Montag, 22. Oktober 2007

Nachlese

Klärung eines scheinbaren Widerspruchs

Hier soll ein Widerspruch aufgelöst werden, der zwischen dem, was ich 1989 schrieb, und dem, was ich später dann festgestellt habe, zu bestehen scheint. Bis in die 1990er Jahre hinein war mir der innere Wandel der westlichen Gesellschaft, den diese durch die Fortentwicklung ihres Geldwesens (insbesondere durch die Kündigung des Abkommens von Bretton Woods) erfahren hatte, nicht bewusst, weil ich mich mit ihr so gut wie gar nicht theoretisch auseinandergesetzt, mich nur mit dem Sozialismus beschäftigt hatte. In Auseinandersetzung mit Reformvorschlägen hochrangiger Mitarbeiter der Staatsbank der DDR, die gleich nach dem Fall der Berliner Mauer forderten, „die Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße (zu) stellen“ und „Schluß mit einer überzentralisierten Kommandowirtschaft“ zu machen, „in der die Leitung der materiellen Prozesse dominierte und das Geld eine sekundäre Rolle spielte“ („NBI“, Nr. 50/89), bemerkte ich (in „Was kann unser Geld?“): „Wer … die jetzige Wirtschaft ‚vom Kopf auf die Füße’ stellen will, indem er anstelle der Dominanz materiell-sachlicher Strukturentscheidungen einen Steuerungsmechanismus mit finanziellen Instrumentarien setzt, wird innerhalb kurzer Zeit noch größeren Schiffbruch erleiden als die bisherigen Strategen. Denn unser „Geld“ ist kein wirkliches Geld im Sinne eines allgemeinen Äquivalents in einer warenproduzierenden Gesellschaft, das man ohneweiteres in ein Steuerungsinstrument der Wirtschaft verwandeln könnte. Als gesellschaftliche Quittung für geleistete Arbeit müsste man es erst in ein solches (wirkliches allgemeines Äquivalent) verwandeln, indem man tatsächlich zuerst nicht nur die Wirtschaft, sondern die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse umkrempelt und die Wirtschaft reprivatisiert, kurz: monopolkapitalistische Verhältnisse schafft – mit all ihren Folgen für die Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte zwischen hoch industrialisierten Staaten und der Mehrheit der unterentwickelten Welt, mit ihren Folgen für soziale Sicherheit und Harmonie, für Ökonomie, Ökologie und Kultur nicht nur in unserem Lande, sondern in der Welt.“ (Seit nunmehr siebzehn Jahren wissen wir, dass diese Entwicklung auch ohne die Sozialismus-Reformer, „dank“ der D-Mark-Einheit, eingetreten ist.)



Nachdem mir die ganze revolutionierende Bedeutung der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods durch die USA (aus dem Jahre 1971) bewusst geworden war, stellte ich (unter anderem) 2007 in meinem Aufsatz „Warenwert, wo bist du geblieben?“ fest: „Eine entwickelte ökonomische Theorie dieser neuen Gesellschaft, die dem neuen Wesen der ökonomischen Verhältnisse gerecht wird, gibt es bislang nicht. Sie müsste den Reproduktionsprozess primär als gesellschaftlichen Lebens- und Aneignungsprozess der Natur betrachten und daraus das ganze Finanz- und Steuerungsinstrumentarium der heutigen Realität als spezifische Erscheinungsformen einer dem Wesen nach bereits gesellschaftlichen Kostenrechnung sowie Verteilung von Leitungs- und Entscheidungskompetenzen an Personen und Institutionen erklären. … Eine solche Theorie kann nur die Aufgabe haben, das Wesen unserer heutigen ökonomischen Verhältnisse richtig zu erfassen, die ökonomischen Vorgänge besser zu verstehen und auf diese Weise Voraussetzungen für sachgerechte ökonomische Entscheidungen zu schaffen. Eine solche Theorie kann aber nicht noch einmal den Ausgangspunkt für ein wie auch immer geartetes, zu gestaltendes Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell sein. Gleichwohl kann sie die prinzipiellen Möglichkeiten und Anforderungen einer gesellschaftlichen Steuerung des Reproduktionsprozesses offenlegen. Nach jetzigem Erkenntnisstand gehört dazu vor allem die Beherrschung und Kontrolle des Finanzsystems im Interesse aller. Solche Kontrolle gehört heute zu den vordringlichsten Aufgaben des Staates als Hüter des Gemeinwohls. Denn das geistige Verharren dieser ganzen Gesellschaft in der Vorstellungswelt der kapitalistischen Warenproduktion bringt Verhaltens- und Handlungsweisen hervor, die geradezu Wahnvorstellungen entspringen, wie die Vorgänge an den internationalen Finanzmärkten zeigen. Sie entspringen dem unerschütterlichen Glauben an des Geldes, also des Wertes Selbstvermehrung, der die Weltwirtschaft mehr und mehr in ein Spielcasino verwandelt, dessen Akteure nur noch einem Phantom nachjagen. Denn das Geld als Wert, für den sie in ihrer Gier kein Risiko und kein Verbrechen scheuen, ‚selbst auf Gefahr des Galgens’ (wie Karl Marx den ‚Quaterly Reviewer’ von 1868 zitierte), hat sich längst aufgelöst in ein ganz allgemeines, weder von irgendjemandem garantiertes noch quantifiziertes Versprechen auf Lieferung von Sachen und Leistungen. Alles Private hat es verloren, seine Gesellschaftlichkeit ist perfekt.“

Eine solche gesellschaftliche (staatliche) Kontrolle des Finanzsystems wäre das gerade Gegenteil von dem, was die Reformer der Staatsbank der DDR 1989 vorhatten. Sie müsste nämlich mit der allgemeinen, verbreiteten Illusion aufräumen, hinter der Selbstvermehrung des Geldes und der Finanzen überhaupt verberge sich vermehrter Reichtum der Gesellschaft. Das aber würde bedeuten, nicht mehr weiterhin das „Geld“, den realisierten „Wert“ zum Zweck allen Wirtschaftens zu machen, sondern den materiell-sachlichen Gebrauchswert, indem die Gesellschaft, der Staat oder sein wirtschaftsleitendes Organ, „überflüssiges Geld“ wegsteuert oder umverteilt.

Wie seinerzeit die DDR steht auch die heutige Gesellschaft vor dem gleichen Problem – dem falschen Verständnis (nicht nur der Theoretiker) von den ökonomischen Gegebenheiten. Doch während der damalige Sozialismus sich als solcher verstand und die Wirtschaft den gesellschaftlichen (staatlichen) Zwecken unterordnete, indem er die „Macht des Geldes“ brach, gleichzeitig aber an des Geldes und dessen Gesetze Existenz glaubte und so mit diesem „Geld“ Misswirtschaft betrieb, glaubt diese heutige Gesellschaft immer noch wie vor einhundertundfünfzig Jahren an die private Warenproduktion mit ihren ökonomischen Gesetzen, einschließlich denen des Geldes. Sie kann nicht glauben – und noch viel weniger verstehen -, dass auch sie bereits unter den ökonomischen Grundbedingungen der neuen Gesellschaft (genannt „Sozialismus“, den sie wie der Teufel das Weihwasser fürchtet) lebt, in denen das „Geld“ eben kein Geld mehr, sondern ein Arbeitszertifikat ist, weshalb die Wirtschaft der gesellschaftlichen Kontrolle des Finanzsystems bedarf. Sie sieht und versteht das nicht und leidet daher an dem Widerspruch zwischen Sein und Bewusstsein von den realen Existenzbedingungen, welche der Realsozialismus zwar unter seine Kontrolle und Steuerung bringen wollte, aber infolge seiner falschen Wahrnehmung nicht optimal konnte, während diese heutige Gesellschaft – ebenfalls infolge falscher Wahrnehmung – dies weder kann noch will (weil der Traum vom - privaten - Reichtum so süß ist), obwohl es dringend erforderlich wäre.

Und auch für das Verständnis der heutigen ökonomischen Wirklichkeit gilt gleichermaßen, was ich 1989 in „Was kann unser Geld“ für die DDR-Wirtschaft entwickelte: Da die vergegenständlichte Arbeit als solche nicht messbar ist (sie wird ja als zur Produktion eines bestimmten Erzeugnisses notwendige Arbeit nicht – wie unter den Bedingungen tatsächlicher Warenproduktion – im Gebrauchswert eines anderen Produkts wirklich gemessen, weil nicht wirklich im freien Spiel der sozialen Kräfte ausgetauscht), ist sie für die sozialistische Gesellschaft nur dadurch quantifizierbar, dass die Gesellschaft sie in ihrer noch lebendigen Daseinsform erfasst und über ihren weiteren Verbleib (Bewegung durch den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß) Buch führt.

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