Mittwoch, 22. Oktober 1980

Buch mit sieben Siegeln?

Skript aus dem Jahre 1980 über die realsozialistische Politische Ökonomie als ein Missverständnis der eigenen Wirklichkeit



Die Theorie von der Warenproduktion und vom Geld im Sozialismus erscheint wie ein Buch mit sieben Siegeln. Immer und immer wieder zeigt sie sich problematisch, werden Fragen aufgeworfen, die an den Grundfesten dieser Theorie rütteln. Nach über 60jähriger sozialistischer Wirtschaftspraxis, die notwendigerweise gesellschaftlich bewußt organisiert ist, wird immer noch gefragt, „ob das Geld im Sozialismus allgemeines Äquivalent ist, einen eigenständigen Wert vertritt und somit wirkliches Geld ist…“ (Dr. Hans Schmidt in „Wirtschaftswissenschaft“ Nr. 3/1980, S. 303), wird „nach Charakter und Inhalt des Geldwertes im Sozialismus“ (ebenda, S. 305) gefragt, wird die Frage formuliert: welchen Charakter hat nun die Warenproduktion, die auf der Basis der sozialistischen Produktionsverhältnisse existiert und sich weiterentwickelt? Handelt es sich um objektive, dem Sozialismus adäquate Produktionsverhältnisse, die bei der Weiterentwicklung des Sozialismus zunehmende Bedeutung erlangen?“ (Ebenda, S. 306). Und Prof. Klaus Kolloch stellte in einem Aufsatz zur Rolle des Goldes als Geldware und zu seiner Bedeutung in den internationalen Währungsbeziehungen des Kapitalismus und des Sozialismus „die Frage nach dem allgemeinen Äquivalent heute. Was, wenn nicht mehr das Gold, ist allgemeines Äquivalent?“, fragt er, um bald darauf festzustellen: Der „sich vollziehende Wandel in dem die Geldbeziehungen betreffenden Teil der Produktionsverhältnisse stimuliert die Frage, ob man die Bezugsbasis der Geldzeichen - und damit ihre Wertgrundlage - nicht breiter ziehen muß als nur auf das Gold ausgerichtet.“ (Wirtschaftswissenschaft Nr. 8/1980, S. 925) 

Die Zähigkeit der Zweifler und Fragesteller, mit der sie trotz aller Probleme und Schwierigkeiten, diese Fragen für den Sozialismus zu beantworten, an dem Postulat der Warenproduktion im Sozialismus festhalten, ist erstaunlich. Erstaunlich ist der Mangel an Bereitschaft, ganz neue Denkansätze in der Politischen Ökonomie des Sozialismus zu suchen, die eine Reihe offensichtlicher Widersprüche in unserer  Theorie zu überwinden gestatten. Von Naturwissenschaftlern und Technikern, insbesondere von Erfindern wird Phantasie verlangt, das Vermögen, sich die Realität auch anders als gegeben vorzustellen, durch Abstraktion quasi hinter die Kulissen der Erscheinungen zu schauen, um das Wesen der Prozesse zu erfassen. Denn nur so ist Kreativität möglich. Aber es muß doch auch für Ökonomen in viel stärkerem Maße, als sich das in den Publikationen widerspiegelt, möglich und opportun sein, einzelne Teile des Reproduktionsprozesses oder den gesamten Wirtschaftskreislauf von unterschiedlichen Standpunkten aus zu durchleuchten, sich die Vorgänge auch einmal ganz anders als gewohnt und bisher theoretisch interpretiert vorzustellen! Gerade Praktiker dürften dafür gute Voraussetzungen besitzen, weil sie an konkrete praktische Fragen, wie die Wirtschaftsleitung, -planung und -kontrolle, die ökonomische Buchführung der Gesellschaft exakter, zuverlässiger und praktischer, also weniger aufwendig praktiziert werden kann, anknüpfen können. Methodisch stehen die Ökonomen zwar vor dem Problem, daß die Möglichkeiten zum Experiment außerordentlich eingeschränkt sind. Umso vielfältiger müßten aber gerade die geäußerten Gedanken sein. Natürlich können dabei nicht alle Meinungsäußerungen im Sinne der objektiven Wahrheit richtig sein. Aber auch Vorstellungen, die sich nicht durchsetzen, haben ihre Berechtigung veröffentlicht zu werden darin, daß sie in dieser oder jener Form anregen, die Dinge neu zu durchdenken, Erkanntes vielleicht noch exakter zu erfassen. Verschiedene Denkansätze werden zwar in der Regel zu unterschiedlichen Konsequenzen auch für die Praxis führen, zwingen aber nie dazu, diese auch tatsächlich in der Realität zu ziehen. Es sind quasi Empfehlungen, die akzeptiert werden können oder auch nicht. Doch wäre dies schon die zweite Stufe der Erkenntnis, deren erste sich darauf beschränkt, die Wirklichkeit lediglich - auch wieder unterschiedlich - zu interpretieren. Zum Beispiel kann man - ohne in unserem Wirtschaftsmechanismus irgendetwas zu verändern - das Geld im Sozialismus als ein solches Arbeitszertifikat auffassen, wie Karl Marx es in seiner „Kritik des Gothaer Programms“ darlegte. Der Werktätige erhält von der Gesellschaft - vertreten durch seinen Betrieb oder sonstige gesellschaftliche Institution - eine Quittung, daß er soundso viel Arbeit für die Gesellschaft geleistet hat.
In der Praxis verdiente der Durchschnittswerktätige in der volkseigenen Wirtschaft der DDR 1978 pro Monat laut Statistischem Jahrbuch der DDR 985 Mark. Diese Summe entspricht der Leistung von einem Monat bzw. ca. 180 Stunden gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. D. h., eine Stunde gesellschaftliche Durchschnittsarbeit wird heute von rund 6 Mark repräsentiert. Nun würde es keinen Deut an der Organisation unseres Wirtschaftssystems ändern, wenn unsere Geldzeichen anstelle von soundso viel Mark eine bestimmte Zahl von Arbeitsstunden auswiesen. Die in den Produkten vergegenständlichte gesellschaftlich notwendige Arbeit würde also nicht in Mark, sondern in Arbeitsstunden ausgedrückt. Der Durchschnittswerktätige unseres Landes bekäme pro Arbeitsstunde nicht 6 Mark, sondern einen Geldschein, auf dem „1Arbeitsstunde“ aufgedruckt wäre. Wer weniger als den Durchschnitt verdient - sage heute 4,50 Mark - der erhielte pro Arbeitsstunde nicht „1 Arbeitsstunde“, sondern nur „0,75 Arbeitsstunden“. Und wer heute überdurchschnittlich verdient, bekäme anstelle von beispielsweise 9 Mark pro Arbeitsstunde „1,5 Stunden gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit“. Und ein Fahrrad kostete anstelle von 300,- Mark „60 Arbeitsstunden“.
Zunächst mag es widersinnig erscheinen, daß pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde dem einen Werktätigen nur 0, 75 Stunden, dem anderen aber 1,5 Stunden und nur im Durchschnitt wirklich 1 Stunde vergütet werden soll. Ja, wahrscheinlich würden in der Praxis bei einem solchen Vorgehen pro Stunde nicht einmal im Durchschnitt gerade 1 Stunde vergütet, weil der Arbeitslohn ein viel zu dynamisches, von vielen gesellschaftlichen Faktoren abhängiges Feld ist, als daß ein ganz bestimmter Durchschnittslohn erreicht und eingehalten werden kann. Doch wird hier nur eine „Widersinnigkeit“ unserer auch heute tatsächlich gegebenen Lohndifferenzierung deutlicher offenbar, weil wir die Begriffe geändert haben. Die aus dem sozialistischen Leistungsprinzip resultierende notwendige Lohndifferenzierung wird scheinbar widersinnig. In Wirklichkeit aber erscheint nur der Unterschied zwischen Einzelleistung und gesellschaftlicher Durchschnittsleistung, bzw. zwischen der Arbeit des einzelnen und der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit viel deutlicher, weil im Naturalausdruck dargestellt.
Nun kann gefragt werden: Wozu der ganze Hokuspokus, der, würden wir tatsächlich auf unsere Geldscheine „Stunden gesellschaftliche Arbeit“ drucken und in dieser Größe unsere ganze Wirtschaftsrechnung betreiben, wahrscheinlich nur Verwirrung stiften würde, während sich ja real gar nichts ändert. Die Antwort: Es soll ein anderer Denkansatz gefunden, ein anderes, und ich sage: besseres theoretisches Verständnis des Geldes im Sozialismus erreicht werden. Fassen wir nämlich unser Geld - ob als Einheit die „Arbeitsstunde“ oder die „Mark“ dient, ist gleichgültig - als ein Arbeitszertifikat auf, so ergeben sich eine ganze Reihe - zunächst nur theoretischer - Konsequenzen für die Politische Ökonomie des Sozialismus. (Natürlich leitet sich die Theorie der Politischen Ökonomie des Sozialismus nicht aus dieser oder jener Auffassung vom Wesen des Geldes ab, sondern aus den sozialistischen Produktionsverhältnissen und den daraus gezogenen Konsequenzen für den gesamten Reproduktionsprozeß. Die Auffassung des Geldes im Sozialismus als Arbeitszertifikat ist also selbst theoretisch aus der sozialistischen Produktionsweise abzuleiten bzw. in das Gesamtsystem der Politischen Ökonomie des Sozialismus einzuordnen. Doch das ist im Rahmen eines solchen Beitrages nicht möglich.)
Die Anerkennung unseres Geldes als „Bescheinigung für geleistete (und vergegenständlichte) Arbeit“ bringt eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem allgemeinen Äquivalent und seiner Wertgegenständlichkeit: Das Geld im Sozialismus ist kein allgemeines Äquivalent mit eigenem Wert. Mit dem Geld der auf Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Warenproduktion hat es nur den Namen gemeinsam. Weder logisch noch tatsächlich drücken wir den „Wert“ unserer Produkte im Gebrauchswert eines bestimmten allgemeinen Produkts (Äquivalents - des Goldes) aus.
Der „Wert“ des Geldes, also die Menge gesellschaftlicher Arbeit, die es je Währungseinheit repräsentiert, ist unter dieser Voraussetzung (daß es sich um ein Arbeitszertifikat handelt) davon abhängig, wieviel Währungseinheiten pro Einheit (also Stunde) tatsächlich geleisteter (und vergegenständlichter) gesellschaftlich notwendiger (geplanter, bzw. im planmäßigen Reproduktionsprozeß geleisteter und anerkannter) Arbeit als Lohn vergütet wird. Der „Preis“ der Erzeugnisse verwandelt sich unter der Hand in eine gesellschaftliche Norm für den Aufwand an lebendiger und vergegenständlichter Arbeit - einschließlich Aufschlag für die Realisierung gesellschaftlicher Mehrarbeit. Und von der Warenproduktion bleibt nicht mehr übrig als ein (ohnehin nur theoretisches) Mißverständnis. Um dies deutlich zu machen, sei Karl Marx’ Auseinandersetzung mit Proudhon zitiert, der das Geld durch einen Stundenzettel der Bank ersetzen, aber den Warenaustausch beibehalten wollte:
„Herrn Proudhon aber und seiner Schule blieb es vorbehalten, die Degration des Geldes und die Himmelfahrt der Ware ernsthaft als Kern des Sozialismus zu predigen und damit den Sozialismus in ein elementares Mißverständnis über den notwendigen Zusammenhang zwischen Ware und Geld aufzulösen.“ (K. Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1951, S. 87.) „Die Bank gibt die Stundenzettel aus. Die Ware a = dem Tauschwert x, d. h. = x Arbeitszeit, tauscht sich aus gegen Geld, repräsentierend x Arbeitszeit. Die Bank müßte ebenso die Ware kaufen, d. h. gegen ihren Geldrepräsentanten austauschen, wie z. B. die Bank von England für Gold Noten geben muß. Die Ware, das substantielle und darum zufällige Dasein des Tauschwerts, wird ausgetauscht gegen das symbolische Dasein des Tauschwertes als Tauschwert. Es gibt so keine Schwierigkeit, sie aus der Form der Ware in die Form des Geldes umzusetzen. Die Arbeitszeit, die in ihr enthalten ist, braucht nur authentisch unifiziert sein … und erzeugt damit sofort ihr contrevaleur; ihr Gelddasein. Wie wir immer die Sache wenden und drehen mögen, in letzter Instanz läuft sie darauf hinaus: Die Bank, die die Stundenzettel ausgibt, kauft die Ware zu ihren Produktionskosten, kauft alle Waren, und zwar kostet ihr das Kaufen nichts als die Produktion von Papierschnitzeln - und gibt dem Verkäufer, anstatt des Tauschwerts, den er in einer bestimmten substantiellen Form besitzt, den symbolischen Tauschwert der Ware, in anderen Worten eine Anweisung auf alle anderen Waren zum Betrag desselben Tauschwerts. Der Tauschwert als solcher kann natürlich nur symbolisch existieren, obgleich dieses Symbol, um es als Sache anwenden zu können - nicht bloß als Vorstellungsform -, sachliches Dasein besitzt; nicht nur ideelle Vorstellung ist, sondern wirklich vorgestellt in einer gegenständlichen Ware … Also die Bank gibt für die Ware Geld; Geld, das exakt eine Anweisung auf den Tauschwert der Ware, d. h. auf alle Waren von demselben Wert, ist; die Bank kauft. Die Bank ist der allgemeine Käufer, der Käufer nicht nur dieser oder jener Ware, sondern aller Ware. Denn sie soll eben den Umsatz jeder Ware in ihr symbolisches Dasein als Tauschwert bewerkstelligen. Wenn sie aber der allgemeine Käufer ist, muß sie auch der allgemeine Verkäufer sein … nicht nur das allgemeine Warenhaus, sondern der Besitzer der Waren, in demselben Sinn, wie es jeder andere Kaufmann ist. Ich habe meine Ware a gegen den Stundenzettel b ausgetauscht, der ihren Tauschwert vorstellt; aber nur, damit sich dies b nun beliebig wieder in allen wirklichen Waren c, d, e etc. methamorphosieren kann. Kann nun dieses Geld zirkulieren außerhalb der Bank? Anders als zwischen dem Inhaber des Zettels und der Bank? Wodurch ist die Konvertibilität dieses Zettels gesichert? Es sind nur zwei Fälle möglich.
Entweder sämtliche Wareninhaber … wollen ihre Ware zu ihrem Tauschwert verkaufen oder einige wollen, andere nicht. Wenn sie alle zu ihrem Tauschwert verkaufen wollen, so werden sie nicht den Zufall abwarten, ob sich ein Käufer findet oder nicht, sondern gehen sofort zur Bank, treten ihre Ware ab und erhalten ihr Tauschwertzeichen, Geld, dafür: lösen sie gegen ihr eigenes Geld ein. In diesem Fall ist die Bank zugleich der allgemeine Käufer und Verkäufer in einer Person. Oder das Gegenteil findet statt. In diesem Fall ist der Bankzettel bloßes Papier, behauptet bloß, das allgemein anerkannte Symbol des Tauschwerts zu sein, hat aber keinen Wert. Denn dies Symbol hat das eigen, daß es nicht nur den Tauschwert vorstellt, sondern im wirklichen Austausch derselbe ist. Im letzten Fall wäre der Bankzettel kein Geld oder nur konventionelles Geld zwischen der Bank und ihren Kunden, nicht auf dem allgemeinen Markt. Es wäre dasselbe, was ein Dutzend Speisekarten sind, die ich im Abonnement bei einem Wirt erhalte, oder ein Dutzend Theaterbilletts, die beide Geld vorstellen, aber das eine nur Geld bei dieser bestimmten Speisetafel, das andere in diesem bestimmten Theater. Der Bankzettel hätte aufgehört, den Anforderungen des Geldes zu entsprechen, da er nicht im general public, sondern nur zwischen der Bank und ihren Kunden zirkuliert. Wir müssen also die letztere Unterstellung fallenlassen.
Die Bank wäre also der allgemeine Käufer und Verkäufer. Statt der Noten könnte sie auch cheques ausgeben und statt dieser einfache Bankaccounts führen. Je nach der Summe der Warenwerte, die x an sie abgelassen, hätte er dieselbe Wertsumme in anderen Waren an sie gut. Ein zweites Attribut der Bank wäre notwendig, den Tauschwert aller Waren, d.h. die in ihnen materialisierte Arbeitszeit, authentisch zu fixieren. Aber hier könnten ihre Funktionen nicht enden. Sie müßte die Arbeitszeit bestimmen, in der die Waren hervorgebracht werden können, mit den Durchschnittsmitteln der Industrie, die Zeit, in der sie hervorgebracht werden müssen. Aber auch das wäre nicht hinreichend. Sie hätte nicht nur die Zeit zu bestimmen, in der ein gewisses Quantum Produkte hervorgebracht werden muß, und die Produzenten in solche Bedingungen zu setzen, daß ihre Arbeit gleich produktiv ist (also auch die Distribution der Arbeitsmittel auszugleichen und zu ordnen), sondern sie hätte die Quanta Arbeitszeit zu bestimmen, die auf die verschiedenen Produktionszweige verwandt werden sollen. Das letztere wäre nötig, da, um den Tauschwert zu realisieren, ihr Geld wirklich konvertibel zu machen, die allgemeine Produktion gesichert werden müßte und in solchen Verhältnissen, daß die Bedürfnisse der Austauschenden befriedigt werden. Das ist noch nicht alles. Der größte Austausch ist nicht der der Waren, sondern der der Arbeit gegen Waren. Die Arbeiter würden nicht die Arbeit an die Bank verkaufen, sondern den Tauschwert für das volle Produkt ihrer Arbeit erhalten etc. Genau dann besehen, wäre die Bank nicht nur der allgemeine Käufer und Verkäufer, sondern auch der allgemeine Produzent. In der Tat wäre sie entweder die despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution, oder sie wäre in der Tat nichts anderes als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte. Die Gemeinsamkeit der Produktionsmittel ist vorausgesetzt etc. etc.“ (K. Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Dietz Verlag Berlin 1963, s. 71 ff.)
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, die frappierenden Parallelen zwischen dem zu sehen, was Marx hier entwickelt, und der sozialistischen Wirtschaftspraxis: Die Bank, das board, das den gesamten Wirtschaftsablauf organisiert und die Währung herausgibt, ist der sozialistische Staat. Er ist dank der zentralen Leitung und Planung auf der Grundlage des einheitlichen staatlichen Volkseigentums der allgemeine Käufer und Verkäufer. Es gibt keinen Markt außerhalb oder neben der Planwirtschaft. Der zentralen staatlichen Leitung und Planung ist die gesamte Volkswirtschaft untergeordnet, nicht nur der volkeigene, sondern auch der genossenschaftliche und der private Sektor. Die Anwendung unserer Währung und unseres staatlich gelenkten Preissystems ist niemandem selbst überlassen, alle müssen zum „Tauschwert“ verkaufen. Der Staat legt die Preise fest und bestimmt damit den zulässigen Aufwand zur Produktion eines bestimmten Quantums Erzeugnisse. Der Staat ist der allgemeine Organisator und Rechnungsführer der gesellschaftlichen Produktion. Daß dies in Form relativ selbständiger und eigenverantwortlicher Betriebe und Kombinate vor sich geht, ändert nichts am Wesen der Sache. Diese Selbständigkeit ist nämlich - wie weit sie auch gehen mag und wie sie sich darstellen möge - immer beschränkt durch das Grundprinzip zentraler staatlicher Leitung und Planung, Rechnungsführung und Statistik unabhängig yon konkreten Organisationsformen. Und das, was heute als Warenpreis der sozialistischen Wirtschaft erscheint, hat nichts zu tun mit dem Geldausdruck eines Warenwertes. Es ist die gesellschaftliche Norm des zulässigen Arbeitsaufwandes für die Produktherstellung, ausgedrückt in Einheiten der nationalen Währung. Doch diese Währung ist nichts anderes als das Symbol nationaler Arbeit.
Akzeptiert man diese theoretische Basis, so eröffnen sich Möglichkeiten für Überlegungen, wie das sozialistische Finanzinstrumentarium in der Praxis noch effektiver und rationeller gestaltet und gehandhabt werden kann - auf der Grundlage der Dialektik von zentraler staatlicher Leitung und Planung, Kontrolle, Rechnungsführung und Statistik einerseits und einem hohen Maß an Eigenverantwortung der Betriebe und Kombinate andererseits. Mit den immer größeren Möglichkeiten, die die elektronische Datenverarbeitung in diesem Zusammenhang bietet, dürften derartige Überlegungen und damit die notwendigen theoretischen Prämissen bald enorm an Bedeutung gewinnen.
Insofern geht es nicht nur um die Aufdeckung eines theoretischen Mißverständnisses und einer Glosse der Politischen Ökonomie: Während Proudhon das Geld abschaffen und die Warenproduktion beibehalten wollte, wies Marx nach, daß die Abschaffung des Geldes die Überwindung der Warenproduktion durch die gesellschaftliche Leitung und Planung der Produktion voraussetzt. Damit zeigte er gleichzeitig, daß sich Warenproduktion und gesellschaftliche Planung und Organisation der Produktion ausschließen. Die Theorie von der Warenproduktion und dem Geld im Sozialismus fällt indes zurück auf das Niveau der Proudhonisten, obwohl die diesbezüglichen Erkenntnisse von Marx in der sozialistischen Wirtschaftspraxis_ längst berücksichtigt und durchgesetzt wurden. Dabei wurde gar nicht bemerkt, wieviel wirklich verändert wurde, daß man das Geld nicht „abzuschaffen“ braucht, sondern daß die Währung mit der Veränderung der Produktionsverhältnisse und allen notwendigen konkreten Umwandlungen in der Wirtschaftspraxis von selbst ihr Wesen völlig verändert und aus einem allgemeinen Äquivalent ein Symbol gesellschaftlicher Arbeit geworden ist.