Mittwoch, 22. Oktober 2008

Krise der Banken - Krise der Wissenschaft

(Erschienen in: Vorwärts.de, 28. 10. 2008)

Nachdem die Finanzmärkte in die Krise gerieten, werden die Schuldigen gesucht. Die Regierung macht sie im Management einiger Banken aus, Oppositionspolitiker haben auch diejenigen im Visier, die mit ihrer Gesetzgebung eine ungezügelte Spekulation erst ermöglichten. Was sie selber alle taten oder in verantwortlicher Position getan hätten, wird kaum hinterfragt. Auch Professoren, zum Beispiel an der Universität Potsdam, gehen nicht in sich, sondern stellen vor den Studenten und der interessierten Öffentlichkeit als erstes klar, nicht das System stecke in der Krise, sondern einzelne Banker hätten unverantwortlich, teils kriminell gehandelt.


Wer aber bildete sie aus, gab ihnen, auch den handelnden Politikern, das geistige Rüstzeug mit auf den Weg, die Wirtschaft und ihre Finanzen sinnvoll zu steuern? Da appellieren nun Wissenschaftler an die Moral und an das Verantwortungsbewusstsein der Akteure. Tut das nicht die Kirche mit ihren zehn Geboten seit Jahrtausenden zur Genüge? Sollte nicht besser gefragt werden, warum eine ganze Gesellschaft weltweit von einer nie dagewesenen, ruinösen Spekulationssucht erfasst ist? Es spekulieren doch alle, die da mit Aktien und sonstigen Wertpapieren handeln und auf solche Weise ihre Zukunft ökonomisch sicherzustellen glauben! Und warum das? Weil der „wissenschaftlich begründete“ Glaube an das Privateigentum und die private Verantwortung für das Wohl und Wehe jedes Einzelnen zu einem geradezu absoluten Bewusstseinsdogma geworden ist. In den letzten zwanzig Jahren hat sich diese Vorstellung – von der Wissenschaft fleißig gepflegt – wie eine bedingungslose Doktrin in den Gehirnen einer großen Bevölkerungsmehrheit festgesetzt. Vor allem die Besserverdienenden sind von dem Virus befallen. Sie können und wollen für die Zukunft sparen und wissen nicht, wie sie sich in ihrem Privatsein am besten absichern. So greifen sie massenhaft nach dem, was Ihnen Wissenschaft und der Markt bieten: Wertpapiere, deren Profitabilität ihrem Risiko proportional ist.

Wo ist sie geblieben, die Wissenschaft, die all das kritisch hinterfragt, die hinter die Erscheinungen an der Oberfläche der Wirklichkeit schaut, um zu untersuchen, wie viel Privates sich denn tatsächlich noch hinter allem verbirgt, was privat zu sein behauptet? Ein schlechtes Zeugnis für die Wissenschaft, wenn es erst der fast tödlichen Watschen der Finanzmärkte bedurfte, damit diese Gesellschaft aufwacht und sich wieder der Verantwortung des Staates für das ganze Finanzsystem besinnt! Aber für wie lange das und auf welche Weise? Heißt es nicht Öl ins Feuer zu gießen, wenn die Bundesregierung notfalls eine halbe Billion Euro aufwendet, um den „Vertrauensverlust“ auf dem Finanzmarkt zu bekämpfen, anstatt die eigentlichen Ursachen der Krise zu beseitigen? Die liegen nämlich in der Abkopplung der Finanz- von der Realökonomie mit einer ungeheuren Finanzblase als Folgeerscheinung. Diese Finanzblase wird mit den ins Auge gefassten Maßnahmen nicht beseitigt, nicht einmal reduziert. Im Gegenteil: Es werden möglicherweise weitere fünfhundert Milliarden Euro – nun vom Staat - auf die Reise geschickt. Die Saat für den nächsten, noch größeren Krach wird so bereitet. Der Staat verschuldet sich weiter, um Schulden zu übernehmen, die Private nicht begleichen können. Deren Gewinne, die in der Finanzblase stecken, tastet er nicht an. Wo soll da die Lösung des Problems liegen? Im höheren Vertrauensbonus des Staates? Und die Wissenschaft, um noch einmal auf sie zu sprechen zu kommen? Sie weiß offenbar auch keinen besseren Rat – jedenfalls nicht diejenige, die die Politik berät. Dass sich Geld aus sich selbst heraus vermehren kann, ist ihr ein unerschütterliches Glaubensbekenntnis. Und der Gedanke, dass Geld etwas mit Arbeit für die Gesellschaft zu tun haben könnte, das Vorhaben, Zinsen, Dividenden und Kursgewinne von Aktien – neben maßlosen Gehältern einer Einkommenselite die entscheidenden Ursachen von Finanzblasen – durch eine staatlich regulierte und kontrollierte Finanzwirtschaft aus der Welt zu schaffen, muss ihr als Eingebung des Teufels erscheinen.

Eine solch öffentliche Finanzwirtschaft könnte nicht als Geschäft der Geldvermehrung betrieben werden, sondern müsste das Instrument einer gesellschaftlichen Buchführung im Interesse der Ökonomisierung von Produktions- und Leistungsprozessen der Unternehmen und Unternehmer sein, die ein Höchstmaß an Eigenverantwortung und Handlungskompetenzen haben. Denn sowohl die heutige Konstitution des vom Goldstandard gelösten Geldes als auch eine Vielzahl gesetzlicher und sonstiger öffentlicher Vorschriften haben allen Aktivitäten in der Wirtschaft längst ihren privaten Inhalt und Charakter genommen und den privaten zu einem gesellschaftlichen Unternehmer werden lassen. Als privater geistert er nur noch in unserer Vorstellungswelt. Es wird Zeit, diese der Realität anzupassen und dementsprechend staatlich zu handeln.

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