Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Sozialismus“, Nr. 12/2014)
Der an der Berliner Universität der Künste lehrende koreanische Philosoph
Byung-Chul Han ging unlängst in der Süddeutschen Zeitung (SZ v. 02.09. 2014)
der Frage nach, warum das neoliberale Herrschaftssystem so stabil ist, kaum
Widerstand erfährt, warum heute keine Revolution mehr möglich ist, obwohl die
Schere zwischen Reich und Arm immer größer wird. Seine Erklärung lautet: „Das
neoliberale Herrschaftssystem ist ganz anders strukturiert (als das der ‚Disziplinar- und
Industriegesellschaft‘ – H. H.). Hier ist
die systemerhaltende Macht nicht mehr repressiv, sondern seduktiv, das heißt,
verführend. Sie ist nicht mehr so sichtbar wie in dem disziplinarischen Regime.
Es gibt kein konkretes Gegenüber mehr, keinen Feind, der die Freiheit
unterdrückt und gegen den ein Widerstand möglich wäre.“ Der
Neoliberalismus forme aus dem unterdrückten Arbeiter einen freien Unternehmer,
einen Unternehmer seiner selbst. Jeder sei heute ein selbstausbeutender
Arbeiter seines eigenen Unternehmers. Jeder sei Herr und Knecht in einer Person.
Auch der Klassenkampf verwandle sich in einen inneren Kampf mit sich selbst. Wer
heute scheitert, beschuldige sich selbst und schäme sich. Man problematisiere
sich selbst statt der Gesellschaft. Heute, stellt Byung-Chul Han fest, „gibt es keine kooperierende, vernetzte
Multitude, die sich zu einer globalen Protest- und Revolutionsmasse erheben
würde (wie von Antonio Negri erwartet – H. H.). Vielmehr macht die Solitude des für sich isolierten, vereinzelten
Selbst-Unternehmers die gegenwärtige Produktionsweise aus.“
Wenigstens
in Bezug auf die Tendenz der Entwicklung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit
ist einer solchen Beobachtung der Erscheinungen an der Oberfläche der
Gesellschaft durchaus zuzustimmen. Aber Han meint nun, man könne diesen Prozess
nicht „marxistisch erklären“. Im Neoliberalismus fände nicht einmal die „berühmte
‚Entfremdung‘ von der Arbeit“ statt. Denn heute stürzten wir uns mit Euphorie
in die Arbeit bis zum Burn-out. Die erste Stufe des Burn-out-Syndroms sei eben
die Euphorie. Burn-out und Revolution schlössen sich aus, und so sei es ein
Irrtum zu glauben, „dass die Multitude
das parasitäre Empire abwirft und eine kommunistische Gesellschaft installiert.“
Und auf die Frage, wie es heute mit dem Kommunismus stehe, antwortet er: „Überall wird Sharing und Community
beschworen. Die Sharing-Ökonomie soll die Ökonomie des Eigentums und des
Besitzes ablösen.“ Doch sei es ein Irrtum zu glauben, dass die
Sharing-Ökonomie, wie Jeremy Rifkin in seinem jüngsten Buch "Die
Null-Grenzkosten-Gesellschaft" behauptet, ein Ende des Kapitalismus, eine
globale, gemeinschaftlich orientierte Gesellschaft einläutet. Im Gegenteil, die
Sharing-Ökonomie führe letzten Endes zu einer Totalkommerzialisierung
des Lebens. Und wer kein Geld besitzt, habe eben auch keinen Zugang zum
Sharing. Es herrsche die harte Logik des Kapitalismus. Bei diesem schönen
"Teilen" gebe paradoxerweise niemand etwas freiwillig ab. Und: „Der Kapitalismus vollendet sich in dem
Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware,
das ist das Ende der Revolution.“
Lässt sich
die Geschichte, wie sie sich seit gut hundert Jahren vollzogen hat, nicht aber
auch anders, weniger resignierend, quasi aus einer anderen Perspektive
betrachten?