Montag, 22. Oktober 2007

Schlaraffenland

(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 22/2007)

Wer wünschte sich nicht einen Hauptgewinn in Frank Elstners ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“; etwa eine monatliche Sofortrente von 7.500 Euro? Ach, so um die 1000 Euro würden den meisten ja auch schon genügen. Das wird nun jedem, ob er mitspielt oder nicht, in Aussicht gestellt – jedenfalls wenn es nach dem Willen der rund 300 Teilnehmer des 2. deutschsprachigen Grundeinkommens-Kongresses ginge, der Anfang Oktober an der Universität Basel veranstaltet wurde.

Organisiert wurde das Treffen der Akteure aller politischen Parteien und sozialen Schichten – zu den Befürwortern der Grundeinkommensidee gehört der Gründer und Besitzer der Drogerie-Kette „DM“, Götz Werner, ebenso wie die Stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Katja Kipping - von sogenannten Netzwerken Grundeinkommen sowie Attac-Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Deren Bestreben ist es, allen „Menschen in einer Gesellschaft“ einen „individuellen Rechtsanspruch“ auf ein Grundeinkommen zu verschaffen, das existenzsichernd ist und bedingungslos, also beispielsweise „ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitsnachweis und ohne Arbeitsverpflichtung“ ausbezahlt werden sollte. In Basel nun diskutierte man über das Grundeinkommen als Menschenrecht, über den Arbeitsbegriff und das Menschenbild in Bezug auf das Grundeinkommen, über Entwicklungen im Arbeitsmarkt und bei der Beschäftigungspolitik, über Finanzierungsmodelle von Grundeinkommen und vieles andere mehr.

Obwohl die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auf dem Vormarsch ist – die Kongresse, vor zwei Jahren in Wien und nun in Basel, belegen es -, sehen sich ihre Protagonisten mit heftigen Widerständen konfrontiert. Gerade die marxistische Linke, beklagte Werner Rätz als Mitglied des deutschen Netzwerks Grundeinkommen im Vorfeld der Baseler Veranstaltung, habe bisher systematisch auf die Rolle der Arbeit gesetzt. Die Vorstellung von einer anderen Gesellschaft sei immer damit verbunden gewesen, „dass aus der Erwerbsarbeit heraus verändert oder revolutioniert wird“. Das habe große Teile der Arbeiterbewegung über ein Jahrhundert geeint, und die Vorstellung, sich davon lösen zu müssen, sei natürlich für viele erstmal ungewohnt und schwierig.

Aber hat denn die marxistische Linke, so ist zu fragen, den Gedanken einer großen revolutionären Umwälzung nicht ohnehin längst über Bord geworfen? Und ging es ihr überhaupt – im Zusammenhang mit der Rolle der Arbeit – vordergründig darum? Für Friedrich Engels jedenfalls hatte die Arbeit eine viel grundsätzlichere Bedeutung, indem sie maßgeblich zur Menschwerdung des Affen beitrug. Heute, da der Kreationismus, die Lehre von der göttlichen Schöpfung, sich wieder ausbreitet und sogar ins Schulwesen drängt, kann die marxistische Erkenntnis nicht genug verteidigt und beherzigt werden. Denn das Elend der rund vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland (vor allem der jugendlichen) besteht weniger darin, dass sie darben, als vielmehr darin, dass sie seelisch, moralisch und vielfach auch körperlich verkrüppeln, unter einer Sinnentleerung ihres Lebens leiden. Mit mehr Geld – so wünschenswert das wäre – hülfe man ihnen nicht grundsätzlich. Arbeit brauchen sie, jeder einzelne, eine sinnvolle Betätigung und ein ausgewogenes Pendeln zwischen Rechten und Pflichten, zwischen Schaffen und Konsumieren. Bezieher eines Grundeinkommens täten das von sich aus, meinen dessen Verfechter. Von Ausnahmen abgesehen scheint aber die heutige Wirklichkeit mit Millionen (wenn auch mehr schlecht als recht) bezahlten Arbeitslosen etwas anderes erwarten zu lassen. Und der Glaube, die Arbeit der so staatlich Versorgten würde die Wirtschaft nichts kosten, so dass Arbeitsplätze entstünden, trügt. Der Staat, die Gesellschaft als ganze trüge die Kosten - zu Gunsten der (privaten) Wirtschaft und bei Aufgabe des Leistungsprinzips, bei allgemeiner Gleichmacherei.

Die Gesellschaft braucht die Teilnahme jedes einzelnen Individuums sowohl an der Schaffung als auch am Verbrauch des erzeugten Reichtums. Sonst funktioniert ihre eigene Reproduktion nicht. Die heutige Misere besteht ja gerade darin, dass die einen, die „Besserverdienenden“, gar nicht mehr in der Lage sind, ihren Verdienst zu konsumieren, während die anderen mit ihrem Einkommen nicht auskommen und sich verschulden müssen, damit der sachliche Reichtum, der erzeugt worden ist, verbraucht werden kann. Andererseits steht Millionen Arbeitslosen ein gewaltiger Berg ungetaner Arbeitsaufgaben der Gesellschaft gegenüber. Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen gehören dabei vielleicht zu den bedeutendsten Problemfeldern. Gewiss, hinter uns liegen Jahrzehnte einer Realität, in der „die Gesellschaft“ alles, das Individuum aber wenig, oftmals nichts gelten sollte. Dieses System hat sich als nicht überlebensfähig erwiesen. Aber ist das ein Grund, ins gegenteilige Extrem zu verfallen und jedem Bürger ein grundsätzliches Recht zur Konsumtion auf Rechnung der Gesellschaft, ohne jegliche Pflicht zu gesellschaftlich notwendiger Arbeit, einzuräumen?

Die Annahme, die Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde ganz neue Potenzen der Individuen wie auch der Gesellschaft insgesamt freisetzen und letzterer sogar neue Impulse verleihen, dürfte sich bald als ein Trugschluss erweisen. Wenn auf dem Kongress beklagt wurde, die Menschen würden ihre Ansprüche zurückschrauben und aus Verzweiflung jede Arbeit annehmen (müssen), so ist doch zu fragen: Ja, wer soll uns denn die weniger attraktiven Aufgaben, die etwa bei der Müllbeseitigung anstehen, abnehmen – vielleicht Kulis aus Asien und Afrika? Auch denen stünde ein Grundeinkommen zu, wenn es sich tatsächlich um ein allgemeines Menschenrecht handelte. Warum aber sollten sie oder irgendsonstjemand dann für andere die Dreckarbeit (heute spricht man vornehm von „prekärer“ Arbeit) übernehmen? Die gesellschaftliche Reproduktion wird nicht funktionieren, wenn jeder lernt und arbeitet, wann und wozu er Lust hat, denn sie erfordert ein Mindestmaß an Ordnung, Organisation und Disziplin. Eine sozialutopische, individualistische Chaoswirtschaft wäre gegenüber anderen Zivilisationen nicht weniger überlebensgefährdet als seinerzeit die realsozialistische „Kommandowirtschaft“ mit ihrem Mangel an Flexibilität infolge zu geringer Eigenverantwortung der Betriebe und Wirtschaftsorganisationen.

Aber zwischen beiden Extremen gibt es einen Mittelweg, der die heutige illusionäre Selbstvermehrung und realwirtschaftlich leistungslose Aufblähung des Finanzsystems zu überwinden hätte. Die Lösung der dringenden ökonomischen und sozialen Probleme der Gegenwart erfordert nicht die Gestaltung eines „Schlaraffenlandes“ (das auch den weltweiten Migrationsdruck weiter erhöhen würde), sondern die Kontrolle und Regulierung des (internationalen) Finanzsystems durch die Gesellschaft. Auf diese Weise könnte und müsste ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden hin zu einer tatsächlichen Leistungsgesellschaft, in der – wie der verstorbene Andre Gorz gefordert hatte – jeder Mensch ein Recht auf ein anständiges Leben hat, das er dank Beschäftigungs- und Mindestlohgarantie auch realisieren kann. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine allgemeine Aufklärung über das Wesen der heutigen (Finanz-) Gesellschaft voraussetzt. Wird diese Einsicht nicht durch Aufklärung erreicht, so werden die ökonomischen Realitäten mit ihren Verwerfungen sie früher oder später erzwingen.

(Siehe auch: H. Hummel, Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag, Halle, 2005, ISBN 3-86634-048-6)

Gästebuch („Das Blättchen)


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Geschrieben von: Ralf Peters am 07.12.07
um 09:21
Auch Ihr habt nun das Thema Grundeinkommen aufgenommen. Mal abgesehen davon, dass man damit ganze Diskursbücher füllen könnte: Bei Euch steht ein selbstdenkender Heerke Hummel gegen einen Klassikerberufungskünstler (R. Blaschke.Und nun?
Ralf Peters, Oldenburg



Erwiderung auf Ronald Blaschke
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Heft 26 / 2007)

Im „Blättchen“, Nr. 24/2007 hat R. Blaschke auf den oben stehenden Artikel geantwortet. Er wirft mir u. a. vor, den emanzipatorischen Gehalt der Marxschen Kritik an der entfremdeten Arbeit nicht zu reflektieren. Diese Absicht hatte ich auf dem knappen Raum eines „Blättchen“-Artikels umso weniger, als ich bei meiner Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens von den realen Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft ausgehe. Ich halte es eben für erforderlich, die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft (auch unter veränderten politischen Machtverhältnissen) über ein „System materieller Anreize“ (womit ich nicht das heutige Verteilungssystem des Finanzkapitalismus meine) zur sinnvollen Einordnung in den gesellschaftlichen Arbeits- und Reproduktionsprozess mit seinen Erfordernissen zu bewegen. Und ich denke, dass nicht die Pflicht zur Arbeit diese dem Menschen entfremdet, sondern die spezifisch kapitalistische Art und Weise ihrer Durchsetzung (als Verkauf der Ware Arbeitskraft). Nicht dass der Einzelne sich an der gesellschaftlichen Produktion beteiligen muss, um sein Recht zur Teilnahme an der Konsumtion (nach Maßgabe seiner Teilhabe) zu sichern, entfremdet ihn seiner Arbeit, sondern dass er nicht im Bewusstsein seiner eigenen Gesellschaftlichkeit am Produktionsprozess teilnimmt bzw. teilnehmen kann, weil die heutige Art und Weise der Produktion und Verteilung (und auch deren Leitung und Kontrolle) privaten Interessen, Zielstellungen, Maßstäben usw. unterworfen ist.

Wenn ich also einerseits meine Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens aus meinen Erfahrungen und Beobachtungen von Verhaltensweisen sowohl im Realsozialismus als auch in der realen Finanzgesellschaft der Gegenwart ableite, so andererseits auch aus theoretischen Erwägungen heraus: Das Geld (das bedingungslos verteilt bzw. zugeteilt werden soll) ist seinem Wesen nach in seiner heutigen Konstitution nichts anderes als ein gesellschaftliches Arbeitszertifikat, eine Bescheinigung für geleistete oder gegebene gesellschaftliche Arbeit und damit Berechtigung zur Teilhabe am Realreichtum der Gesellschaft. (Zwischen letzterem und dem Finanzvermögen der Gesellschaft ist genau zu unterscheiden, denn dieses ist nur eine ideelle Widerspiegelung des Realreichtums.) Mit Keynesianismus, den R. Blaschke bei mir vermutet, hat das überhaupt nichts zu tun. Dennoch sehe auch ich den Staat als Herausgeber dieses von ihm sanktionierten Geldes in der Verantwortung, vor allem durch seine Geld- und Finanzpolitik dafür zu sorgen, dass der gesellschaftliche Reproduktionsprozess im Interesse der ganzen Gesellschaft, ihrer ökonomischen und ökologischen Erfordernisse, abläuft und von dem irrationalen Wachstumszwang befreit wird.. Dazu gehören untere und obere Einkommensbegrenzungen ebenso wie Arbeitszeitbeschränkungen und ein Kreditsystem, das auf Zinsnahme verzichtet, weil das Geld als Bescheinigung für eine Arbeitsleistung logischerweise nur aus einer solchen heraus entsteht. Die durch Illusionen erzeugte leistungslose Selbstvermehrung des Geldes widerspricht der Ökonomik des 21. Jahrhunderts und lässt den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess kollabieren.

Eine vernunftorientierte staatliche Geld-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik (mit einer schrittweisen Verkürzung der allgemeinen - notwendigen - Arbeitszeit bei unbedingter Beschäftigungsgarantie und Mindesteinkommen) scheint mir angesichts der gravierenden technisch-ökonomischen und sozialen Widersprüche in der Welt der bessere und sicherere Weg zu dem Ziel zu sein, das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen erreicht werden soll, zur (allmählichen, wie ich meine) „Überwindung fremdbestimmter Arbeit“.





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