Montag, 23. Januar 2006

Zu eng gedacht

(Erschienen in: „Das Blättchen“ Nr. 2, 23. Januar 2006)Lohnzuwachsraten bis zu 25 Prozent? In einer Welt, die den Wert von Produkten nicht mehr auf einem anonymen Warenmarkt ermittelt, um den geschaffenen Neuwert dann in Lohn und Profit zu teilen, sondern in der für einen weitgehend gestalteten Markt die Preise der Güter über die Kosten kalkuliert werden, sind die höheren Löhne von morgen die höheren Preise von übermorgen.


„Die Linksfraktion hat eine Alternative“, hört man nicht erst seit ihrer Magdeburger Klausur. Experten wie Rudolf Hickel, Gustav Horn oder Elmar Altvater hatten der Auseinandersetzung mit dem herrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell eine wissenschaftliche Fundierung gegeben. Selbstverständlich werden die Erwartungen der Wählerschaft erfüllt, wenn darin u. a. auch Lohnerhöhungen gefordert werden, wobei Gysi mit dem Beispiel des europäischen Auslandes argumentiert, wo Zuwachsraten bis zu 25 Prozent festgestellt wurden. Doch ist damit die Oppositionsrolle wirklich ausgefüllt?

Nichts gegen höhere Löhne und von mir aus auch bis zu 25 Prozent! Doch zu bedenken ist: In einer Welt, die den Wert von Produkten nicht mehr auf einem anonymen Warenmarkt ermittelt, um den geschaffenen Neuwert dann in Lohn und Profit zu teilen, sondern in der – weil das sich Geld durch seine Abkopplung vom Edelmetall aus einer Ware mit eigenem Wert und Gebrauchswert in ein Arbeitszertifikat verwandelt hat – für einen weitgehend gestalteten Markt die Preise der Güter über die Kosten kalkuliert werden, in einer solchen Welt von heute sind die höheren Löhne von morgen die höheren Preise von übermorgen. Und jede Währungseinheit repräsentiert weniger Arbeit, wenn für dieselbe Arbeitsmenge mehr Währungseinheiten gezahlt werden. Schleichende Inflation ist also vorprogrammiert.

Schließt dieser Sachverhalt Lohnsteigerungen kategorisch aus? Nein! In einem so dynamischen System wie der modernen (Welt-)Wirtschaft kann es kein starres Lohngefüge geben. Aber dieses muss eben in Korrelation mit vielen anderen ökonomischen Größen gesehen werden, insbesondere im internationalen Vergleich. Linke Wirtschafts- und Sozialpolitik sollte deshalb immer den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess als ganzen, auch internationalen, im Auge haben. Und von daher müsste sie – neben der Lösung der wirklich dringendsten nationalen Probleme wie Einführung von Mindestlöhnen (und auch Maximalgehältern) – wenigstens im europäischen Rahmen einen gezielten strukturellen Ausgleich programmatisch anstreben, der eben diesen gesellschaftlichen Reproduktionsprozess kontinuierlich und ohne Eruptionen und Krisen in Fluss hält. Europaweit und global muss dank einer entsprechenden Finanzpolitik verbraucht werden können, was die Gesellschaft zu produzieren in der Lage ist. Verzicht auf Zinsnahme für Kredite ebenso wie entwicklungsfördernde Preisstrukturen und Bildungsinvestitionen könnten schon heute so viel Beschäftigung in den Industrieländern bewirken, dass Arbeitslosigkeit kein Thema mehr wäre. Und niemand würde dadurch ärmer in einer Welt, deren Probleme nicht aus Überkonsumtion, sondern aus – im Verhältnis zu ihren produktiven Möglichkeiten – Unterkonsumtion resultieren und die an der Illusion leidet, ihre Finanzberge seien Reichtum, während sie doch nur den Gegenpol schon nicht mehr begleichbarer Schuldenberge darstellen.

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