Sonntag, 22. Oktober 1989

Bäume, die in Träumen wachsen

Am 19. Januar 1989 dem „Eulenspiegel" angeboten

Also een Wetta is det wieda mal! Und inne Zeitung schreiben se wat von Zwischenhoch und heiter bis wolkich. Wenn ick da so außn Fensta kieke, möchte ick ja fast trübsinnig werden! Aber war Jutet hat et eben ooch, saacht meene Frieda: Man kann so herrlich auspennen. Und for de Landwirtschaft soll et ja ebenfalls jut sinn. Muss ne Bombenernte werden. Also bei de Kiefa hier vor meen Fensta kann ick reneweg zukieken, wie et da wachsen dut.

Apropos wachsen: Kommt doch meen Bengel neulich auße Schule und flennt. N Uffsatz ham se uffjekriegt. Er weeß nich, watta schreiben soll. Thema: „Det Leistungswachstum in unsre Republik zum Wohle des Menschen“. „…und zu Ehren des 40. Jahrestachs“, hab ick erjänzt. Na, det möchte ja wohl sinn, nich wahr. Soviel hab ick doch nun schon dem Studium von unsre Presse entnommen. Ick weeß, woruff et ankommt in die ideologische Arbeet. Und is denn een Uffsatz etwa nich ooch n Fantasieprodukt wie det, wat hier inne Zeitung steht? Jedenfalls kann meen Filius nich frühjenuch lernen, de Akzente richtich zu setzen!


Also, da weeßa nischt anzufangen mit det Thema. „Na“, saach ick, setz dir mal hierher, und dann überlejen wa jemeinsam.“ „Gemeinschaftsarbeit wird gro geschrieben“, steht doch hier jleich uff Seite eins zur Überraschung unsres Staatsjubiläumsvolkes.

„Also hör mal druff: Erstmal musste definieren, wat det eijentlich is – Leistungswachstum. Fangen wa doch janz einfach an: Wachstum – wat is det?“

„Wenn wat jrößer wird“, saacht meen Bengel.

„Na Prima! Siehste, det is der Anfang. Und wat wird allet jrößa? – Also Menschenskind, stell dir doch nich so an! Kiek mal außn Fensta! De Bööme, nich wahr? Und weita?“

Na und dann kam et endlich: det Jetreide, de Kühe, de Schweine, de Vöjel und so weiter. Also n bissel wat hatta wohl doch mijekriegt in Bio.

Aba wat det allet mit Leistungswachstum zu tun habe, willa wissen.

„Sachte, sachte“, saach ick, „wir sind ja noch janz am Anfang von unsre Überlejungen. Denk doch mal an n Leistungssport!“

„Wat wächst denn da schon? Die Zeiten, die se zum Loofen brauchen, werden doch imma kleena“, queroliert der Kerl. Ick jebe weitre Denkanstöße und erinnre ihn an unsern Nachbarn.

Endlich macht et bei den Bengel klick, und er is mit seine Jedanken bei unsre Kleinjärtnersparte mit Paul Müller an de Spitze, den alle Tauben-Paule nennen, wjen seine Sporttauben.

„Also wenn den seine Tauben wachsen“, saacht Eberhard, wat meen Sohn is.

„Nee doch, nich de Tauben, sondern ihre Leistung!“

„Und wat leisten se? Wat wächst da?“, will Eberhardchen wissen.

„Also stell dir doch nich so an“, saach ick noch mal und fange nun schon fast an zu schrein – wat eijentlich janich meen Stil is, weil uns Ökonomen nischt aus de Ruhe bringt, „die fliejen höher, schneller, weiter!“

„Also wächst janischt“, meinta enttäuscht.

Ick muntre ihn uff. „Kiek mal: Nimm mal n bessret Beispiel, sagen wa unsre janze Sparte. Die produziert jedet Jahr mehr: Äppel, Pflaumen, Kirschen …“

„Stimmt nich, wirft Eberhard ein, „Kirschen hatten wa vorjet Jahr viel wenjer, fast jakeene.“

„Haste recht, aba im Alljemeinen hattn wa mehr.“

„Wat heißt ‚im Alljemeinen’“, kontert der Dickopp, „Wat nutzen mehr Kartoffeln, wenn keene Kirschen da sind?“

Ick veralljemeinere also weiter und halte ihm de Volkswirtschaft unsrer jeliebten DDR vor Oogen.

Ob ick die Produkte alle jezählt und verjlichen und die ausjesonderten abjezogen und ooch die nicht jeflickten Schlachlöcher inne Straßen und die Zuchverspätungen berücksichtigt hätte, willa wissen.

„Aba det Jesamtprodukt, die Preissumme der Waren ist doch jewachsen!“

„Meenst, is teura jeworn. Mutta saachtet doch ooch“, opponiert mein Sohn. Und warum überhaupt de Preise steijen müssten, wo doch die Arbeitsproduktivität, die Produktionseffektivität, die Investitionseffektivität, die Fondseffektivität und und und ständig wächst, wie uns jeden Tach kundjetan wird?

„Weil die Einkommen wachsen“, versuch ick mir zu retten. Aber auch diese Antwort erweist sich als n Bumerang, denn nun soll ick erklären, warum de Löhne und Jehälter steijen, wo doch die Arbeitszeit, auf die sich ja nach Kalle Marx alle Ökonomie reduziern tut, bestenfalls jleich bleibt, ja eijentlich mehr oder wenjer verkürzt wird – von den Einkäufen, Besorgungen, Wegen zu Ärzten, Ämtern und dergleichen mal janz abjesehn.

„Na, zumindest sieht es doch so besser aus! Machst denn du dich mit deine Kleidung und Frisur nich ooch jrößer, stärker, männlicher als de wirklich bist?“

Det hatte jesessen! Der Bengel knallte als Antwort nur de Türe zu, und fort wara. An diesem Punkt issa eben allergisch.

Ick hatte nun zwar meene Ruhe, aba n innerlichen Vorbeimarsch anjesichts meinet Siejes hab ick trotzdem nich erlebt. Nachts träumt mir sojar imma öfta von een Mann, der n Bonsai jießt und jießt. Und weil det Aas nich wachsen will, er ihn aber doch so jerne wachsen sehn möchte, verjrößert der Pfiffikus einfach det Schattenbild, indem er nach und nach ne Kerze dichter ranschiebt.

Eijentlich wollt ick ja zu n Psychiata jehn. Aber meen Nachbar mit de Tauben, wat een Mann aus „jewöhnlich jut informierten Kreisen“ is, der hat mir beruhigt und jesaacht: „Mach dir nischt draus, Emil! Bist een janz normalet Kind von unsre Zeit. Ooch de führnde Rolle der Partei, die Bedeutung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus und der Jrad ihrer bewussten Ausnutzun und Durchsetzung wachsen ständig.“

Und er hat recht! Täglich les ich et jedenfalls so – schwaz auf weiß.

Aber wat meen Sohn is, der Bengel scheint mit seine Fuffzehn janich so doof zu sein, wie ick erst schon dachte. Bloß bringen wirtat mit seine Hirnjespinste zu nischt. Als wenn schon mal eener vonne Wahrheet sattjeworn wär!

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