Werder an der Havel ist vor allem seines
alljährlichen Blütenfestes wegen bekannt und ein beliebtes Ausflugs- und
Reiseziel zehntausender Gäste. Doch auch wenn die Natur dem Winterschlaf
entgegen geht hat das Inselstädtchen in der Mittelmark seinen besonderen Reiz.
Nebelschwaden über dem Wasser, gelbbraunes Schilf an den Ufern des Flusses
lassen den Wanderer die Stille schauen, die Gedanken schweifen, vielleicht auch
noch einmal zurück zu dem eben im Hotel am Markt Gesehenen.
Dessen Betreiber, Karola und Sven Rückholz, haben in
dem Barockbau aus dem 18. Jahrhundert eine Tradition der Wendezeit vor
fünfundzwanzig Jahren wieder aufgenommen. Damals eröffnete eine künstlerisch
engagierte Werderanerin ein „Galeriecafè“ als Haus für Künstler der Umgebung
und Berlins sowie für Kunstinteressierte, in dem ausgestellt, gelesen und
debattiert wurde. Doch das Projekt der Initiatoren überlebte nicht die mehrjährigen
Restaurierungsarbeiten an der arg heruntergekommenen Immobilie, mit denen an
dem Gemäuer altes Äußeres und neues Inneres in baukünstlerischer Harmonie zusammengeführt
wurden. Heuer wurde ein neuer Anlauf mit dem Ziel unternommen, Alt und Neu auch
in dem Sinne zusammenzuführen, dass vor allem jungen Künstlern Gelegenheit
gegeben wird, sich dem Publikum zu präsentieren.
Zurzeit stellt die Potsdamer Malerin Julia Brömsel
Werke ihres Schaffens vor. Es sind Bilder einer ganz eigenen Sprache und
Technik; sehr eigenwillig, kräftig in der Aussage und das Gemüt ansprechend in
der Darstellung. Kinder könnten sich daran erfreuen und Erwachsene auch. Es
sind weder kalte Abstrakta noch Abbilder der puren Realität. Es sind Bilder
einer wie im Traum beobachteten, analysierten und gedeuteten Welt. Kritik an
der Welt mit ihren vielen Konflikten wird nicht mit Hässlichkeiten geübt. Hier
wird mit optisch ansprechenden Darstellungen auf Gegensätze aufmerksam gemacht
und – mitunter auch heitere – Nachdenklichkeit erzeugt.
Dazu tragen auch die Techniken von Julia Brömsel
bei. Ihre Bilder sind gemalt, geklebt, genagelt und geschraubt. Die Künstlerin
selbst im Gespräch: „Seit Jahren arbeite
ich auf abgelegten Untergründen. Bisher dienten mir alte Schulatlanten und
Landkarten als Trägermaterial. In meinen aktuellen Arbeiten entstehen
dreidimensionale Bildwelten auf alten Schranktüren und Holzbrettern. Elemente
aus verschiedenen Materialien überschwemmen wie Treibgut meine Bilder. Die
Holztafeln werden von mir beschnitzt, bemalt und beschlagen. In vielerlei
Hinsicht entstehen dabei Beziehungen zwischen Mensch und Natur, zwischen Paaren
tun sich Abgründe auf, die Spannung zwischen Innenraum und Außenraum wird zum
Greifen nahe.“ Bei der Führung durch die Gasträume, in denen ihre Werke zu
sehen sind, macht sie auf „Schlafes
Schwestern“ aufmerksam – eine dreigeteilte Schranktür quer, deren Füllungen
bemalt sind. Die Motive: Schlafende Mädchen in ihren Träumen. Ein anderer
Blickfang „Schaffisch“ – bemaltes
Brett mit aufgenagelten Kronenkorken wie Schuppen, Münzen gleich. Sinnbild
einer durchökonomisierten Welt, die in allem vor allem Geld sieht. Und, um auch dies noch hervorzuheben, „Bedrohte Arten“ – ein Paar, gemalt auf
eine Tür (Hochformat), auf unseren Planeten schauend, dargestellt durch einen
montierten Halbglobus, der zwei Dinosaurier trägt. Im unteren Teil des Bildes –
vom Globus halb verdeckt - ein Fisch in der Senkrechten, aus dem das Paar hervorgegangen
zu sein scheint. In beeindruckender Weise sind hier die verschiedenen Elemente
des Bildes zu einem aussagekräftigen, harmonischen Ensemble vereinigt worden. In
der dreidimensionalen Darstellung zeigt sich das von der Künstlerin auszudrückende
Problem dieser Welt in den drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der
Titel dieses Werks findet sich auch im Ausstellungsthema wieder: „Dazwischen – Bedrohte Arten“. Es sind
die beiden großen Themen, für die sich Julia Brömsel interessiert, der Mensch
und seine Beziehung zur Natur und zu seinesgleichen. „Balance“ hat sie ihr Bild genannt, in dem ein Seil zwischen zwei
Hochhäusern gespannt ist. Von beiden Seiten bewegt sich ein Paar balancierend
aufeinander zu, in der Tiefe reißen Raubfische in Erwartung der Beute schon die
Mäuler auf. Doch hier lauert nicht nur das Grauen! Einen geradezu heiteren Zug
erhält die Darstellung der ewigen Gefahr des Lebens durch ein paar
niedertaumelnde Federn eines Vogels und aufsteigende Blasen oder Ballons, die, als Wünsche, Träume oder Hoffnungen, Leichtigkeit
erzeugen – das Leben und die Freiheit als Kunst des Risikos, das Paar auf dem
Seil als Lebenskünstler.
Julia Brömsel scheint auch diese Kunst zu
beherrschen. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr spielt die ausgebildete Orthopädie-/Maßschuhmacherin
Theater, beginnend im Jugendtheater ZABA, zu dessen Gründungsmitgliedern sie gehört,
unter Leitung von Ulrike Schluhe beim Offenen Kunstverein Potsdam. An der Folkwang-Hochschule
Essen absolvierte sie ein Mime/Körpertheater Studium. Nach der Geburt ihrer
Tochter versuchte sie sich in der Entwicklung einer großformatigen
Landkartenmalerei. Und als Schauspielerin wirkte sie beim Ton und Kirschen
Wandertheater Glindow mit. Für ihre eigene Bühnenproduktion "Mörder unter
uns"· erhielt sie 2006 den Folkwangpreis. Doch die treueste Begleiterin in
ihrem Leben seit frühester Jugend war die Malerei, gesteht sie. Mit dem ihr
eigenen Mut zum Risiko arbeitet sie seit 2010 als frei schaffende Malerin in
ihrem eigenen Atelier im Atelierhaus Scholle 51 in der Potsdamer
Geschwister-Scholl-Straße.
Ich stehe am Fluss, schaue hinüber. Und in Gedanken
sehe ich sie auf dem Seil; mit ihren Träumen von Freiheit, mit Hoffnungen auf
den Erfolg, den Kitzel des Risikos auskostend.
Ausstellungsdauer:
Oktober bis Dezember 2014; Hotel am Markt, Baderstraße 19, Insel Werder,
Di.-Fr. ab 18 Uhr, Sa. u. So. ab 12 Uhr
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