Von
Heerke Hummel
Mit einem Buch hat Yanis Varoufakis, bei Europas
Konservativen als kurzzeitiger Skandal-Finanzminister Griechenlands verschrien,
bereits 2013 versucht, der Welt klarzumachen, warum es an der Zeit ist, einen
Wandel im ökonomischen Denken sowie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik
einzuleiten. Verbal ist ihm das im Kreis seiner EU-Ministerkollegen während der
diesjährigen Brüsseler Verhandlungen zur Lösung der griechischen Schuldenfrage
dennoch nicht gelungen. Nun ist die deutsche Übersetzung seines Werks erschienen.[i]
Kurz und knapp und leicht verständlich erläutert der
Autor das Funktionieren und das gesellschaftliche Verständnis von Wirtschaft in
Vergangenheit und Gegenwart. Ohne sich auf Karl Marx zu beziehen und ohne mit
dessen ökonomischen Begriffen zu operieren, vermittelt er dem Leser ein anschauliches
und im Wesentlichen marxistisches Bild ökonomischen Denkens und volkswirtschaftlicher
Beziehungen in – wie er es nennt – „Marktgesellschaften“ im Unterschied zu „Gesellschaften
mit Märkten“. Überzeugend führt er dabei dem Leser den Zusammenhang von Politik
und Ökonomie vor Augen sowie die Rolle des Staates, heute als Vertreter der
Interessen der Reichen im Allgemeinen und der Banker im Besonderen. Um
Varoufakis folgen zu können, bedarf der Leser nicht besonderer ökonomischer
Kenntnisse. Denn der Autor argumentiert nicht mit theoretischen Lehrsätzen,
sondern zeigt ganz praktisch und anschaulich, welche ursächlichen Veränderungen
in der Art und Weise des Wirtschaftens bei der Herausbildung der „Marktgesellschaften“
im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts dem Elend von Millionen Enteigneten und
Existenzlosen ursächlich zu Grunde lagen. Und es wird uns auch vorgeführt,
welche Wandlungen in jüngster Zeit ganze Staaten, unseren Kontinent, ja die
Welt in eine neue Krise geführt haben.
Varoufakis spricht nicht von Kapitalismus, sondern
von Marktgesellschaft. Warum? Er äußert sich dazu nicht, aber wahrscheinlich
weil das, was Marx analysierte, nicht mehr existiert. Was wir gerade erleben, ist
eine Totalität des Marktes und magische Macht des Geldes in bisher nicht
dagewesenem Maße: Kaufen, nicht weil wir etwas brauchen, sondern weil Shoppen
einfach Spaß macht, unterhaltsame Freizeitbeschäftigung geworden ist. Kaufen,
um Wegwerfen zu können. Der Wirtschaft geht es weniger darum, Bedürfnisse zu befriedigen
als um die Schaffung neuer. Das ist gefragt, egal wie sinnlos, destruktiv da
gehandelt wird. Wir arbeiten nicht um zu leben, sondern um Bedürfnisse zu
befriedigen, die wir gar nicht hatten, sondern uns suggeriert wurden. Wir leben
nicht, um durch Bildung und Kreativität etwas Sinnvolles zu schaffen, sondern
um uns dem Diktat einer Technik zu unterwerfen, die den Menschen eigentlich von
mühseliger Arbeit befreien sollte. Und so wurde unser Leben zu einem ständigen
Rennen im Hamsterrad der Märkte, auf dass diese wachsen, wachsen, wachsen – und
mit ihnen nichts weiter als die Zahlenkolonnen auf den Konten von Milliardären;
während das Leben von Milliarden Menschen verarmt, die Natur geschändet wird
und unser Planet zugrunde zu gehen droht. Varoufakis sagt seiner Tochter:
„Viele werden dir erzählen, dein Vater wüsste nicht, was er sagt. Die Ökonomie
oder Wirtschaftstheorie sei eine Wissenschaft. Wie die Physik eine Wissenschaft
sei, die die Natur methodisch und mit mathematischen Mitteln analysiere, kombiniere
auch die Ökonomie Mathematik, Statistik und Logik, um die sozioökonomischen
Phänomene wissenschaftlich zu
analysieren. Nonsens!“ Die erdrückende Mehrheit seiner Kollegen, der
Wirtschaftswissenschaftler, fährt er schließlich fort, wirke wie „Theologen,
die mathematische Beweise über die Existenz Gottes ins Feld führen …“
Man muss dem Autor nicht in allem zustimmen, was er
schreibt, beziehungsweise wie er manches erklärt; etwa was die die Arbeit, die
Arbeitskraft und die Schaffung des „Überschusses“, des Mehrprodukts und des
Mehrwerts betrifft. Und man kann an manchen Stellen sicherlich auch zu noch
weiterführenden Sichtweisen kommen. Indem man beispielsweise im heutigen Geld-,
Finanz- und Bankensystem die Keime einer allgemeinen Buch- und Rechnungsführung
über den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess erkennt, die es sinnvoll zu
entwickeln gilt. Doch solche offenen Wünsche sind völlig zweitrangig. Denn das
Entscheidende an diesem Buch sind die Denkweise, die hier vermittelt wird, und
die Problemlösungen, zu denen es damit hinführt. So kommt Varoufakis in Bezug auf
das Geld, seine Schöpfung und seine Verteilung zu dem Schluss, dass „das Geld
nur politisiert sein kann und sein Umfang von einem staatlichen System
überwacht werden muss ...“ Und: „… unsere einzige Hoffnung auf eine passable
Verwaltung des Geldes (liegt) in der demokratischen Kontrolle derer, die im
Interesse der Gesellschaft das unvermeidlich politische Geld verwalten.“
Mit seiner Leidenschaft und mit beeindruckenden Bezugnahmen
auf Filme wie „The Terminator“ und
„Matrix“, auf so bedeutende literarische Konflikte wie den zwischen Doktor Faustus
und Mephistopheles in Christopher Marlowes Theaterstück aus dem 16. Jahrhundert oder im
„Zauberlehrling“ von Goethe dürfte es Varoufakis gelingen, ein breit
gefächertes Publikum nicht nur für Fragen der Wirtschaft im Allgemeinen zu
interessieren. Vor allem jüngere Leute dürfte sein Buch anregen mitzudenken,
nachzudenken und sowohl die augenscheinliche Realität der Gegenwart einerseits
wie auch die vom Mainstream vorgegebenen Erklärungen und Problemlösungen
andererseits kritisch zu hinterfragen. Es dürfte ihnen helfen, das Wirtschaften
als etwas zu begreifen, bei dem es wohl verstanden nicht um Plus und Minus von
Rechengrößen geht, also Geld, sondern um unsere Lebensgrundlagen, die es zu
schaffen und zu erhalten gilt. Bei Varoufakis ist Ökonomie sehr eng mit Politik
und Philosophie verbunden. Daher kann sein Buch gerade jungen Menschen bei der
Entscheidung zwischen zwei Wegen helfen: zu leben „in einer trügerischen
Scheinwelt wie die, die glauben, was die Wirtschaftshandbücher über die
Gesellschaft erzählen, die ‚ernsthaften‘ Wirtschaftsanalytiker, die Europäische
Kommission, die erfolgreichen Werbefritzen.“ Dann ist man „nicht mit dem
sadistischen Absolutismus der herrschenden Ideologie konfrontiert. Das Leben
wird schmerzlos verlaufen, unkompliziert, in Harmonie mit den Erwartungen der
Machtausübenden.“ Oder: Entscheide dich für „die Denk- und Sichtweise dieses
Buches …, und dich erwartet ein schwieriges und gefährliches Leben.“
Yanis Varoufakis selbst hat ein Beispiel gegeben.
Für ein Leben als Finanzminister von Herrn Schäubles Gnaden im Hamsterrad
dieser Marktgesellschaft war er nicht zu haben - und nahm seinen Hut. Auch
dafür gebührt ihm hohe Anerkennung.
[i] Yanis Varoufakis, Time for
Change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre, Carl
Hanser Verlag, München 2015, ISBN 978-3-446-44524-6, 179 S., 17,90 €
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