Sonntag, 22. Oktober 1989

Was kann unser Geld?



1989: Kritik der nach dem Mauerfall  wie Pilze aus dem Boden schießenden Reformvorschläge, die Wirtschaft der DDR "wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen".

Geld soll im Zuge der Wirtschaftsreform nun wieder (oder erstmals) den Stellenwert einnehmen, der ihm zukommen muß, damit eine sozialistische Volkswirtschaft gut funktioniert, effektiv arbeitet, das Leistungsvermögen der Gesellschaft vollständig mobilisiert. In der Vergangenheit kam es zur Unterbewertung des Kosten-Nutzen-Denkens. Damit verbunden war, dass die Banken nicht genügend aktiv waren bei der Gestaltung der ökonomischen Prozesse in unserem wie auch in den anderen sozialistischen Ländern. Professor Tannert beschrieb das ausführlich im „horizont“ (Nr. 12/89). Und er stellte dort fest, dass diese Seite sozialistischen Wirtschaftens, nämlich das Geldwesen, am wenigsten beherrscht wird. Schlussfolgerung: Formierung neuer Bankstrukturen, Einführung eines zweistufigen anstelle eines einstufigen Banksystems durch Trennung von Emissions- und Geschäftsfunktion. Bei der Staatsbank der DDR will man gleich, so die Abteilungsleiter Edgar Most (49) und Dr. Friedhelm Tuttlies (59) in der „NBI“ (Nr. 50/89), „die Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße stellen“ und „Schluß mit einer Überzentralisierten Kommandowirtschaft“ machen, „in der die Leitung der materiellen Prozesse dominierte und das Geld eine sekundäre Rolle spielte.“

Steuerung über Finanzen? 
Da nimmt nun die Gefahr reale Gestalt an, dass wir von einem Extrem ins andere fallen.

Denn setzen wir anstelle der Dominanz „naturalwirtschaftlicher Vorgaben“ in einer streng zentralistisch geleiteten Volkswirtschaft (Tannert) die Vorherrschaft des Geld-, Kredit- und Bankwesens, so kommen wir vom Regen in die Traufe. Der Beginn des fehlerhaften Kreislaufs lag nämlich m.E. bereits darin, dass mit der Gründung eines selbständigen Banksystems überhaupt, egal ob als einstufiges oder zweistufiges System, die Trennung der finanziellen von den materiellen Prozessen und Strukturen in der Volkswirtschaft institutionalisiert wurde, wo doch unter sozialistischen Bedingungen gerade deren Einheit zu wahren ist. Verwunderlich ist das allerdings nicht. Denn erklärt man die Reproduktionsbeziehungen im volkseigenen Sektor der Wirtschaft als sozialistische Form eines Warenaustauschs und organisiert sie dementsprechend, so liegt die Verselbständigung von Geld- und Warenwelt und ihre jeweils eigenständige Organisation auf der Hand. Instinktmäßig orientierten sich die Wirtschaftsleiter, die eine in ihren Kooperationsbeziehungen funktionierende Volkswirtschaft zu organisieren, zu gestalten hatten, in der Vergangenheit primär auf die Gestaltung der materiell-sachlichen Strukturen. Das Geld als die „allgemeine Ware“ lief da nebenher. Es wurde nach „Bedarf“ emittiert – und zwar in einem solchen Maße, dass es seiner Funktion als Maß der Werte, Maßstab der Preise und Akkumulationsmittel nicht mehr gerecht werden konnte, insbesondere unter den Bedingungen eines Preisbildungspraxis, die alle ökonomischen Erfordernisse ignorierte und von Subjektivismus geprägt war bzw. ist. Wen wundert es, dass da das Kosten-Nutzen-Denken verkümmerte, wo doch dafür kein brauchbares ökonomische Instrumentarium vorhanden war. Preise und Kosten widerspiegelten nicht den realen gesellschaftlichen Arbeitsaufwand, der für die Herstellung der Erzeugnisse erforderlich war, mussten mit größten Vorbehalten als ökonomische Kriterien für Produktionsentscheidungen angewendet werden. Vokabeln wie „Grenznutzen“ durften nicht im Munde geführt werden, wollte man sich nicht der Abweichung von der Marxschen Arbeitswerttheorie verdächtig machen.

Wollen wir Monopolkapitalismus?
Müssen, bzw. können wir nun den umgekehrten Weg gehen, indem wir unsere Wirtschaft „vom Kopf auf die Füße“ stellen, also dem Geld und den finanziellen Prozessen das Primat einräumen? Zweifellos! Aber dann schalten wir von Sozialismus auf Kapitalismus – vorausgesetzt, dass wir wirklich ernst machen! Denn die Unterordnung der Interessen der Gesellschaft unter die des Geldes läuft darauf hinaus, daß die Verwertung von Wert zum Ziel der gesellschaftlichen Produktion erklärt wird, mit allen sozialen Folgen und Widersprüchen sowohl nationaler als auch globaler Natur, wie sie uns das kapitalistische System vorexerziert.
Ganz davon abgesehen, daß dies die Mehrheit der Menschen in unserem Lande wahrscheinlich (noch) nicht will, müßten dafür allerdings auch erst die entsprechenden sozialökonomischen Voraussetzungen, vor allem in Gestalt von privatem oder Gruppeneigentum als Grundlage echter Interessengegensätze und Konkurrenzverhältnisse geschaffen werden. Die Alternative zu diesem „Modell“ kann nur eine im Wesentlichen auf den bisherigen Eigentumsverhältnissen basierende sozialistische Wirtschaft sein, die sich in ihrer Entwicklung nach wie vor von gesellschaftlichen Zwecksetzungen leiten lässt – bei genauer Abwägung des Nutzens bestimmter Maßnahmen und Entwicklungen unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten. Daß dafür ein solides finanzökonomisches Instrumentarium benötigt wird, steht außer Frage. Aber das kann mit Sicherheit kein Geld- und Kreditsystem sein, aus welchem gesellschaftliche Ziel- und Aufgabenstellungen als etwas Sekundäres abgeleitet werden bzw. welches an deren Stelle tritt. Das Geld vermag nicht als Steuerungselement einer sozialistischen Volkswirtschaft  die Leitung der materiell-sachlichen Prozesse durch die Gesellschaft zu ersetzen.
Mir scheit, dass sich die alte Führung in der DDR am meisten dadurch schuldig gemacht hat, dass sie unser Denken deformierte und den wissenschaftlichen Meinungsstreit unter den Gesellschaftswissenschaftlern und insbesondere unter den Ökonomen unterdrückte. Dadurch fehlt es an theoretischem Vorlauf für die dringend erforderliche Wirtschaftsreform, bzw. die Probleme, Meinungen und Ansichten sind in ihren theoretischen Grundlagen so gut wie nicht öffentlich diskutiert. Wo liegt der nun so intensiv gesuchte „dritte Weg“ unseres Wirtschaftsmodells, der meines Erachtens nur eine korrigierte Variante des „ersten Weges“ sein kann?

Denkfehler: Warenaustausch
Der entscheidende Denkfehler in unserem heutigen Sozialismus-Modell bestand darin, anzunehmen, die sozialistischen, auf der Basis des Volkseigentums arbeitenden Produzenten tauschten ihre Produkte als Waren aus und wir hätten es mit sozialistischen Ware-Geld-Beziehungen zu tun. Diese Ansicht hat sich zu einem Dogma verfestigt, von dessen Richtigkeit alle Welt überzeugt ist. In Wahrheit findet kein Warenausrausch, weil kein Eigentümerwechsel, statt. Es handelt sich vielmehr schlicht und einfach um sozialistische Kooperationsbeziehungen auf der Basis einer gesellschaftlichen Buch- und Rechnungsführung. Das sozialistische Geld ist kein wirkliches, einen Warenaustausch vermittelndes Geld, sondern nichts anderes als der von Karl Marx in den „Randglossen zur Kritik des Gothaer Programms“ beschriebene Stundenzettel. Andere Bezeichnungen und Organisationsformen in unserer Wirtschaft ändern nichts an dem objektiven Wesen der ökonomischen Erscheinungen im Sozialismus. Dieses Wesen sozialistischer Produktion und Verteilung beschrieb Marx an genannter Stelle mit ganz wenigen Worten: Der einzelne Produzent erhält von der Gesellschaft einen Schein (Stundenzettel), dass er ihr soundso viel Arbeit geliefert hat. Und mit diesem Schein zieht er aus dem gesellschaftlichen Vorrat (nach Abzug eines bestimmten Mehrprodukts für die Gesellschaft) Konsumtionsmittel, die gleich viel Arbeit kosten.
Nicht bewältigtes Erbe
Dies ist das Wesen sozialistischer Produktionsverhältnisse bzw. Austauschverhältnisse, das wir hinter den auch noch so anders anmutenden Erscheinungen unserer Wirklichkeit erkennen müssen. Diese sind aus der realen historischen Entwicklung des Sozialismus auf der Basis des kapitalistischen Erbes entstanden. Der Sozialismus übernahm von der bürgerlichen Gesellschaft ein entwickeltes Bank-, Geld- und Kreditsystem. Die Industrie bildete ein arbeitsteilig vernetztes Geflecht selbständiger Betriebe mit eigener Gewinn/Verlustrechnung. Es fand ein Warenaustausch zwischen kapitalistischen, zum Teil hoch monopolisierten Warenproduzenten auf der Basis eines entsprechenden Preissystems statt. Hinzu kamen in unserem Lande die Verhältnisse einer gerade beendeten Kriegszwangswirtschaft. Dieses ganze Erbe trat der sozialistische Staat (bzw. die antifaschisch-demokratischen Machtorgane) schrittweise an, beginnend mit der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, mit der Verstaatlichung des Bankwesens usw. Später wurde schrittweise die große Masse der privaten Wirtschaft – vielfach über den Weg halbstaatlicher Betriebe – dem volkseigenen Sektor zugeführt. Parallel dazu entwickelte sich die zentrale staatliche Leitung und Planung der gesamten Wirtschaft. Schon diese Einflussnahme durch Planauflagen, Preisvorschriften usw. allein stellte einen Akt der Vergesellschaftung des Privateigentums dar –sogar einen weit bedeutenderen als die spätere formale „Enteignung“ bzw. Überführung in das Eigentum des Volkes.
Der Sozialismus übernahm also in der Praxis ganz einfach, was er an materiellen und organisatorischen Strukturen vorgefunden hatte, und wirtschaftete damit recht und schlecht „im Interesse der Gesellschaft“, nach einem gesellschaftlichen Plan. Und die Theorie „verallgemeinerte“ diese Praxis, entwickelte die Konzeption von der „sozialistischen, planmäßigen Warenproduktion“, mit deren Ausgestaltung sie sich selbst mehr und mehr zu einem Vehikel der Rechtfertigung der Wirtschaftspolitik des Staates degradierte. Dabei merkte sie gar nicht, wie sie ins Fahrwasser der französischen utopischen Sozialisten geriet, die glaubten, den Widerspruch der warenproduzierenden Arbeit zwischen Wert und Gebrauchswert der Ware bei Aufrechterhaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln dadurch lösen zu können, dass eine gesellschaftliche Bank die Produkte der privaten Produzenten aufkauft und verkauft; und das alles zu den gesellschaftlich notwendigen Produktionskosten. Karl Marx hat sich damit in seinen „Grundrissen zur Kritik der Politischen Ökonomie“ auseinandergesetzt und festgestellt: Diese Bank wäre als der allgemeine Käufer und Verkäufer der Waren, der die gesellschaftlich notwendigen Produktionskosten ebenso wie die Preise und die Warenstruktur zu bestimmen (zu planen) hätte, nichts anderes als ein Board, das die gesellschaftliche Produktion und Verteilung organisiert und darüber Buch und Rechnung führt. Gemeineigentum an den Produktionsmitteln wäre die Bedingung. Der Utopismus der französischen Sozialisten bestand darin, dass sie den Widerspruch der warenproduzierenden Arbeit auf der Basis des Privateigentums an den Produktionsmitteln überwinden wollten. Diesen Utopismus hat der reale Sozialismus mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel überwunden. Aber mit der realen (realisierten) Utopie schuf er durch die Übernahme und Beibehaltung überkommener Strukturen und Organisationsformen – vor allem durch ihre Begründung und Rechtfertigung mittels einer abstrusen, völlig unlogischen Theorie von der „sozialistischen Warenproduktion“, deren Erzeuger ihre Produkte angeblich „austauschen“, ohne einen Eigentümerwechsel vorzunehmen und den Wert auch nur annähernd zu realisieren, deren Lohn aber weder dem von ihnen geschaffenen Wertprodukt entspricht (dessen Größe ohnehin niemand kennt) noch den Wert ihrer Arbeitskraft (die allein ja keine Ware mehr ist und sein soll) darstellt – eine utopische Realität. In der Praxis war das (wenigstens bis zur vollen Herausbildung der sozialistischen Verhältnisse, bis zum „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“) vielleicht nicht anders möglich. Der Vorwurf trifft die Theoretiker, die an den konkreten Erscheinungsformen der Produktion und Verteilung im Sozialismus hängen blieben und hinter diesen nicht das neue Wesen sozialistischer Produktionsverhältnisse zu erblicken vermochten, nicht erkannten, dass wir mit der gesellschaftlichen Organisation der „warenproduzierenden Arbeit“ auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, mit der „planmäßigen sozialistischen Warenproduktion“ genau die Verhältnisse geschaffen hatten, die Marx in den „Grundrissen …“ kritisch analysiert und ad absurdum geführt hatte. Sie sahen nicht oder wollten nicht sehen, daß der sozialistische Staat mit seinen wirtschaftsleitenden und –planenden Organen auf allen Ebenen, mit seinen Kennziffern und Normativen der Kostenerfassung und Preisbildung etc. dem Wesen nach nichts anderes darstellt als die Bank der französischen Sozialisten, die nicht nur Käufer und Verkäufer der Produkte, sondern der allgemeine Organisator der gesellschaftlichen Produktion gewesen wäre bzw. hätte sein müssen.

Das Wesen erkennen!
An dieser Stelle geht es nicht um die Frage, welche konkreten Formen und Methoden der Wirtschaftsleitung auf der Basis des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln die Gesellschaft – aus welchen praktischen Erwägungen heraus auch immer – anwendet. Egal, welches Maß an Eigenverantwortung die sozialistischen Produzenten, Betriebe, praktisch wahrnehmen, wie wenig sie einer „zentralen Kommandowirtschaft“ unterliegen und wie sehr sie ihre Beziehungen selbständig, nach eigenem Ermessen und nach welchen ökonomischen Kriterien auch immer regeln – solange sie auf der Grundlage des Gemeineigentums produzieren, ihre Produktion gesellschaftlichen Zwecken unterordnen und nicht der Realisierung von Wert als letzter, absoluter Zielsetzung, so lange tauschen sie ihre Produkte nicht als Waren aus, ist das allgemeine Verkehr- und Verrechnungsmittel kein Geld, sondern gesellschaftliche Aufwands-, Arbeits- oder sonst welche Quittung.

Gefährliche Illusion
Ähnlich stellt sich das Problem heute bereits für das kapitalistische Wirtschaftssystem dar, wo zunehmende staatliche Regulierung der Wirtschaft der gesellschaftlichen Arbeit mehr und mehr ihren warenproduzierenden Charakter nimmt und das Geld aus einer „allgemeinen Ware“ in ein Mittel für die gesellschaftliche Bewertung und Verteilung (bzw. Umverteilung) gesellschaftlichen Reichtums verwandelt. Dennoch wäre es eine „sozialdemokratische“ Illusion zu glauben, damit wäre der Kapitalismus von seinen Gebrechen geheilt oder heilbar. Die grundlegenden privaten Eigentumsverhältnisse geben aller Produktion letztendlich ein ganz privates Ziel: Schaffung und Verwertung von Wert um jeden Preis. Das mag und muß sich natürlich irgendwann ändern – schon um die globalen Probleme zu lösen. Aber noch ist eben dies die Realität.
An der Grundverschiedenheit von Sozialismus und Kapitalismus wird auch eine noch so intensive Kooperation nichts ändern – es sei denn, die eine Seite zieht die andere über den Tisch. Ein flexibles sozialistische Wirtschaftssystem mit einem Höchstmaß an Eigenverantwortung der Wirtschaftseinheiten auf der Grundlage eines aussagekräftigen ökonomischen Instrumentariums , welches es gestattet, wirklich im gesellschaftlichen Maßstab objektive und optimale Entscheidungen zu treffen, verfügt in diesem Wettbewerb – ungeachtet seiner jetzt noch viel schwächeren Position – über die stärkeren Trümpfe. Denn es kann – immer vorausgesetzt, wir schaffen uns das dazu erforderliche ökonomische Instrumentarium und wenden es richtig an – Leistungs- und Wohlstandgrenzen überspringen, die für das Kapital wegen seines begrenzten Produktionszwecks (Verwertung von Wert als Ziel und Bedingung jeglicher Produktion) eine Schranke darstellen.

Denkansatz für Neubeginn
Wo liegen die theoretischen Denkansätze für ein solches ökonomisches Instrumentarium des Sozialismus? Erstens muß über das gesamtgesellschaftliche Eigentum gesamtgesellschaftlich Buch und Rechnung geführt werden. Gesellschaftliches Eigentum entsteht durch die Aneignung der Natur im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß. Um diesen zu ökonomisieren, rationell zu gestalten, bedarf es einer entsprechenden Buchführung der Gesellschaft über die Verausgabung ihres Arbeitsvermögens, über die Bewegung der vergegenständlichten Arbeit durch den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess und ihr Ausscheiden aus diesem Prozeß im Zuge ihrer Konsumtion durch die Gesellschaft bzw. deren Mitglieder. Die Erfassung des gesellschaftlichen Aufwandes erfolgt im konkreten Arbeits- bzw. Produktionsprozeß als Erfassung des Aufwandes an lebendiger und bereits vergegenständlichter Arbeit. Da die vergegenständlichte Arbeit als solche nicht messbar ist (sie wird ja als zur Produktion eines bestimmten Erzeugnisses notwendige Arbeit nicht – wie unter den Bedingungen tatsächlicher Warenproduktion – im Gebrauchswert eines anderen Produkts wirklich gemessen, weil nicht wirklich im freien Spiel der sozialen Kräfte ausgetauscht), ist sie für die sozialistische Gesellschaft nur dadurch quantifizierbar, dass die Gesellschaft sie in ihrer noch lebendigen Daseinsform erfasst und über ihren weiteren Verbleib (Bewegung durch den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß) Buch führt. Das heißt, dass die Verausgabung der lebendigen Arbeit im gesellschaftlichen Produktionsprozeß das eigentliche und einzige Medium, die einzige Sphäre ist, in der eine wirkliche Messung des gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes stattfindet. Die tatsächliche lebendige Arbeit wird vom Individuum, vom einzelnen Mitglied der Gesellschaft verausgabt und in einem Produkt vergegenständlicht. In dieser – wenn auch realen - Existenzform ist sie dann aber nicht mehr greifbar (man sieht dem Produkt nicht an, wie viel Arbeit in ihm steckt). Deshalb muß sie, um für die gesellschaftliche Aktion weiterhin existent, greifbar zu sein, in der Buchführung der Gesellschaft erfasst und ideell widergespiegelt werden. Diese Widerspiegelung erfolgt zweifach: Als Reichtum der Gesellschaft in Form der in den Produkten (Produktionsmitteln und Konsumtionsmitteln) vergegenständlichten Arbeit und als Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber ihren einzelnen Mitgliedern, die ihre als Teil der gesellschaftlichen Arbeit verausgabt haben, bzw. als deren Forderung gegenüber der Gesellschaft in Gestalt des Arbeitslohnes. Der Arbeitslohn ist also im Sozialismus nichts weiter als eine Quittung der Gesellschaft für geleistete Arbeit, mit welcher der Einzelne aus dem gesellschaftlichen Fonds an Konsumtionsmitten Produkte erwirbt, in denen – unter Berücksichtigung der gesellschaftlich notwendigen Mehrarbeit – gleich viel Arbeit vergegenständlicht ist.
Mittel sozialistischer Wirtschaftsrechnung
Diese Sphäre der Erfassung der gesellschaftlichen Arbeit im Zuge ihrer Verausgabung als lebendige Arbeit, ihrer ideellen Widerspiegelung im Buchwerk der Gesellschaft als gesellschaftliche Produktionskost und im Arbeitslohn als Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber ihren einzelnen Mitgliedern ist auch die Sphäre der Entstehung des „Geldes“ im Sozialismus. Es ist zugleich die Sphäre der Reduktion der individuellen auf gesellschaftliche Durchschnittsarbeit. Das „Geld“ selbst ist im Sozialismus nicht mehr als die ideelle Widerspiegelung des gesellschaftlichen Reichtums in den Sparstrümpfen und auf den Konten der Individuen einerseits sowie im Buchwerk der Gesellschaft andererseits. Da seine Entstehung an die materiell-sachlichen Prozesse in der Produktion gebunden ist, kann seine Bewirtschaftung nicht von diesen getrennt werden. Die in den bisherigen Planungsorganen einerseits und Finanzorganen andererseits institutionalisierte Trennung zwischen der Organisation der materiell-sachlichen Reproduktionsbeziehungen in unserer Volkswirtschaft und ihrer finanziellen Widerspiegelung, Abrechnung und Kontrolle war einer der Kardinalfehler unseres bisherigen Wirtschaftssystems. In der Überwindung dieser Trennung durch Schaffung eines einheitlichen Systems materiell-sachlicher Organisation und buchmäßiger (finanzieller) Abrechnung der Volkswirtschaft als ganze auf der Basis eines Höchstmaßes an Eigenverantwortung der Wirtschaftseinheiten liegen die Ausgangs- und Ansatzpunkte für die Gestaltung eines leistungsfähigen sozialistischen Volkswirtschaftssystems. In der Binnenwirtschaft hätten wir auf der Grundlage von „Marktpreisen“ bei Konsumgütern die Möglichkeit, durch entsprechende gesellschaftliche Buch- und Rechnungsführung ein hoch stimulierendes Leistungslohnsystem und eine wirksame Kosten-Nutzen-Rechnung aufzubauen, in der es keinen Platz mehr für Verschwendung gesellschaftlichen Reichtums und Arbeitsvermögens gibt. Auch für den internationalen Austausch könnten auf diese Weise Operationskriterien entwickelt werden, welche die ökonomischen Entscheidungen an Hand volkswirtschaftlicher Maßstäbe objektivieren und optimieren. Dazu gehören vor allem reale, ökonomisch begründete Valutakurse und auf ihrer Grundlage Export/Import-Entscheidungen, die zur Herausbildung wirklich effektiver Volkswirtschaftsstrukturen führen.

Alternativen klarmachen
Wer dagegen die jetzige Wirtschaft „vom Kopf auf die Füße“ stellen will, indem er anstelle der Dominanz materiell-sachlicher Strukturentscheidungen einen Steuerungsmechanismus mit finanziellen Instrumentarien setzt, wird innerhalb kurzer Zeit noch größeren Schiffbruch erleiden als die bisherigen Strategen. Denn unser „Geld“ ist kein wirkliches Geld im Sinne eines allgemeinen Äquivalents in einer warenproduzierenden Gesellschaft, das man ohneweiteres in ein Steuerungsinstrument der Wirtschaft verwandeln könnte. Als gesellschaftliche Quittung für geleistete Arbeit müsste man es erst in ein solches (wirkliches allgemeines Äquivalent) verwandeln, indem man tatsächlich zuerst nicht nur die Wirtschaft, sondern die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse umkrempelt und die Wirtschaft reprivatisiert, kurz: monopolkapitalistische Verhältnisse schafft – mit all ihren Folgen für die Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte zwischen hoch industrialisierten Staaten und der Mehrheit der unterentwickelten Welt, mit ihren Folgen für soziale Sicherheit und Harmonie, für Ökonomie, Ökologie und Kultur nicht nur in unserem Lande, sondern in der Welt. Über die Alternative, vor der wir stehen, müssen sich nicht nur die Verantwortlichen an den Schalthebeln der Wirtschaft, sondern alle Bürger im Klaren sein, wenn sie sich entscheiden, welche gesellschaftlichen Kräfte sie in diesem Lande in den bevorstehenden Auseinandersetzungen unterstützen wollen.

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