Mittwoch, 22. Oktober 2008

Pragmatisches Herumwursteln

Der Abschied der französischen Sozialisten von der Revolution entspricht den veränderten Realitäten in der Gesellschaft. Doch ihr Programm offenbart die theoretischen Defizite.
Frankreichs Sozialisten brächen mit der Revolution, klagt man hierzulande links von der SPD. Schon 1990 sei nach dem Niedergang des „Realsozialismus“ eine Wende in der PS-Programmatik mit der Feststellung eingeleitet worden: „Als Sammlungspartei stellt die PS den Reformismus in den Dienst der revolutionären Hoffnungen.“ Nicht dieser Reformismus dürfte das Problem sein, sondern die Tatsache, dass man darin nicht konsequent ist.

Eine „Erneuerungskommission“ formulierte jetzt eine „Grundsatzerklärung“, die Mitte Juni auf einem Nationalkonvent der französischen Sozialistischen Partei verabschiedet werden soll. In deren Präambel heißt es, die Sozialistische Partei habe ihre Wurzeln in den Traditionen des Humanismus und der Philosophie der Aufklärung. „Ihrer Natur nach strebt sie einem Ideal zu und will zugleich die Realitäten verstehen.“ Ihr Ziel sei eine „soziale und ökologische Marktwirtschaft, die durch die öffentliche Macht und die Sozialpartner reguliert wird“.

Das entspricht durchaus der heutigen politökonomischen Verfasstheit der Gesellschaft. Die von Marx analysierte kapitalistische Klassengesellschaft seiner damaligen Zeit existiert nicht mehr. An ihre Stelle ist eine Finanzgesellschaft mit einer veränderten ökonomischen Basis getreten. In ihr hat sich das Geld aus einer Ware in ein gesellschaftliches Arbeitszertifikat verwandelt (siehe „Währung ohne Basis“, in: „Junge Welt“ v. 10.08. 2006). Dieser Umstand reduziert die objektiven Interessen aller Bürger – das darf man feststellen - auf die von der SP Frankreichs nun in der Grundsatzerklärung formulierten Inhalte. Das Finanzsystem als ganzes muss seiner Natur entsprechend durch die „öffentliche Macht“ reguliert werden. Sie hat es hervorgebracht und muss es stabil halten. Doch da das Finanzsystem nur die bestimmte Form der Verteilung des erzeugten Produkts der heutigen Leistungsgesellschaft darstellt, muss sein „inneres Funktionieren“ zugleich als soziale, weitgehend „marktwirtschaftliche“ Auseinandersetzung der „Sozialpartner“ – wie immer man diesen Begriff interpretieren mag - vor sich gehen. In dieser neuen Leistungsgesellschaft besteht die Existenzgrundlage jedes Mitglieds der Gesellschaft in seiner Leistung für die Gesellschaft. Sie wird ihm im Geld quittiert. Das ist das Wesen der heutigen Realität. „Kapitaleinkünfte“ aller Art sind in diesem System zwar auch noch eine Realität, aber dennoch ein Anachronismus, der entscheidend zu den Gebrechen der heutigen Gesellschaft beiträgt. Gerade diese leistungslosen Einkünfte müssen von der öffentlichen Macht weggesteuert oder sonstwie beseitigt werden. Um diese klare Präzisierung wäre das Programm der Sozialisten zu ergänzen. Aber dazu scheint es ihnen an Mut und noch mehr an theoretischem Durchblick zu fehlen. Statt seiner: Pragmatisches Herumwursteln im Interesse von Wählerstimmen! Im Programm der französischen Sozialisten von 1905 war von einer „Klassenpartei“ die Rede, „die die Sozialisierung der Produktions- und Tauschmittel zum Ziel hat, also die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine kollektivistische oder kommunistische Gesellschaft“. Die Erreichung dieses Ziels durch die Abkopplung der Währungen vom Goldstandard im Jahre 1971 mit der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods durch die USA hat man auch in Frankreich verschlafen. Und so kritisiert man denn auch heute noch am Kapitalismus, dass er „nach wie vor Ungerechtigkeiten unter den Menschen schafft“. Wann endlich wird in der Linken der kindische Glaube an Gerechtigkeit überwunden? Um die Notwendigkeit einer tatsächlichen Verteilung nach der Leistung in der heutigen Leistungsgesellschaft geht es und um nichts anderes!

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