Montag, 22. Oktober 2007

Neuer ökonomischer Denkansatz der LINKEN gefragt

Bemerkungen zum Positionspapier der „Kommunistischen Plattform“ betreffend den Sozialismus im 21. Jahrhundert (Material des Landeskoordinierungsrates der KPF in der Partei DIE LINKE des Landes Brandenburg für die 3.Tagung der 13.Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform am 10. November 2007)



Die Bundeskonferenz der KPF beschloss am 10. November 2007, das Positionspapier allen Landeskoordinierungsräten der KPF zur Diskussion und Präzisierung zu übergeben und im I. Quartal 2008 sich auf Bundesebene darüber zu verständigen, wie mit den dann vorliegenden Ergebnissen der Sozialismusdebatte im Rahmen der Programmdiskussion der Partei DIE LINKE umgegangen wird. Im Folgenden soll zu einigen insbesondere die Ökonomie betreffenden Aussagen des Papiers Stellung genommen werden:

„Wir vertreten die Auffassung, dass der globalisierte Kapitalismus nicht im Interesse der Mehrheit der Menschen reformierbar ist. Er muss überwunden werden. Dazu ist die Veränderung des Bewusstseins der Menschen eine unabdingbare Voraussetzung. Unsere Forderungen sollen diese Bewusstseinsbildung bestärken.“

Wie anders soll er überwunden werden als durch Reformen? (Immerhin ging er ja selbst aus einer Reform der „sozialen Marktwirtschaft“ hervor, nachdem der Sozialismus als Weltsystem in einem 40jährigen Wirtschaftskrieg niedergerungen worden war. Dieser hatte den Kapitalismus gezwungen, nicht nur eine soziale Maske zu tragen, sondern sich auch in mancher Hinsicht tatsächlich sozial zu verhalten.) Soll noch einmal eine Große Sozialistische … Revolution, nicht nur in Russland, sondern auf dem ganzen Globus stattfinden? Auch der Weg von Reformen erfordert Veränderungen im Bewusstsein der Menschen, die aber wohl kaum aus politisch-ökonomischen Forderungen einer Partei resultieren, sondern aus der durch die Partei vermittelten Einsicht in die Erfordernisse der veränderten Realität und deren verschärfte Widersprüche. Die Veränderungen in der politisch-ökonomischen Realität am Beginn des 21. gegenüber dem vorigen Jahrhundert betreffen nicht nur die Globalisierung der ökonomischen Beziehungen der Gesellschaft, also den quantitativen Rahmen ihres Produzierens und Austauschs sowie deren Dimensionen. Noch wichtiger ist der qualitative Wandel, der sich im Verlaufe des ganzen vorigen Jahrhunderts vollzog und seinen krönenden Abschluss bereits 1971 mit der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods durch die USA fand. Die damit verbundene Verwandlung der (auch kapitalistischen) Währung, also des Geldes, aus einer (allgemeinen und zugleich besonderen) Ware in ein Arbeitszertifikat schuf im Schoße des alten Systems und der alten Machtverhältnisse (und auch des überkommenen gesellschaftlichen Bewusstseins von den eigenen Existenzbedingungen) qualitativ neue ökonomische Beziehungen der Menschen.

Vgl. Amerikas Geniestreich, unter: http://heerkehummel.googlepages.com/amerikasgeniestreich

„Dreh- und Angelpunkt für die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ist eine breite Basis vergesellschafteten Eigentums. Nur auf dieser Grundlage kann der sozialistische Staat Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen, kulturellen und rechtlichen Situation im Interesse der gesamten Bevölkerung durchsetzen.“

Was soll das sein und wie soll es entstehen, das vergesellschaftete Eigentum? Soll das ehemalige Sozialismusexperiment noch einmal von vorn beginnen, oder soll ein ganz neues Experiment einsetzen? In dieser Aussage des Positionspapiers äußert sich ein zentrales Missverständnis der ganzen realsozialistischen wie auch der neosozialistischen Bewegung von den inneren ökonomischen Beziehungen sowohl des dahingegangenen Realsozialismus als auch des realen Kasinokapitalismus der Gegenwart.

Das ganze weltweit agierende „Kapital“ ist seinem Wesen nach bereits vergesellschaftet. Diese Vergesellschaftung vollzog sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung des Geldes aus einer („allgemeinen“) Ware zu einem Arbeitszertifikat und damit gleichzeitig zu einem Anteilschein am gesellschaftlichen Produktivvermögen. Und der Staat als Herausgeber und Hüter des Geldes (in Gestalt der Währung) trägt die Verantwortung dafür, dass mit diesem seinem Geld tatsächlich Erzeugnisse des gesellschaftlichen Produktionsprozesses gekauft werden können. (Früher, bis 1971, war er nur dafür verantwortlich, dass dieses Geld gegen seinen nominellen Goldgehalt eintauschbar ist.) Die (bürgerlichen) Regierungen der Welt scheinen diese ihre eigene Verantwortung mehr zu spüren als aus den tieferen (theoretischen) ökonomischen Zusammenhängen heraus zu verstehen und bemühen sich daher verzweifelt – vor jeder neuen Krise des internationalen Währungssystems zitternd -, in koordinierter Aktion das Finanzsystem der Welt zu „managen“, einigermaßen unter Kontrolle zu halten und seinen Kollaps zu verhindern. In diesem Bemühen sind sie gebremst und gefangen durch ihre illusionistischen Vorstellungen von privater Wirtschaft, privaten Interessen, privatem Reichtum usw.

Zu den wichtigsten Aufgaben sozialistischer Regierungen, sozialistischer oder Linker Regierungsmacht (beispielsweise im Rahmen der EU) auf ökonomischem Gebiet wird es daher gehören, das ganze Währungs- und Finanzsystem einer strengen gesellschaftlichen (staatlichen) Kontrolle zu unterwerfen und so zu gestalten, dass einerseits ein hohes Maß an Eigenverantwortung in der Wirtschaft möglich und erhalten bleibt, gleichzeitig aber der widersinnige und in vieler Hinsicht zerstörerische Wachstumsdrang aus der Wirtschaft genommen wird. Dazu bedarf es sowohl einer direkten Verbindung von staatlicher Finanz-, Geld- und Wirtschaftspolitik (denn das Geld „entsteht“ direkt in der Wirtschaft als deren ökonomisches Maß und Instrument) als auch eines neuen ökonomischen Denkansatzes, der sich der veränderten Bedingungen in der ökonomischen Basis der Gesellschaft, der bereits gegebenen allgemeinen Gesellschaftlichkeit ihrer inneren ökonomischen Beziehungen und Erscheinungen bewusst ist. Gesetzliche Regelungen der Staatsgewalt für bedeutende ökonomische Zusammenhänge sind unter den neuen Bedingungen seit 1971 nicht nur möglich, sondern dringend erforderlich, weil eine Regulation über den Warenaustausch auf dem Markt nicht mehr möglich ist, seitdem das Geld keine Ware mehr ist.

Die in dem Positionspapier erwähnte „breite Basis gesellschaftlichen Eigentums“ als „Dreh- und Angelpunkt für die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung“ ist also dem Wesen nach seit geraumer Zeit gegeben. Und es kommt „nur noch“ darauf an, die Machtverhältnisse zu verändern und den ganzen gesellschaftlichen Überbau der bereits vergesellschafteten Basis anzupassen.

Siehe auch: H. Hummel, Warenwert, wo bist du geblieben?, unter: http://heerkehummel.googlepages.com/warenwert%2Cwobistdugeblieben%3F

H. Hummel, Bürger aller Länder vereinigt euch!, unter:

http://heerkehummel.googlepages.com/b%C3%BCrgerallerl%C3%A4ndervereinigteuch

H. Hummel, Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag, Halle (Saale) 2005, www.projekte-verlag.de oder unter:

http://heerkehummel.googlepages.com/finanzgesellschaft

„Auch im Sozialismus des 21. Jahrhunderts werden Geld und Preis als Instrument zur Wirtschaftsführung weiter bestehen. Die Preisbildung kann jedoch nicht dem blinden Wirken des Marktes überlassen bleiben. Der Preis muss alle volkswirtschaftlichen Aufwendungen, insbesondere die Folgen für die Umwelt, einschließen. Die Preisbildung hat einer staatlichen Kontrolle und Aufsicht zu unterliegen.“

Will man wirklich wieder zu den Verhältnissen des Realsozialismus zurück? Das Geld war auch damals kein Geld im Marxschen Verständnis. Der damalige Widersinn bestand gerade darin, dass der sozialistische Staat mit einem ungeheuren Aufwand berechnen und in planmäßigen Preisen festlegen wollte, was sich auf einem Markt von selbst als notwendig erwiesen und durchgesetzt hätte. Das ökonomisch Problematische im Realsozialismus bestand darin, dass
das Preissystem nicht flexibel war und deshalb die Preise nicht den Erfordernissen der Reproduktion entsprechen konnten. Sie entsprachen weder dem realen gesellschaftlichen Aufwand noch vermochten sie volkswirtschaftlich richtig zu stimulieren, ja, oftmals „verboten“ sie im Zusammenwirken mit anderen Plankennziffern direkt ein volkswirtschaftlich vernünftiges Handeln;
die Wirtschaftseinheiten (Betriebs- und Kombinatsleitungen) viel zu wenig Eigenverantwortung für die Gestaltung ihres und des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses besaßen.Das alles hatte seine historischen Ursachen. Siehe auch: H. Hummel, Wesen und Erscheinung sozialistischer Produktionsverhältnisse, unter: http://heerkehummel.googlepages.com/wesenunderscheinungsozialistischerproduk

Künftig aber ist von den aktuellen Gegebenheiten auszugehen. Auf der Basis der heute bereits bestehenden neuen ökonomischen Verhältnisse kann eine sozialistisch orientierte Staatsmacht durch ihre Geld-, Steuer-, Haushalts- und Finanzpolitik mittels ihrer Gesetzgebung – und nicht zuletzt mit Kalkulationsrichtlinien – bei hoher Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen (insbesondere für die sachlichen Beziehungen) Einfluss auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses entsprechend gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen nehmen. Infrage kommen beispielsweise solche Maßnahmen wie Umverteilung von Finanzmitteln über den Staatshaushalt durch Steuern und Zuschüsse, Festlegung von Unter- und Obergrenzen für Verfügungsrechte über Fonds (einschließlich privater Einkommen), Löhne und Gehälter, Finanzvermögen usw.

Siehe auch: H. Hummel, Reale Utopie und utopische Realität, unter:

http://heerkehummel.googlepages.com/realeutopieundutopischerealit%C3%A4t

„Wir akzeptieren den Gewinn als Maßstab ökonomischer Leistungsfähigkeit, nicht jedoch Profit und Aktienkurs als Kriterium zur Entwicklung der Weltwirtschaft. Der gegenwärtig zerstörerische globalisierte Wettbewerb um die international niedrigsten Kosten und höchsten Profite muss unterbunden werden, um die Verarmung der Menschen in den Industrie- und vor allem in den Entwicklungsländern zu stoppen. Börsen und Spekulationsfonds sind mit einer sozialistischen Gesellschaft nicht vereinbar. Gelderträgen ohne Arbeit ist der Boden zu entziehen. Wir unterstützen Maßnahmen, die die Macht des internationalen Finanzkapitals beschneiden, die Unabhängigkeit der Volkswirtschaften von der Erpressung globaler Finanzfonds herstellen und Spekulationen hoch besteuern.“

Diese völlig richtige Orientierung bedarf einer noch stärkeren politökonomischen, reproduktionstheoretischen Untermauerung. Denn es geht bei alledem nicht um sozialistisch-humanistische Moral und Ethik, sondern um ökonomische und heute zunehmend ökologische Erfordernisse einer objektiven Notwendigkeit, damit die gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Entwicklung dieser Welt störungsfrei, im Interesse der ganzen Menschheit und ihres Fortbestandes sich vollziehen kann.

Abzuleiten also wäre diese Orientierung aus den veränderten inneren ökonomischen Beziehungen dieser Gesellschaft, deren Geld bereits ein Arbeitszertifikat, eine Bescheinigung für geleistete Arbeit ist und als solche in der Produktion „entsteht“. Die Selbstvermehrung des Geldes durch Zinsnahme und Spekulation jeglicher Art ist ein Anachronismus der heutigen Gesellschaft, zumal dieses Geld eben kein Reichtum mehr ist, sondern nur einen Anspruch auf solchen postuliert. Den ungeheuren Finanzvermögen in der heutigen Welt stehen aber nur zu einem Bruchteil Realvermögen gegenüber und zum großen Teil riesige Berge öffentlicher und privater Schulden, die schon nicht mehr abzutragen sind. Siehe auch: H. Hummel, „Zins als Anachronismus“, unter: http://heerkehummel.googlepages.com/zinsalsanachronismus

„Wir schätzen ein, dass Systemveränderungen offenkundig im Gefolge objektiver weltpolitischer Entwicklungen eintreten werden. Bereits gegenwärtig sind der Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte vorrangig durch den Verfall der Leitwährung Dollar, das Zuschnappen der grandiosen Schuldenfalle des „tönernen Riesen“ USA, eine weltweite Ölkrise, das weitere Erstarken Chinas und anderer Entwicklungsländer sichtbare Kennzeichen derartiger Veränderungen. Diese werden nicht nur die Weltwirtschaft, sondern das weltweite kapitalistische System als Ganzes erschüttern.“

Richtig! Das bedeutet aber auch, dass sich der weitere Wandel der heutigen Gesellschaft voraussichtlich eben doch als ein schrittweiser Prozess der Reformierung durch zunehmende gesellschaftliche Beherrschung und Kontrolle der ökonomischen Entwicklung, insbesondere des Finanzsystems, vollziehen wird. In diese Richtung gehen ja bereits viele Bemühungen auf internationaler Ebene. Aber sie sind bisher immer noch geprägt von der alten bürgerlichen Vorstellungswelt, die das Geld als tatsächlichen Reichtum begreift, in erster Linie von privaten Personen und Gesellschaften in einer Waren produzierenden Gesellschaft – wie vor 150 Jahren! Wen wundert da die Erfolglosigkeit?

Und auch die ganze linke, sozialistische Bewegung hat sich mit ihrem theoretischen Verständnis von der „bürgerlichen“ Ökonomie in all den langen Jahren kaum über die seinerzeit zutreffende Kapital-Analyse von Karl Marx hinausbewegt. Daher warten viele immer noch oder nun wieder auf eine große Aktion des Proletariats, mit der das vermeintliche Privateigentum vergesellschaftet werden soll – nicht begreifend, dass sich all das längst hinter dem Rücken der Gesellschaft vollzogen hat, wenn auch – im Westen - nicht als proletarische Revolution, sondern im Selbstlauf als Reaktion des Bürgertums auf den Druck der ökonomischen Verhältnisse.

Unter diesem Druck wird das konservative Bürgertum auch weiterhin in sehr kleinen Schritten auf die objektiven Erfordernisse reagieren und seine Reproduktionsbeziehungen reformieren. Sein Traum vom Privateigentum wird es weiterhin blind machen für die Vergesellschaftung, die sich längst vollzogen hat - auch in den Eigentumsverhältnissen.

Um so mehr ist es die Aufgabe der LINKEN, ein neues ökonomisches Denken auf einer neuen theoretischen Basis zu entwickeln und zum Durchbruch zu verhelfen. Dieses Denken muss den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess als Aneignungsprozess der Natur durch die Gesellschaft verstehen, gestalten und führen – frei aller Wahnvorstellungen von ökonomischem Wachstum durch Kapitalverwertung. Es wäre der entscheidende Schritt zum Sozialismus im 21. Jahrhundert.

Siehe auch: H. Hummel, Abschied vom „Marxismus“, unter: http://heerkehummel.googlepages.com/abschiedvommarxismus; H. Hummel, Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag, Halle 2005, oder unter: http://heerkehummel.googlepages.com/finanzgesellschaft

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