Dienstag, 2. Mai 2006

Kurzsichtigkeit von vorgestern

(Erschienen in „Das Blättchen“, Nr. 9, 2. Mai 2006)

Die Landtagswahlen in drei Bundesländern sind vorbei, und nun kann wieder Klartext geredet, der Abbau des Sozialstaats beschleunigt und auf breiter Front vollzogen werden. Und dafür gibt es – die Wahlergebnisse zeigten es – ein erstaunlich breites öffentliches Verständnis.


Denn auch die große Zahl der Wahlverweigerer (in Sachsen-Anhalt bildeten sie sogar die Mehrheit) glaubt ja offenbar nicht an Alternativen; von einem Verstehen der Zusammenhänge im Finanzsystem dieser Gesellschaft möchte ich gar nicht sprechen. Die Finanznot betrifft ja nicht nur die Renten- und Krankenkassen, die nun reformiert werden sollen, sondern auch die ganze öffentliche Infrastruktur. Nur für kurze Zeit wurde dieser Tatbestand durch die Tragödie von Bad Reichenhall und danach bekannt gewordene schockierende Berichte über den Zustand öffentlicher Hallen, Stadien, Brücken und so weiter von den Medien reflektiert, die sich dann schnell wieder anderen Tagesthemen zuwendeten. Alle diese Bauwerke wurden einst zum großen Teil auf Pump der “öffentlichen Hand” errichtet, um das Wahlvolk bei Laune zu halten und obendrein die Volkswirtschaft flott zu machen. Über die Folgen wurde dabei weniger nachgedacht. Diese betrafen die Rückzahlung der Kredite ebenso wie die Zinslasten und die Kosten für die laufende Unterhaltung, Pflege und Wartung der Anlagen.

Wer je ein Auto auf Abzahlung kaufte weiß, wie eng der Haushalt dann für einen Normalverdiener wird, wie sehr an allen Ecken und Enden gespart werden muß, um mit dem Einkommen alles zu deckeln. Die Bundesregierungen, Landes- und kommunalen Verwaltungen sahen das nicht so verbissen, brauchten es auch nicht, waren ja jeweils nur für ein paar Jahre im Amt, machten von Jahr zu Jahr neue Schulden und konnten doch nicht alles Notwendige finanzieren, zum Beispiel die regelmäßige Instandhaltung und Erneuerung. Und zurück blieb die anonyme “öffentliche Hand” mit einem Schuldenberg (der heute etwa jeden vierten Euro des Haushalts allein für die Zinslasten verschlingt) sowie zum Teil maroden Anlagen.
Auch mancher leichtsinnige Autokäufer gönnte sich nach seiner Anschaffung noch dies und das auf Pump, sparte aber, um halbwegs über die Runden zu kommen und weil es ja immer noch ging, an der notwendigen Instandhaltung, bis die Karre zum Verkehrsunfall führte, und mußte schließlich persönliche Insolvenz anmelden, lange bevor ein Viertel seines Einkommens für Zinsen draufging. Ein schlechter Haushalter, möchte man sagen. Auch die “öffentliche Hand” steht nun kurz vor diesem Punkt. Denn wer will schon einem anonymen Schuldner weiter borgen, der bereits mit über einer Billion Euro in der Kreide steht – bei einem Jahreseinkommen von rund 260 Milliarden und Zinslasten um die 70 Milliarden? Deshalb erklärte Finanzminister Steinbrück beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt / Main: So gehe nicht weiter, der Staat müsse sich auf das Notwendige beschränken. Da ist ja etwas Wahres dran! Nur: Durch sein Schuldenmachen hielt der Staat in der Vergangenheit mit dem Geld der “Besserverdienenden” (weil diese es nicht brauchten und dem Staat leihen konnten!) die Wirtschaft, den Reproduktionsprozeß der Gesellschaft, in Gang. Wie wäre das künftig möglich, wenn offensichtlich ein bedeutender Teil des Volkes mehr verdient als er verbraucht oder verbrauchen kann? Mit “Mindestlöhnen” und “Maximaleinkommen” könnte das Nettoprodukt so (um-)verteilt werden, daß die Gesellschaft den geschaffenen Realreichtum in seiner sachlichen Gestalt ohne allgemeine Verschuldung verbrauchen würde und durch großzügige Entwicklungshilfe eine wirkliche, weltweite Sicherheitspolitik zu betreiben in der Lage wäre. Eine „antikapitalistische Linke“ erhebt daher wohl zu Recht als Minimalbedingungen für eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei unter anderem die Forderung: Keine Kürzungen bei den Schwächsten und eine fünfprozentige Geldvermögenssteuer.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen