Mittwoch, 22. Oktober 2008

Wahldemokratie

(Erschienen in "Das Blättchen")

Die Wahlergebnisse in Hessen haben, weil sie eine Regierungsbildung schwierig machen, wieder einmal Wahlrechtsreformer auf den Plan gerufen. Das Land (und auch die Republik) seien mit der Etablierung einer fünften Partei unregierbar geworden, heißt es. Die Sache hat etwas mit dem Verständnis von Demokratie zu tun, mit der Frage, was des Volkes politischer Wille ist, wie er sich artikuliert und wie er durchgesetzt wird.

Versäumter Paradigmenwechsel?

(Erschienen in: "Das Blättchen", Heft 5/2008)

Mit dem versäumten Paradigmenwechsel in der DDR Ende der 1970er Jahre befasste sich Anfang Februar eine zweitägige Konferenz der brandenburgischen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam.

Fallrückzieher mit Eigentor

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 8/2008, www.das-blaettchen.de)

Obwohl solche Vergleiche hinken, wage ich, das Verhalten der Europäischen Union im Kosovo-Konflikt mit diesem Fußball-Bild darzustellen. Der Ball, die Zukunft der albanischstämmigen Kosovaren, wurde zurück gespielt, in Richtung mittelalterliche Kleinstaaterei. Das Fallen der EU war kein Stürzen, sondern ein Sichfallenlassen, ein Einknicken vor US-amerikanischer Weltherrschaftspolitik. Es geschah schon zu Beginn der 1990er Jahre mit der Unterstützung der separatistischen Bewegungen in Jugoslawien und mit der Anerkennung seiner Nachfolgestaaten. Tragischer Höhepunkt dieser rückwärts gerichteten Politik war die Beteiligung (auch Deutschlands) am Krieg gegen das „Regime Milosevic“, ihr jüngstes Produkt ein Zwergstaat, der sich wohl nicht einmal als Steueroase a la Liechtenstein eignen wird. Doch ein Zankapfel wird er lange bleiben. Und darin liegt das Eigentor – von den Strategen jenseits des Atlantiks wohl kalkuliert! Wieso das?

Deutsch-russische Verhältnisse

(Erschienen in: "Das Blättchen, Nr. 6/2008, www.das-blaettchen.de)
Die Russen haben einen neuen Präsidenten mit großer Mehrheit gewählt. Das war vorher absehbar. Und prompt tönt es aus den Medien: Die Wahlen waren unfair, nicht demokratisch! Das mag so sein, jedenfalls nach hiesigen Maßstäben. Aber müssen unsere Maßstäbe für alle und überall maßgebend sein? Zu fragen und vor allem zu beantworten wäre doch wenigstens, wenn man sich für den Nabel der Welt und den Hort der Demokratie hält: Was ist demokratisch und was versteht man unter Demokratie?

Schärfere Töne? Klarere Worte!

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 10/2008)

Allenthalben nehmen die Auseinandersetzungen zu. Es geht um Richtungsentscheidungen, notwendige Kurswechsel in der Ökonomie und folglich in der Politik. Die Gegensätze der Interessen in der Wirtschaft und die Verteilungskämpfe strahlen in die Politik aus. Dort haben sie Bewegung sowohl zwischen den Parteien als auch unter ihren inneren Fraktionen hervorgerufen. Die Stärke der Spannungen im ökonomischen Fundament der Gesellschaft von heute drückt sich nicht nur in der Höhe von Lohnforderungen und zunehmender Streikbereitschaft aus (nach jahrelanger Enthaltsamkeit der arbeitenden Nichtgroßverdiener – die anderen bedienten sich selbst). Politisch äußert sie sich in einem – so könnte man eigentlich meinen – marginalen Ereignis. Doch die Wellen, die das Erscheinen und die ersten Erfolge einer kleinen neuen Partei auf der politischen Bühne erzeugen, deuten an, dass der ökonomische Neoliberalismus sich bedroht fühlt. Dessen politische Söldner in den Unionsparteien, unter den Freidemokraten und den Grünen sowie bei der SPD haben den Kampf aufgenommen. Ihre Aufregung, ihre Meinungsverschiedenheiten über die „richtige“ Strategie und ihre inneren Gegensätze im Wettbewerb um die Führung sind allerdings so groß, dass sie sich im Abwehrkampf gegen Die Linke immer wieder ins Gehege kommen.

Zehn Jahre gegen den Wind

Buchbesprechung zu:  Wolfgang Sabath, "Zehn Jahre gegen den Wind", in: "Neues Deutschland" v. 03. 07. 2008)
Wer meint, Artikel, die vor zehn Jahren geschrieben wurden, müssten immer Schnee von gestern sein, könnte sich leicht irren.


Pragmatisches Herumwursteln

Der Abschied der französischen Sozialisten von der Revolution entspricht den veränderten Realitäten in der Gesellschaft. Doch ihr Programm offenbart die theoretischen Defizite.

Randbemerkungen zu Oskar Negt

In seinem Interview „Die Logik des Kapitals“ im ND v. 5. Mai 2005 zum 190. Geburtstag von K. M. formulierte O. Negt unter anderem:

"Heute begreifen immer mehr Menschen, dass diese untergegangenen Staatssysteme (des Realsozialismus – H. H.) nicht die Marxsche Vision von Sozialismus auf den Weg brachten, sondern etwas ganz Anderes, dieser Vision Gegenläufiges."

Die Zentrale Planung entsprach sehr wohl der Marxschen Vision! Auch die Diktatur des Proletariats! Marx und Engels waren auch nicht gerade zimperlich in ihren Äußerungen. Und was ist eigentlich mit China? Dieses „Staatssystem“ ist nicht untergegangen. Man darf sicher nicht so pauschalisieren. Woher sollen wir eigentlich wissen, welche Visionen M. und. E. hatten? Man muss wohl anders an die Sache heran gehen und begreifen, dass die beiden natürlich eine andere Vorstellung haben mussten, weil die weitere technische, ökonomische und politische Entwicklung der Welt überhaupt nicht absehbar war. Wie immer ihre Vision ausgesehen haben mag – sie konnte sich in ihren konkreten Erscheinungen gar nicht erfüllen und musste insofern wie jede Vorherschau eine Utopie bleiben.

Nur Mut!

„Nur Mut!“ lautete kürzlich das Motto der Einschulungsfeier an der ZEBRA-Grundschule im havelländischen Zeestow – in großen Lettern auf grünem Plakat die ABC-Schützen und ihre Eltern begrüßend. Was sich dort tat und wohl auch allgemein tut, ist bemerkenswert. Jedenfalls habe ich, obgleich mit Kindern und Enkeln reichlich gesegnet, so viel lieben Einfallsreichtum und Engagement im Schulischen noch nicht erlebt.

Hallo, Fräulein Luxemburg!

(Erschienen in: Das Blättchen, Heft 21, 13. Oktober 2008)


Eduard Bernsteins Auseinandersetzung mit Rosa Luxemburg bildet eine geistreiche Lektüre, die heute so aktuell und spannend zu lesen ist wie vor gut hundert Jahren, zumal die Sozialisten der Gegenwart wohl kaum unter mehr leiden als unter Theoriedefiziten. Letztere sind offenbar eine notwendige Folge der gewaltigen gesellschaftlichen Umbrüche der letzten zwei Jahrzehnte, die alles sozialistische Gedankengut in Frage stellten und die theoretisch wohl kaum ohne ganz neue Denkansätze zu bewältigen sind. 

Thesen zur Krise des internationalen Finanzsystems

(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 22 / 2008)
  1. Das Charakteristische der Ökonomik am Beginn des 21. Jahrhunderts ist neben der Globalisierung der Produktions- und Finanzbeziehungen die Abkopplung der Finanz- von der Realwirtschaft. Dies war eine Folge der Abkopplung der Währungen vom Edelmetall durch die Kündigung des Abkommens von Bretton Woods seitens der USA im Jahre 1971.

Sarkozys Riecher

Mit seinem Vorschlag, eine EU-Wirtschaftsregierung einzurichten, rief der französische Staats- und EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy einen entsetzten Aufschrei des ganzen neoliberalen Lagers, insbesondere in Deutschland, hervor. Private Milliarden- und Millionärsvermögen durch staatliche Neuverschuldung retten? Ja! Aber privaten Ansprüchen und Kompetenzen von Staats wegen Zügel anlegen? Gottbewahre!

Die deutschen Philister eines Dogmas von der unbegrenzten Freiheit privater Gier nach trockenem Finanzreichtum misstrauen dem aus dem Bauch heraus formulierenden Franzosen, der sich mehr von seinem feinsinnigen ökonomischen Instinkt als von ewig geltenden Grundsätzen leiten lässt – und dennoch das Richtige ins Kalkül zieht.

Krise der Banken - Krise der Wissenschaft

(Erschienen in: Vorwärts.de, 28. 10. 2008)

Nachdem die Finanzmärkte in die Krise gerieten, werden die Schuldigen gesucht. Die Regierung macht sie im Management einiger Banken aus, Oppositionspolitiker haben auch diejenigen im Visier, die mit ihrer Gesetzgebung eine ungezügelte Spekulation erst ermöglichten. Was sie selber alle taten oder in verantwortlicher Position getan hätten, wird kaum hinterfragt. Auch Professoren, zum Beispiel an der Universität Potsdam, gehen nicht in sich, sondern stellen vor den Studenten und der interessierten Öffentlichkeit als erstes klar, nicht das System stecke in der Krise, sondern einzelne Banker hätten unverantwortlich, teils kriminell gehandelt.

Glauben und wissen

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 25, 8. Dezember 2008)

Fährt man von der Autobahnausfahrt Wildeck - Obersuhl (A4 Dresden – Bad Hersfeld) über Solz nach Bebra, so ist kurz vor dem kleinen, jetzt der Stadt eingemeindeten Ort Imshausen rechterhand auf einer Anhöhe ein großes, mahnendes Holzkreuz kaum zu übersehen. An seinem Fuße erinnert ein Stein an  Adam von Trott zu Solz. Der Wurde nach dem 20. Juli 1944 zusammen mit Freunden des Kreisauer Kreises ermordet. Er ist „Gestorben mit den Freunden im Kampfe gegen die Verderber unserer Heimat“. So steht es auf dem Stein unweit des Anwesens seiner Eltern.

Signale einer neuen Gesellschaft

Bemerkungen zu: M. Brie/ Ch. Spehr, Was ist Sozialismus? In: "kontrovers", Beiträge zur politischen Bildung, herausgegeben von der Rosa Luxemburg Stiftung und WISSENTransfer, 01/2008)
(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 3, 2. Februar 2009)

Während in aller Welt Hunderte Milliarden Dollar und Euro staatlich mobilisiert werden, um Banken und Unternehmen vor dem Ruin zu bewahren, fragt man sich bei der Linken: „Was ist Sozialismus?“[1] – Ein neuer, sozialistischer Idealismus? So mag es vielleicht scheinen. Aber es ist mehr, mehr als ein historischer Rückblick sozialistischen Selbstverständnisses bzw. Vorausblick ins 21. Jahrhundert. Jedenfalls vermitteln M. Brie und Ch. Spehr die Erkenntnis, die sozialen, kulturellen und technologischen Umbrüche der letzten vierzig Jahre hätten zur Entstehung eines offenen Sozialismus (gemeint ist wohl: Vorstellung von Sozialismus) geführt, und dieser „zielt nicht auf die Verwirklichung eines vorgegebenen Modells, sondern auf die Ermöglichung nicht vorhersehbarer Entwicklungen“ und könne als Richtung gesellschaftlicher Entwicklung „auch nicht durch die wissenschaftliche Einsicht einer Avantgarde vorweggenommen werden, die von oben führt und steuert.“ Schlussfolgernd wird dann u. a. die wichtige Frage aufgeworfen: „Welche Reformen führen zu einer substantiellen Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse und weisen über den Kapitalismus hinaus?“