnet zur Eröffnung des vierten Treffens der Wirtschafts-Nobelpreisträger als seine persönliche Meinung zum Besten gab,  zeugte von nichts weniger als von Kompetenz. Damit soll durchaus nicht den hoch dekorierten Tagungsteilnehmern eine besondere Kompetenz zugesprochen werden, hat doch ihr jahrzehntelanges Wirken das Chaos im Weltfinanzsystem eher befördert als ihm zu begegnen. Denn ein Großteil ihrer prämiierten Arbeiten war ökonomischen Wachstumsmodellen gewidmet, die, ebenfalls kürzlich, im nahe gelegenen schweizerischen Zürich von „Experten“ gar nicht gut bewertet wurden.

Dienstag, 16. August 2011

Watschen für die Wirtschaftswissenschaft

(Erschienen als Kundenkommentar bei www.weltbild.de)
Mit den weltweiten politischen, wirtschaftlichen und Finanz-Krisen des Jahres 2011 hat Helmut Schmidts Buch „ Außer Dienst. Eine Bilanz“ (Siedler Verlag, München 2008, aktualisierte Lizenzausgabe 2010 bei Weltbild) eine ganz neue Aktualität bekommen. Sein Vertrauen in die Klugheit von Bankvorständen ist einer erheblichen Skepsis gewichen. Wegen der „ansteckenden Habgier“ und angesichts des Streits in Deutschland über einen Mindestlohn scheint dem Bundeskanzler a.D. „eine Diskussion über eine obere Begrenzung der Bezüge für Spitzenmanager nicht abwegig“. Dieses Problems sollten sich seiner Meinung nach die Sachverständigen der Wirtschaftswissenschaften „öffentlich hörbar und lesbar“ annehmen.
Dazu allerdings müsste die Wirtschaftswissenschaft gründlich umdenken, also ihr ganzes Theoriegebäude von den Fundamenten her umgestalten und das Geld als gesellschaftliche Bescheinigung für geleistete Arbeit betrachten.

Sonntag, 7. August 2011

Schuldenkrise – A. Fishers „Panzerfaust“

Schuldenkrise – A. Fishers „Panzerfaust“
Adam Fisher, Investment-Chef des Hedge-Fonds Commonwealth Opportunity Capital, prophezeite jetzt laut „Handelsblatt“ Panik an den europäischen Finanzmärkten. Die Märkte, meint er, werden nichts Geringeres mehr akzeptieren als etwas, was er die „Panzerfaust-Lösung“ nennt: Eine „ganzheitliche Lösung“.Das klingt nicht schlecht. Doch was der Spekulant (sein Fonds wettete vor gut einem Jahr auf einen fallenden Euro) darunter versteht, dürfte sich über kurz oder lang tatsächlich als Panzerfaust entpuppen, eine Waffe, deren Feuerstrahl nach hinten losgeht.

Montag, 1. August 2011

Finanzkrise - Ein Szenario

Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 25/2011)
Die Finanzkrise gerät außer Kontrolle, EU-Rettungsschirme vermögen die Pleite europäischer Staaten nicht mehr zu verhindern. Jetzt geht es nicht mehr um Milliarden, sondern um Billionen Euro, die kurzfristig aufzubringen sind. Gemunkelt wird von ganz außergewöhnlichen Maßnahmen. Um den 8. August, ist zu hören, werden sich die EU-Finanzminister treffen. Mehrere Tage lang werden sie beraten und ausarbeiten, was die Regierungschefs dann entscheiden und voraussichtlich am 13. August (!) verkünden werden. Dieser Tag wird ein Sonnabend sein, als Wochenende prädestiniert für Überraschungen und neue Situationen, auf die sich die Bürger Europas zum Wochenbeginn einstellen können. Was ist zu erwarten?

Mittwoch, 6. Juli 2011

Kurzschluss

(Kommentar zu: Markus Kerber, Warum Deutschland die Euro-Zone verlassen sollte, in „Handelsblatt“, 04.07. 2011)
Professor Kerber übersieht wohl, dass das eigentliche ökonomische Problem der EU – wie übrigens der Erde – nicht in den Finanzen, sondern in den realwirtschaftlichen Strukturen liegt. Diese vermag der vom Konkurrenzprinzip dominierte Markt nicht zu harmonisieren. Die Vermehrung von Geld (Finanzen) als Ziel allen Wirtschaftens bildet zwar Wirtschaftsstrukturen heraus, die diesem Ziel (zumindest kurzfristig) dienlich sind; doch die Verwertung von Kapital ist auf Dauer nicht mit der Notwendigkeit vereinbar, dass die erzeugte Waren- und Wertmasse (von denen, die sie produziert haben) konsumiert werden kann. Das wurde der Welt schon vor fast 150 Jahren von einem Herrn namens K. Marx auch theoretisch erklärt. Und wer seine Erzeugnisse zum Beispiel nach Griechenland exportieren möchte, muss auch von dort, wenigstens in der Bilanz, in gleichem Maße importieren – was entsprechende Strukturen und Preise (und Löhne) für griechische Erzeugnisse und Leistungen voraussetzt. Deutsche Exporteure waren in der Vergangenheit froh, dass sie nach Griechenland exportieren konnten, auch wenn sich das Land dabei verschuldete. Sie tragen für Griechenlands Defizit nicht weniger Verantwortung als die Griechen. Denen (und anderen) ist heute nur zu helfen durch harmonisierende struktur- und finanzpolitische Maßnahmen im Rahmen der gesamten EU, wozu nicht zuletzt auch Standards beispielsweise für Mindestlöhne und Höchsteinkommen sowie Richtlinien für den Umgang mit Finanzwerten gehören müssten. Insbesondere müsste das ganze  Finanzsystem von der Spekulation befreit werden. Denn Spekulation (wie Wetten auf eine Staatspleite) ist der diametrale Gegensatz von vernünftigem Wirtschaften. Aber davon scheinen wir noch weit entfernt zu sein, solange die Wirtschaftswissenschaft als Politikberaterin vom liberalen Zeitgeist beherrscht wird, der nur noch finanzpolitisch statt real-volkswirtschaftlich zu denken vermag. So gesehen widerspiegelt die ganze Finanzkrise nur eine Geistes- und Bewusstseinskrise, nämlich eine Krise der Wirtschaftswissenschaft.

Markus Kerber hatte geschrieben:

Mittwoch, 29. Juni 2011

Wandel in einem Leben

Von Heerke Hummel
(Als Zeitzeugnis eingereicht zum Wettbewerb um den Zeitzeugenpreis 2011)

Kindheitserlebnisse
Ich wurde in Potsdam geboren, als die Welt im 20. Jahrhundert hoch schwanger ging mit Weltkrieg II.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Supergau des Finanzsystems?

Von Heerke Hummel
(Erschienen in: Das Blättchen, Nr. 12, 13. Juni 2011)
Der 33. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dresden soll Beobachtern zufolge in besonderem Maße von politischen Themen geprägt gewesen sein. Man kann auch darin ein Zeichen dafür sehen, dass wir eine Zeit hoher gesellschaftlicher Brisanz durchleben. Die Weltgesellschaft ist so sehr in Bewegung geraten, dass die irdischen Probleme so stark wie lange nicht die Gläubigen eben auch auf ihren eigentlich religiösen Veranstaltungen beschäftigen.
Im Kirchenvolk gärt es schon geraume Zeit, und ein zentrales Problem, das die Menschen beunruhigt, ist die Ökonomik am Beginn des 21. Jahrhunderts, insbesondere die Krise des Finanzsystems, dessen völligen Zusammenbruch manche bereits binnen der nächsten zwei Jahre erwarten.

Sonntag, 15. Mai 2011

Chinas Macht

(Erschienen in: "Das Blättchen"-Forum, 12.Mai 2011)
Griechenland stehe mehr denn je kurz vor dem Absturz, und das sorge bei manchem – wie der Drahtseilakt im Zirkus - für Nervenkitzel,  hieß es in der jüngsten ARD-Sendung Plusminus (10.5.11). Ein Wunder wie im Zirkus scheint auch die Tatsache zu sein, dass dennoch der Euro sich auf einem Höhenflug befindet. Plusminus stellt klar: Es sei nicht besonders kluge Politik, die den Euro trotz Griechenland-Krise stark hält, es seien die anderswo schwelenden Krisen, etwa in den USA oder Japan. Dem ist nicht zu widersprechen.
Doch wenn man bei Plusminus mit Berufung auf den Fondsmanager Prof. Max Otte meint, auch die chinesische Wirtschaft könne, da sie auf Export ausgerichtet sei, nur so lange boomen, wie der Rest der Welt fleißig chinesische Produkte kauft, so dürfte ein Fehlschluss vorliegen, der typisch ist für kurzsichtiges, gewinnorientiertes betriebswirtschaftliches Denken. (Otte ist laut Wikipedia Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftsprobleme an der Fachhochschule Worms und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Vermögensentwicklung GmbH in Köln sowie unabhängiger Fondsmanager.) Die chinesische Führung vermag dank ihrer kommunistischen Ideologie nicht nur, in erster Linie volkswirtschaftlich zu denken, sondern ist mit ihrer Zentralmacht auch in der Lage, volkswirtschaftliches Denken zielgerichtet umzusetzen, ohne auf die widerstreitenden Ansichten einer Vielzahl privater, von grenzenlosem Profitstreben getriebener  Interessengruppen und deren Lobby im Parlament Rücksicht nehmen zu müssen. Sie kann ein Optimum für die Gesamtheit anstreben, braucht sich nicht mit dem Mittelmaß des kleinsten gemeinsamen Nenners für das Interesse aller Einzelnen im Ergebnis von Kompromissen zu begnügen. Mit einem Binnenmarkt von weit über einer Milliarde Menschen sind die Chinesen durchaus nicht auf die übrige Welt angewiesen, um rationell, mit optimalen Losgrößen produzieren zu können. Im Falle von Einbrüchen in der Weltwirtschaft, wie Otte sie befürchtet, könnten die Chinesen besser und schneller als alle anderen ihre Wirtschaft auf die veränderten Bedingen einstellen. Denn das Ziel der Pekinger Wirtschaftspolitik dürfte – ungeachtet aller im Reich der Mitte gegebenen unternehmerischen Freiheiten – immer noch darin bestehen, die chinesische Volkswirtschaft als materielle Lebensgrundlage der Nation optimal zu gestalten. Das ist etwas ganz anderes als das ohnmächtige, kurzsichtige und kurzfristige Regierungsbemühen in Amerika, Europa und sonst wo in der Welt, Konzernen und Banken den Weg für die bestmögliche Verwertung „privaten Kapitals“ im Kampf aller gegen alle im Weltmaßstab zu ebnen, sei dies auch ein noch so illusorisches Unterfangen.

Montag, 2. Mai 2011

Grenzen der Vernunft


Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nummer 9 | 2. Mai 2011)

Die G20-Staaten wollen den weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten als Gefahrenpotential internationaler Krisen begegnen. Doch Konkurrenzkampf und Gier nach grenzenlosem Reichtum stehen einer Einigung im Wege.

Samstag, 26. März 2011

Nachtrag im "Blättchen"

Zu meinem Beitrag "Kairos in Kairo?" im "Blättchen" schrieb Thorsten Koppusch im dortigen "Forum":
 
Thorsten Koppusch sagt:
Lieber Heerke Hummel,
Für die Nüchternheit, mit der Sie die aktuellen Prozesse in Ägypten bzw. Nahost überhaupt beleuchten, meinen Respekt. Ein wirklich sehr guter Beitrag (unter weiteren in dieser Ausgabe, Glückwunsch!).
Nur in einem belassen Sie es leider nur bei einer mehr oder weniger beklagenden Zustandsbeschreibung, deuten bedauerlicherweise nicht einmal an, worin eine sinnvolle Alternative bestehen könnte:
“Wahnsinnige brachten die Völker der Erde seit einem Jahrhundert immer wieder an die Macht, von Wahnsinnigen ließen sie sich verführen, um sich dann von ihnen zu befreien oder befreien zu lassen. Und sie nennen es noch immer Demokratie, an die sie glauben wie an einen paradiesischen Zustand – bis die Realität des Elends sie aus dem eigenen Wahn reißt. Dann folgt der nächste demokratische Akt, der nächste Umsturz, um in die nächste Malaise zu münden, die sich von der vorigen nur durch die handelnden Personen und vielleicht noch durch ihren inneren Mechanismus unterscheidet.”………….
Gewiß, das ist so. Wenn es aber trotz des Selbstverständnisses demokratischer Gesellschaftszustände so ist und also eben schlecht, fruchtlos, ja furchtbar – welche Gesellschaftsformen wären denn die Alternative? Diktaturen (zu denen die “sozialistischen Demokratien” ja doch wohl auch gehörten) ? Anarchien? Demokratischer Sozialismus; je, vielleicht – der wäre aber erstens noch genauer zu definieren und zweitens – wenn er denn die Möglichkeit hätte, sich irgendwo zu etablieren – hätte er sich zu realisieren. Und das dann mit Sicherheit erneut gegen objektive und subjektive Widerstände, die ihrerseits wiederum Gewalt in irgendeiner Form vonnöten machen müßte, und so weiter, und so fort…
Ist es denn – wenngleich tief ernüchternd – nicht eben doch so, wie Churchill zugeschrieben wird, daß die Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen sei – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.
Ihr Thorsten Koppusch

Meine Antwort:
Lieber Thorsten Koppusch!
Zuerst möchte ich Ihnen für die freundlichen Worte danken und mich für die Verzögerung dieser Antwort entschuldigen, die mir ein wenig Nachdenken abverlangte! Mit Ihrer Frage haben Sie mich auf ein „weites Feld“ geführt, wie Theodor Fontane in seinem Roman den Gutsbesitzer von Briest hat sagen lassen.
Ich habe nämlich mit den „Gesellschaftsformen“, hier und heute insbesondere „Demokratie“ so meine Schwierigkeiten, die mir in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind und sich entwickelt haben. Ich weiß heute nicht mehr so recht, was das ist: „Demokratie“, „Kommunismus“, „Sozialismus“ (auch „demokratischer“), „Kapitalismus“. Was ist, wo beginnt und endet und wo existiert(e) das eine und das andere? Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, was da gut, besser oder weniger gut ist. (Hitler ist „demokratisch“ an die Macht gewählt worden, Gaddafi begann, wenn ich mich recht erinnere, seine Machtkarriere als putschender Offizier und Hoffnungsträger des Volkes, andere Politiker machten eine Metamorphose vom befreiten Häftling zum Diktator durch (Beispiel E.H.), und die regierenden „Demokraten“ Westeuropas sind selbst Opfer einer Diktatur der Wirtschaft und ihrer Lobby, also der Märkte, aber auch des Wahlvolkes, das nicht solide, langfristige, oft mühevolle Strategien honoriert, sondern „Spitzenerfolge“ bei der Jagd nach Wohlstand auf weniger als Fünfjahressicht. Verweisen möchte ich auch auf die Rolle einer (käuflichen?) Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaft, die seit anderthalb Jahrhunderten ein fest gefügtes System von Dogmen errichtet hat, von dem das gesellschaftliche Bewusstsein so tief geprägt wurde, dass ein freies, vorurteilsfreies Denken der Wissenschaftler selbst kaum noch möglich zu sein scheint und bei Politikern und Wirtschaftspraktikern schon gar nicht. Sie alle denken nur noch an und in Geld und sonstigen Finanzgrößen. Das Wirtschaften hat sich für sie auf den Umgang mit und die Vermehrung von Geld reduziert. Es bedurfte der Klima- und Reaktorkatastrophen, um CO2 und Strahlungsrisiken ins Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger zu bringen.
Inzwischen bezweifle ich auch den Sinn von Definitionen und verzichte nach Möglichkeit auf den Gebrauch unklarer (Totschlag-)Begriffe wie die oben genannten. Ich habe mir angewöhnt, nach den Ursachen bestimmter gesellschaftlicher Erscheinungen zu fragen. Denn mir scheint es in der Natur der Sache zu liegen, dass gesellschaftliches Handeln immer einer Koordinierung, also auch des Wirksamwerdens von Koordinierenden („Führern“) und „Geführten“, sich Unterordnenden bedarf. Und von den vielfältigsten Bedingungen, äußeren und inneren Umständen (z.B. vierzigjähriger Kalter Krieg zwischen West und Ost) sowie historischen Traditionen usw. hängt es wohl ab, wie viel Herrschaft einerseits und individuelle Freiheit bzw. Eigenverantwortung andererseits ein gesellschaftliches System (Staat/Staatengemeinschaft) braucht, um stabil zu sein, sich zu erhalten, zu funktionieren. Das alles sind dynamische Prozesse, die eine fortlaufende Anpassung der gesellschaftlichen Strukturen und Organisationsformen bzw. der Funktionsweisen des gesellschaftlichen Lebens erfordern – sei es durch (friedliche, freiwillige) Reformen oder durch Gewalt im Gefolge von Revolutionen.
Ich vermag also keine alternative Gesellschaftsform (zur heutigen) zu sehen bzw. zu denken, Herr Koppusch. Ich erwarte, halte für wahrscheinlich eine Reform der heutigen Gesellschaft, der Art und Weise ihres Denkens und ökonomischen Handelns, sicherlich auch ihrer Strukturen, ihres Rechtssystems usw. Das wird sicherlich ein ziemlich qualvoller Prozess von Reaktionen auf Krisen aller Art werden, denn erstens wird ein Umdenken nur schrittweise vor sich gehen und sich nicht in einem neuen „Modell“ – welcher Gesellschaft auch immer – manifestieren, und zweitens wird es ein globaler Prozess sein müssen, der das Handeln der Weltgesellschaft betreffen wird und in der praktischen Umsetzung funktionieren muss. Das halte ich nur in einzelnen Schritten für möglich. Entscheidend wird dabei wohl ein ökonomisches Umdenken sein müssen. Wir brauchen eine neue, realistische Vorstellung davon, was den Reichtum der menschlichen Gesellschaft ausmacht, wie er entsteht (nämlich durch Arbeit – das entdeckte schon Adam Smith im 18. Jahrhundert), wie er verteilt werden muss, damit die Weltgesellschaft harmonisiert wird, und welche Rolle das Geld dabei spielt, was es seinem Wesen nach heute ist, wie es demzufolge zu funktionieren hat.
Ich kann das alles hier natürlich nicht weiter ausführen. Nur so viel: Aufklärung ist notwendig, Befreiung von der Illusion, die heutige Gesellschaft ließe sich noch mit Begriffen erfassen oder leiten, die vor anderthalb Jahrhunderten und mehr geprägt wurden. Die ökonomische Basis der Gesellschaft hat sich grundlegend gewandelt, und es ist allerhöchste Zeit, den politischen und geistig-kulturellen Überbau der veränderten materiellen Basis (sicherlich schrittweise) anzupassen, beispielsweise durch ein Rechtssystem, das den gesellschaftlichen Charakter des Produktions- und Finanzsystems anerkennt, ebenso das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft, und das die Kompetenzen der ökonomischen Akteure im notwendigen Maße definiert/beschränkt (beispielsweise Mindestlöhne und Höchsteinkommen, Grenzen für die Verfügung über Geld- und Finanzvermögen und überhaupt Grenzen für solche Bestände, so dass der Anreiz zur sinnlosen Vermehrung von Geld- und Finanzbeständen, zum sinnlosen Raubbau an der Natur und zur Zerstörung unserer Umwelt verlorengeht, u.v.a.m.).
Gewiss ließe sich noch viel mehr sagen, aber für heute soll dies genügen. Ich grüße Sie!
Ihr Heerke Hummel
Nochmals Thorsten Koppusch:
Kommentar:
Lieber Heerke Hummel,
danke für Ihre ausführliche Antwort. Und für die Ehrlichkeit, eine verbindliche Voraussage dafür, wie und wohin genau sich unsere derzeitige Gesellschaft entwickeln wird - oder gar "gesetzmäßig entwickeln muß". Sicherlich haben diejenigen, die da  - auf der Basis fester Überzeugungen alle möglichen Couleur - Bescheid zu wissen meinen, es mit sich leichter, ersparen Zweifel doch z.T. qualvolles Nachdenken; nur eben ist auch mir das meistens nur noch suspekt.
Ich teile Ihre Position weitestgehend und bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Ihrem Beitrag im Blättchen auf diese Weise erweiternd nachgetragen haben. Wem Bescheidwisser wichtiger sind, der lese den "Rotfuchs", deren Autoren schon seit Jahrzehnten Bescheid wussten und sich dieses glückliche Selbstbefinden bewahrt haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Th. Koppusch

Kairos in Kairo?

Kairos in Kairo?
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: Das.Blättchen, Nr. 6/2011)
Oder wird es in Ägypten und anderswo beim „Vom Regen in die Traufe“ bleiben? Zweifellos war ein günstiger Zeitpunkt für eine Entscheidung zu grundlegendem gesellschaftlichen Wandel in mehrfacher Hinsicht gegeben, als die Hauptstadt am Nil, „die Starke“ (arabisch al-Qahira), sich erhob, um das Joch einer jahrzehntelangen Despotie abzuschütteln. Bedeutender als der „tunesische Anstoß“ dürfte in dieser Hinsicht die Überreife der Weltgesellschaft sein, die von einer Krise in die nächste taumelt, weil bzw. solange sie nicht in der Lage ist, die Barbarei zügelloser Skrupellosigkeit zu überwinden und ihre politischen Strukturen so zu ordnen, dass ihre produktiven Kräfte unter Kontrolle gebracht und zum Wohl aller entfaltet werden. – Und dies nun schon seit hundert Jahren!

Freitag, 25. Februar 2011

EXIT ohne Strategie

EXIT ohne Strategie
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 4/11)
Wer das Buch „Exit“ von Meinhard Miegel[1] zur Hand nimmt, wird den im  Untertitel eingeforderten „Wohlstand ohne Wachstum“ für das angestrebte Ziel halten, das uns beim Überwinden der heutigen, vernunftlos wachstumsgetriebenen Gesellschaft erwarten sollte. Wird aber auch der Weg dahin gewiesen?

Mittwoch, 16. Februar 2011

Wie weiter in der Gesellschaft?

Wie weiter in der Gesellschaft?
(Diskussionsbeitrag von H. H. in "Das Blättchen"-Forum, 16.2.11)
Das ist die Frage gleich von zwei Beiträgen in der Nummer 3/11des „Blättchens“. Dabei ist der von Rolf Reißig skizzierten Notwendigkeit eines Übergangs „zu einem sozialökologischen (energie- und ressourceneffizienten sowie umweltkonsistenten) und solidarischen Entwicklungspfad“ als Säulen einer  „Gesellschafts-Transformation im 21. Jahrhundert“ nicht zu widersprechen. Der aufgezeigte demokratische Konsens breiter gesellschaftlicher und politischer Akteurskoalitionen scheint aus heutiger und europäischer Sicht der wahrscheinliche Weg zu einer solchen „Solidarischen Teilhabegesellschaft“ zu sein. Aber bedeutete das am Schluss des Beitrags für unverzichtbar gehaltene „Transformationskonzept“ nicht doch den zuvor von Reißig zu Recht ausgeschlossenen fertigen Masterplan „für diese Große Transformation“?

Samstag, 5. Februar 2011

Deutschland, Europa und die Welt

Deutschland, Europa und die Welt
Von Heerke Hummel
Wer sich als Deutscher mit seiner Zukunft befassen will, und mit seiner Vergangenheit, der muss über die Staatsgrenzen hinweg auf Europa und darüber hinaus auf die Welt schauen. Und dies heute mehr als noch vor einigen Jahrzehnten. Einer der großen Deutschen des 20. Jahrhunderts tat es sein Leben lang mit aller Aufmerksamkeit, sowohl im Dienst für das Vaterland als auch in seiner rückschauenden Lebensbilanz als Bundeskanzler a.D.[1]  Doch wenn Helmut Schmidt eigene Erfahrungen wie auch Geschichte von Jahrhunderten erinnert, will er nicht nur erzählen, sondern als Überneunzigjähriger, wenn auch nicht mehr selbst in die Politik eingreifen, so doch mit der Vermittlung seiner Erkenntnisse immer noch die Gestaltung der Zukunft Deutschlands, Europas und der Welt im 21. Jahrhundert durch die Politik und jeden Bürger mit beeinflussen. Sicherung des Friedens, Freiheit und Wohlfahrt für alle und insofern die Würde des Menschen sind ihm dabei die wichtigsten Ziele, Vernunft und Toleranz entscheidende Voraussetzungen und Prüfung des eigenen Gewissens eine vage Garantie für den Erfolg. Bei aller geübten Kritik an heutigen Erscheinungen in der Gesellschaft ist Schmidt im Wesentlichen optimistisch: Eine bessere, sicherere Welt ist möglich, Deutschland und Europa können und müssen im eigenen Interesse ihren Beitrag dazu leisten. Schmidt erörtert dies alles – und vieles mehr - sehr konkret.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Ja, Frau Kanzlerin, aber ...

Ja, Frau Kanzlerin, aber …!
(Kommentar in: "Handelsblatt"/1.2.11; "Blättchen"-Forum/3.2.11)

Es liege noch ein gewaltiges Stück Arbeit vor uns, denn eine Krise kann sich durchaus wiederholen, sagte Frau Merkel einer bedeutenden deutschen Wirtschaftszeitung zufolge kürzlich beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Wir bräuchten noch mehr Regulierung und hätten noch keine international abgestimmte Antwort auf die Frage, was wir tun, wenn wieder ein großes Bankhaus zusammenbricht. Der Steuerzahler dürfe die Rechnung nicht wieder alleine zahlen.
Ja, Frau Kanzlerin, aber wie auch; und welche Antwort, wenn doch Ihr Finanzminister, Herr Schäuble, - ebenfalls in Davos – zu kritisieren hatte, dass „die Wirkungsmechanismen einer komplexen Gemeinschaftswährung nicht immer verstanden werden“, wo er selber aber offenbar nicht einmal begriffen hat, was diese Währung ihrem Wesen nach eigentlich ist: Ein Papier, welches Herstellung und Verbrauch der arbeitsteilig erzeugten Güter- und Leistungsmengen zu vermitteln hat! Und das bedeutet: Die immense Anhäufung von Finanzwerten steht dieser Funktion entgegen. Sie setzt, damit das Geld seine Funktion erfüllt und die Wirtschaft „funktioniert“, ihr Gegenteil, nämlich Schuldenmachen voraus – privates oder staatliches oder beides. Diesen Prozess erleben wir seit Jahrzehnten mit dem (sogar immer rascheren) Wachstum von „papiernen“ Vermögensbergen einerseits und Schuldensummen andererseits.
Der Staat bzw. die Staatengemeinschaft müsste also, um seine/ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik zu finanzieren, nicht Schulden machen und dafür noch horrende Zinsen zahlen, sondern das auf den Finanzmärkten spekulierende, „überflüssige“ Geld entschädigungslos heranziehen. Dies wäre ein tatsächlich wirksamer Beitrag zu der von Ihnen angestrebten Regulierung.

Montag, 10. Januar 2011

Demokratischer Euro?

Demokratischer Euro?
Von Heerke Hummel
Zu den Top-Themen des öffentlichen Interesses im abgelaufenen Jahr gehörte, was die Wirtschaft betrifft, die Schuldenkrise in der Europäischen Union. Und sie wird wohl auch 2011 die Schlagzeilen beherrschen. Denn ihre Ursachen wirken weiter, und beim lieben Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Das ist unter den Staaten nicht anders als zwischen deren Bürgern. Da wird denn nun nicht nur an deutschen Stammtischen geängstigt, wir (Deutschen)  könnten wegen des Euros und infolge schlampiger süd-  und westeuropäischer Haushaltspolitik zum Zahlmeister Europas werden. (Übrigens war Deutschland, was das Defizit im Staatshaushalt betrifft, vor noch gar nicht langer Zeit selbst ein Vorreiter.)