Montag, 6. August 2007

Ein Widerruf aus der SPD

(Veröffentlicht in: "Das Blättchen", Nr. 17, 6. August 2007)Ungeachtet der Fede zwischen SPD-Führung und LINKER hofft SPD-MdB Karl Lauterbach, "dass sich über alle Parteigrenzen hinweg wieder mehr von uns darauf besinnen", dass der Kampf für Gerechtigkeit und nicht die Bedienung einer kleinen Klientel von Saturierten die zentrale Aufgabe der Politik sei.


Eigentlich, also objektiv aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzeln und daraus erwachsenden Interessen, verfolgen doch die beiden Parteien – Die LINKE und die SPD – das gleiche Ziel. Darüber sollten auch die verbalen Attacken nicht hinwegtäuschen, die in letzter Zeit besonders heftig öffentlich ausgefochten werden; zumal es nicht die beiden Organisationen in ihrer breiten Basis sind, die so vehement aneinander geraten, sondern einzelne Wortführer, meist Funktionäre, die dasselbe Potential von Mitgliedern und Wählern für ihre unterschiedlichen politischen Strategien umwerben. Auseinandersetzungen in der Sache fallen dabei persönlichen Diffamierungen ebenso zum Opfer wie schädlichen Pauschalisierungen, etwa wenn im Umfeld der LINKEN mitunter ganz allgemein von „der SPD“ gesprochen wird.

Nun hat sich aus der SPD, wieder einmal, Karl Lauterbach zu Wort gemeldet – mit seinem Buch „Der Zweiklassenstaat“[i]. Bemerkenswerter noch als das, was er sagt, ist, dass er es sagt bzw. schreibt und wie er das tut. Für Lauterbach, 1963 im nordrhein-westfälischen Düren geboren und in den USA ausgebildet, mag es etwas besonderes sein, diesen bürgerlichen als einen Klassenstaat zu begreifen. Für uns in der DDR Erzogene ist das eine marxistische Binsenweisheit. Aber der Buchautor beabsichtigt auch gar keine abstrakte Analyse gesellschaftlicher Eigentumsverhältnisse, die heute immer Gefahr liefe, in Dogmen des 20. Jahrhunderts abzurutschen, sondern er will, wie er im Untertitel mitteilt, zeigen, „Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren“ – auf Kosten der Nichtprivilegierten, könnte man hinzufügen. Und das tut er sehr konkret und überzeugend, indem er sich als ausgewiesener Fachmann (Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie an der Universität zu Köln sowie Professor an der Harvard School of Publik Health) auf die sozialen Bereiche Bildungswesen, Medizin, Rentenwesen und Pflegedienste beschränkt, wobei er dem speziell Interessierten wichtiges grafisches und Zahlenmaterial sowie internationale Vergleiche anbietet, also keine theoretischen Luftschlösser errichtet. Auf so manche geschilderten Tatsachen mag nicht zum ersten Mal hingewiesen werden; dennoch: Vieles ist nicht nur aufrüttelnd, sondern zutiefst beklemmend, etwa die angeführten Zitate aus veröffentlichten Beiträgen von Ärzten im Internet-Forum www.facharzt.de der Art: „Nur Faule und Dumme fordern die Einklassen-Gesellschaft“ oder „Es geht nicht an, dass sich ca. 90 % der Gesellschaft in der Armenkasse eingenistet haben und dort den Hintern nicht mehr hochkriegen, weil wir es ihnen so bequem gemacht haben“ oder „Nein, ich habe mit den heutigen ‚Armen’, mit dem ‚Prekariat’ keine Spur Mitleid. Die eigentliche Schande ist, dass unser Sozialstaat diese feiste Unterschicht erzeugt und unterhält“. Gewiss, so denken und schreiben nicht „die Ärzte“, sondern einige. Auch hier darf auf keinen Fall pauschalisiert werden (was Lauterbach natürlich auch nicht tut)! Aber in ein bezeichnendes Licht werden die Veränderungen in der deutschen Gesellschaft während der letzten Jahrzehnte schon gerückt, zumindest für ehemalige DDR-Bürger. Auch wer sich möglicherweise bereits seit geraumer Zeit von Informationen über die desaströsen Zustände in unserem Bildungs- und Sozialwesen überhäuft fühlt, kann hier davon profitieren, dass in dem Buch immer wieder die gesamtgesellschaftlichen Bezüge deutlich gemacht werden. Zum Beispiel wenn K. Lauterbach im deutschen Bildungssystem „die Wiege des Zweiklassenstaates“ sieht. Denn: „Unser Bildungssystem hat die falsche Produktpalette für die Globalisierung der Wirtschaft … Unter diesen Bedingungen kann Deutschland auf lange Sicht nicht zu den Gewinnern der Globalisierung gehören, auch wenn wir es beim Export heute schon sind.“ (S. 178). Lauterbach geht es nach eigener Aussage nicht um eine Kritik an der Leistungsgesellschaft oder an einer Leistungselite, sondern darum, „dass wir keine Leistungsgesellschaft sind und auch keine echte Leistungselite hervorbringen. Deutschland ist ein Land, in dem eine relativ satte und gleichzeitig verunsicherte Klasse mit vererbten Privilegien größte Angst vor der Leistungsgesellschaft hat.“ (S.179)

Obwohl aus der Sicht der Ökonomie viele der von ihm beschriebenen Zusammenhänge unter Wirtschaftswissenschaftlern aller politischen Grundüberzeugungen weitgehend unstrittig seien, ändere sich nichts, wird in dem Buch festgestellt, weil wir den Krebs im Innern noch nicht spüren und viele unterschätzen, wie schlecht unser Bildungswesen und unser Gesundheitssystem wirklich sind. Der zweite und viel wichtigere Grund aber sei die politische Macht der Privilegierten, die schon jetzt die notwendigen, konkret benannten Reformen blockieren und dies auch in Zukunft tun wollen. Höchste Priorität hätte für Lauterbach „der sofortige radikale Umbau unseres Bildungssystems …, weil hier die Weichen für die Zukunft unserer Gesellschaft und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gestellt werden.“ (S. 190)

Eindringlich warnt der Bundestagsabgeordnete der SPD vor einer Illusion: „Der (wirtschaftliche – H.H.) Aufschwung allein wird keines der in diesem Buch geschilderten Probleme lösen. Und in der Großen Koalition können die notwendigen Veränderungen kaum durchgesetzt werden.“ (S.10) Daher sei „zu hoffen, dass sich über alle Parteigrenzen hinweg wieder mehr von uns darauf besinnen“, dass der Kampf für Gerechtigkeit und nicht die Bedienung einer kleinen Klientel von Saturierten die zentrale Aufgabe der Politik ist. (S. 192)

Alles in allem in angespannter zwischenparteilicher Situation ein Widerruf, eine wohltuende sachliche Einladung zu einem parteiübergreifenden politischen Konsens und darum lesenswert für jedermann, vor allem aber für politisch Verantwortliche aller Lager!

[i] Karl Lauterbach, Der Zweiklassenstaat. Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren, 3. Auflage, Rowohlt Berlin Verlag GmbH, 2007, 220 Seiten, ISBN 978 3 87134 579 1

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