Mittwoch, 22. Oktober 2008

Fallrückzieher mit Eigentor

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 8/2008, www.das-blaettchen.de)

Obwohl solche Vergleiche hinken, wage ich, das Verhalten der Europäischen Union im Kosovo-Konflikt mit diesem Fußball-Bild darzustellen. Der Ball, die Zukunft der albanischstämmigen Kosovaren, wurde zurück gespielt, in Richtung mittelalterliche Kleinstaaterei. Das Fallen der EU war kein Stürzen, sondern ein Sichfallenlassen, ein Einknicken vor US-amerikanischer Weltherrschaftspolitik. Es geschah schon zu Beginn der 1990er Jahre mit der Unterstützung der separatistischen Bewegungen in Jugoslawien und mit der Anerkennung seiner Nachfolgestaaten. Tragischer Höhepunkt dieser rückwärts gerichteten Politik war die Beteiligung (auch Deutschlands) am Krieg gegen das „Regime Milosevic“, ihr jüngstes Produkt ein Zwergstaat, der sich wohl nicht einmal als Steueroase a la Liechtenstein eignen wird. Doch ein Zankapfel wird er lange bleiben. Und darin liegt das Eigentor – von den Strategen jenseits des Atlantiks wohl kalkuliert! Wieso das?



Der amerikanische Vordenker Brzezinski befand schon 1997, es sei an der Zeit, „dass Amerika eine einheitliche, umfassende und langfristige Geostrategie für Eurasien als Ganzes formuliert und verfolgt.“ Diese Notwendigkeit ergebe sich aus dem Zusammenwirken zweier grundlegender Faktoren: Amerika ist heute die einzige Supermacht auf der Welt, und Eurasien ist der zentrale Schauplatz. Amerika sei nun der Schiedsrichter Eurasiens, und kein größeres eurasisches Problem lasse sich ohne die Beteiligung der USA oder gegen ihre Interessen lösen. Ausschlaggebend für die Dauer und Stabilität der amerikanischen Weltmachtstellung werde sein, wie die Vereinigten Staaten die wichtigsten geostrategischen Spieler auf dem eurasischen Schachbrett einerseits steuern und ihnen andererseits entgegenkommen, und wie sie mit den entscheidenden geopolitischen Dreh- und Angelpunkten umzugehen verstehen. Es ist die alte Politik des Teilens und Herrschens. Westeuropas Mitmachen in diesem Spiel wirft ein bezeichnendes Licht auf den politisch-ökonomischen Horizont seiner „Eliten“. Man unterwarf sich den amerikanischen Teilungsinteressen sowohl in Bezug auf den Balkan als auch auf Eurasien und verschlechterte ohne Not seine Beziehungen dem natürlichen Verbündeten Russland gegenüber, der uns auf Jahrzehnte mit Energie und Rohstoffen versorgen und Millionen West- und Mitteleuropäern ein gutes Auskommen durch einträgliche Arbeit sichern könnte. Rapallo lässt grüßen! Doch obwohl sich die gleichnamige Vertragsunterzeichnung zum gegenseitigen Vorteil (damals von Deutschland und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik unterzeichnet) am 16. April nun schon zum 86. Mal jährt, ist der „Rapallo-Komplex“ immer noch in der Welt, besonders in Amerika. Und das Feuerchen im Kosovo lässt sich auch künftig jederzeit schüren, wenn es gilt, Europas bzw. Eurasiens Einheit und Eintracht „steuernd“ zu stören.

Wegen der Ungewissheiten über die Zukunft Russlands müsste Amerika, nach Ansicht Brzezinskis, unbedingt einen geopolitischen Rahmen entwerfen, der Russlands Assimilation an einen von wachsender europäischer Zusammenarbeit geprägten Hintergrund Rechnung trägt und der außerdem die selbstbewusste Unabhängigkeit seiner neuerdings souveränen Nachbarn fördert. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen, das bereits eine Reihe prominenter Staatsmänner des Atlantischen Bündnisses befürworten, könnte aus amerikanischer Sicht das Risiko verringern, dass es auf wirtschaftlichem Gebiet zu immer stärkeren Rivalitäten zwischen einer geeinteren EU und den Vereinigten Staaten kommt. Eine klare Entscheidung Russlands für die europäische Option und gegen die eines großrussischen Reiches werde dann wahrscheinlicher, wenn Amerika erfolgreich die zweite, unbedingt erforderliche Linie seiner Strategie gegenüber Russland verfolgt: nämlich den derzeit herrschenden geopolitischen Pluralismus im postsowjetischen Raum zu stärken, um damit allen imperialen Versuchungen den Boden zu entziehen.

In diesem Spiel der Global-Player setzt Amerika (nicht nur, aber auch) auf die internationale Macht seiner Dollar-Milliardäre und ihren Einfluss auf das Weltfinanzsystem. Denn immerhin beträgt der Anteil der USA an den Reichen der Welt (das sind Leute mit einem Vermögen von mehr als einer Million Dollar) 35 Prozent – bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von lediglich 4,6 Prozent. Aber die Macht des Geldes - realisiert nicht zuletzt mittels internationaler Institutionen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Welthandelsorganisation (WTO) - basiert vor allem auf dem Glauben an seine Macht. Was, wenn sich die Welt vom Dollar, diesem ungedeckten Wechsel auf die Zukunft, lossagt, vielleicht sogar ein ganz neues internationales Finanzsystem vereinbart, mit dem nicht Weltherrschaftsinteressen befriedigt werden, sondern das einer harmonischen ökonomischen Entwicklung in der Welt zum Wohle aller dient?

Europas Strategen von heute allerdings sind wohl von Visionen kaum geblendet. Wenigstens sollten sie aber den Ball im eigenen Tor erkennen, ihn herausholen und das Spiel mit diesem Ball beenden. Sie könnten mit ihm nicht den letzten Einschuss erhalten haben.

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