Mittwoch, 22. Oktober 2008

Nur Mut!

„Nur Mut!“ lautete kürzlich das Motto der Einschulungsfeier an der ZEBRA-Grundschule im havelländischen Zeestow – in großen Lettern auf grünem Plakat die ABC-Schützen und ihre Eltern begrüßend. Was sich dort tat und wohl auch allgemein tut, ist bemerkenswert. Jedenfalls habe ich, obgleich mit Kindern und Enkeln reichlich gesegnet, so viel lieben Einfallsreichtum und Engagement im Schulischen noch nicht erlebt.


Da zogen beispielsweise die Erstklässler, die zuvor am Eingang von älteren Schülern übernommen worden waren, feierlich unter dem Beifall der Erwachsenen und den Klängen der „Moldau“ von Smetana in die zum großen Saal umgestaltete Turnhalle ein. Und schon waren aus verzagten Vorschulkindern wenn auch kleine, so doch geachtete Persönlichkeiten geworden, die gespannt lauschten, was die Dame da vorn zu sagen haben würde. Zu meiner und unseres sechsjährigen Georgs Überraschung hielt sie keine Rede, sondern griff zur Gitarre und stimmte das Lied von Onkel Pauls Bauernhof an (das Einzugsgebiet der Schule umfasst drei Dörfer: Zeestow, Bredow und Brieselang, aus deren Benennung auch der Schulname abgeleitet ist). Mit „Nur Mut!“ animierte sie ihre kleinen Zuhörer zum Mitmachen: Singen, Trampeln, Gestikulieren. Und schon nach der zweiten Strophe war aus den schüchtern dreinblickenden Mädchen und Jungen ein quietschvergnügtes Völkchen geworden. Angesteckt auch vom Mut der älteren Kinder einer Turnerriege mit ihren Sprüngen über den Kasten gingen sie, aufgerufen, froh und munter einzeln nach vorn zur Einteilung der Klassen, um dann den Lehrern in die Unterrichtsräume zu folgen.

Erst danach gab sich die Gitarristin nicht als Musiklehrerin, sondern, mit ihrer Rede an die Eltern, als die Schulleiterin zu erkennen. „Nur Mut!“, hieß es da, solle Programm sein für die Bildung und Erziehung an dieser Schule; Mut zur Kreativität vor allem - das Neue zu denken und zu wagen. Aber auch Mut zur Pflege von Traditionen. Mut zu eigenen Standpunkten und zugleich zum Dialog, zur Bereitschaft, den anderen anzuerkennen und auf ihn zu zugehen. Mut zur Solidarität schließlich und zur Zivilcourage. Mut nicht zuletzt zum Engagement für den Frieden angesichts seiner akuten Bedrohung in der Welt – und dies nicht nur am Weltfriedenstag, den man heute sinnfälligerweise Antikriegstag nennt. Wie viel Philosophie und Politik in fünfzehn Minuten – zu Herzen gehend und ohne mit Phrasen zu langweilen - anlässlich der Einschulung von Sechsjährigen!

Mir kam der zweitausendfünfhundert Jahre alte Spruch des Perikles in den Sinn: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit; das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.“ Er ist heute noch so aktuell wie damals. Das sozialistische Experiment im Interesse der Freiheit – war es nicht legitim und mutig? Und seine Korrektur durch die Geschichte im Jahre 1989, von der viele meinen, sie sei das Ende der neuen Gesellschaft gewesen – war es keine mutige Tat der Akteure, trotz des scheinbaren Sprungs in die Vergangenheit? Gewiss, wieder haben sich Erwartungen nur teilweise, nicht für alle und schon gar nicht gleichermaßen erfüllt. Aber war das je anders? Nein, auch nicht genau zweihundert Jahre zuvor!

Ich würde heucheln, wenn ich sagte, stets glücklich, zufrieden mit mir und der Welt zu sein. Aber meine Zuversicht ist ungebrochen und gewinnt immer wieder die Oberhand, wenn deprimierende Nachrichten der Welt geradezu aus einem Irrenhaus zu stammen scheinen. Denn nichts bleibt wie es ist. Und: Eine heile Welt, den Himmel auf Erden hat es nie gegeben. „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“, lässt Goethe seinen Dr. Faust sagen. Ja, täglich, nicht nur alle paar Jahre mit einem Kreuz auf dem Wahlschein oder hinundwieder mit einem revolutionären Kraftakt, wenn es anders nicht geht!

Die vollkommen heile Welt ist ein hehres, doch unerreichbares Ziel gesellschaftlichen Engagements. Was wir auch tun, das Resultat lässt sich vorher nie mit Sicherheit bestimmen. Enttäuschte Erwartungen erfordern dann eine Analyse der Ursachen und erneute Korrekturen. Auch das erfordert Mut – zur Kritik und Selbstkritik. Die Linke scheint dabei, weltweite Wechselwirkungen wenig ins Kalkül ziehend, gelegentlich zur Selbstzerfleischung zu neigen. Das mag daran liegen, dass sie bewusst neue gesellschaftliche Zustände gestalten wollte und will, also Erwartungen erzeugte, die nur zum Teil erfüllt und durch teils entsetzliche Ergebnisse gesellschaftlichen Handelns bitter enttäuscht wurden.

Das konservative Gesellschaftsspektrum begnügte sich dagegen, auf neu gestaltende Programme verzichtend, mit dem Erhalt des Bestehenden und brachte auf diese Weise unter anderem zwei furchtbare Weltkriege hervor. Doch wo blieb und bleiben hier das Eingeständnis von Verantwortung und die Ursachenanalyse? Bis heute versucht die ganze Rechte lediglich, Gegebenheiten - wie nun die Globalisierung der Technik und der Wirtschaft - im Interesse bestimmter Teile der Gesellschaft beziehungsweise Regionen und oft mit Gewalt, eben kriegerisch, zu „managen“ oder bestenfalls in ihren desaströsen Wirkungen einzuschränken. Von Ideen und Programmen zur Organisation einer friedvollen, weil die Interessen aller berücksichtigenden Weltgemeinschaft kann weniger denn je die Rede sein! Die Kriege in Irak und Afghanistan belegen dies auf traurige Weise.

Darum: Weiterhin nur Mut, ihr Jungen wie ihr Alten, zu neuem Denken und auch zu Veränderungen in der Gesellschaft, ehe der Krieg - nun im Gewande des Terrorismus - erneut auch zu uns kommt! Das Programm der ZEBRA-Schule sollte optimistisch stimmen.

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