Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 25/2018 - https://das-blaettchen.de/2018/11/risikosport-sind-die-alle-ein-bisschen-verrueckt-46496.html)
Wer hat sich, angesichts der Waghalsigkeit von
Extremsportlern, nicht schon des Öfteren diese Frage gestellt? Wen’s
interessiert, der möge Arno Müllers Buch „Risikosport. Suizid oder
Lebenskunst?“[i]
zur Hand nehmen. Es stellt die Ausbeute der Forschungsarbeit eines
Sportwissenschaftlers mit der Absicht dar, „die Aspekte Sterben, Tod und
Unsterblichkeit für die Sportwissenschaft aus philosophischer Sicht zu
erschließen.“ Behandelt werden darin neben methodologischen Fragen (zu Beginn, wie
es sich für eine wissenschaftliche Arbeit gehört) solche definitorischen und
historischen Vorbemerkungen wie: Was Sport ist, Historische Aspekte zum Thema
Todesrisiko im Sport, Was ist Risikosport? Sodann ein Abschnitt über Sport, Tod
und Existenz mit ausgiebiger Analyse existenzphilosophischer Literatur,
insbesondere der Äußerungen von Max Scheler, Karl Jaspers, Martin Heidegger und
Howard S. Slusher. Ferner ein Abschnitt Sport und Unsterblichkeit, ein weiterer
über Sport und Sterben-lernen und schließlich über den Körper im Zeichen des
Transhumanismus, wo es um Vorstellungen von der Abschaffung der Sterblichkeit
geht.
Wenngleich es dem Autor vorrangig um den Sport und
seine Betrachtung aus philosophischer Sicht geht, sind die Aussagen in ihrer
Allgemeingültigkeit gewiss für einen großen, sich für solche Fragen
interessierenden Leserkreis eine wahre Fundgrube für das eigene Mit- und Nachdenken.
Denn es wird ein weites Literaturfeld ausgewertet (das Literaturverzeichnis
umfasst nicht weniger als fünfzehn Seiten). In einem Satz fasst A. Müller seine
Analyse dieses Materials so zusammen: „Sie
ist eine Apologie des Risikosports – wohlgemerkt im Ergebnis, nicht im
Hinblick auf die Intention!“ Soll heißen: Der Autor begann seine Arbeit
vorbehaltlos und gelangte zu einer positiven Bewertung des Risikosports.
Und was macht seine Arbeit, sein Buch, nun im
Einzelnen so spannend?
Als Leser, der dem Extremsport zunächst kritisch
gegenübersteht, ist man bei der Lektüre immer wieder überrascht von der
Argumentation aus der Sicht der Athleten und ihrer beziehungsweise der Philosophie, oft findet man sich in
eigenen, vom dialektischen Materialismus, wie er in der DDR gelehrt wurde,
geprägten Ansichten bestätigt; so beispielsweise, wenn Müller bei seinem
historischen Ausflug zum Thema Todesrisiko im Sport Antiphon, den griechischen
Philosophen des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, mit den Worten zitiert:
„Jede Wonne kommt erst nach großen Leiden“. Im Abschnitt „Sport, Tod und
Existenz“ wird Berthold Brecht zitiert: „Der große Sport fängt da an, wo er
längst aufgehört hat gesund zu sein.“ Das
Entführungsopfer Jan-Philipp Reemtsma berichtet von seinen Gedanken, während er
sich in Todesgefahr befand: Die Angst vor dem Tod sei nicht das Schlimmste
gewesen. „Am schlimmsten war die Ungewissheit, wann und auf welche Weise der
Tod eintreten wird“. Und von einem der bekanntesten Extremsportler, dem
Bergsteiger Reinhold Messner, erfahren wir: „Grenzgang heißt Gang an der
Grenze! Ganz klar.“ Und: „Wenn die Todesmöglichkeit nicht gegeben wäre, wäre es
nicht so intensiv, was wir da oben machen.“ Dass dies kein suizidales Verhalten
des Athleten darstellt, belegt A. Müller u. a. mit der Aussage von R. Messner:
„Ich spiele sehr viel mit dem Ende – nicht dass ich das Ende herbeiwünsche“. Er
bemühe sich immer, nicht umzukommen. Beim Thema „Sport und Suizid“ geht der
Autor am Beispiel herausragender Athleten auf Fragen ein wie: Was ist
Selbstmord? Oder: Kann man Doping als Selbstmord betrachten?
Einen wesentlichen Beitrag zum Verstehen, was viele
Athleten so todesmutig macht, vermag die Existenzphilosophie mit ihrem
Gegenstand, der „Selbstwerdung“ im Sinne von Selbstverwirklichung des Menschen
zu leisten. Die hier vermittelten Ansichten von Philosophen sowie Gefühle von
Sportlern sind interessant zu lesen, auch wenn – vielleicht gerade weil - man
als Anhänger des dialektischen Materialismus vom Autor vielleicht auch
Betrachtungen zum Verhältnis von Materie und Bewusstsein ganz allgemein, in der
Natur wie in der Gesellschaft, erwarten könnte. Hier im Buch mit seiner
speziellen Thematik geht es natürlich immer um den einzelnen Sportler, sein
Tun, Fühlen und Denken. Das Befassen mit dem einzelnen Individuum spielte im
dialektischen Materialismus, wie er beispielsweise in der DDR gelehrt wurde, kaum
eine Rolle; was wahrscheinlich mit den ganz anderen gesellschaftlichen
Herausforderungen im damaligen Osten Deutschlands zusammenhing. Da musste die Philosophie gewissermaßen im
Existenz- und Überlebenskampf des Staates mit seinem Widerpart im Westen gerade
allgemeinen Fragen des Verhältnisses von Materie und Bewusstsein und im
Besonderen die gesellschaftlichen
Belange (auch auf Kosten des Befassens mit den Individuen) in den Mittelpunkt
ihrer Betrachtungen stellen. Sie verstand das Bewusstsein als eine
grundsätzliche Eigenschaft der Materie, als deren Produkt und Funktion, die
Welt zu erfassen und widerzuspiegeln. Und in dieser Wesensart sollte es auf
die materielle Welt in ihrer steten
Bewegung und Veränderung einwirken, um mit ihrem Wandel selbst einer
Entwicklung zu unterliegen hin zum Denken des Menschen. Daraus war
beispielsweise zu schlussfolgern, dass mit dem Tod das Leben und die Existenz eines
Menschen in seiner Einheit von Materie und Bewusstsein beendet sind. Aber
gerade ein solcher Standpunkt auf dem Boden des dialektischen Materialismus
macht nun die Lektüre des Buches von Arno Müller so spannend, weil man als Leser immer
wieder ganz besonders zur persönlichen Auseinandersetzung sowohl mit dem Inhalt
des Buches als auch mit eigenen Überzeugungen herausgefordert ist.
Von der Kunst zu sterben führt der Autor den Leser
schließlich zur Kunst zu leben und gibt damit sicherlich vielen eine
Lebenshilfe. „Das ‚Denken an den Tod‘“, zitiert er
Wilhelm Schmid, „ist, als äußerste Sorge, um die es im Leben geht, ein Charakteristikum der Philosophie seit ihren Anfängen.“ Diesen Gedanken immer wieder zu denken, sei eine Übung, „mit der das Selbst sich den Tod vor Augen hält, sich an ihn gewöhnt, Vertrautheit mit ihm gewinnt und ihm einen festen Ort in seinem Leben gibt. So verliert es die Furcht vor dem Tod und erreicht eine Gelassenheit im Umgang mit ihm, die ihm dereinst vielleicht erlaubt, ‚leicht sterben’ zu können“. Den Tod als Grenze zu akzeptieren, sich vertraut zu machen mit ihm, bedeute vor allem, „frei zu werden für das Leben und es auf diejenige Weise zu leben, die den Tod leicht machen kann. Der Gedanke an den Tod ist in einer reflektierten Lebenskunst gedacht als Ermutigung zum Leben, als Ansporn zum Auskosten der Fülle des Lebens, auch als Erleichterung in schwierigen Momenten des Lebens, in denen das Selbst sich sagen kann, dass alles, was zu schwer erscheint, dereinst zurückgelassen werden kann.“
Wilhelm Schmid, „ist, als äußerste Sorge, um die es im Leben geht, ein Charakteristikum der Philosophie seit ihren Anfängen.“ Diesen Gedanken immer wieder zu denken, sei eine Übung, „mit der das Selbst sich den Tod vor Augen hält, sich an ihn gewöhnt, Vertrautheit mit ihm gewinnt und ihm einen festen Ort in seinem Leben gibt. So verliert es die Furcht vor dem Tod und erreicht eine Gelassenheit im Umgang mit ihm, die ihm dereinst vielleicht erlaubt, ‚leicht sterben’ zu können“. Den Tod als Grenze zu akzeptieren, sich vertraut zu machen mit ihm, bedeute vor allem, „frei zu werden für das Leben und es auf diejenige Weise zu leben, die den Tod leicht machen kann. Der Gedanke an den Tod ist in einer reflektierten Lebenskunst gedacht als Ermutigung zum Leben, als Ansporn zum Auskosten der Fülle des Lebens, auch als Erleichterung in schwierigen Momenten des Lebens, in denen das Selbst sich sagen kann, dass alles, was zu schwer erscheint, dereinst zurückgelassen werden kann.“
[i] Arno
Müller, Risikosport. Suizid oder Lebenskunst?“, merus verlag, Hamburg 2008, ISBN
978-3-939519-68-3, 180 Seiten, 19,80 €
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