Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 13, 18. Juni 2018,
https://das-blaettchen.de/2018/06/italien-lehrstueck-fuer-europa-44582.html)
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 13, 18. Juni 2018,
https://das-blaettchen.de/2018/06/italien-lehrstueck-fuer-europa-44582.html)
Jüngst (Nr. 23) brachte „der Spiegel“ einen
interessanten, in seinen Details von einem zwölfköpfigen Autorenteam fleißig
recherchierten Bericht zur Lage auf der Apennin-Halbinsel heraus. Das Ergebnis
der Analyse findet sich schon in der Unterzeile auf der Titelseite: „Italien
zerstört sich selbst“ - und bringe damit die ganze Europäische Union in Gefahr.Was sich dort im Geburtsland von Dante, Manzoni und
Umberto Eco abspielt, scheint eher ein schäbiges Schmierenstück des
Polittheathers auf Kosten des Volkes zu sein.
Immerhin hat, wie wir erfahren,
einer der beiden den Euro-Austritt bislang anstrebenden Koalitionspartner, die
rechtsnationalistische Lega, die Austrittsparolen an den Fassaden ihrer
mailändischen Parteizentrale bereits weiß übertünchen lassen. Nachdem die
Wähler sie, die Lega, in die Regierung gebracht haben. Mag die aus einer
wütenden Volksbewegung hervorgegangene Fünfsternebewegung ihr Streben aus dem
Euro auch ernst meinen – ohne Lega besteht in dieser Frage kaum noch Gefahr für
Europa. Italiens Großbürgertum wird es zu verhindern wissen, um die Bedingungen
seines Wohlstands nicht zu vernichten. Denn dieser großbürgerliche Wohlstand
scheint in Italien noch bedeutend größer zu sein als im doch so reichen Deutschland.
Denn während im Durchschnitt ganz Italiens jeder Privathaushalt (im Jahre 2014)
über ein Nettovermögen von 226000 € verfügt, sind es in Deutschland 214000 €. Und
dies bei einer Staatsverschuldung je Haushalt von 87727 € in Italien
beziehungsweise 51623 € in Deutschland. Nun stelle man sich vor, in welchem
Maße sich das Privatvermögen in Italien noch mehr als in Deutschland bei den
Reichen konzentrieren muss angesichts der noch viel stärker ausgeprägten
inneren sozialen Ungleichheit und der ganz besonderen Armut im Süden Italiens!
Und dieser größere bürgerliche Wohlstand vor allem in Norditalien resultierte,
wie die riesige Staatsverschuldung belegt, nicht aus größerer
Wirtschaftsleistung, sondern aus den Zahlungen des Auslands. Als italienische
Staatsanleihen praktisch nicht mehr auf den Markt zu bringen waren, wegen der
unannehmbaren Zinsforderungen der Märkte, da spendierte die EZB das nötige
Geld, um den italienischen Staat nicht zusammenbrechen zu lassen,
beziehungsweise damit die Reichen nicht endlich zur Kasse gebeten werden
mussten. Präsident der EZB ist
(zufällig?) ein Italiener: Mario Dragi.
Kein Wunder also, dass die Italiener, wie „Der
Spiegel“ feststellt, „den Glauben an ihre Politiker endgültig verloren haben“.
„Die Wut der Völker Europas werde wachsen“ wird eine Äußerung der Französin
Marine Le Pen vom Front National wiedergegeben. Und die Feindbilder Brüssel und
Berlin sowie die Überzeugung, die von den Deutschen dominierte
Gemeinschaftswährung Euro sei die Wurzel aller Übel, dies bilde den Kitt der
europäischen Populisten. Deren „Rattenfängerparolen“ (Wie, der Wähler als
Ratte???) stießen auf wenig fundierten Widerstand. Ja woher soll denn
fundierter Widerstand auch kommen, wenn wohl niemand – von der
Wirtschaftswissenschaft über den ganzen Finanzbereich bis hin zur Politik – verstanden
hat, was sich da in den letzten hundert Jahren ganz allmählich vollzog?: Eine
Revolution in den ökonomischen Verhältnissen und Beziehungen der Gesellschaft,
eine grundlegende Veränderung in deren Wesen. Sie drückt sich aus besonders als
Veränderung im Wesen des Geldes und des Finanzsystems. Mit diesem „innerlich“
neuen Geld vermögen die Märkte das ökonomische Geschehen nicht mehr zu
regulieren. Die Zeiten des britischen Ökonomen Sir Adam Smith mit seiner
„unsichtbaren Hand des Marktes“ sind endgültig vorbei.
Man kann auch sagen: Wir stehen am Ende der
kapitalistischen Warenproduktion, am Beginn einer neuen Ära. Kapitalverwertung
und Profitmaximierung sind zu Zielgrößen ökonomischen Denkens und Handelns
geworden, die ins soziale Elend, ins ökonomische Chaos und zur Zerstörung
unseres Planeten führen. Statt Wettbewerbs zum individuellen Nutzen auf Gedeih
und Verderb bedarf es der Organisation des gesellschaftlichen ökonomischen Tuns
zum Nutzen aller Menschen (Chinas Präsident Xi Jingping hat dazu vor weniger
als einem Jahr Vorschläge für eine weltweite Kooperation unterbreitet). Die
große Herausforderung für Theorie und Praxis besteht nun darin, zwei
gegensätzliche Prinzipien in harmonische Übereinstimmung zu bringen: zentrale
Zielsetzungen, Orientierungen und Abmachungen sowie Kontrolle einerseits,
Eigenverantwortung und Freiheit des Individuums andererseits. Seitdem Karl Marx
seine Analyse der kapitalistischen Produktionsweise vorlegte, war die
Wirtschaftswissenschaft in zwei grundsätzliche, mit der politischen Umsetzung
seiner Konsequenzen schließlich verfeindete Lager gespalten. Sie bekämpften
sich und erstarrten theoretisch in Dogmen; aus Furcht und Berührungsängsten
voreinander.
So verloren beide die Realität aus den Augen, den Wandel, der sich ökonomisch
hüben wie drüben vollzog und ein Aufeinanderzugehen und gegenseitiges Verstehen
hätte bewirken sollen.
Daher wäre bei der nun allerorts herbeigeredeten Reform
der Europäischen Union und ihrer Verfassung zu allererst anzuerkennen und
festzuschreiben, dass Reichtum nur aus Arbeit entsteht und sich ohne (eigene)
Leistung nicht vermehren kann, die heutigen Zielgrößen allen Wirtschaftens also
desaströs wirken. Ferner, dass das Geld zu einer gesellschaftlichen Bescheinigung
über geleistete Arbeit geworden ist, mit der Anspruch auf entsprechende
Produkte erhoben werden kann. Sodann, dass der Umgang mit Geld
gesellschaftlichen Vorschriften beziehungsweise Regeln unterliegen muss und
nicht einfach Privatsache seines Besitzers ist.
Auf solche Fragen muss die europäische Linke
vorbereitet sein, wenn es an die allgemeine Erörterung einer Reform der
Europäischen Verfassung geht. Letztere muss demokratisch gestaltet werden in
dem Sinne, dass sie dem Wohl aller
Europäer verpflichtet ist und ihm auch wirklich dient. Dazu muss sie, ausgehend
von politischen Orientierungen, gesellschaftlichen Zielsetzungen und sachlichen Strukturplanungen für ganz Europa,
den Umgang mit dem Euro regeln, seine Verteilung und Umverteilung als
Voraussetzung für die notwendigen Warenströme in der EU. Dies dürfte zu den
heißesten Themen einer Reformdebatte gehören. Denn es setzt ein völliges
Umdenken in der Wirtschaftswissenschaft, in der Wirtschaft selbst, im
Finanzsektor und in der Politik voraus – getragen von der Erkenntnis und dem
Eingeständnis, dass Wirtschaft und das Wirtschaften nicht mehr Privatsache
einzelner Menschen oder Gruppen sind und das Geld nicht mehr das ist, was es
vor hundert oder vielleicht noch fünfzig Jahren war. Bei seinem Einsatz geht es
- soll es seinen vernünftigen, solidarischen, ökonomischen und umweltgerechten
Zweck erfüllen – nicht mehr um die Realisierung von Profit als Quelle zur
Vermehrung von privatem Reichtum. Es
ist - seinem objektiven Wesen nach und nicht im Spiegel des Rechtssystems einer
beschränkten gesellschaftlichen Erkenntnis gesehen - Ausdruck von Reichtum der Gesellschaft ganz allgemein geworden, von
geleisteter gesellschaftlicher Arbeit und von Verfügungsgewalt über diese. Dies
alles eben unter der Voraussetzung, dass es so juristisch auch anerkannt,
fixiert wird, zu allererst durch eine neue Verfassung für die Europäische
Union.
Die jetzt bevorstehenden Bemühungen zur Rettung
beziehungsweise Ordnung der Verhältnisse in Italien mit europäischer
Unterstützung werden zeigen, inwieweit in den praktischen Aktionen der
Brüsseler Behörden und Institutionen wenigstens Ansätze wirklich
weiterführenden Denkens, zumindest zum Ziel führenden Handels zu erkennen sind.
Das tatsächliche politökonomische Verstehen dessen, was da in den Beziehungen -
einerseits innerhalb der EU/Euro-Zone, andererseits zwischen dieser und der
übrigen Welt - vor sich geht, wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen und auf
sich warten lassen.
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