Donnerstag, 22. Oktober 2009

Finanzkrise und Rechtsstaat

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr. 14/2009)

Eine gelungene Veranstaltung in der Langen Nacht der Wissenschaften:


Studenten des Fachbereichs Rechtswissenschaft der FU Berlin spielten eine Sendung „Investigativ-TV“ zum Thema „Finanzkrise“ – mit einem Moderator, einem geschädigten Ehepaar, mit Finanz-Sachverständigen und Anlageberatern, einem Rechtswissenschaftler und einer Beraterin von der Verbraucherzentrale; dazu eingeblendete Berichte über Lage, Zustand und Verkauf von „Schrott-Immobilien“. Aufgedeckt wurde rechtswidriges Verhalten von Anlageberatern ebenso wie die Tatsache, dass den „unglaublichen“ Vorgängen im Finanzbereich im Wesentlichen geltendes Recht zu Grunde liegt. Da stellten sich denn dem Zuschauer mit DDR-Erfahrung Fragen. Was ist das für ein Rechtsstaat, in dem der „kleine Mann“ auf die Hilfe von Verbraucherzentralen angewiesen ist, um sich der Ausplünderung - meist ohne oder nur mit geringem Erfolg - zu erwehren? Und was ist das für ein Recht, das dem zu Grunde liegt? Und wie kommt es zu solchem Recht? Ich gehe mal davon aus, dass der Gesetzgeber diesen Zweck nicht bewusst verfolgte, sondern dass das Recht einfach „der Wirtschaft“ dienen sollte. Was ist das also für eine Vorstellung von Wirtschaft, die ein Recht mit geradezu aberwitzigen Folgen hervorbringt? Allein von den Juristen sind befriedigende Antworten auf solche Fragen kaum zu erwarten. Sie sollen geltendes Recht vor allem lehren. Gefordert ist die Wirtschaftswissenschaft. Sie ist verantwortlich für das ökonomische Bewusstsein dieser Gesellschaft, vor allem auch derer, die Recht setzen – und letztlich auch für das große Desaster, das wir gerade erleben.

Die Propaganda der Medien vermittelt den falschen Eindruck, Banker hätten die Krise herbeigeführt, indem sie unverantwortlich, teils kriminell handelten. Wer aber bildete sie aus, gab ihnen, auch den handelnden Politikern, das geistige Rüstzeug mit auf den Weg, Wirtschaft und Finanzsystem durch einen sinnvollen gesetzlichen Rahmen zu ordnen? Da appelliert nun alle Welt an die Moral und an das Verantwortungsbewusstsein der Akteure. Tut das nicht die Kirche mit ihren Geboten seit Jahrtausenden zur Genüge? Sollte nicht besser gefragt werden, warum eine ganze Gesellschaft weltweit von einer nie dagewesenen, ruinösen Spekulationssucht erfasst ist? Es spekulieren doch alle, die da mit Aktien und sonstigen Wertpapieren handeln und auf solche Weise ihre Zukunft ökonomisch sicherzustellen glauben! Und warum das? Weil der „wissenschaftlich begründete“ Glaube an das Privateigentum und die private Verantwortung für das Wohl und Wehe jedes Einzelnen zu einem unumstößlichen Bewusstseinsdogma geworden ist. In den letzten zwanzig Jahren hat sich diese Vorstellung – von der Wissenschaft fleißig gepflegt – wie eine bedingungslose Doktrin in den Gehirnen einer großen Bevölkerungsmehrheit festgesetzt. Vor allem die Besserverdienenden glauben die Behauptung, ihr Wohlstand sei ihr persönliches, privates Verdienst nach den Gesetzen des Marktes. Sie können und wollen für die Zukunft sparen und wissen nicht, wie sie sich in ihrem Privatsein am besten absichern. So greifen sie massenhaft nach dem, was Ihnen der Markt bietet: Wertpapiere, deren Risiko ihrer Profitabilität proportional ist.

Wo ist sie geblieben, die Wissenschaft, die all das kritisch hinterfragt, die hinter die Erscheinungen an der Oberfläche der Wirklichkeit schaut, um zu untersuchen, wie viel Privates sich denn tatsächlich noch hinter allem verbirgt, was privat zu sein behauptet? Ein schlechtes Zeugnis für die Wissenschaft, wenn es erst der Watschen der Finanzmärkte bedurfte, damit diese Gesellschaft aufwacht und sich wieder der Verantwortung des Staates für das ganze Finanzsystem besinnt! Aber für wie lange das und auf welche Weise? Heißt es nicht Öl ins Feuer zu gießen, wenn Billionen Euro aufgewendet werden, um den Finanzmarkt zu stabilisieren, anstatt die eigentlichen Ursachen der Krise zu beseitigen? Die liegen in der Abkopplung der Finanz- von der Realökonomie mit einer ungeheuren Finanzblase als Folge. Nun borgt der Staat, dieser Habenichts, bei den Reichen - anstatt ihnen zu nehmen und umzuverteilen -, um sie mit seinen Zinsen noch reicher und die Finanzblase noch größer zu machen. Die Saat für den nächsten, noch größeren Krach wird so bereitet.

Und die Wissenschaft? Sie weiß offenbar auch keinen besseren Rat – jedenfalls nicht diejenige, die die Politik berät. Dass sich Geld und Reichtum aus sich selbst heraus vermehren können, ist ihr ein unerschütterliches Glaubensbekenntnis. Und der Gedanke, dass Geld und Reichtum etwas mit Arbeit für die Gesellschaft zu tun haben könnten, die Idee, Zinsen, Dividenden und Kursgewinne von Aktien – neben maßlosen Gehältern einer Einkommenselite die entscheidenden Ursachen von Finanzblasen – durch eine staatlich regulierte und kontrollierte Finanzwirtschaft aus der Welt zu schaffen, muss ihr als Eingebung des Teufels erscheinen. Undenkbar heute für den liberalen Normalverstand: Eine staatlich regulierte und kontrollierte Finanzwirtschaft, der im Interesse ökonomischer Stabilität Grenzen gesetzt sind!

Eine solch öffentliche Finanzwirtschaft könnte nicht als Geschäft der Geldvermehrung betrieben werden, sondern müsste das Instrument einer gesellschaftlichen „Buchführung“ im Interesse der Ökonomisierung von Produktions- und Leistungsprozessen der Unternehmen und Unternehmer sein, die ein Höchstmaß an Eigenverantwortung und Handlungskompetenzen haben. Denn sowohl die heutige Konstitution des vom Goldstandard gelösten Geldes als auch eine Vielzahl gesetzlicher und sonstiger öffentlicher Vorschriften haben allen Aktivitäten in der Wirtschaft längst ihren privaten Inhalt und Charakter genommen.

So weit ist das öffentliche Denken – auch der Wissenschaft – noch nicht. Doch immerhin ist man ja wohl an den Universitäten, wenigstens an der Freien zu Berlin, nachdenklich geworden darüber, dass mit unserem Recht etwas nicht stimmen kann. Es sollten Denkanstöße auch für lehrende und lernende Ökonomen sein! Denn von wo könnte neues Denken herkommen und sich verbreiten, wenn nicht von den Universitäten?

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