Samstag, 10. März 2018

China - Vernunft als Wille



China – Vernunft als Wille
Von Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Heft Nr. 5/2018 - http://das-blaettchen.de/2018/02/china-vernunft-als-wille-43232.html)

Nach siebenjähriger Tätigkeit in China im Auftrag einer deutschen staatlichen Schulbehörde legte Jörg Drenkelfort nun ein Buch[i] vor, in welchem er über seine Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse berichtet. Sein offizieller Status in China öffnete ihm manche Tür, sein allseitiges Interesse an dem bevölkerungsreichsten Land der Erde mit seiner ältesten Kultur erschloss ihm tiefe Einblicke in die chinesische Gesellschaft von heute, in ihr Denken und ihre Probleme, sein verbindliches, einfühlsames Auftreten – wie aufgrund seiner Schilderungen zu vermuten ist - sicherte ihm das freundliche Entgegenkommen der Menschen im Reich der Mitte. Das Produkt: Eine spannende, zum Nachdenken anregende Lektüre für die interessierte Leserschaft.
Drenkelfort schildert seine überraschenden Eindrücke als Neuankömmling in China, führt uns wichtige Lebensabschnitte eines Chinesen vor Augen, macht seine Leser bekannt mit den geistigen Säulen der chinesischen Gesellschaft, vermittelt Vorstellungen von ihrer Mobilität und von den Freizeitbeschäftigungen. Er erklärt die innere Ruhe und Ausgeglichenheit der Chinesen (trotz aller offensichtlichen Widrigkeiten), ihren Sinn fürs Praktische und ihr Bedürfnis nach Harmonie – im Unterschied zu uns Westlern, bei denen seit den Zeiten der alten Griechen sich alles als Wettbewerb geriert, sich in Auseinandersetzungen und Kämpfen regelt. Der Autor führt seine Leserschaft mit den wichtigsten Festen durch das chinesische Jahr und nimmt sie mit auf seine Reise durch Stadt und Land. Er zeigt, dass für Chinesen Freundschaft nicht das Gleiche bedeutet wie für uns Europäer und gibt Tipps für die Anbahnung geschäftlicher Beziehungen; um schließlich zur aktuellen chinesischen Politik unter Xi Jinping Stellung zu nehmen.
Dem Leser wird bei all dieser Breite erlebte Wirklichkeit dargestellt. Das bedeutet auch, dass ihm die hohe Dynamik der chinesischen Gesellschaft vor Augen geführt wird. Sie zeigt sich in mancherlei Hinsicht. Als zeitweiliger Lehrer und dann auch Verantwortlicher für den Deutsch-Unterricht in der ganzen Provinz Sichuan kann der Autor sehr detaillierte Einblicke in das chinesische Schulwesen vermitteln, in den Arbeitsalltag der Schüler, der von der Frühe bis weit in den Abend reicht. Er beschreibt den von Familie und Schulsystem betriebenen Aufwand und erzeugten Druck, aber auch den Willen und Eifer der Kinder und Jugendlichen selbst.  Geistige Grundlage dafür ist die im Bewusstsein der chinesischen Gesellschaft allgegenwärtige Philosophie des Konfuzius (eine der geistigen Säulen – neben dem Daoismus mit seiner ganzheitlichen, dialektischen Betrachtungsweise der Welt, und dem Buddhismus) mit den von diesem formulierten „fünf Tugenden“: Mitmenschlichkeit, Rechtschaffenheit, Sittlichkeit, Klugheit und Zuverlässigkeit. Doch zeigt Drenkelfort auch, wie dieses Bewusstsein bei den jungen Menschen mit zunehmendem geschäftlichem Erfolg und Wohlstand zu erodieren beginnt und von westlichen Wertvorstellungen beeinflusst wird. „Die allgegenwärtige Modernisierung der Welt“, schreibt er, „heißt auch in China ‚Verwestlichung‘: Deutsche Autos, Gucci-Taschen, Starbucks, I Phone. Nur in diese Richtung scheint der Weg zu gehen, ohne Zögern, ohne Zurück. Alternativlos sozusagen. Doch: Ohne Traditionen gibt es keine zivilisierte Gesellschaft. Das weiß auch der aktuelle Staatspräsident, Xi Jinping, und versucht, chinesische Geschichte und Kultur zu stärken und zu einem neuen (alten) Glanz zu verhelfen.“ Die westliche Presse, heißt es weiter, kritisiere dies mit Begriffen wie Nationalismus, Abschottung oder Einigeln. Und sie sehe nicht, dass wir im eigenen Land schon lange dabei sind, unsere christlich-abendländischen Werte und Traditionen ohne Wenn und Aber einer grenzen- und ziellosen Beliebigkeit zu opfern. Es ist, so möchte man als Leser ergänzen, die Grenzen- und Ziellosigkeit einer von Gier getriebenen Kapitalverwertung – in ihrer ganzen Beliebigkeit und Rücksichtslosigkeit!
Nach Meinung des Autors verfolgt Xi Jinping einen „chinesischen Traum“, der die harmonische Gesellschaft – orientiert an den seit Jahrtausenden funktionierenden, sinnvollen Lebenshilfen chinesischer Philosophen und Denker -  in den Mittelpunkt stellt und dem amerikanischen Way of Life als Alternative gegenüber stehen soll. Und Drenkelfort fragt: „Kommt er damit in der Bevölkerung an? Wird er Erfolg haben können?“ Seine Antwort: Entscheidend werde sein, wie sich vor allem die Wirtschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird und ob die Erfolge auch spürbar bei den Menschen ankommen. Schon jetzt nehme die aufkommende Mittelklasse den Wohlstand an, ohne die Politik in Frage zu stellen. Klare Ziele und Werte, Politiker und Unternehmer als Vorbilder sowie die Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung seien weitere entscheidende Aspekte, um das Land zu stabilisieren und dem konfuzianischen Ideal einer harmonischen Gesellschaft näherzukommen. Immerhin habe Xi – im Unterschied zu uns Europäern – für sein Land und seine Bewohner ein Konzept bereit, eine Vision: Eine Welt, in der man friedlich nebeneinander lebt, in der man sich gegenseitig hilft, statt sich zu bekämpfen, eine Welt in Harmonie und Sicherheit. Auch hier möchte man ergänzend hinzufügen: Für den Rest der Welt ist das sicherlich auch eine annehmbarere Perspektive als das frühere Gespenst einer proletarischen Weltrevolution.
Aus einer ganz anderen Perspektive wurde die Situation in China kürzlich bei einer Veranstaltung der Hellen Panke (Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin) betrachtet. Ralf Ruckus, Publizist und Übersetzer, referierte da über „Neue Ära oder baldiger Zusammenbruch in China?“ aus der Sicht (linker) chinesischer Oppositioneller, insbesondere der Arbeiterschaft, beziehungsweise ihrer Wortführer, und deren Kämpfe gegen unsägliche Ausbeutung, für soziale Verbesserungen. Wie zu erwarten zeichnete er – bei aller Anerkennung der ungeheuren Dynamik des Landes - ein sehr viel weniger optimistisches Bild vom Reich der Mitte; vor allem wegen des sozialen Sprengstoffs einer gewaltig zunehmenden Spaltung der chinesischen Gesellschaft in arm und reich. Sogar von einem Neomaoismus war die Rede, der sich gegen den Neoliberalismus in China zur Wehr setze. Interessant war nicht nur diese andere („marxistische“, „politökonomische“) Sichtweise auf das Phänomen China, sondern ebenso die Reaktion der Zuhörerschaft, die einen bemerkenswerten Gegenwind blies: Von Zusammenbruch - und gar schon baldigem - könne überhaupt nicht die Rede sein, war die einhellige Meinung von Damen und vor allem Herren, die zum Teil jahrelange Kontakte verschiedenster Art nach China pflegen beziehungsweise dort gelebt und gearbeitet haben. Neben dem gigantischen ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zukunftspotential dieses Landes wurde, wie auch von Drenkelfort, auf die Flexibilität seiner Führung hingewiesen; und auf ihre prinzipielle Fähigkeit – dank des unbedingten Primats der Politik über die Ökonomie –, den sozialen Gegensätzen und Konflikten gegenzusteuern.
Gerade an solcher Fähigkeit mangelt es nicht nur uns Deutschen, sondern uns Europäern überhaupt – infolge unserer Geschichte und unseres geistigen Erbes, worauf auch Denkelfort in seinem Buch hinweist. Seit den Versuchen Karls des Großen, ein dauerhaftes europäisches Großreich zu schaffen, ist unser Kontinent  in zahlreiche Staaten und kleinste staatliche Gebilde mit eigenen Sprachen, Traditionen, Kulturen und so weiter zerfallen. Einerseits hat dies eine bedeutende Vielfalt hervorgebracht, den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt stimuliert, damit frühzeitig auch die bürgerliche, kapitalistische Produktionsweise und Gesellschaft herbeigeführt. Doch andererseits behindert diese Zerrissenheit staatlicher politischer Macht heute die Möglichkeit, den über die staatlichen Grenzen hinausgewachsenen, globalisierten kapitalistischen Markt mit all seinen Widersprüchen zu steuern und so die sozialen Gegensätze und Konflikte einzuschränken, also das Prinzip „Kapitalverwertung“ als ökonomischen Regulator mehr und mehr durch eine vernünftige, sachlich ziel- und zweckgerichtete Ordnung der Märkte sowie Regulierung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses nach dem Willen der Gesellschaft zu ersetzen. Wenn also Ralf Ruckus auf besagter Veranstaltung kritisch feststellte, die heutige Führung der KP Chinas berufe sich – trotz der Bezeichnung „Kommunistische“ im Namen der Partei - so gut wie nicht mehr auf Karl Marx und Friedrich Engels, so muss man doch sehen, dass, wenigstens für China, Konfuzius und der Daoismus wohl nicht weniger bedeutende geistige Grundlagen zur Gestaltung einer neuen, zukunftsorientierten Gesellschaft bieten. Denn mit ihrem Humanismus und ihrer dialektischen, eigentlich auch materialistischen Betrachtungsweise der Welt (als außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein sich entwickelnd) widersprechen sie durchaus nicht marxistischem Denken. Gerade der Daoismus bestätigte sich mit der Entwicklung der westlichen Industriestaaten während des ganzen vorigen Jahrhunderts. Die dortigen Gesellschaften veränderten sich ohne die von Marx und Engels erwartete Umgestaltung durch das Proletariat, sozusagen durch die innere Entwicklung, Reifung und Veränderung der Gegensätze selbst, beispielsweise Kapital und Arbeit, infolge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, dessen tragende Kraft eine ganz neue, von Marx und Engels noch gar nicht zu untersuchende soziale Schicht geworden war: die wissenschaftlich-technische Intelligenz. Und deren gesellschaftliche, politische Bedeutung wurde von der kommunistischen Bewegung in der Welt infolge eines dogmatisierten, auf die Arbeiterklasse (bis zum Ende des „Realsozialismus“ als „Hauptproduktivkraft“ hofiert) setzenden Marxismus sträflich unterschätzt.
Nur der Umbruch im Osten ging auf das Denken der Klassiker des Sozialismus zurück – auch wenn er allgemein als das dominierende Phänomen des 20. Jahrhunderts wahrgenommen wird. Damit hatte der Marxismus seine aktuelle Aufgabe und Funktion als Ideologie des Proletariats weitgehend erfüllt. Was die Welt heute braucht und erlebt ist die Herausbildung eines neuen Denkens auf alten, bewährten Fundamenten. Zu diesen gehört zweifellos auch der Marxismus, einschließlich und besonders des ökonomischen Denkens von Karl Marx, dessen Geburtstag sich am 5. Mai zum 200. Mal jährt. Seine ökonomische Theorie gilt es aber - entsprechend dem Wesen der heutigen Realität - weiterzuentwickeln zu einer allgemeinen Reproduktionstheorie der Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Solches, zwischen Erscheinung und Wesen ökonomischer Beziehungen unterscheidendes Denken ist eine Herausforderung für die Wirtschaftswissenschaft. Und es muss – als Konsequenz -  aller Arbeit wieder vernünftige Ziele und Zwecke im Rahmen einer beispielsweise europäischen Regionalisierung von Politik und Ökonomie geben entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft als Ganze und gemäß den ökologischen Erfordernissen. Es muss zu einem unbedingten Primat der Politik über die Ökonomie führen, also den heutigen Lobbyismus des Kapitals quasi umkehren, die Verwertung von Kapital als destruktiver Selbstzweck von Arbeit wenigstens schrittweise überwinden und sich in seinen Entscheidungen am Verhältnis von Aufwand und Nutzen für die Gesellschaft orientieren. Dieses neue Denken muss als Politik die ökonomische Vernunft zum gesellschaftlichen Willen machen. Um solche für die Zukunft der Völker wesentlichen Fragen müsste es bei Richtungsentscheidungen im Zuge von Wahlen zu den Parlamenten in Europa gehen – anstatt sich der Steuerung durch ein sinnwidriges, auf den Kapitalmärkten wirkendes Prinzip blind zu unterwerfen und auf Parteitagen oder bei Koalitionsvereinbarungen die Arbeit von Fachverbänden zu erledigen.
Jörg Drenkelfort hat so weit reichende Überlegungen nicht im Auge und nicht bezweckt. Aber sein Buch ist so anregend, dass eben jedermann sich auch seine eigenen Gedanken machen wird.

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Autor: Werner Richter
Kommentar:
Zu China – Vernunft als Wille von Heerke Hummel         
Das Phänomen China ist schon sehr interessant, ist es doch das einzige Land mit einer zumindest noch formal kommunistischen Führung, wenn man nur die Bezeichnungen betrachtet, das einen Weg eingeschlagen zu haben scheint, der am Horizont ein kommunistisches Fanal noch als möglich erscheinen läßt. Daß dies mittels Primat der Politik erreicht wurde, gilt wohl als unstrittig. Aber wo ist dieses Primat in der Gesellschaftsstruktur angesiedelt? Beantwortet man diese Frage auf herkömmliche marxistisch-leninistische Weise: mit dem Überbau als Platz. Die Produktionsverhältnisse jedoch wie die Produktivkräfte werden so der Basis zugerechnet. Unter diesem Blickwinkel hieße Primat der Politik zugleich Primat des Überbaus. Spätestens hier käme der Marxismus/Leninismus ins Stocken, kann ja eigentlich nicht sein. Beweise für die Existenz des Gegenteils sind hier überflüssig. Wer hat denn nun dieses Primat erfunden? Die Chinesen, die Schweizer? Nein, die Japaner. Das war der Weg Japans zum asiatischen Hegemon, und ganz im Sinne des Kapitals und ohne sozialistische Fernzielversprechen.  Es ist durchaus damit zu rechnen, daß in China ein neuer Typus des Kapitalismus zur Welthegemonie entsteht, der die sozialistische Illusion aus innenpolitischen Gründen solange wie möglich aufrecht erhält. Nicht als bewußte Täuschung des Volkes, man kann auch der Führung ihren Glauben an einen sozialistischen Weg dergestalt nicht absprechen, sondern aus dem Diktat des Kapitals, des Wertgesetzes und der Verwertungsnotwendigkeit des marktwirtschaftlichen Systems. Noch soviel staatliche Regulierung kann letzteres nicht aufheben, im Gegenteil, die Erfahrungen der zusätzlichen Dysfunktionalisierung der Marktmechanismen durch staatliche Regulierung sind noch gegenwärtig. Wie z.B. in der DDR stets der Frage ausgewichen wurde, wie denn nach Vollendung der Kasernenhofgesellschaft eine selbstbestimmte freie Gesellschaft, vor allem die freie Assoziation freier Produzenten, erreicht werden kann, so wird auch in China dieser Frage ausgewichen. Es ist ein Umschlag von (Putin) “kontrollierter Demokratie“, die auch in China praktiziert wird, in eine tatsächliche auf dem Weg zu einem vollendeten Kapitalsystem schlichtweg nicht vorstellbar. Wer, wann, wo? Ob man es einsieht oder nicht, ohne vollständige Beseitigung der Grundlagen des Kapitalismus, Kapital, Wert, Ware und Geld geht selbst nach großen Crashs alles wieder auf Nullpunkt und der Kreislauf beginnt von vorn. Die Existenz des autonomen, brachialen und urwüchsigen Warensystems zwingt immer wieder dazu. Es ist in Zukunft zu beobachten, ob die KP Chinas diese Einsicht hat und parallele Strukturen der Bedarfsgüterproduktion außerhalb des Warensystems aufbaut bis zu deren Dominanz. Z.Z. sieht es eher nicht danach aus. Das Kapital selbst verhält sich zu staatlicher Regulierung abwartend, solange seine Interessen vertreten werden. Das war und ist überall so. Wenn aber die kurzfristigen Interessen ganz objektiv übermächtig werden, setzt es neoliberale Modelle durch und der Staat erfüllt das, dazu ist er da. Auf eine Änderung des Selbstverständnisses des Staates zu hoffen, wer soll das dann bewerkstelligen, ist wie den Mond anzubellen.

Erwiderung an Werner Richter
Lieber Werner Richter, Skepsis wie die Ihre ist immer angebracht, denn es gibt keine Gewissheiten. Und denkbar ist natürlich auch, dass - womit Sie zu rechnen scheinen – „in China ein neuer Typus des Kapitalismus zur Welthegemonie entsteht“. Aber „aus dem Diktat des Kapitals, des Wertgesetzes und der Verwertungsnotwendigkeit des marktwirtschaftlichen Systems“ heraus? Dann wäre das Primat der Politik über die Ökonomie – so wie ich es als Beherrschung der „Verwertungsnotwendigkeit“ meine – nicht mehr gegeben. Ich glaube auch nicht mehr an die Wirkung „des Wertgesetzes“ und an eine „Verwertungsnotwendigkeit des marktwirtschaftlichen Systems“ in heutiger Zeit. Dazu folgendes:
a)      Womit wir es heute zu tun haben ist eine weitgehend monopolistisch und imperialistisch geprägte Erzeugungs-, Verteilungs- und Vernichtungsweise des Reichtums der Gesellschaft und ihrer Ressourcen.
b)      Die menschliche Gesellschaft stand schon immer unter dem Druck eines ganz allgemeinen Gesetzes der Ökonomie der Zeit, das heute energischer denn je Druck macht.
c)      Zu entscheiden war und wird immer sein, wieviel Arbeit jeder Einzelne und die Gesellschaft als Ganze bereit ist für die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse aufzuwenden. Dies ist der durchaus rationelle Kern der sogenannten Grenznutzentheorie, auch wenn diese natürlich nicht den Wertbildungsprozess erklären kann bzw. konnte.
d)     Dennoch muss, je weitgehender die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist, dieser Ermittlung des Grenznutzens entsprochen werden – mit einer Möglichkeit des Schwankens der Preise um den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand, den die Gesellschaft immer wird ermitteln müssen, um zu haushalten. Insofern also marktwittschaftlich!
e)      Mit Kapitalverwertung muss das nicht notwendigerweise etwas zu tun haben. Kapitalverwertung ist ein subjektives, desaströses Ziel der Produktion, weil es dieser den vernünftigen Zweck der Bedürfnisbefriedigung nimmt und sinnlose Ressourcenvernichtung bewirkt bzw. akzeptiert. Die Befriedigung eines Bedürfnisses ins Verhältnis zum dafür notwendigen Arbeitsaufwand zu setzen ist dagegen ein (oftmals unbewusster) tatsächlicher und insofern objektiver Vorgang menschlichen Verhaltens im Zuge von Produktion Konsumtion des erzeugten Reichtums.





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Autor: Stephan Wohanka
Kommentar:
China – Vernunft als Wille
Heerke Hummel schreibt: „Immerhin habe Xi – im Unterschied zu uns Europäern – für sein Land und seine Bewohner ein Konzept bereit, eine Vision: Eine Welt, in der man friedlich nebeneinander lebt, in der man sich gegenseitig hilft, statt sich zu bekämpfen, eine Welt in Harmonie und Sicherheit. Auch hier möchte man ergänzend hinzufügen: Für den Rest der Welt ist das sicherlich auch eine annehmbarere Perspektive als das frühere Gespenst einer proletarischen Weltrevolution“.
Sicherlich – die Perspektive der Weltrevolution ist passé; aber daraus gleich eine chinesisch gestaltete „Welt in Harmonie und Sicherheit“ zu machen – ist das nicht etwas zu stark aufgeschnitten? Ich bin kein Kenner Chinas, insofern ist diese Frage auch zugleich Aufforderung zur Aufklärung… Klar ist – denke ich - über kurz oder lang wird China seine wirtschaftliche Macht auch politisch und vor allem geostrategisch einsetzen; was heute schon sichtbar ist: Mehrere Staaten streiten schon seit Jahren um das rohstoffreiche Territorium im Südchinesischen Meer. China versucht, sich mit Macht bei diesen Streitigkeiten durchzusetzen und beansprucht mittlerweile fast das gesamte Südchinesische Meer für sich - einschließlich der Regionen vor den Küsten von Vietnam, Malaysia und den Philippinen. Hält sich China dabei an internationale Normen und Regeln? Es schickt immer wieder Schiffe in das Gebiet und schüttet künstliche Inseln aus Sand rund um die Spratly-Inseln und am Mischief Reef auf - vermutlich um Militärbasen darauf zu errichten. Schürt nicht diese Art der „Landgewinnung“ in der Region Ängste vor dem übermächtigen Nachbarn? Auch mit Japan streitet China seit Jahren um eine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer.
Zugleich verfolgt Peking seine Energie- und Rohstoffinteressen immer nachdrücklicher und sichert sich durch großzügige Entwicklungsbeihilfen und Investitionen wachsenden Einfluss sowohl in Asien wie auch in zahlreichen Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Hat das nicht gewisse neokoloniale Züge?
Also mehr Fragen als Gewissheiten… aber das ist wohl bezüglich China im Moment so.

Erwiderung an Stephan Wohanka
Lieber Herr Wohanka, schön, dass Sie den Blick auf China etwas erweitern! Ich fühle mich eigentlich frei von Gewissheiten. Alles ist möglich, habe ja genug erlebt in fast acht Jahrzehnten. Doch ich stelle auch in Rechnung, welche Ursachen zu manchen Geschehnissen geführt haben können und woher handelnde Personen kommen, welchen Lebensweg sie hinter sich haben und welche Motivationen.
Für China als Ganzes mit 1,4 Milliarden Einwohnern,  einer sehr leidvollen (Kolonial-)Geschichte und angesichts jahrzehntelanger Einkreisungsbemühungen der USA sowie deren Aktionen nach dem zweiten Weltkrieg in aller Welt sieht Letztere heute ganz anders aus als für uns Europäer. Der Imperialismus Europas und der USA hat während des ganzen vorigen Jahrhunderts eine völlig neue Unsicherheit in die Welt gebracht. Deng Xiao Ping und die Reformer nach ihm haben gegen diesen Imperialismus eine neue Strategie entwickelt, indem sie die gleichen Mittel wie dieser benutzen, aber sich die politische Macht bewahrt haben, Ziel und Zweck allen Wirtschaftens zu bestimmen, diesen „chinesischen Kapitalismus“ zu dirigieren. Natürlich ist das ein von Vielen als höchst risikoreich eingeschätztes Unterfangen. Das dürfte wohl auch ein Grund dafür gewesen sein, dass Gorbatschow in den 1980er Jahren durch Erich Honecker vermittelten Annäherungsbemühungen der Chinesen an die Sowjetunion (von denen kürzlich Egon Krenz bei einem Vortrag im Karl-Liebknecht-Haus, Berlin, sprach) eine Absage erteilte. Zu groß scheint das allgemeine gegenseitige Misstrauen gewesen zu sein.
Mir, Herr Wohanka, fiele es schwer, den Reformern selbst unlautere persönliche Absichten zu unterstellen. Gleichwohl können Macht- und Zielveränderungen in China nicht ausgeschlossen werden. Doch die jetzige chinesische Strategie könnte vielleicht auch andere Regionen in der Welt stark beeinflussen und zu einer Regionalisierung im Sinne der Herausbildung großer Wirtschaftsräume mit eigenen politischen Koordinierungszentren führen. Über solche Gebilde ließe sich möglicherweise auch eine vernünftige Bewirtschaftung unseres Planeten organisieren.  Denn um die Welt von dem desaströsen, politisch gestützten und geschützten Prinzip „Kapitalverwertung“ als zerstörerischer Selbstzweck aller Produktion durch gesetzliche Grenzen für die Handlungsspielräume ökonomischer Akteure zu befreien und gesellschaftliche Ziele zu formulieren, bedarf es konzentrierter politischer Macht. Das hätte nichts mit „Kasernenhofgesellschaft“ (W. Richter) zu tun. Es geht um die allmähliche, aber zielgerichtete Herausbildung eines flexiblen Systems der Organisation ökonomischer Prozesse in der Einheit von Eigeninitiative und zentraler Steuerung im Interesse aller Menschen. Das wird meines Erachtens immer im Rahmen von Märkten geschehen, aber eben nicht notwendigerweise von Märkten einer privaten Kapitalverwertung, weil sie entsprechenden Regeln unterlägen.
Was nun aber noch einmal direkt die Person des hierzulande höchst umstrittenen Xi Jinping betrifft, so sei eine Begebenheit angeführt, von der Egon Krenz bei seinem oben erwähnten Vortrag ebenfalls berichtete: Als Xi 1989 - damals noch als Minister der VR China - die DDR besuchte und, begleitet von E. Krenz, die Sehenswürdigkeiten von Weimar besichtigte, soll er seine deutschen Gastgeber mit seinen profunden Kenntnissen deutscher Geschichte und Kultur erstaunt haben, indem er beispielsweise (frei aus dem Gedächtnis und auf Deutsch!) aus dem Schluss von Goethes "Faust II" zitierte. - "Das ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss. Und so verbringt, umrungen von Gefahr, hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr. Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn, auf freiem Grund mit freiem Volke stehn." Und dieser Mann habe, so Krenz, auf dem jüngsten Parteitag der KPCh von einer "neuen Ära der Volksrepublik China" gesprochen und davon, dass nur durch  Reformen ein Überleben des Marxismus-Leninismus möglich sein werde. Ich würde daraus auf  einen Willen der Vernunft schließen.


[i] Jörg Drenkelfort, Sieben Jahre China - Erfahrungen aus dem Reich der Mitte, Eigenverlag, 53113 Bonn, Augustusring 22, Sept. 2017, ISBN 978-3-00-057739-0, 314 S., 25,-- €

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