Mittwoch, 22. Oktober 2008

Glauben und wissen

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 25, 8. Dezember 2008)

Fährt man von der Autobahnausfahrt Wildeck - Obersuhl (A4 Dresden – Bad Hersfeld) über Solz nach Bebra, so ist kurz vor dem kleinen, jetzt der Stadt eingemeindeten Ort Imshausen rechterhand auf einer Anhöhe ein großes, mahnendes Holzkreuz kaum zu übersehen. An seinem Fuße erinnert ein Stein an  Adam von Trott zu Solz. Der Wurde nach dem 20. Juli 1944 zusammen mit Freunden des Kreisauer Kreises ermordet. Er ist „Gestorben mit den Freunden im Kampfe gegen die Verderber unserer Heimat“. So steht es auf dem Stein unweit des Anwesens seiner Eltern.



Heute engagiert sich seine Tochter Clarita Müller-Plantenberg für eine bessere, solidarische Region Nordhessen. Den verderbenden Auswüchsen des Turbokapitalismus will die an der Uni Kassel lehrende Soziologin eine solidarische, regional orientierte Wirtschaft entgegensetzen. Sie gründete dazu die Stiftung Adam von Trott e.V./ Imshausen. Und sie beteiligt sich an der Arbeit einer „Akademie auf Zeit“ zum Thema „Solidarische Ökonomie“. Diese ist als eine Basisbewegung hervorgegangen aus der ökumenischen Bewegung und dem so genannten konziliaren Prozess der christlichen Kirchen und versammelt Menschen aller Weltanschauungen und Glaubensbekenntnisse, die nach einer Alternative zur heutigen Gesellschaft suchen. Ihr Anliegen ist es, die Schöpfung dadurch zu bewahren, dass wirtschaftliches Tun von der Dominanz der zerstörerischen Profitgier befreit wird. Sie bemüht sich – und darüber wurde Anfang November in der angenehmen Atmosphäre des Schlosses im oben genannten Imshausen sehr vielseitig debattiert -, um neue, wissenschaftlich begründete Denkansätze, wo die meinungsbildende und politikbestimmende „offizielle“ Wirtschaftswissenschaft nichts Besseres vermag, als das bestehende System grundsätzlich zu verteidigen und in Krisensituationen wie der gegenwärtigen Notlösungen zu entwerfen – wenn sie sich denn überhaupt zu Wort meldet.

Zu Wort meldete sich jedenfalls fast zur gleichen Zeit eine zumindest tonangebende Bewegung an der Spitze von (protestantischer) Kirche und Staat. Anlass war die 1. Luther-Konferenz, veranstaltet aus Anlass des 525jährigen Jubiläums des Geburtstags des großen Reformators. Dazu versammelte sich in der Friedrichstadt-Kirche am Berliner Gendarmenmarkt eine Creme dieses Staates zum Disput über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft. Was diese Herren und eine Dame (Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages) da von sich gaben, war geradezu grotesk. Sie alle seien von der Krise völlig überrascht worden, hätten nie verstanden, was da im Weltfinanzsystem eigentlich vor sich ging. Das glaube ich ihnen gern. Aber geradezu dumm-dreist war die Feststellung des früheren Botschafters der USA in der BRD, Kornblum, die Finanzblase hätte doch auch etwas Gutes gehabt: Ohne sie hätte Deutschland sich nicht zum Exportweltmeister aufschwingen können, und die deutsche Autoindustrie habe von ihr profitiert. Wahrscheinlich kannte er den ökonomischen Verstand seiner Gesprächspartner. Ihnen und dem versammelten Auditorium wollte er weismachen, die heutige Krise sei nur ein Wirbelsturm. Wenn der vorbei sei, werde man weitermachen. All dem setzte unser Innenminister Schäuble noch eins drauf. Die derzeitige Krise sei zwar ein großes Unheil und Folge einer in der menschlichen Natur liegenden Maßlosigkeit, aber niemand sei von Fehlern und Irrtümern frei. Immerhin hätte man doch in Amerika (und hier wiederholte er nur, was der Ex-Botschafter auch noch gesagt hatte) einen guten Zweck verfolgt, als der amerikanische Gesetzgeber bestimmte Vorschriften für Kreditvergaben änderte, damit mittellose Migranten leichter ans Geld kämen, um ein Eigenheim zu bauen (als wenn das die einzige und wichtigste Ursache der Finanzblase, die nun geplatzt ist, gewesen sei!). Und so rief er denn dazu auf, weil es kein Patentrezept gebe, weiter im Vertrauen auf Gott nach der Methode „Versuch und Irrtum“ (wörtlich!) den richtigen Weg in die Zukunft zu suchen. Die freiheitliche Ordnung lebe eben von ihrer Unvollkommenheit. Herr Schäuble misst die Welt an seiner Person.

Man könnte verzweifeln, gäbe es da nicht die starke Bewegung an der Basis – auch der Kirche. Millionen Menschen glauben wohl an Gott, aber nicht an die Alternativlosigkeit der Gesellschaft in ihrer heutigen Verfassung. Die Teilnehmer der jüngsten Tagung in Imshausen scheuten sich nicht, neben ihrem Glauben ihr Wissen zu offenbaren: dass die Wurzel des benannten Übels in der Kapitalverwertung als Ziel und Bedingung allen wirtschaftlichen Handelns dieser Gesellschaft liegt. Karl Marx mit seinem „Kapital“ ist bei ihnen nicht mehr Unperson, und die DDR ging (nach einer unwidersprochenen Meinungsäußerung) nicht an ihrer Planwirtschaft zugrunde, sondern an der Diktatur ihrer Machthaber. In einem Strategiepapier der Tagung von Imshausen heißt es einleitend:

Ein Gespenst geht um in der Welt: der sich aufbäumende und zusammenbrechende Kapitalismus. An der Weltfinanzkrise wird vollends deutlich: ein Wirtschaftssystem, das das „Streben nach Eigennutz“ zu Leitbild und Motor allen Handelns macht und Wirtschaft zur Abschöpfungs- und Bereicherungsmaschine der Kapitalbesitzer werden lässt, treibt nicht nur Menschen in Armut und Elend, führt nicht nur ganze Volkswirtschaften an die Grenzen des Ruins und macht nicht nur die Lösung der Umweltkrise unmöglich, es untergräbt die Grundfunktion des Wirtschaftens selbst: den Austausch von Gütern und Leistungen zum Vorteil aller Beteiligten.

Es scheint an der Zeit, Marx’ Aufruf im Kommunistischen Manifest der heutigen Zeit anzupassen: Gegner dieses Systems in aller Welt, vereinigt Euch!

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