Droge Psychologie
Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Nr. 21/2016 - http://das-blaettchen.de/2016/10/droge-psychologie-37555.html)
Es war ein skeptisches Interesse an der Materie, was
mich veranlasste, mir Albert Krölls‘ Buch „Kritik der Psychologie“ zusenden zu
lassen, als ich ganz zufällig auf diesen Titel aufmerksam geworden war. Schon
seit geraumer Zeit war mir aufgefallen, dass immer mehr Menschen die Hilfe von
Psychologen in Anspruch nehmen. Was ist los in dieser Gesellschaft, fragte ich
mich. Werden wir alle etwas verrückt oder nur Opfer von Scharlatanen? Der Titel
jedenfalls versprach Aufklärung. Und er hält sein Versprechen.
Einleitend stellt der Autor ironisch fest, die Frage,
welche Beziehung der Mensch zu seiner werten Persönlichkeit pflegt, wie er mit
sich und seiner Psyche umgeht oder mit ihr zurechtkommt, sei für die Mitglieder
der „modernen Gesellschaft“ zur wichtigsten Frage überhaupt geworden. Die
Antwort darauf kläre nämlich demnach alle Probleme, die der Mensch im Umgang
mit der Welt hat. Ein Scheitern am Arbeitsmarkt oder bei der Liebeswerbung,
Ärger in der Familie oder im Büro, Frustration, Angst vor dem Atomkrieg oder
dem Alleinsein ließen auf falsche Einstellungen schließen und führten zu Unlust
oder gar Unglücksgefühlen, die nicht unbedingt sein müssten. Zurechtkommen mit
der Welt sei zuallererst ein Zurechtkommen mit dem lieben Selbst. Wer sich
selbst annimmt und kontrolliert, wer sein Verhältnis zu sich im Griff hat und
über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügt, habe mit der Welt keine Probleme
mehr. A. K. spricht in diesem Zusammenhang von einem klassenübergreifenden
Angebot zur Lebenshilfe und einer „Entschuldigungsideologie für die
bürgerlichen Konkurrenzsubjekte“. Als solche habe die Psychologisierung aller
Lebenssachverhalte der Religion den Rang abgelaufen. Zudem liefere die
psychologische Denkweise die fachliche Anleitung für die kritische
Selbstmanipulation des Willens zur (Selbst-)Zufriedenheit in der
Konkurrenzgesellschaft.
Das Kennzeichen der Psychologie als sachadäquater
Theorie des Willens besteht – so der Autor – darin, „dass sie das Bewusstsein
als eine defekte, von allerlei unkontrollierten Einflüssen gesteuerte, stets
bedrohte Instanz ausmalt.“ Wenn Psychologen den Willen erforschen, fragten sie
nicht nach dem Zweck des Handelns, sondern suchten nach Ursachen der
Willensleistungen außerhalb von Wille und Bewusstsein und teilten ihren
staunenden Forschungsobjekten dann mit, wovon sie getrieben oder motiviert
sind. An Ratten und anderem Getier studierten sie, wie der menschliche Wille
gebildet wird. Ihr Bild vom Willen mache die „Verrückten“ und „Geisteskranken“,
die ihres Willens nicht mächtig sind, zur Norm, die auch die „inneren Prozesse“
erklärt, die bei den „Normalen“ ablaufen. Nie jedenfalls sei die praktische Tat
eines Menschen das einfache Resultat der Absichten und Beschlüsse eines
Subjektes, das sich vom Standpunkt seiner gewussten Interessen und Bedürfnisse
auf die ihm vorausgesetzte äußere Welt bezieht. Das Interesse als
Handlungsgrund werde systematisch verworfen, wenn das Handeln der Subjekte als
Resultante des Wirkens hintergründiger seelischer Kräfte gedeutet wird, deren
wirkmächtige Existenz allein die Psychologenzunft aufzudecken weiß.
„Kritik der Psychologie“ mit dem Untertitel „Das
moderne Opium des Volkes“ ist das Werk eines Juristen mit minutiöser
Beweisführung. Es analysiert die Psychologie
als Wissenschaft zur Menschenbildpflege (Kapitel 1), betrachtet die Psychoanalyse von Sigmund Freud
(Kapitel 2), geht ein auf die „Kritische
Theorie des Subjekts“ des Frankfurter Psychomarxismus (Kapitel 3), setzt
sich auseinander mit Burrhus Frederic
Skinners Steuerung des unbotmäßigen Staatsbürgerverhaltens (Kapitel 4),
beleuchtet sozialpsychologische
Fehlerklärungen der Ausländerfeindlichkeit (Kapitel 5) und schätzt die gesellschaftsnützlichen Leistungen der
Psychotherapie ein – als „fachlich angeleitete Selbstdomestizierung des
funktionsgestörten Willens“ beziehungsweise als „befriedigende Anpassung durch
Selbstfindung“. Es ist ein zutiefst politisches Buch, in dessen
Schlussbetrachtung der Autor den Nutzwert der psychologischen Weltanschauung
für die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft als ideologischen Beitrag zur
Pflege der Konkurrenzmoral der Bürger klarstellt. In der „Propaganda des
irdischen Seelenfriedens des Subjektes, eines gelungenen Verhältnisses der
Menschen zu sich selbst und damit zur Welt“, heißt es da, „ist die
psychologische Weltanschauung eine einzige, das Bewusstsein vernebelnde
Dienstleistung an der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft: das moderne
Opium des Volkes …“ Und: „Die unbefangene Untersuchung der psychologisch
verfremdeten Realität freiheitlicher Lebensverhältnisse würde freilich
unweigerlich das Ende der psychologischen Weltsicht bedeuten. Wer beschließt,
sich einmal praktisch um seine materiellen Belange in der bürgerlichen Welt zu
kümmern, kommt einfach nicht darum herum, an die Stelle der psychologischen
Selbstbespiegelung seiner Innenwelt die theoretische Klärung des Zustandes der
äußeren Welt … auf seine höchst persönliche Agenda zu setzen.“
Von ganz besonderer Aktualität ist Krölls‘
Auseinandersetzung mit der Psychologie hinsichtlich deren Erklärungen für das
Entstehen von Ausländerfeindlichkeit, auch was die Tatsache betrifft, dass die
neuen Bundesländer in besonderem Maße davon betroffen sind. Speziell dazu
resümiert er, sachlich betrachtet spreche rein gar nichts für die Existenz
eines behaupteten Zusammenhanges zwischen der Art und Weise der Erziehung (in
der DDR) und der Entstehung ausländerfeindlicher Einstellungen. Solche
Behauptungen seien den „Beweis dafür schuldig geblieben, dass, warum und auf
welche Weise die Strukturen der DDR-Gesellschaft als ihr Produkt
Ausländerfeindlichkeit hätten erzeugen sollen.“ Die Schlagkraft ihres Beweises
speise sich „weniger aus den angeführten Beweismitteln als vielmehr aus dem
politischen Interesse am Resultat der dem Prinzip der freien Willkür
gehorchenden Beweisführung.“ Passe die Erklärung in die angesagte politische
Feindbildpflege, dann entdeckten auch Psychologen zuweilen die Maßgeblichkeit
gesellschaftlicher Verhältnisse für die Erklärung gesellschaftlicher Phänomene,
jedenfalls dann, wenn negativ beurteilte politische Erscheinungen dem
ehemaligen Systemfeind in die Schuhe geschoben werden können.
Und wie erklärt der Autor - emeritierter Professor für
Recht und Verwaltung an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Hamburg
- die Entstehung von Fremdenhass? Er betont die maßgebliche „Rolle von
Nationalstaaten als Nährboden ausländerfeindlicher Taten ihrer Bürger.“ Dem
ausländerfeindlichen Bürgerrassismus stellt Krölls einen Staatsrassismus
gegenüber und betrachtet dabei nicht nur das Verhältnis der Staatsgewalt zu den
Ausländern, sondern geht auf das „Innenverhältnis des Staates zu den
einheimischen Mitgliedern des Nationalvolkes“ zurück, um zu der Feststellung zu
kommen: „Bei der Konstitution des Staatsvolkes durch die Staatsgewalt geht es
freilich nicht um die Ausübung von staatlicher Herrschaft als Selbstzweck und
erst recht nicht um die zweckmäßige Organisation eines gesellschaftlichen
Zusammenhanges, der auf der bedürfnisgerechten Produktion und Verteilung der
Lebensgüter beruht. Sondern das Wesen der politischen Herrschaft besteht gerade
auch in demokratischen Staaten in einem Benutzungsverhältnis im Dienste der
Herrschaftszwecke.“ Und die exklusive Unterordnung unter dieses herrschaftliche
Benutzungsverhältnis namens Nation werde, so Krölls, den Mitgliedern des
Staatsvolkes vonseiten der Staatsgewalt als deren gesellschaftliche
Natureigenschaft zugeschrieben. Das an ihnen hergestellte Herrschaftsverhältnis
über die Untertanen behandle die Staatsgewalt als eine diesen innewohnende
Qualität und Bestimmung ihrer Menschennatur. Just darin bestehe die
Elementarform des Staatsrassismus. Ausländer dagegen seien gemäß der
einschlägigen Definition des Ausländerrechts Menschen, die keine Inländer sind,
sondern einer fremden, auswärtigen Staatsgewalt unterstehen und deswegen auch
mit einem ziemlich prinzipiellen, unwiderlegbaren Generalverdacht belegt
werden, „keinen Nutzen für das eigene Volk“ stiften zu können, sondern
umgekehrt prinzipiell als „Volksschädlinge“ zu betrachten sind. Daher, so
Krölls, wäre im Rahmen des Kampfes gegen die Ausländerfeindlichkeit dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass im Akt der staatlichen Staatsbürgerschaftszuschreibung
die Wurzel der rechtsradikalen Ausländerfeindlichkeit liegt.
Abgesehen von manch anderen mag sich dem Leser an
dieser Stelle die Frage stellen, ob und wie die Politik (die Parteien mit ihren
Programmen) auf solche Analyse und Kritik am Staat reagieren wird.
(Albert Krölls, Kritik der
Psychologie. Das moderne Opium des Volkes, 3. aktualisierte und erweiterte
Auflage, VSA:Verlag Hamburg,2016, 229 Seiten, ISBN 978-3-89965-690-9)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen