Donnerstag, 13. November 2014

Bedrohte Arten – eine Gemäldeausstellung



(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 22/2014 – www.das-blaettchen.de)

Werder an der Havel ist vor allem seines alljährlichen Blütenfestes wegen bekannt und ein beliebtes Ausflugs- und Reiseziel zehntausender Gäste. Doch auch wenn die Natur dem Winterschlaf entgegen geht hat das Inselstädtchen in der Mittelmark seinen besonderen Reiz. Nebelschwaden über dem Wasser, gelbbraunes Schilf an den Ufern des Flusses lassen den Wanderer die Stille schauen, die Gedanken schweifen, vielleicht auch noch einmal zurück zu dem eben im Hotel am Markt Gesehenen.

Dessen Betreiber, Karola und Sven Rückholz, haben in dem Barockbau aus dem 18. Jahrhundert eine Tradition der Wendezeit vor fünfundzwanzig Jahren wieder aufgenommen. Damals eröffnete eine künstlerisch engagierte Werderanerin ein „Galeriecafè“ als Haus für Künstler der Umgebung und Berlins sowie für Kunstinteressierte, in dem ausgestellt, gelesen und debattiert wurde. Doch das Projekt der Initiatoren überlebte nicht die mehrjährigen Restaurierungsarbeiten an der arg heruntergekommenen Immobilie, mit denen an dem Gemäuer altes Äußeres und neues Inneres in baukünstlerischer Harmonie zusammengeführt wurden. Heuer wurde ein neuer Anlauf mit dem Ziel unternommen, Alt und Neu auch in dem Sinne zusammenzuführen, dass vor allem jungen Künstlern Gelegenheit gegeben wird, sich dem Publikum zu präsentieren.
Zurzeit stellt die Potsdamer Malerin Julia Brömsel Werke ihres Schaffens vor. Es sind Bilder einer ganz eigenen Sprache und Technik; sehr eigenwillig, kräftig in der Aussage und das Gemüt ansprechend in der Darstellung. Kinder könnten sich daran erfreuen und Erwachsene auch. Es sind weder kalte Abstrakta noch Abbilder der puren Realität. Es sind Bilder einer wie im Traum beobachteten, analysierten und gedeuteten Welt. Kritik an der Welt mit ihren vielen Konflikten wird nicht mit Hässlichkeiten geübt. Hier wird mit optisch ansprechenden Darstellungen auf Gegensätze aufmerksam gemacht und – mitunter auch heitere – Nachdenklichkeit erzeugt.
Dazu tragen auch die Techniken von Julia Brömsel bei. Ihre Bilder sind gemalt, geklebt, genagelt und geschraubt. Die Künstlerin selbst im Gespräch: „Seit Jahren arbeite ich auf abgelegten Untergründen. Bisher dienten mir alte Schulatlanten und Landkarten als Trägermaterial. In meinen aktuellen Arbeiten entstehen dreidimensionale Bildwelten auf alten Schranktüren und Holzbrettern. Elemente aus verschiedenen Materialien überschwemmen wie Treibgut meine Bilder. Die Holztafeln werden von mir beschnitzt, bemalt und beschlagen. In vielerlei Hinsicht entstehen dabei Beziehungen zwischen Mensch und Natur, zwischen Paaren tun sich Abgründe auf, die Spannung zwischen Innenraum und Außenraum wird zum Greifen nahe.“ Bei der Führung durch die Gasträume, in denen ihre Werke zu sehen sind, macht sie auf „Schlafes Schwestern“ aufmerksam – eine dreigeteilte Schranktür quer, deren Füllungen bemalt sind. Die Motive: Schlafende Mädchen in ihren Träumen. Ein anderer Blickfang „Schaffisch“ – bemaltes Brett mit aufgenagelten Kronenkorken wie Schuppen, Münzen gleich. Sinnbild einer durchökonomisierten Welt, die in allem vor allem Geld sieht.  Und, um auch dies noch hervorzuheben, „Bedrohte Arten“ – ein Paar, gemalt auf eine Tür (Hochformat), auf unseren Planeten schauend, dargestellt durch einen montierten Halbglobus, der zwei Dinosaurier trägt. Im unteren Teil des Bildes – vom Globus halb verdeckt - ein Fisch in der Senkrechten, aus dem das Paar hervorgegangen zu sein scheint. In beeindruckender Weise sind hier die verschiedenen Elemente des Bildes zu einem aussagekräftigen, harmonischen Ensemble vereinigt worden. In der dreidimensionalen Darstellung zeigt sich das von der Künstlerin auszudrückende Problem dieser Welt in den drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Titel dieses Werks findet sich auch im Ausstellungsthema wieder: „Dazwischen – Bedrohte Arten“. Es sind die beiden großen Themen, für die sich Julia Brömsel interessiert, der Mensch und seine Beziehung zur Natur und zu seinesgleichen. „Balance“ hat sie ihr Bild genannt, in dem ein Seil zwischen zwei Hochhäusern gespannt ist. Von beiden Seiten bewegt sich ein Paar balancierend aufeinander zu, in der Tiefe reißen Raubfische in Erwartung der Beute schon die Mäuler auf. Doch hier lauert nicht nur das Grauen! Einen geradezu heiteren Zug erhält die Darstellung der ewigen Gefahr des Lebens durch ein paar niedertaumelnde Federn eines Vogels und aufsteigende Blasen oder Ballons, die,  als Wünsche, Träume oder Hoffnungen, Leichtigkeit erzeugen – das Leben und die Freiheit als Kunst des Risikos, das Paar auf dem Seil als Lebenskünstler.
Julia Brömsel scheint auch diese Kunst zu beherrschen. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr spielt die ausgebildete Orthopädie-/Maßschuhmacherin Theater, beginnend im Jugendtheater ZABA, zu dessen Gründungsmitgliedern sie gehört, unter Leitung von Ulrike Schluhe beim Offenen Kunstverein Potsdam. An der Folkwang-Hochschule Essen absolvierte sie ein Mime/Körpertheater Studium. Nach der Geburt ihrer Tochter versuchte sie sich in der Entwicklung einer großformatigen Landkartenmalerei. Und als Schauspielerin wirkte sie beim Ton und Kirschen Wandertheater Glindow mit. Für ihre eigene Bühnenproduktion "Mörder unter uns"· erhielt sie 2006 den Folkwangpreis. Doch die treueste Begleiterin in ihrem Leben seit frühester Jugend war die Malerei, gesteht sie. Mit dem ihr eigenen Mut zum Risiko arbeitet sie seit 2010 als frei schaffende Malerin in ihrem eigenen Atelier im Atelierhaus Scholle 51 in der Potsdamer Geschwister-Scholl-Straße.
Ich stehe am Fluss, schaue hinüber. Und in Gedanken sehe ich sie auf dem Seil; mit ihren Träumen von Freiheit, mit Hoffnungen auf den Erfolg, den Kitzel des Risikos auskostend.
Ausstellungsdauer: Oktober bis Dezember 2014; Hotel am Markt, Baderstraße 19, Insel Werder, Di.-Fr. ab 18 Uhr, Sa. u. So. ab 12 Uhr

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