Elend der Politischen
Ökonomie (Kommentar in: „Das Blättchen“-Forum, 30. April, 2017)
Falls es noch interessiert, hier eine Nachbemerkung zum
Thema „Politische Ökonomie des Sozialismus“. Von 1963 bis 1967 war ich als
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politische Ökonomie der WiwiFak,
Fachrichtung PolÖk Sozialismus, der Humboldt-Uni tätig. Für diese Fachrichtung
hatte ich mich entschieden, weil ich während des Studiums zu der Meinung
gekommen war, dass es gerade auf dem Gebiet Sozialismus noch enormen Bedarf an
Forschung und Theorieentwicklung gab. In Zusammenarbeit mit dem Institut für
Arbeitswissenschaften Dresden forschten wir in der Lausitzer
Braunkohlenindustrie.
Herauszufinden war, wie die Arbeitsleistung der Werktätigen
zu erfassen und zu messen ist, um deren materielles Interesse an hohen
Leistungen und volkswirtschaftlicher Effektivität zu stimulieren.
Damals gab es gerade eine Neubesinnung auf die Bedeutung der „Wertkategorien“ in der Ökonomik des Sozialismus. Dies „gipfelte“ in dem von der Marxschen Werttheorie ausgehenden Vorschlag eines Professor Lendle in der Theorie-Zeitschrift „Wirtschaftswissenschaft“, die „Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv“ eines zu untersuchenden Werktätigen mit derjenigen eines in der Gewinnung von Gold beschäftigten Arbeiters zu vergleichen und entsprechend dem festgelegten Goldgehalt der Mark der DDR in dieser Währung als erbrachte Leistung auszudrücken. Ich fragte mich damals, wie das alles denn funktionieren sollte und welchen realen Sinn es haben könnte, selbst wenn es gelänge, die Beanspruchung von Hirn, Muskel und Nerv im Arbeitsprozess eines Werktätigen zu erfassen. - Hatte ich doch bei meinen Untersuchungen in der Praxis sowie bei Recherchen in Parteibeschlüssen festgestellt, dass lohnpolitische Entscheidungen und die tatsächliche Entlohnung mit irgendwelcher Leistungsmessung nichts beziehungsweise wenig zu tun hatten und primär davon abhingen, was den Menschen gezahlt werden musste (und sei es durch Tricksereien – z.B. „weiche“ Normen), damit sie überhaupt bereit waren, diese Arbeit an diesem Ort, unter diesen Bedingungen usw. zu verrichten. Nicht eine berechnete Leistung lag dem volkswirtschaftlich „richtig“ stimulierenden Lohn zu Grunde, sondern umgekehrt: ein volkswirtschaftlich sinnvoll stimulierender Lohn war Ausdruck der Leistung des bzw. der Werktätigen und letztlich deren „Wertprodukts“.
Damals gab es gerade eine Neubesinnung auf die Bedeutung der „Wertkategorien“ in der Ökonomik des Sozialismus. Dies „gipfelte“ in dem von der Marxschen Werttheorie ausgehenden Vorschlag eines Professor Lendle in der Theorie-Zeitschrift „Wirtschaftswissenschaft“, die „Verausgabung von Hirn, Muskel und Nerv“ eines zu untersuchenden Werktätigen mit derjenigen eines in der Gewinnung von Gold beschäftigten Arbeiters zu vergleichen und entsprechend dem festgelegten Goldgehalt der Mark der DDR in dieser Währung als erbrachte Leistung auszudrücken. Ich fragte mich damals, wie das alles denn funktionieren sollte und welchen realen Sinn es haben könnte, selbst wenn es gelänge, die Beanspruchung von Hirn, Muskel und Nerv im Arbeitsprozess eines Werktätigen zu erfassen. - Hatte ich doch bei meinen Untersuchungen in der Praxis sowie bei Recherchen in Parteibeschlüssen festgestellt, dass lohnpolitische Entscheidungen und die tatsächliche Entlohnung mit irgendwelcher Leistungsmessung nichts beziehungsweise wenig zu tun hatten und primär davon abhingen, was den Menschen gezahlt werden musste (und sei es durch Tricksereien – z.B. „weiche“ Normen), damit sie überhaupt bereit waren, diese Arbeit an diesem Ort, unter diesen Bedingungen usw. zu verrichten. Nicht eine berechnete Leistung lag dem volkswirtschaftlich „richtig“ stimulierenden Lohn zu Grunde, sondern umgekehrt: ein volkswirtschaftlich sinnvoll stimulierender Lohn war Ausdruck der Leistung des bzw. der Werktätigen und letztlich deren „Wertprodukts“.
Dies als Quintessenz einer Dissertation zu formulieren war
nicht möglich. Ich pfiff drauf, suchte mir eine Stelle als Arbeitsökonom in der
Wasserwirtschaft und fand mich wiederum in meinen theoretischen Überlegungen, auch
die Fragwürdigkeit einer Ware-Wert-Theorie des Sozialismus betreffend, bestätigt.
Als ich schließlich in den 1970er Jahren neben meiner
beruflichen Tätigkeit als Redakteur der Wochenzeitung Die Wirtschaft einen
allgemeinen Grundriss der gesellschaftlichen Reproduktion (und ihrer notwendigen
Erscheinungsform unter den Bedingungen einer Verteilung des gesellschaftlichen
Produkts nach der Leistung) verfasst hatte (der natürlich nicht dem
ökonomischen System des „Realsozialismus“ entsprach), stieß ich damit
erwartungsgemäß nur auf Ignoranz. Nur ein Professor Lotze aus Leipzig
antwortete mir - ich möge die Sache in der Schublade lassen. Denn es sei „eine
Atombombe“.
Groll lag mir allerdings stets fern, weil mir die Vielfalt
der Ursachen für Einsichten und Unverständnis, für Zustimmung und Ablehnung
immer bewusst war. Vor allem dies: Der unerbittliche Überlebenskampf dessen,
was Sozialismus genannt wurde, mit einem ökonomisch weit überlegenen Gegner,
der erst nach seinem (Pyrrhus)Sieg der Welt sein wahres Gesicht zeigen sollte,
ließ in der östlichen Hemisphäre – in der Summe eines allgemeinen
„Kräfteparallelogramms“ (K. Liebknecht) - nicht mehr Freiheit für die
Wirtschaftswissenschaft zu. Doch mein Trost: Die größere Freiheit, die dieser
Wissenschaft in der westlichen Welt vergönnt war, war gepaart mit ebenso großer
Verantwortungslosigkeit ihrer Akteure und entsprechenden theoretischen
Fehlleistungen; auch wenn dafür Nobelpreise quasi wie „Perlen vor die Säue
geworfen“ wurden – wie sich mein Klassenlehrer Dr. phil. Hans Weidling
seinerzeit an der Oberschule Falkensee im Zusammenhang mit fragwürdiger Benotung von Schülerleistungen auszudrücken pflegte.
.
.
Dazu Antworten
Heino
Bosselmann sagt:
1. Mai 2017 um
12:17
Sehr
interessant. Und charmant geschrieben. So dass der Text, finde ich, einen
Hauptbeitrag wert wäre. – Gedanken: Nach dem, was ich brüchig aus dem
„marxistisch-leninistischen Grundlagenstudium“ erinnere, ging „Pol. Ök. Kap.“
mathematisch in Ordnung, diente aber vorzugsweise der Kritik, während „Pol. Ök.
Soz.“ im Logischen schwierig zu handhaben war und als eine Art Verklärung
fungierte. Ideologisch, klar. (Auf das Bonmot, den Kapitalismus habe ja
wenigstens niemand erst erfinden müssen, den Sozialismus – mindestens in seiner
konkret wirtschaftlichen Gestalt – aber schon, reagierte ich immer mit
bedauerndem Kopfnicken.) – Noch pauschaler und banausiger: Im nachhinein
wundere ich mich immer, dass es die paar Jahrzehnte lang überhaupt irgendwie
funktioniert hat, und das sogar mit schwachen Partnern im Osten und starken
hämisch-missgünstigen Gegnern im Westen. – Sachlicher: Ich könnte mir
vorstellen, dass solche redlichen und qualifizierten Kenner wie Sie, Herr
Hummel, um die Grenzen und Möglichkeiten „unseres“ famosen Experiments genau
wussten. Wie ging man damit um? Gab es hochinoffizielle „Thinktanks“, wo man
unter Experten ein offenes Wort aussprechen konnte? Rief Gerhard Schürer mal
durch? (Lebte man gar vom „Prinzip Hoffnung“, insofern ja etwa Jürgen Kuczynski
den Untergang des Kapitalismus alle vierzehn Tage neu orakelte und offenbar,
darin beinahe einem Paulus gleichend, noch zu seinen Lebzeiten zu erleben
meinte, in seiner Voraussagen des Hinüberwachsens der zyklischen Krisen des
Kapitalismus in die große allgemeine, die dann uns als Sieger dastehen ließe.)
– Wer nun wirklich in der „Pol. Ök. Soz.“ wissenschaftlich zu Hause war, der
wird das Knirschen im Getriebe rechtzeitig vernommen haben. Und dort, wo die
„Pol. Ök. Soz.“ sinnvoll arbeitete, wird sie, stelle ich mir vor, eine Variante
der „Pol. Ök. Kap.“ in etwa im staatskapitalistischen Sinne gewesen sein –
schon weil wir die Regeln auf der Welt nicht allein machten, sondern im
Haifischbecken der großen kapitalistischen World-Player wacker rudern mussten.
Recht haben Sie auch darin: Wir waren wohl Philemon und Baucis. Nachdem wir
zwar nicht vernichtet, aber eingekauft und den Reproduktions- und
Wertschöpfungskreislauf der anderen einbezogen waren, gab’s bei der Verwurstung
des Planeten gar kein Halten mehr; und mittlerweile sind
Ökonomismus/Konsumismus der einzige Kitt, der die „Demokratie“ als bloß utilitaristisches
Prinzip zusammenhält. – Herzlichen Dank jedenfalls für diesen Beitrag. Ich fand
Ihre Website und die Bücher. –
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