Montag, 15. März 2010

Pilot(en)projekt

(Erschienen in: "Das Blättchen", Nr.5, 15. März 2010)

Es liegt was in der Luft! Gerade weil die Piloten der Lufthansa streikten und ihre Maschinen nicht in die Lüfte steigen ließen! Zwar haben sie ihre Aktion unterbrochen, doch es gärt weiter, europaweit sogar. In Deutschland droh(t)en die Flugbegleiter mit Arbeitsniederlegungen, über Frankreich und Griechenland legten die Fluglotsen den Luftverkehr lahm.


Die Vereinigung Cockpit wollte mit ihrem Streikaufruf erreichen, daß die deutschen Tarifbedingungen auch für Flugzeugführer ausländischer Unternehmenstöchter der Lufthansa gelten. Damit sollte die Verlagerung deutscher Arbeitsplätze ins Ausland verhindert werden. Auch wenn es sich hier zunächst um eine „egoistische“ Zielstellung handelt: Ein solches Vorgehen könnte als Pilotprojekt gewerkschaftlicher Strategie ganz allgemein angesehen werden: Kampf um Verbesserung der Lage anderer auch im eigenen Interesse.

Nehmen wir Griechenland. Dort riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf, um gegen das Sparprogramm der Regierung zu protestieren, mit dem die Lasten der vom europäischen und Welt-Finanzkapital verursachten Krise auf das Volk abgewälzt werden sollen. Detaillierte sachliche Aufklärung, wieso die Griechen, aber auch Italiener, Portugiesen und Spanier, nicht Täter, sondern Opfer sind, wurde schon in verschiedenen links-orientierten Publikationen gegeben, so von Werner Rügemer in der jungen Welt. Hier ist der mutige, beispielgebende Widerstand der Griechen zu loben und auf die solidarische Verantwortung aller Europäer zu verweisen, die vielleicht bis jetzt noch nicht begriffen haben, daß sie als Nächste auf dem Altar der Finanzmärkte landen werden, oder noch hoffen, der Kelch möge an ihnen vorbei gehen. Solidarität ist auch deshalb angesagt, weil wieder einmal soziale Gegensätze mittels nationaler Diffamierung überspielt werden sollen (Magazin „Focus“), um Betroffene emotional aufzuheizen und von den ursächlichen Widersprüchen abzulenken, von einem zielführenden sozialen Kampf abzuhalten.

Deprimierend in dieser Situation ist die Zersplitterung nicht nur der gewerkschaftlichen, sondern der linken Bewegungen ganz allgemein in Europa. Pluralismus ist schön und gut. Doch er wird zu einer Gefahr für die befreiende soziale Gestaltung, wenn sich die Strömungen und Gliederungen, wie es zu sein scheint, nicht wenigstens in einigen Grundfragen und über Hauptziele, also gemeinsame Strategien verständigen können. Woran liegt das?

Offensichtlich gibt es kein theoretisches Fundament, das verbindet und allen plausible und allen Interessen gerecht werdende Auswege aus der Krise begründet. Schlagworte wie „Sozialismus“ und „Gerechtigkeit“ sind da nicht ausreichend. Der Liberalismus blockiert weitgehend das Denken der ganzen heutigen Gesellschaft. Einzig und allein durch dessen Brille, in dessen Begrifflichkeiten wird die Welt von heute gesehen, zu erklären und zu „heilen“ versucht. Da dominiert immer noch beziehungsweise wieder das und der Einzelne, nicht das Ganze und die Gesamtheit. Reproduktion wird als Reproduktion von Unternehmen und Kapitalen verstanden, nicht der Gesellschaft und ihres Reichtums. Wie sollen sich da Griechen, Italiener, Portugiesen, Spanier, Franzosen, Deutsche usw. über die „Verteilung der Lasten der Krise“ zwischen den Staaten und zwischen den Bürgern verständigen? Liegt es da nicht auf der Hand, daß jeder hofft – und sei es auf Kosten der anderen -, mit einem blauen Auge davonzukommen?

Es herrscht doch nicht einmal allgemeine Klarheit darüber, was, von den oberflächlichen Erscheinungen wie Spekulation, Aufblähung der Finanzvermögen, Pleiten usw. abgesehen, im internationalen Geld- und Finanzsystem und in dessen Konsequenz auch in der Realwirtschaft während der vergangenen Jahrzehnte eigentlich vor sich gegangen ist. Das ganze Ausmaß der Vergesellschaftung nicht nur im Sinne von Globalisierung, sondern auch von „Entprivatisierung“ der Verhältnisse ihrem Wesen nach ist auch links von der Mitte der Gesellschaft nicht begriffen worden – so sehr hat man sich vom wunschdenkenden Privatisierungsgetöse des Liberalismus betäuben lassen.

Sollte es also nicht in einer koordinierten Aktion aller linken Kräfte Europas – und vor allem der Gewerkschaften – bei den bevorstehenden „Lastenverteilungskämpfen“ nach dem griechischen Pilotprojekt möglich sein, nicht nur eine, sondern alle Regierungen massiv unter Druck zu setzen, damit überall diejenigen zur Kasse gebeten werden, die in der Vergangenheit direkt und indirekt an dem Finanzkasino beteiligt waren und dabei gewonnen haben, die in der Pflicht stehen und es sich leisten können, die Kosten des Gemeinwesens „Europa“ zu tragen? Europas Wirtschaft ist dazu beileibe nicht überfordert. Sie hat schon in der Vergangenheit alles sachlich Notwendige geleistet, dabei sogar auf Dutzende Millionen Arbeitskräfte (Arbeitslose) verzichtend, und sie wird das auch in Zukunft gut und sogar noch besser bewerkstelligen können, wenn man die Reserven ausschöpft.

Allerdings muß man dazu einsehen, daß Produktion, Geld und Finanzen schon lange keine Privatsache mehr sind. Die Krise hat es gezeigt, und die Regierungen haben es vor einem Jahr mit ihren bisher beispiellosen Maßnahmen zur Bankenrettung und Überwindung der Finanzkrise faktisch anerkannt. Jetzt müssen sie alle gezwungen werden, bei der Überwindung der „Schuldenkrise“ kooperativ, kreativ und konsequent zu sein, Finanzen umzuverteilen und das ganze System für die Zukunft durch Begrenzung von („privaten“) Entscheidungskompetenzen, Neufestlegung von Besteuerungen und Abgaben u.v.a.m. umzugestalten. Denken über den eigenen Tellerrand hinaus ist gefragt, Verantwortung für das Ganze erkennen und übernehmen. Mit Blick auf die sich auch in Tschechien zuspitzende Situation (gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen) schrieb die dortige Wirtschaftszeitung „Hospodářské noviny“: „Den Europäern würde jetzt ein Typ Politiker wie einst Churchill gut tun, der keine Rücksicht auf momentane Stimmungen und Umfragen nimmt und die Richtung klar vorgibt. Nur, wo und wie soll man den finden?” Man könnte dem zustimmen, wenn dabei an eine progressive Systemalternative gedacht worden wäre. Da es aber wohl eher um althergebrachte konservative Denkmodelle und Krisenlösungen geht, sollten Gewerkschaften und alle linken Bewegungen endlich munter werden!

Von Heerke Hummel erschienen zuletzt: Gesellschaft im Irrgarten. Die Tragik nicht nur linker Missverständnisse, NORA-Verlag, Berlin 2009; Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag, Halle 2005

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