Montag, 22. Oktober 2007

Was treibt China?

(Erschienen in: Das Blättchen, Heft 18/2007)
Wenn ein offensichtlich armseliger Mann mit einem klapprigen Wägelchen vor einer großen Bank Halt machte und einen Koffer voll Geld hinein schleppte, würden wir erstaunt hinsehen. Kaum jemanden aber scheint es zu wundern, dass die Volksrepublik China Ende vergangenen Jahres für 232 Milliarden Dollar mehr Waren und Güter nach den USA exportiert als von dort importiert hatte, um so die chinesischen Devisenreserven auf satte 1200 Milliarden (1,2 Billionen!) Dollar zu erhöhen.


Gewitter kommen oft aus heiterem Himmel – in der Natur und auch in der Wirtschaft. Die Weltwirtschaft boomt seit geraumer Zeit und mit ihr die Gemeinschaftswährung der Europäischen Union. Mit einem Kurs von 1,3832 Dollar erreichte der Euro Mitte Juli eine relative Stärke wie nie zuvor.

Doch vor allem ungewöhnliche Zeichen und Erscheinungen verdienen immer besondere Aufmerksamkeit. Wenn ein offensichtlich armseliger Mann mit einem klapprigen Wägelchen vor einer großen Bank Halt machte und einen Koffer voll Geld hinein schleppte, würden wir erstaunt hinsehen. Kaum jemanden aber scheint es zu wundern, dass die Volksrepublik China Ende vergangenen Jahres für 232 Milliarden Dollar mehr Waren und Güter nach den USA exportiert als von dort importiert hatte, um so die chinesischen Devisenreserven auf satte 1200 Milliarden (1,2 Billionen!) Dollar zu erhöhen. Man sollte meinen, China benötige selber dringend (fremdes) Geld, um die eigene Wirtschaft zu modernisieren – wenn man nur an die mangelnde Sicherheit in den Bergwerken mit ihren furchtbaren Grubenunglücken in den letzten Jahren denkt, von der ungeheuren Armut der Menschen ganz zu schweigen. Doch die Chinesen verleihen ihr Geld, kauften amerikanische Staatsanleihen und sonstige Wertpapiere, (mit)finanzieren damit Amerikas Wohlstand und seine Kriegspolitik. – Offenbar eine „verkehrte Welt“.

Was kann die Kommunistischen Partei Chinas zu solcher Politik treiben? Zwar wird im Zusammenhang mit China vielfach von einem „staatskapitalistischen“ Weg (was immer darunter zu verstehen ist) gesprochen, doch das subjektiv verfolgte Ziel der KP, die ja immer noch die Entwicklung des Landes und der Wirtschaft bestimmend beeinflusst, dürfte sich nicht darin erschöpfen, Reichtum schlechthin (und noch dazu lediglich in Gestalt papierner Lieferversprechen – denn nichts weiter sind Dollar wie Euro -, also in äußerst fragiler Form) anzuhäufen, um sich daran zu berauschen. Auch wenn unlängst in der Presse getitelt wurde „Peking sucht nach üppiger Rendite“, scheint es doch wahrscheinlich zu sein, dass der unmittelbare ökonomische Nutzen größer wäre, wenn die Mittel produktiv in die eigene Volkswirtschaft investiert würden, anstatt sich mit einer Rendite zu begnügen, die ja immer nur einen Teil des mit dem Geld erwirtschafteten Nutzens anderer (des erzeugten Werts) ausmacht.

Wenn daher rein ökonomische Erklärungsmuster verschwinden, treten politisch-strategische, also ein angestrebter Machtgewinn, in den Vordergrund. Für wie bedeutsam die chinesische Politik zu halten ist, kann man einer schon vor mehreren Jahren von dem amerikanischen Kongressabgeordneten Ron Paul (Republikanische Partei) getroffenen Feststellung entnehmen, der die Schuldenpolitik von Präsident G. W. Bush in einem Zeitungsartikel unter der Überschrift kritisierte: “Die Schulden sind die größte Bedrohung für unsere Sicherheit“. Geradezu ohnmächtig erweist sich die bürgerliche Finanzgesellschaft gegenüber der chinesischen ökonomischen Offensive. Rund hundert Jahre nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes und sechzig Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, in dessen Spätfolge das volkreichste Land der Welt sich mit revolutionärer Gewalt der Ausbeutung durch den Westen entzog, werden die militärischen Waffen, einschließlich der atomaren, von der Ökonomie in den Schatten gestellt. (Bereits im sogenannten „kalten Krieg“, der ein Wirtschaftskrieg war, ließ sich der Sowjetblock vom Westen ökonomisch totrüsten). Und das immer noch „kommunistische“ China schickt sich nun an, sich gegenüber dem Westen mit Hilfe von dessen eigenem Finanzsystem zu behaupten. – Ein Strategiewechsel erster Güte!

Nicht erst seit heute fragen sich Experten, wie lange die Unsummen des Doppeldefizits von Staatshaushalt und Leistungsbilanz in den USA (deren Auslandsschulden liegen heute bei zehn Billionen Dollar) vom Ausland aufgebracht werden. Diese Skepsis teilen auch die Finanzmärkte, was ein Grund für die drastische Abwertung des Dollars gegenüber Yen und Euro in den letzten Jahren ist. Sollten die Defizite nicht mehr finanzierbar sein, würde die US-Wirtschaft abstürzen, wodurch die nach wie vor wichtigste globale Konjunkturlok ausfiele – mit kaum überschaubaren Auswirkungen auf die bürgerliche Weltwirtschaft und ihr Finanzsystem. Chinas Devisenreserven fallen dabei mit umso größerem Gewicht ins Kalkül, als sie von einem zentralen Willen gesteuert werden. China könnte mit dem Verkauf seiner Reserven den Dollar in den Keller stürzen, die amerikanischen Zinsen in die Höhe treiben und eine Weltwirtschaftskrise auslösen. Das weiß man in Washington wie in Brüssel. Chinas Premier Wen Jiabao tat deshalb auf dem diesjährigen Nationalen Volkskongress alles, um der Welt zu zeigen, dass sein Land keine Bedrohung ist. Und er versprach, dass, was immer seine Regierung mit den Devisen unternehme, dies "keinen Einfluss auf die Dollaranlagen" Chinas haben werde, wobei er nicht versäumte, darauf hinzuweisen, dass diese Dollaranlagen "im gegenseitigen Interesse" gekauft worden seien.

Bei einem fallenden Dollarkurs drohen Peking die größten Devisenwertverluste der Wirtschaftsgeschichte. Dieser Umstand lässt die US-Regierung Gelassenheit auch gegenüber allen Vorwürfen aus Europa bezüglich ihrer Haushalts- und Finanzpolitik demonstrieren. Doch zahlreiche Ökonomen weisen auf die Gefahr hin, dass China und andere Gläubiger wegen der währungsbedingten Verluste ihrer USA-Anlagen Gelder umschichten könnten, denn immer mehr Länder wenden sich dem Euro als Währungsanker zu. Chinas Stärke in diesem Feld der Global-Player resultiert daraus, dass sein mehr und mehr dominierendes Potential (noch?) einem einheitlichen zentralen Willen unterworfen ist, der Vernunft walten lassen kann, wo privater Bereicherungstrieb zum Chaos zu führen droht. Das lässt hoffen!

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