China – Vernunft als Wille
Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Heft Nr. 5/2018 - http://das-blaettchen.de/2018/02/china-vernunft-als-wille-43232.html)
Nach siebenjähriger Tätigkeit in China im Auftrag
einer deutschen staatlichen Schulbehörde legte Jörg Drenkelfort nun ein Buch[i] vor, in welchem er über
seine Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse berichtet. Sein offizieller
Status in China öffnete ihm manche Tür, sein allseitiges Interesse an dem
bevölkerungsreichsten Land der Erde mit seiner ältesten Kultur erschloss ihm
tiefe Einblicke in die chinesische Gesellschaft von heute, in ihr Denken und
ihre Probleme, sein verbindliches, einfühlsames Auftreten – wie aufgrund seiner
Schilderungen zu vermuten ist - sicherte ihm das freundliche Entgegenkommen der
Menschen im Reich der Mitte. Das Produkt: Eine spannende, zum Nachdenken
anregende Lektüre für die interessierte Leserschaft.
Drenkelfort schildert seine überraschenden Eindrücke
als Neuankömmling in China, führt uns wichtige Lebensabschnitte eines Chinesen
vor Augen, macht seine Leser bekannt mit den geistigen Säulen der chinesischen
Gesellschaft, vermittelt Vorstellungen von ihrer Mobilität und von den
Freizeitbeschäftigungen. Er erklärt die innere Ruhe und Ausgeglichenheit der
Chinesen (trotz aller offensichtlichen Widrigkeiten), ihren Sinn fürs
Praktische und ihr Bedürfnis nach Harmonie – im Unterschied zu uns Westlern,
bei denen seit den Zeiten der alten Griechen sich alles als Wettbewerb geriert,
sich in Auseinandersetzungen und Kämpfen regelt. Der Autor führt seine
Leserschaft mit den wichtigsten Festen durch das chinesische Jahr und nimmt sie
mit auf seine Reise durch Stadt und Land. Er zeigt, dass für Chinesen Freundschaft
nicht das Gleiche bedeutet wie für uns Europäer und gibt Tipps für die
Anbahnung geschäftlicher Beziehungen; um schließlich zur aktuellen chinesischen
Politik unter Xi Jinping Stellung zu nehmen.
Dem Leser wird bei all dieser Breite erlebte
Wirklichkeit dargestellt. Das bedeutet auch, dass ihm die hohe Dynamik der
chinesischen Gesellschaft vor Augen geführt wird. Sie zeigt sich in mancherlei
Hinsicht. Als zeitweiliger Lehrer und dann auch Verantwortlicher für den
Deutsch-Unterricht in der ganzen Provinz Sichuan kann der Autor sehr
detaillierte Einblicke in das chinesische Schulwesen vermitteln, in den Arbeitsalltag
der Schüler, der von der Frühe bis weit in den Abend reicht. Er beschreibt den
von Familie und Schulsystem betriebenen Aufwand und erzeugten Druck, aber auch
den Willen und Eifer der Kinder und Jugendlichen selbst. Geistige Grundlage dafür ist die im
Bewusstsein der chinesischen Gesellschaft allgegenwärtige Philosophie des
Konfuzius (eine der geistigen Säulen – neben dem Daoismus mit seiner
ganzheitlichen, dialektischen Betrachtungsweise der Welt, und dem Buddhismus)
mit den von diesem formulierten „fünf Tugenden“: Mitmenschlichkeit,
Rechtschaffenheit, Sittlichkeit, Klugheit und Zuverlässigkeit. Doch zeigt
Drenkelfort auch, wie dieses Bewusstsein bei den jungen Menschen mit
zunehmendem geschäftlichem Erfolg und Wohlstand zu erodieren beginnt und von
westlichen Wertvorstellungen beeinflusst wird. „Die allgegenwärtige
Modernisierung der Welt“, schreibt er, „heißt auch in China ‚Verwestlichung‘:
Deutsche Autos, Gucci-Taschen, Starbucks, I Phone. Nur in diese
Richtung scheint der Weg zu gehen, ohne Zögern, ohne Zurück. Alternativlos
sozusagen. Doch: Ohne Traditionen gibt es keine zivilisierte Gesellschaft. Das
weiß auch der aktuelle Staatspräsident, Xi Jinping, und versucht, chinesische
Geschichte und Kultur zu stärken und zu einem neuen (alten) Glanz zu
verhelfen.“ Die westliche Presse, heißt es weiter, kritisiere dies mit
Begriffen wie Nationalismus, Abschottung oder Einigeln. Und sie sehe nicht,
dass wir im eigenen Land schon lange dabei sind, unsere
christlich-abendländischen Werte und Traditionen ohne Wenn und Aber einer
grenzen- und ziellosen Beliebigkeit zu opfern. Es ist, so möchte man als Leser ergänzen,
die Grenzen- und Ziellosigkeit einer von Gier getriebenen Kapitalverwertung –
in ihrer ganzen Beliebigkeit und Rücksichtslosigkeit!
Nach Meinung des Autors verfolgt Xi Jinping einen
„chinesischen Traum“, der die harmonische Gesellschaft – orientiert an den seit
Jahrtausenden funktionierenden, sinnvollen Lebenshilfen chinesischer
Philosophen und Denker - in den
Mittelpunkt stellt und dem amerikanischen Way of Life als Alternative gegenüber
stehen soll. Und Drenkelfort fragt: „Kommt er damit in der Bevölkerung an? Wird
er Erfolg haben können?“ Seine Antwort: Entscheidend werde sein, wie sich vor
allem die Wirtschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird
und ob die Erfolge auch spürbar bei den Menschen ankommen. Schon jetzt nehme
die aufkommende Mittelklasse den Wohlstand an, ohne die Politik in Frage zu
stellen. Klare Ziele und Werte, Politiker und Unternehmer als Vorbilder sowie
die Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung seien weitere entscheidende
Aspekte, um das Land zu stabilisieren und dem konfuzianischen Ideal einer
harmonischen Gesellschaft näherzukommen. Immerhin habe Xi – im Unterschied zu
uns Europäern – für sein Land und seine Bewohner ein Konzept bereit, eine
Vision: Eine Welt, in der man friedlich nebeneinander lebt, in der man sich
gegenseitig hilft, statt sich zu bekämpfen, eine Welt in Harmonie und
Sicherheit. Auch hier möchte man ergänzend hinzufügen: Für den Rest der Welt
ist das sicherlich auch eine annehmbarere Perspektive als das frühere Gespenst
einer proletarischen Weltrevolution.
Aus einer ganz anderen Perspektive wurde die Situation
in China kürzlich bei einer Veranstaltung der Hellen Panke (Rosa-Luxemburg-Stiftung
Berlin) betrachtet. Ralf Ruckus, Publizist und Übersetzer, referierte da über
„Neue Ära oder baldiger Zusammenbruch in China?“ aus der Sicht (linker)
chinesischer Oppositioneller, insbesondere der Arbeiterschaft, beziehungsweise
ihrer Wortführer, und deren Kämpfe gegen unsägliche Ausbeutung, für soziale
Verbesserungen. Wie zu erwarten zeichnete er – bei aller Anerkennung der
ungeheuren Dynamik des Landes - ein sehr viel weniger optimistisches Bild vom
Reich der Mitte; vor allem wegen des sozialen Sprengstoffs einer gewaltig
zunehmenden Spaltung der chinesischen Gesellschaft in arm und reich. Sogar von
einem Neomaoismus war die Rede, der sich gegen den Neoliberalismus in China zur
Wehr setze. Interessant war nicht nur diese andere („marxistische“,
„politökonomische“) Sichtweise auf das Phänomen China, sondern ebenso die
Reaktion der Zuhörerschaft, die einen bemerkenswerten Gegenwind blies: Von Zusammenbruch
- und gar schon baldigem - könne überhaupt nicht die Rede sein, war die
einhellige Meinung von Damen und vor allem Herren, die zum Teil jahrelange
Kontakte verschiedenster Art nach China pflegen beziehungsweise dort gelebt und
gearbeitet haben. Neben dem gigantischen ökonomischen und
wissenschaftlich-technischen Zukunftspotential dieses Landes wurde, wie auch
von Drenkelfort, auf die Flexibilität seiner Führung hingewiesen; und auf ihre
prinzipielle Fähigkeit – dank des unbedingten Primats der Politik über die
Ökonomie –, den sozialen Gegensätzen und Konflikten gegenzusteuern.
Gerade an solcher Fähigkeit mangelt es nicht nur uns
Deutschen, sondern uns Europäern überhaupt – infolge unserer Geschichte und
unseres geistigen Erbes, worauf auch Denkelfort in seinem Buch hinweist. Seit
den Versuchen Karls des Großen, ein dauerhaftes europäisches Großreich zu
schaffen, ist unser Kontinent in
zahlreiche Staaten und kleinste staatliche Gebilde mit eigenen Sprachen,
Traditionen, Kulturen und so weiter zerfallen. Einerseits hat dies eine bedeutende
Vielfalt hervorgebracht, den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt
stimuliert, damit frühzeitig auch die bürgerliche, kapitalistische
Produktionsweise und Gesellschaft herbeigeführt. Doch andererseits behindert
diese Zerrissenheit staatlicher politischer
Macht heute die Möglichkeit, den über die staatlichen Grenzen
hinausgewachsenen, globalisierten kapitalistischen Markt mit all seinen
Widersprüchen zu steuern und so die sozialen Gegensätze und Konflikte
einzuschränken, also das Prinzip „Kapitalverwertung“ als ökonomischen Regulator
mehr und mehr durch eine vernünftige, sachlich ziel- und zweckgerichtete
Ordnung der Märkte sowie Regulierung des gesellschaftlichen
Reproduktionsprozesses nach dem Willen der Gesellschaft zu ersetzen. Wenn also
Ralf Ruckus auf besagter Veranstaltung kritisch feststellte, die heutige
Führung der KP Chinas berufe sich – trotz der Bezeichnung „Kommunistische“ im
Namen der Partei - so gut wie nicht mehr auf Karl Marx und Friedrich Engels, so
muss man doch sehen, dass, wenigstens für China, Konfuzius und der Daoismus
wohl nicht weniger bedeutende geistige Grundlagen zur Gestaltung einer neuen,
zukunftsorientierten Gesellschaft bieten. Denn mit ihrem Humanismus und ihrer
dialektischen, eigentlich auch materialistischen Betrachtungsweise der Welt (als
außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein sich entwickelnd)
widersprechen sie durchaus nicht marxistischem Denken. Gerade der Daoismus
bestätigte sich mit der Entwicklung der westlichen Industriestaaten während des
ganzen vorigen Jahrhunderts. Die dortigen Gesellschaften veränderten sich ohne die von Marx und Engels erwartete
Umgestaltung durch das Proletariat, sozusagen durch die innere Entwicklung, Reifung und Veränderung der Gegensätze selbst,
beispielsweise Kapital und Arbeit, infolge des wissenschaftlich-technischen
Fortschritts, dessen tragende Kraft eine ganz neue, von Marx und Engels noch
gar nicht zu untersuchende soziale Schicht geworden war: die
wissenschaftlich-technische Intelligenz. Und deren gesellschaftliche, politische
Bedeutung wurde von der kommunistischen Bewegung in der Welt infolge eines
dogmatisierten, auf die Arbeiterklasse (bis zum Ende des „Realsozialismus“ als „Hauptproduktivkraft“
hofiert) setzenden Marxismus sträflich unterschätzt.
Nur der Umbruch im Osten ging auf das Denken der
Klassiker des Sozialismus zurück – auch wenn er allgemein als das dominierende
Phänomen des 20. Jahrhunderts wahrgenommen wird. Damit hatte der Marxismus
seine aktuelle Aufgabe und Funktion als Ideologie des Proletariats weitgehend
erfüllt. Was die Welt heute braucht und erlebt ist die Herausbildung eines neuen Denkens auf alten, bewährten
Fundamenten. Zu diesen gehört zweifellos auch der Marxismus, einschließlich und
besonders des ökonomischen Denkens von Karl Marx, dessen Geburtstag sich am 5.
Mai zum 200. Mal jährt. Seine ökonomische Theorie gilt es aber - entsprechend dem
Wesen der heutigen Realität - weiterzuentwickeln
zu einer allgemeinen Reproduktionstheorie der Gesellschaft im 21. Jahrhundert.
Solches, zwischen Erscheinung und Wesen ökonomischer Beziehungen
unterscheidendes Denken ist eine Herausforderung für die
Wirtschaftswissenschaft. Und es muss – als Konsequenz - aller Arbeit wieder vernünftige Ziele und
Zwecke im Rahmen einer beispielsweise
europäischen Regionalisierung von Politik und Ökonomie geben entsprechend
den Bedürfnissen der Gesellschaft als Ganze und gemäß den ökologischen
Erfordernissen. Es muss zu einem unbedingten Primat der Politik über die
Ökonomie führen, also den heutigen Lobbyismus des Kapitals quasi umkehren, die
Verwertung von Kapital als destruktiver Selbstzweck von Arbeit wenigstens schrittweise überwinden und
sich in seinen Entscheidungen am Verhältnis von Aufwand und Nutzen für die
Gesellschaft orientieren. Dieses neue Denken muss als Politik die ökonomische
Vernunft zum gesellschaftlichen Willen machen. Um solche für die Zukunft der
Völker wesentlichen Fragen müsste es bei Richtungsentscheidungen im Zuge von
Wahlen zu den Parlamenten in Europa gehen – anstatt sich der Steuerung durch
ein sinnwidriges, auf den Kapitalmärkten wirkendes Prinzip blind zu unterwerfen
und auf Parteitagen oder bei Koalitionsvereinbarungen die Arbeit von
Fachverbänden zu erledigen.
Jörg Drenkelfort hat so weit reichende Überlegungen
nicht im Auge und nicht bezweckt. Aber sein Buch ist so anregend, dass eben jedermann
sich auch seine eigenen Gedanken machen wird.
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http://das-blaettchen.de/forum.html
Autor: Werner Richter
Kommentar:
Zu China – Vernunft als Wille von Heerke Hummel
Das Phänomen China ist schon sehr interessant, ist es
doch das einzige Land mit einer zumindest noch formal kommunistischen Führung,
wenn man nur die Bezeichnungen betrachtet, das einen Weg eingeschlagen zu haben
scheint, der am Horizont ein kommunistisches Fanal noch als möglich erscheinen
läßt. Daß dies mittels Primat der Politik erreicht wurde, gilt wohl als
unstrittig. Aber wo ist dieses Primat in der Gesellschaftsstruktur angesiedelt?
Beantwortet man diese Frage auf herkömmliche marxistisch-leninistische Weise:
mit dem Überbau als Platz. Die Produktionsverhältnisse jedoch wie die
Produktivkräfte werden so der Basis zugerechnet. Unter diesem Blickwinkel hieße
Primat der Politik zugleich Primat des Überbaus. Spätestens hier käme der
Marxismus/Leninismus ins Stocken, kann ja eigentlich nicht sein. Beweise für
die Existenz des Gegenteils sind hier überflüssig. Wer hat denn nun dieses
Primat erfunden? Die Chinesen, die Schweizer? Nein, die Japaner. Das war der
Weg Japans zum asiatischen Hegemon, und ganz im Sinne des Kapitals und ohne
sozialistische Fernzielversprechen. Es
ist durchaus damit zu rechnen, daß in China ein neuer Typus des Kapitalismus
zur Welthegemonie entsteht, der die sozialistische Illusion aus
innenpolitischen Gründen solange wie möglich aufrecht erhält. Nicht als bewußte
Täuschung des Volkes, man kann auch der Führung ihren Glauben an einen
sozialistischen Weg dergestalt nicht absprechen, sondern aus dem Diktat des
Kapitals, des Wertgesetzes und der Verwertungsnotwendigkeit des
marktwirtschaftlichen Systems. Noch soviel staatliche Regulierung kann
letzteres nicht aufheben, im Gegenteil, die Erfahrungen der zusätzlichen
Dysfunktionalisierung der Marktmechanismen durch staatliche Regulierung sind
noch gegenwärtig. Wie z.B. in der DDR stets der Frage ausgewichen wurde, wie
denn nach Vollendung der Kasernenhofgesellschaft eine selbstbestimmte freie
Gesellschaft, vor allem die freie Assoziation freier Produzenten, erreicht
werden kann, so wird auch in China dieser Frage ausgewichen. Es ist ein
Umschlag von (Putin) “kontrollierter Demokratie“, die auch in China praktiziert
wird, in eine tatsächliche auf dem Weg zu einem vollendeten Kapitalsystem
schlichtweg nicht vorstellbar. Wer, wann, wo? Ob man es einsieht oder nicht,
ohne vollständige Beseitigung der Grundlagen des Kapitalismus, Kapital, Wert,
Ware und Geld geht selbst nach großen Crashs alles wieder auf Nullpunkt und der
Kreislauf beginnt von vorn. Die Existenz des autonomen, brachialen und
urwüchsigen Warensystems zwingt immer wieder dazu. Es ist in Zukunft zu
beobachten, ob die KP Chinas diese Einsicht hat und parallele Strukturen der
Bedarfsgüterproduktion außerhalb des Warensystems aufbaut bis zu deren
Dominanz. Z.Z. sieht es eher nicht danach aus. Das Kapital selbst verhält sich
zu staatlicher Regulierung abwartend, solange seine Interessen vertreten
werden. Das war und ist überall so. Wenn aber die kurzfristigen Interessen ganz
objektiv übermächtig werden, setzt es neoliberale Modelle durch und der Staat
erfüllt das, dazu ist er da. Auf eine Änderung des Selbstverständnisses des
Staates zu hoffen, wer soll das dann bewerkstelligen, ist wie den Mond
anzubellen.
Erwiderung an Werner Richter
Lieber Werner Richter, Skepsis wie die Ihre ist immer
angebracht, denn es gibt keine Gewissheiten. Und denkbar ist natürlich auch,
dass - womit Sie zu rechnen scheinen – „in China ein neuer Typus des
Kapitalismus zur Welthegemonie entsteht“. Aber „aus dem Diktat des Kapitals,
des Wertgesetzes und der Verwertungsnotwendigkeit des marktwirtschaftlichen
Systems“ heraus? Dann wäre das Primat der Politik über die Ökonomie – so wie
ich es als Beherrschung der „Verwertungsnotwendigkeit“ meine – nicht mehr
gegeben. Ich glaube auch nicht mehr an die Wirkung „des Wertgesetzes“ und an eine
„Verwertungsnotwendigkeit des marktwirtschaftlichen Systems“ in heutiger Zeit.
Dazu folgendes:
a) Womit
wir es heute zu tun haben ist eine weitgehend monopolistisch und
imperialistisch geprägte Erzeugungs-, Verteilungs- und Vernichtungsweise des
Reichtums der Gesellschaft und ihrer Ressourcen.
b) Die
menschliche Gesellschaft stand schon immer unter dem Druck eines ganz
allgemeinen Gesetzes der Ökonomie der Zeit, das heute energischer denn je Druck
macht.
c) Zu
entscheiden war und wird immer sein, wieviel Arbeit jeder Einzelne und die
Gesellschaft als Ganze bereit ist für die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse
aufzuwenden. Dies ist der durchaus rationelle Kern der sogenannten
Grenznutzentheorie, auch wenn diese natürlich nicht den Wertbildungsprozess
erklären kann bzw. konnte.
d) Dennoch
muss, je weitgehender die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist, dieser
Ermittlung des Grenznutzens entsprochen werden – mit einer Möglichkeit des
Schwankens der Preise um den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand, den
die Gesellschaft immer wird ermitteln müssen, um zu haushalten. Insofern also
marktwittschaftlich!
e) Mit
Kapitalverwertung muss das nicht notwendigerweise etwas zu tun haben.
Kapitalverwertung ist ein subjektives, desaströses Ziel der Produktion, weil es
dieser den vernünftigen Zweck der Bedürfnisbefriedigung nimmt und sinnlose
Ressourcenvernichtung bewirkt bzw. akzeptiert. Die Befriedigung eines
Bedürfnisses ins Verhältnis zum dafür notwendigen Arbeitsaufwand zu setzen ist
dagegen ein (oftmals unbewusster) tatsächlicher und insofern objektiver Vorgang
menschlichen Verhaltens im Zuge von Produktion Konsumtion des erzeugten
Reichtums.
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http://das-blaettchen.de/forum.html
Autor: Stephan Wohanka
Kommentar:
China – Vernunft als Wille
Heerke Hummel schreibt: „Immerhin habe Xi – im
Unterschied zu uns Europäern – für sein Land und seine Bewohner ein Konzept
bereit, eine Vision: Eine Welt, in der man friedlich nebeneinander lebt, in der
man sich gegenseitig hilft, statt sich zu bekämpfen, eine Welt in Harmonie und
Sicherheit. Auch hier möchte man ergänzend hinzufügen: Für den Rest der Welt
ist das sicherlich auch eine annehmbarere Perspektive als das frühere Gespenst
einer proletarischen Weltrevolution“.
Sicherlich – die Perspektive der Weltrevolution ist
passé; aber daraus gleich eine chinesisch gestaltete „Welt in Harmonie und
Sicherheit“ zu machen – ist das nicht etwas zu stark aufgeschnitten? Ich bin
kein Kenner Chinas, insofern ist diese Frage auch zugleich Aufforderung zur
Aufklärung… Klar ist – denke ich - über kurz oder lang wird China seine
wirtschaftliche Macht auch politisch und vor allem geostrategisch einsetzen;
was heute schon sichtbar ist: Mehrere Staaten streiten schon seit Jahren um das
rohstoffreiche Territorium im Südchinesischen Meer. China versucht, sich mit
Macht bei diesen Streitigkeiten durchzusetzen und beansprucht mittlerweile fast
das gesamte Südchinesische Meer für sich - einschließlich der Regionen vor den
Küsten von Vietnam, Malaysia und den Philippinen. Hält sich China dabei an
internationale Normen und Regeln? Es schickt immer wieder Schiffe in das Gebiet
und schüttet künstliche Inseln aus Sand rund um die Spratly-Inseln und am
Mischief Reef auf - vermutlich um Militärbasen darauf zu errichten. Schürt
nicht diese Art der „Landgewinnung“ in der Region Ängste vor dem übermächtigen
Nachbarn? Auch mit Japan streitet China seit Jahren um eine Inselgruppe im
Ostchinesischen Meer.
Zugleich verfolgt Peking seine Energie- und
Rohstoffinteressen immer nachdrücklicher und sichert sich durch großzügige
Entwicklungsbeihilfen und Investitionen wachsenden Einfluss sowohl in Asien wie
auch in zahlreichen Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Hat das nicht gewisse
neokoloniale Züge?
Also mehr Fragen als Gewissheiten… aber das ist wohl
bezüglich China im Moment so.
Erwiderung an Stephan Wohanka
Lieber Herr Wohanka, schön, dass Sie den Blick auf
China etwas erweitern! Ich fühle mich eigentlich frei von Gewissheiten. Alles
ist möglich, habe ja genug erlebt in fast acht Jahrzehnten. Doch ich stelle
auch in Rechnung, welche Ursachen zu manchen Geschehnissen geführt haben können
und woher handelnde Personen kommen, welchen Lebensweg sie hinter sich haben
und welche Motivationen.
Für China als Ganzes mit 1,4 Milliarden
Einwohnern, einer sehr leidvollen
(Kolonial-)Geschichte und angesichts jahrzehntelanger Einkreisungsbemühungen
der USA sowie deren Aktionen nach dem zweiten Weltkrieg in aller Welt sieht
Letztere heute ganz anders aus als für uns Europäer. Der Imperialismus Europas
und der USA hat während des ganzen vorigen Jahrhunderts eine völlig neue
Unsicherheit in die Welt gebracht. Deng Xiao Ping und die Reformer nach ihm
haben gegen diesen Imperialismus eine neue Strategie entwickelt, indem sie die
gleichen Mittel wie dieser benutzen, aber sich die politische Macht bewahrt
haben, Ziel und Zweck allen Wirtschaftens zu bestimmen, diesen „chinesischen
Kapitalismus“ zu dirigieren. Natürlich ist das ein von Vielen als höchst
risikoreich eingeschätztes Unterfangen. Das dürfte wohl auch ein Grund dafür
gewesen sein, dass Gorbatschow in den 1980er Jahren durch Erich Honecker vermittelten
Annäherungsbemühungen der Chinesen an die Sowjetunion (von denen kürzlich Egon
Krenz bei einem Vortrag im Karl-Liebknecht-Haus, Berlin, sprach) eine Absage
erteilte. Zu groß scheint das allgemeine gegenseitige Misstrauen gewesen zu
sein.
Mir, Herr Wohanka, fiele es schwer, den Reformern
selbst unlautere persönliche Absichten zu unterstellen. Gleichwohl können
Macht- und Zielveränderungen in China nicht ausgeschlossen werden. Doch die
jetzige chinesische Strategie könnte vielleicht auch andere Regionen in der
Welt stark beeinflussen und zu einer Regionalisierung im Sinne der
Herausbildung großer Wirtschaftsräume mit eigenen politischen
Koordinierungszentren führen. Über solche Gebilde ließe sich möglicherweise
auch eine vernünftige Bewirtschaftung unseres Planeten organisieren. Denn um die Welt von dem desaströsen,
politisch gestützten und geschützten Prinzip „Kapitalverwertung“ als
zerstörerischer Selbstzweck aller Produktion durch gesetzliche Grenzen für die
Handlungsspielräume ökonomischer Akteure zu befreien und gesellschaftliche
Ziele zu formulieren, bedarf es konzentrierter politischer Macht. Das hätte
nichts mit „Kasernenhofgesellschaft“ (W. Richter) zu tun. Es geht um die
allmähliche, aber zielgerichtete Herausbildung eines flexiblen Systems der
Organisation ökonomischer Prozesse in der Einheit von Eigeninitiative und
zentraler Steuerung im Interesse aller Menschen. Das wird meines Erachtens
immer im Rahmen von Märkten geschehen, aber eben nicht notwendigerweise von
Märkten einer privaten Kapitalverwertung, weil sie entsprechenden Regeln
unterlägen.
Was nun aber noch einmal direkt die Person des
hierzulande höchst umstrittenen Xi Jinping betrifft, so sei eine Begebenheit
angeführt, von der Egon Krenz bei seinem oben erwähnten Vortrag ebenfalls berichtete:
Als Xi 1989 - damals noch als Minister der VR China - die DDR besuchte und,
begleitet von E. Krenz, die Sehenswürdigkeiten von Weimar besichtigte, soll er
seine deutschen Gastgeber mit seinen profunden Kenntnissen deutscher Geschichte
und Kultur erstaunt haben, indem er beispielsweise (frei aus dem Gedächtnis und
auf Deutsch!) aus dem Schluss von Goethes "Faust II" zitierte. -
"Das ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Freiheit wie
das Leben, der täglich sie erobern muss. Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr. Solch ein Gewimmel möcht' ich
sehn, auf freiem Grund mit freiem Volke stehn." Und dieser Mann habe, so
Krenz, auf dem jüngsten Parteitag der KPCh von einer "neuen Ära der Volksrepublik
China" gesprochen und davon, dass nur durch Reformen ein Überleben des
Marxismus-Leninismus möglich sein werde. Ich würde daraus auf einen Willen der Vernunft schließen.
[i] Jörg
Drenkelfort, Sieben Jahre China - Erfahrungen aus dem Reich der Mitte,
Eigenverlag, 53113 Bonn, Augustusring 22, Sept. 2017, ISBN 978-3-00-057739-0,
314 S., 25,-- €
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