Montag, 6. März 2006

Wohin ich auch schaue - Illusionen!

(In: „Das Blättchen“, Nr. 05, 6. März 2006)An die "soziale Gerechtigkeit" glaubt man wie an eine Religion, bei der die einen überzeugt sind, der Messias sei schon gekommen, während die anderen noch auf ihn warten. So dass sich nun Katholiken wie Angehörige anderer Konfessionen und Religionen, aber auch Atheisten von Papst Benedikt XVI. vertreten fühlen können, der zu Beginn des Jahres 2006 in seiner auf die sozialen Probleme der Gegenwart abzielenden Enzyklika „Deus caritas est“ (Gott ist Liebe) darauf hinwies, „dass sich die Frage nach der gerechten Struktur der Gesellschaft in neuer Weise“ stellt.
Deutschland – ein Land der Dichter und Denker? Das scheint es einmal gewesen zu sein. Heute wird nur noch geglaubt und gehofft. Jedenfalls was den ganzen politischen und sozialen Bereich anbelangt.



Bei den ganz Alten mag das nicht verwundern. Ihre Überzeugungen waren vielleicht sogar einmal zutreffend. Aber wer ist schon bereit, einmal erarbeitetes Gedankengut über Bord zu werfen, auch wenn sich die Verhältnisse geändert haben? In einer linken Tageszeitung („Junge Welt“ v. 14. Januar 2006) erschien vor einiger Zeit ein Artikel aus der Feder des 1916 geborenen Professors Theodor Bergmann aus Baden-Württemberg, der die „klassenbewussten“ Industriearbeiter und Dienstleister im Westen Deutschlands als Kern und Basis der WASG beschwörte und sich noch auf Friedrich Engels berief, der gemeint hatte, wichtiger als das Brot sei für die deutschen Arbeiter der Stolz, das Klassenbewusstsein. Das mag zu Engels´ Zeiten noch so gewesen sein. Jedenfalls vermag ich das nicht zu beurteilen. Aber danach muss sich das schnell geändert haben. Man denke nur an die zweimalige Kriegsbereitschaft der Masse des Volkes, an ihre Distanziertheit gegenüber dem (zweifellos nicht eben attraktiven) Realsozialismus und an ihre schließliche Bereitschaft, diesen und die eigene Macht (so wenig sie sie auch individuell-konkret auszuüben vermochten) für Bananen und das Versprechen blühender Landschaften hinzugeben.

Und die das versprachen – sie glaubten vielleicht auch an diese Vision und haben heute einen weitgehend deindustrialisierten Osten am Hals sowie fünf Millionen offiziell registrierte Arbeitslose in ganz Deutschland. Der Logik damaliger Kritiker wollten die Gläubigen nicht folgen. Nun sprechen sie von sozialer Gerechtigkeit. Auch die Bundeskanzlerin hat sie wiederentdeckt, spricht im neuen Grundsatzprogramm ihrer Partei gar von einer „neuen Gerechtigkeit“. Das macht sich gut, denn niemand hat je definiert, was das ist, wo die Gerechtigkeit beginnt und wo sie endet. Und so kommt es, dass sich alle Parteien, alle Lager, Verbände und Bewegungen einig sind; wenigstens dieses eine Mal, indem sie diesen Begriff bemühen. Aber während die einen meinen, soziale Gerechtigkeit sei schon gegeben, schreiben die anderen sie als noch zu verwirklichende Forderung auf ihre Fahnen. Wenigstens glaubt man an sie wie an eine Religion, bei der die einen überzeugt sind, der Messias sei schon gekommen, während die anderen noch auf ihn warten. So dass sich nun Katholiken wie Angehörige anderer Konfessionen und Religionen, aber auch Atheisten von Papst Benedikt XVI. vertreten fühlen können, der Anfang dieses Jahres (2006) in seiner auf die sozialen Probleme der Gegenwart abzielenden Enzyklika „Deus caritas est“ (Gott ist Liebe) darauf hinwies, „dass sich die Frage nach der gerechten Struktur der Gesellschaft in neuer Weise“ stellt. (Wie schnell doch Frau Merkel darauf reagiert hat!) „Gerechtigkeit“ ist ein zentraler Begriff seiner Enzyklika. Mit dem Papst in Übereinstimmung befinden sich sowohl Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank und wohl bestverdienender Angestellter Deutschlands, als auch die ganze politische Klasse von ganz rechts bis ganz links. Benedikt XVI. spricht vom „Erbauen einer gerechten Gesellschafts- und Staatsordnung, durch die jedem das Seine wird“. Und dies sei „eine grundlegende Aufgabe, der sich jede Generation neu stellen muss.“ Konkreter wird der Papst nicht. Wie denn auch? Die Linke und die Rechte allerdings ebenfalls nicht. Auch sie leiten die Gerechtigkeit nicht aus dem Rechten, Richtigen, aus dem der Notwendigkeit Entsprechenden ab. Und wo das nicht geschieht, muss die Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit auf dem Glauben daran beruhen, was gerecht sei.

Dieser Glaube – so will mir scheinen – baut wiederum auf einer allgemeinen Illusion auf. Es ist die falsche Vorstellung vom Reichtum dieser Gesellschaft, dessen Wesen man wie vor Jahrhunderten noch immer als eine Wertmenge betrachtet, die in einer Geldmenge ausgedrückt wird. Diese Illusion steht im Gegensatz zu den Gegebenheiten der heutigen Realität, weshalb ein ökonomisches Umdenken erforderlich ist, das die Wirklichkeit auf neue Weise erklärt und auch neue Wege zur Lösung der mit der so genannten Globalisierung entstandenen Probleme der Gesellschaft öffnet. Denn mit der Verdrängung des Goldes aus dem Geldwesen durch das Papier veränderte sich das Wesen des Geldes grundlegend, indem sich das Geld aus einer Ware in ein staatlich sanktioniertes Arbeitszertifikat verwandelte. Möglicherweise hatte Benedikt XVI. diesen Prozess des gesellschaftlichen Wandels im Auge, wenn er in seiner Enzyklika feststellte, zu Beginn des 21. Jahrhunderts fände eine historische Entwicklung ihren Abschluss, deren Ursprung am Ende des 19. Jahrhunderts lag.

Was dies mit der sozialen Gerechtigkeit zu tun hat? Eigentlich gar nichts. Denn aus einem solchen Verständnis der ökonomischen Beziehungen in dieser Gesellschaft folgt nur, dass, wo mit dem vom Staat herausgegebenen Geld bescheinigt wird, dass jemand Arbeit für die Gesellschaft geleistet hat, dass dort die gesellschaftliche Reproduktion nur störungsfrei funktionieren kann, wenn jeder mit seinem Lohn oder Gehalt auch die entsprechende Menge Arbeit dem Reproduktionsprozess der Gesellschaft in Form von Produkten wieder entzieht und so neuer Produktion und Arbeitsverausgabung Platz macht. Wer also sein Geld nicht wieder ausgibt, sondern spart oder in Finanzpapieren anlegt, handelt der ökonomischen Notwendigkeit zuwider, bringt den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess ins Stocken, verursacht Arbeitslosigkeit. Und das soziale Problem dieser Gesellschaft besteht nicht darin, dass nicht alle das Gleiche bekommen, sondern darin, dass die einen mehr erhalten als sie brauchen bzw. „das Ihre“, wie es der Papst nannte, nicht verbrauchen können, die anderen aber nicht in die Lage versetzt werden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Die illusionäre Frage nach der Gerechtigkeit betrifft also – logisch gedacht - in Wirklichkeit die ökonomische Notwendigkeit einer Einkommensverteilung, die genügend und richtige Arbeitsanreize schafft, es aber dabei ermöglicht, das gesellschaftliche Produkt zu konsumieren, ohne dass die einen gegen Zins verborgen und die anderen sich bei ihnen verschulden müssen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen