Der
französische Ökonom Thomas Piketty sorgt mit seinem Buch Das Kapital im 21.
Jahrhundert (2013 in Frankreich erschienen) weltweit für Furore, seit es
Anfang dieses Jahres in den USA herauskam und von Nobelpreisträger Paul Krugman
als vielleicht wichtigstes Buch des Jahrzehnts bezeichnet wurde. Nun liegt es
auch in deutscher Übersetzung vor, und Stephan Kaufmann und Ingo Stützle haben
es dem deutschen Leser mit einem Taschenbuch[i]
vorgestellt.
Mit ihrem sehr ausführlichen Überblick über Pikettys ökonomische
Analyse der Welt des Kapitals ersparen die Autoren dem interessierten Publikum
möglicherweise, sich mühevoll durch die mehr als achthundert Seiten des
Originals mit seinen zahlreichen Grafiken hindurch zu arbeiten. Zumindest
dürfte die konzentrierte Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen des
Franzosen dem nur allgemein an der Debatte Interessierten das Verständnis des
Gesamtwerks und die Beurteilung der Konsequenzen erleichtern.
Im
Zentrum von Pikettys Analyse, heißt es in der Broschüre, steht das
„Kapital-Einkommen-Verhältnis“. Piketty zufolge wachse der Vermögensbestand
tendenziell schneller als die Einkommen, sodass das
Kapital-Einkommen-Verhältnis zunimmt. Das komme laut Piketty daher, dass die
Rendite auf Kapital („r“) im historischen Durchschnitt ungleich größer ist als
das Wachstum der Wirtschaftsleistung beziehungsweise der Einkommen („g“), also
r > g. Diese zentrale Formel gelte laut Piketty schon seit zweitausend
Jahren. Doch erst mit dem technischen Fortschritt und der darauf basierenden
Industrialisierung im 18. Jahrhundert habe es eine rapide Zunahme des
ökonomischen Wachstums gegeben, sodass die Formel r > g zum ökonomischen und
gesellschaftlichen Problem der ungleichen Entwicklung wurde, das am Vorabend
des 1. Weltkrieges einen Höhepunkt erreicht hatte. Nach einer gewissen
Nivellierung des Verhältnisses von Arm und Reich in der Folgezeit und im
Gefolge der beiden Weltkriege sowie dank sozialer Zugeständnisse unter den
Bedingungen der Blockkonfrontation sei das derzeit in den westlichen
Industriestaaten herrschende Kapital-Einkommen-Verhältnis wieder fast so hoch
wie am Vorabend des 1. Weltkriegs. Dies habe die seit der Weltwirtschaftskrise
von 1973 veränderte politische Großwetterlage in den USA und Großbritannien
bewirkt; Stichwort: Beginn der Phase des Neoliberalismus. Davon ausgehend
zeichne sich heute ein Trend ab, „vor dessen verheerenden Folgen Piketty warnt:
der Bedeutungsgewinn von Erbschaft als Vermögensquelle und der
Bedeutungsverlust der ‚Leistung‘ als Einkommensquelle.“
All
das, könnte man meinen, sollte Wasser auf die Mühlen links orientierter
politischer Kräfte sein. Bereits auf einer Veranstaltung der Hellen Panke in
Berlin trat der Hamburger Ökonom und Journalist Joachim Bischoff vor einigen
Wochen mit einer verhaltenen Würdigung von Pikettys Buch auf. Besondere
Bedeutung maß er Pikettys Vorgehen bei, sich bei der Materialbeschaffung für
seine Untersuchung nicht auf öffentliche Angaben von Forschungsinstituten,
Organisationen und Verbänden über das Einkommen der verschiedenen
Bevölkerungskreise und seine Quellen zu verlassen, sondern die Daten direkt aus
den Steuerunterlagen von Finanzämtern zu ermitteln. Dies könnte, so Bischoff,
künftig weithin einen Wandel in der Arbeitsweise von
Wirtschaftswissenschaftlern bewirken. Seine Gesamteinschätzung des Buches war
eher ambivalent. Es bedürfe noch, so war herauszuhören, genaueren Durchdenkens.
Immerhin aber habe Piketty mit seinem Buch bei der Elite dieser Gesellschaft
eine ernsthafte Debatte über die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich
beziehungsweise Superreich ausgelöst.
Kaufmann
und Stützle wurden in ihrer Broschüre wesentlich schärfer mit der Kritik.
Piketty, heißt es dort, greife die herrschende Wirtschaftsform – den
Kapitalismus – zwar an, argumentiere aber nie antikapitalistisch. Die wachsende
Ungleichheit sei bei ihm ein Gesetz des Reichtums per se, nicht der spezifisch
kapitalistischen Form des Reichtums. Seine politischen Forderungen liefen nicht
auf eine grundlegende Systemtransformation hinaus, sondern bloß auf einige
Änderungen im Steuersystem, die den Kapitalismus stabiler machen sollen.
Pikettys enorm konstruktive Kapitalismuskritik mache ihn anschlussfähig an den
herrschenden Krisendiskurs.
Worin
eine solche, bei Piketty vermisste, „grundlegende Systemtransformation“
bestehen sollte und wie sie erreicht werden könnte, legen die Autoren leider
nicht dar. Sie offenbaren damit das Versagen der linken Bewegung, die
ihnen sichtbar am Herzen liegt, seit dem vor einem Vierteljahrhundert
eingestellten realsozialistischen Versuch, die Theorie von Karl Marx zur
Überwindung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit in die Praxis
umzusetzen. Und so endet ihre Auseinandersetzung mit Pitetty fast resignierend:
„Bleiben die … sozialen Kämpfe in der Krise aus, … dann bleibt Politik die
Politik des Kapitals – und auch bescheidene Ziele wie eine Vermögenssteuer
Illusion. Für Linke bleibt dann nur die Hoffnung, dass ihre Argumente
gehört werden, selbst wenn sie von liberalen Ökonomen wie Petty vorgetragen
werden. Das ist wohl einer der Gründe, warum die Aufmerksamkeit für solche
Bücher auch bei der Linken derart groß ist. Ob sich allerdings die Dinge in die
richtige Richtung bewegen, darüber entscheiden nicht so sehr Bestseller und
Feuilletondebatten, sondern soziale Kämpfe.“
An
mangelndem Kampfeswillen und Opfern jeder Art, an Anstrengungen unzähliger
Millionen auf dem Feld der Praxis während des ganzen 20. Jahrhunderts kann der
ausbleibende Erfolg doch nicht gelegen haben! Also muss der praktische
Misserfolg auf Fehler in der linken Theorie zurückgeführt werden! Und dies soll
kein gegen Marx gerichteter Vorwurf sein! Der konnte nur eine Welt und eine
Gesellschaft analysieren, wie sie zu seiner Zeit existierten. Aber sie haben
sich grundlegend verändert, und darum muss Marx‘ Theorie nicht dogmenhaft
interpretiert, sondern, unter Berücksichtigung der Veränderungen in der realen
Welt, weitergedacht werden. Es fand nämlich während des ganzen 20. Jahrhunderts
eine im Westen schleichende, im Osten abrupte Veränderung der Beziehungen der
Menschen zu den Produktionsmitteln, zum Produkt der Arbeit und zueinander
statt; sowohl technologisch als auch ökonomisch. Letzteres äußerte sich
besonders in der Veränderung des Wesens des Geldes. Geld war zu Marx‘ Zeiten,
in dessen Verständnis und in seiner Theorie als Edelmetall eine „allgemeine
Ware“ mit eigenem Wert (als Produkt von Arbeit) und Gebrauchswert (wegen seiner
Nützlichkeit). Im Maße wie das Edelmetall durch Papier (Banknoten) vertreten
und dann ersetzt wurde, wurde das Geld zu einem Zeichen für (früher im
Edelmetall vergegenständlichte) Arbeit für die Gesellschaft. Es war,
marxistischer Theorie zufolge und solange die Noten gegen Gold eingetauscht
werden konnten (z. B. 35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold), Zeichen für so viel
(gesellschaftlich durchschnittliche) Arbeit, wie in diesem Gold
vergegenständlicht war. Als die USA 1971 das internationale Abkommen von
Bretton Woods aus dem Jahre 1944 brachen und den Goldstandard des Dollars
aufhoben, war dieses Geld – und alles auf den Dollar bezogene Geld - endgültig
selbst keine Ware mehr und nur noch abstraktes Zeichen von Arbeit, die für die
Allgemeinheit, die es als Zahlungsmittel anerkannte, geleistet wurde. Und von
wie viel Arbeit? So viel, wie im Durchschnitt gearbeitet werden muss, um 1 Währungseinheit
zu verdienen.
Dieses
dem Wesen nach ganz neue Geld drückt zugleich veränderte Beziehungen der
Produzenten zueinander und zum Produkt sowie zum von ihnen ja geschaffenen
Produktionsfonds der Gesellschaft aus. Denn jedem, der über dieses Geld verfügt,
soll entsprechende Teilhabe am gesellschaftlichen Gesamtprodukt, am
gesellschaftlichen Reichtum gemäß seinem Bedarf und seiner Zahlungsfähigkeit
gesichert sein, weil er diesen Reichtum mit geschaffen hat (was mit dem ihm
gehörenden Geld ausgedrückt wird). Für die Gewährleistung dieser Sicherheit
liegt die Verantwortung bei der Herausgeberin dieses Geldes, der Notenbank. Sie
handelt im Auftrag und im Interesse der Allgemeinheit und hat, ganz allgemein
gesprochen, finanzpolitisch zu sichern, dass der Reproduktionsprozess der
Gesellschaft funktioniert. Geldangelegenheiten und der Umgang mit Geld sind
damit nicht mehr ausschließliche Privatsache von Personen oder Vereinigungen,
sondern müssen bestimmten Regeln gehorchen, damit sie dem gesellschaftlichen Ziel
einer harmonischen Entwicklung nicht widersprechen..
Im
Grunde ist die gesamte gesellschaftliche Reproduktion, da sie durch dieses neue
Geld vermittelt ist, nicht mehr Angelegenheit von Privatleuten, sondern von
Agenten der Gesellschaft. Sie handeln mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung
in einem zunehmend computergestützten System der Selbstregulierung auf der
Basis von Gesetzen, Vorschriften und Regeln sozialer, ökonomischer und
ökologischer sowie technologischer Art. Und die Unterschiede ihrer Beziehung
zum produzierten Eigentum der Gesellschaft sind nicht mehr qualitativer,
sondern quantitativer Art. (Auch Piketty ist dieser Ansicht und wird dafür von
Kaufmann und Stützle besonders scharf kritisiert.) Mit kapitalistischer
Warenproduktion, wie Karl Marx sie analysierte, hat das kaum noch etwas zu tun.
Viel eher mit seiner Vision von der neuen Gesellschaft in seiner „Kritik des
Gothaer Programms“: Der Einzelne erhält einen Schein, dass er soundso viel
Arbeit geliefert hat, und zieht mit ihm aus dem gesellschaftlichen Fonds
Produkte, die gleichviel Arbeit kosten.
Um
das Wesen der heutigen Gesellschaft – vielleicht als Übergangsgesellschaft, die
darauf harrt, ihren geistig-politischen und juristischen Überbau der gegebenen
ökonomischen Basis anzupassen - zu verstehen, könnte es hilfreich sein,
diesen „Kapitalismus“ mit dem ehemaligen „Realsozialismus“ zu vergleichen. Zum
Einen besteht der Unterschied zwischen beiden weniger in der Erwirtschaftung
eines gesellschaftlichen Mehrprodukts (das hier wie dort erzeugt wird) als
Voraussetzung möglicher Ausbeutung, sondern vor allem in dem viel höheren Maß
an Eigenverantwortung des derzeitigen Unternehmertums (im Unterschied zu den
damaligen Betriebsleitern und Generaldirektoren des Realsozialismus) in Bezug
auf die Verwendung dieses Mehrprodukts. Das macht das System flexibler und
anpassungsfähiger an die sich rasch verändernden Erfordernisse des
technologischen Wandels. Andererseits verzichtet diese heutige
(missverständlich noch immer als kapitalistisch bezeichnete) Gesellschaft unter
dem Einfluss des Neoliberalismus auf eine stärkere sozialpolitische
Orientierung und Regulierung durch zielgerichtete Umverteilung von Reichtum zu
Gunsten des ärmeren Teils der Gesellschaft und Förderung
gesamtgesellschaftlicher Anliegen durch die öffentliche Hand. In dieser
Hinsicht einen Wandel herbeizuführen kann nicht die Aufgabe einer neuen, zur
Macht strebenden Klasse sein (die es nicht gibt), sondern liegt im objektiven
Interesse aller Schichten der Gesellschaft (thematisiert bereits 1959 als Weg
zum „Demokratischen Sozialismus“ im „Godesberger Programm“ der SPD, wenn auch
nicht politökonomisch theoretisch begründet). Thomas Piketty mit seinem Buch
ist Ausdruck dessen. Joachim Bischoff formuliert es in der neuesten Ausgabe von
„Sozialismus“ so: „Bei allen kritischen Einwänden im empirischen Detail, die
vorgelegten Daten zu Vermögen, Vermögensverteilung und Volkseinkommen markieren
eine neue Qualität und setzen somit eine Zäsur in der wissenschaftlichen und
gesellschaftspolitischen Debatte. … Auch wenn die gesellschaftlichen
Kräfteverhältnisse weder in Nordamerika noch in Europa eine tiefgreifende
Reformpolitik erwarten lassen, bleibt Pikettys Position doch richtungsweisend:
Der Trend zu immer größeren Vermögen und Einkommensungleichheit kann durch eine
konfiskatorische Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen gebremst und
schließlich gestoppt werden.“
[i] Stephan
Kaufmann / Ingo Stützle, Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre. Thomas Pikettys
„Das Kapital im 21. Jahrhundert“ – Einführung, Debatte, Kritik, Berts +
Fischer, Berlin 2014, ISBN 978-3-86505-730-3, 109 S., 7,90 €
Zu meinem
Beitrag „Piketty und seiner linken Kritiker“ schrieb Werner Richter am 23. 11.
2014 im Forum des „Blättchens“ folgenden Kommentar:
Man kratze nur ein bißchen an Pikettys Hülle, und ein
Anhänger der „Pferdeäppeltheorie“ wird sichtbar in Gestalt des harmonisierenden
Verteilungstheoretikers. Niemand leugnet ernsthaft die Daseinsberechtigung
der Verteilungstheorie. Aber als
alleiniger Ansatzpunkt für den Wandel der Gesellschaft zu einer menschlicheren
hat sie zu wenig Substanz.
Der Autor ordnet Marxens Theorie so ein: „…[Die
Verhältnisse] haben sich grundlegend verändert, und darum muss Marx‘ Theorie
nicht dogmenhaft interpretiert…“. Klingt harmonisch, ist es aber nicht.
„…Veränderung der Beziehungen der Menschen zu den Produktionsmitteln“ …
„…technologisch als auch ökonomisch…“… „Letzteres äußerte sich besonders in der
Veränderung des Wesens des Geldes.“…“ Geld war zu Marx‘ Zeiten, in dessen
Verständnis und in seiner Theorie als Edelmetall eine „allgemeine Ware“…“ ist
die gebräuchliche Charakterisierung.
Hier haben wir eine
übliche Vereinfachung von Marx. Zum „Wesen des Geldes“: hier - nur Ware,
also nur die quantitative Seite des Geldes. Wo bleibt Marxens vollständige
Gelddefinition? Neue Geldformen sind nicht automatisch Ausdruck neuer PV oder
umgekehrt, wie es der Beitrag suggeriert. Es steht im Hintergrund der Vorwurf,
Marx habe den WTF nicht erkannt und beachtet. Dazu sei Hobsbawm (Wie die Welt
verändern?) empfohlen.
„Mit kapitalistischer Warenproduktion, wie Karl Marx sie
analysierte, hat [die jetzige Gesellschaft] kaum noch etwas zu tun. Viel eher
mit seiner Vision von der neuen Gesellschaft in seiner „Kritik des Gothaer
Programms“: ...“ Das ist eine völlig falsche Zuordnung der Marxschen Fiktion im
"Gothaer Programm". Im Gegenteil, Marx kam nie in den Sinn, aus einer
Formwandlung des Papiergeldes eine neue Gesellschaft zu folgern. Wäre auch
paradox, weil seine Kapitalanalyse die Analyse der allgemeinen Warenproduktion
einschließt, sodaß klar ist, solange Warenproduktion dominiert, kann keine neue
Gesellschaft entstehen. Von einer Übergangsgesellschaft kann erst die Rede
sein, wenn signifikanten Anteile einer Nichtwarengesellschaft neben der
Warenproduktion bestehen und der Übergang zur ersteren die Gesamtlage bestimmt.
„Andererseits verzichtet diese heutige (missverständlich
noch immer als kapitalistisch bezeichnete) Gesellschaft ... In dieser Hinsicht
einen Wandel herbeizuführen, kann nicht die Aufgabe einer neuen, zur Macht
strebenden Klasse sein (die es nicht gibt), sondern liegt im objektiven
Interesse aller Schichten der Gesellschaft (thematisiert bereits 1959 als Weg
zum „Demokratischen Sozialismus“ im „Godesberger Programm“ der SPD, wenn auch
nicht politökonomisch theoretisch begründet). Thomas Piketty mit seinem Buch
ist Ausdruck dessen.“ Richtig, Piketty folgt alten Vorstellungen a la Polanyi,
hat also einen politischen, nämlich nichtökonomischen Ansatz. Darum nennt er
seinen Weg "politische Ökonomie" anstelle
"Wirtschaftswissenschaft", ein semantischer Trick. Ein theoretisches
Anliegen (Marx) wird zur Farce (Piketty). Dem entspricht auch logisch die
vollständige Abstinenz eindeutiger Kategorien. Er zieht beliebig gewählte
Begriffe mit unklarer Definition (Kapital, Nationaleinkommen) vor. So holt er
die sagenhafte Formel aus der Versenkung: "r>g", eine Binsenweisheit,
die er sehr einseitig interpretiert und die so untauglich wird, als Zentrum
seiner Theorie. Bei deren Anwendung bezichtigen ihn Ökonomen jedoch der
Tautologie. Gewaltige Leistung. Mein alter Mentor Helmut Faulwetter hätte
gesagt: Keine echten theoretischen Erkenntnisse, aber die Fleißarbeit ist
anzuerkennen. Es ist schon kurios, wenn Piketty den Begriff „Wissenschaft“ für
seine Theorie wohl aus gutem Grunde ablehnt, den Mill und Polanyi, denen er
kopierend folgt, diese Einordnung heftig für sich reklamierten.
Dazu hier meine
Erwiderung am 26. 11. 2914 im Forum des "Blättchens":
Natürlich geht es um eine neue Qualität!
Lieber Werner Richter, Dank für Ihren Kommentar vom 23.
November! Wiederholung soll ja die Mutter der Weisheit sein, auch was das
Nachdenken darüber, was in der Wirtschaft vor sich geht und was die Politik in
Bezug auf die Wirtschaft zu tun hat, betrifft. Ich fasse mich in meiner
Erwiderung auf Ihre Ausführungen so kurz wie möglich und konzentriere mich auf
die Frage des Geldes.
Erstens: Ich betrachte durchaus nicht „nur die
quantitative Seite des Geldes“. Im Gegenteil! Sein verändertes Wesen, nämlich
nicht mehr (allgemeines) Äquivalent zu sein, drückt eine neue Qualität aus. Es
ist beziehungsweise hat keinen eigenen Wert, vertritt solchen auch nicht (zum
Beispiel den des Goldes), sondern ist zur direkten Information über
gesellschaftliche Durchschnittsarbeit und Anspruch darauf geworden. Darin
äußert sich auch eine neue Qualität der Beziehungen zwischen den Menschen im
gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, der mittels dieses Mediums der
(Zentral-)Bank reguliert wird. Das ist nicht nur eine „neue Geldform“, sondern
der Sache und Funktionsweise nach etwas anderes als das Geld des 19.
Jahrhunderts. Zentrale gesellschaftliche Regulierung ist heute nicht nur eine
Notwendigkeit, sondern weitgehend auch Realität geworden – wenn auch noch mit
völlig ungenügender Konsequenz. Insbesondere mangelt es an der Erkenntnis, dass
der Umgang mit diesem neuen „Geld“ nicht mehr eine private, sondern eine
gesellschaftliche Angelegenheit ist und gesellschaftlicher Regeln und
Regulierung bedarf, beispielsweise die Einkommen und die Verfügung darüber
betreffend. Und dies gilt nicht nur im nationalen Rahmen, sondern wenigstens
auch für ganze Währungszonen wie den Euro-Raum (Stichwort beispielsweise:
Länderfinanzausgleich). Finanzminister Schäuble hingegen glaubt, in seinem
Sparwahn den anderen EU-Ländern ein Vorbild sein zu müssen. Dem Schwaben steckt
der Zwang zum Sparen tief im Blut. Er hat es von der Pieke auf so gelernt, und
seine Vorstellungen vom Geld und vom Wirtschaften sind eben noch die voriger
Jahrhunderte.
Zweitens: Man mag die Sache so sehen und verstehen wie
ich oder wie Sie, lieber W. Richter. Die allermeisten Zeitgenossen scheinen
ohnehin nur (dies oder das oder sonst was, gewöhnlich das Althergebrachte) zu
glauben und nur der äußersten Not gehorchend dementsprechend, meist blind, zu
handeln. Leider und vor allem wohl auch die Politiker!
Was dabei die ganze ehemals und heute sozialistisch
orientierte Bewegung betrifft, so wäre gerade für sie wichtig, die Gräben zu
überwinden, die vor etwas mehr als hundert Jahren ihren Ursprung in zunächst
theoretischen und dann politisch-praktischen Meinungsverschiedenheiten hatten.
Bezeichnend dafür war die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg und Eduard
Bernstein. Mir scheint heute die Zeit reif zu sein, nach ersten praktischen
politischen Versuchen auch in theoretischer Hinsicht durch neues Denken die
Basis gemeinsamen Handelns zu festigen. Dies war zwar nicht der Zweck meiner umstrittenen
Überlegungen, doch ihr Ergebnis führte mich zu auch für mich zuvor nicht
erwarteten Schlussfolgerungen. Ihr Kern: Bei einer auch theoretisch begründeten
Überwindung alter Feindschaften kann eine überwältigende gesellschaftliche
Basis geschaffen werden, um dieser in ihrer ökonomischen Basis bereits
entstandenen neuen Gesellschaft ihr absurd-kapitalistisches Antlitz zu nehmen
und durch Reformen im Wirtschaftsrecht und Finanzwesen einen von den
gesellschaftlichen Bedürfnissen geprägten Charakter zu geben (Stichwort:
Überwindung des Wachstums- und Verwertungswahns durch ein Wirtschafts- und
Finanzrecht, das den heutigen Erfordernissen gerecht wird).
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