Von
Heerke Hummel
Es heißt, Europa erlebe derzeit einen
Flüchtlingsstrom wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Krieg und
Verfolgung treiben ihn an, und viele wollen unerträglicher Armut entfliehen. Da
mag am Horizont ein Fünkchen Hoffnung auf eine Lösung des Problems aufleuchten.
Leon Schreiber hat es mit einem Essay gesendet, der ihm bei einem Wettbewerb
des St. Gallen Symposiums den 2. Platz sicherte und im Londoner „Guardian“
veröffentlicht wurde. Darin wird aus verschiedenen Entwicklungs- und
Schwellenländern in aller Welt über Initiativen und Pilotprojekte berichtet,
bei denen es um die Zahlung eines Grundeinkommens für die Ärmsten der Armen
geht. Von zehn US-Dollar pro Monat und Familienmitglied ist da die Rede, mit
denen es etlichen Empfängern gelungen sein soll, dank solcher Absicherung mit
Kleinst-„Investitionen“ unternehmerisch aktiv zu werden.
Eine alleinstehende namibische Mutter mehrerer Kinder beispielsweise kaufte mit dem allerersten 80 Dollar-Monatsgrundeinkommen der Familie unter anderem zwei Hühner, aus deren Eiern sie im Verlaufe eines Jahres 40 Hühnchen zog, die für insgesamt 1200 Dollar verkauft werden konnten und einen Nettogewinn von 1000 Dollar einbrachten.
Eine alleinstehende namibische Mutter mehrerer Kinder beispielsweise kaufte mit dem allerersten 80 Dollar-Monatsgrundeinkommen der Familie unter anderem zwei Hühner, aus deren Eiern sie im Verlaufe eines Jahres 40 Hühnchen zog, die für insgesamt 1200 Dollar verkauft werden konnten und einen Nettogewinn von 1000 Dollar einbrachten.
In solchen Projekten sieht der Politikwissenschaftler
„im Gegensatz zu den komplizierten Theorien über strukturelle Anpassung,
wirtschaftliche Konvergenz und Trickle-Down, die letzten Endes allesamt
gewährleisten sollen, dass alle Menschen genug Geld haben“, eine „praktische
Maßnahme, um die Armut von Millionen von Menschen zu bekämpfen“. Weit davon entfernt, den Menschen die
Motivation zu arbeiten zu nehmen, habe die Einführung eines monatlichen
Einkommens von zehn Dollar die Empfänger mit der erforderlichen sozialen
Grundsicherung sowie den Marktanreizen ausgestattet, die nötig sind, um sich am
lokalen Wirtschaftsgeschehen beteiligen zu können. Indem es als Investition
sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite wirkte, habe das BGE
als Anschubfinanzierung für angehende Unternehmerinnen und Unternehmer gedient,
schreibt L. Sch.
Natürlich könnten zusätzliche zehn Dollar pro Kopf
und Monat in den hier besprochenen Regionen der Welt eine immense
Einkommensverbesserung für vielleicht Milliarden Menschen bedeuten. Aber wäre
es ein Modell und Weg zur Lösung des Weltarmutsproblems? Im „Freitag“, wo
Schreibers Artikel nachgedruckt wurde, entspann sich dazu ein scharfer
Meinungsstreit. Dominierend sind dabei die Kritiker mit Vorwürfen bis zu
solchen wie: Schreiber verbreite Illusionen im Interesse des Kapitals.
In der Tat, angesichts der dramatischen Situation,
in der sich die Welt befindet, mag der Beitrag von Leon Schreiber wie eine Verabreichung von Beruhigungspillen
anmuten. Aber man kann ja auch weiter nachdenken über tatsächlich
weltverändernde Programme großen Stils zur Armutsbekämpfung. Die
Flüchtlingsströme sind Alarmzeichen genug. Werden gerade sie uns Europäer nicht
schon in allernächster Zeit zu einem gewaltigen ökonomischen Umdenken zwingen,
bei dem es nicht mehr um zehn, sondern um vielleicht 1000 Euro pro Monat geht?
Um eine neue Weltwirtschafts-, Welthandels- und Weltfinanzpolitik? Um ein neues
Verständnis von und Gefühl für unseren sehr klein gewordenen Erdball und von
seiner Bewirtschaftung? Um ein Zusammenrücken aller Menschen? Um eine gemeinsame,
solidarische Aneignung unseres Planeten, seiner Reichtümer an natürlichen
Ressourcen, seiner ökonomischen Potenzen
und kulturellen Werte? Um ein neues Bewusstsein von unserem gesellschaftlichen
Sein?
Die europäische Politik (und natürlich nicht nur diese)
ist gefordert, ihrer internationalen Pflicht zur Armutsbekämpfung zu genügen.
Etwa dadurch, dass über die Europäische Zentralbank Geld zur Verfügung gestellt
wird; nicht, um dieses Geld durch Zinseinnahmen zu vermehren, sondern um mit
zweckgebundenen, langfristigen und zinslosen Krediten regionale
Wirtschaftskreisläufe in den Armutsregionen zu initiieren und Bildungsprogramme
zu finanzieren. Dabei könnte durchaus auch an solche Projekte und Initiativen,
wie sie Leon Schreiber beschrieben hat, angeknüpft werden.
In der Debatte über besagten Artikel ging es auch um die Finanzierbarkeit. Diesbezügliche
Zweifler scheinen das Wesen und die Rolle des Geldes in der Wirtschaft nicht zu
durchschauen. In seiner heutigen Konstitution als Information über verausgabte gesellschaftliche
Arbeit bei der Erzeugung von Produkten und Leistungen beziehungsweise über eine
Berechtigung zu deren Verbrauch vermittelt das Geld den gesellschaftlichen
Reproduktionsprozess in seiner Einheit von Produktion und Konsumtion. Aber dazu
bedarf es heute mehr denn je einer entsprechenden gesellschaftlichen Steuerung.
Und diese leidet – vielleicht wegen eines eingeengten Verständnisses vom Geld
als einer eigenständigen Sache – unter der weitgehenden ministeriellen Trennung
von Wirtschaftspolitik einerseits sowie Finanzpolitik und speziell Geldpolitik
andererseits. Und die Notenbank hingegen soll als unabhängige Institution ausschließlich
Geldpolitik betreiben, um die Geldstabilität (in Grenzen) zu gewährleisten.
Die Folgen solch engstirnigen Denkens haben uns die
letzten großen Krisen vor Augen geführt. Die Finanzkrise konnte ausbrechen,
weil die Finanzminister glaubten, alles sei in Ordnung, wenn das Geld üppig in
die Staatskassen fließt - ohne sich zu fragen, woher es kommt, und ohne zu
verstehen, was da auf den Finanzmärkten eigentlich vor sich ging (Wolfgang
Schäubles persönliches Eingeständnis!). Die Wirtschaftsminister waren
zufrieden, wenn die Auftragsbücher der Unternehmen voll waren und die Exporte
rollten. Und der EZB als Notenbank genügte es, wenn die Inflationsrate bei zwei
Prozent lag - ohne darüber nachzudenken, was die Privatbanken mit dem zur Verfügung
gestellten Geld machten ; wenn nur alles im Fluss war.
Und auch im Fall der griechischen Haushaltskrise war
beziehungsweise ist es nicht anders. Ausgegeben kann nur werden, was
eingenommen wurde, lautet die Devise – mit der erpresserischen Forderung, zu
sparen und nochmals zu sparen, ohne Rücksicht auf Verluste, die der griechischen
Volkswirtschaft, dem Gesundheitswesen und so weiter zugefügt wurden. Von der
Verelendung großer Teile des Volkes ganz zu schweigen!
Erst unter dem allergrößten Druck der
Staatsschuldenkrise sah sich EZB-Präsident Dragi zu der Erklärung gezwungen, die
Notenbank werde - entgegen ihrem Statut – wenn nötig Staatsanleihen in
beliebiger Höhe aufkaufen, um den Euro zu retten. Doch könnte sie bei
entsprechender Änderung ihres Statuts und ihres Selbstverständnisses als europäische
Wirtschaftslenkerin – unter Berücksichtigung des realen Wirtschaftspotentials -
auch Geld zielgerichtet und zweckgebunden für bestimmte Projekte zur Verfügung
stellen, zum Beispiel für bedeutende strukturelle Anpassungen, etwa im
Energiesektor, für die Sanierung von Volkswirtschaften, aber eben auch zur
Armutsbekämpfung. Das würde zwar ein radikales Umdenken und Reformieren
erfordern und klingt wie Zukunftsmusik. Doch das Fünkchen Hoffnung mag weiter
glimmen. Denn der Druck der ökonomischen und politischen Notwendigkeit wird
diesen Wandel eher früher als später erzwingen; zumal er Europas Wirtschaft
enorm stimulieren und Vollbeschäftigung sichern könnte.
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