Von
Heerke Hummel
(Erschienen : „Das Blättchen“, Sonderausgabe | 20. April 2015, http://das-blaettchen.de/18-jahrgang-2015/sonderausgabe-3-2015.html)
Im Streit darüber, wie die griechische Schuldenkrise zu überwinden ist, spielt Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht der Europäischen Union eine tonangebende Rolle. Und in dem Streben , für den Schuldenabbau ihren Sparkurs nicht nur den Griechen, sondern allen EU-Ländern aufzuzwingen, können sich die derzeit kursbestimmenden Kräfte dieses Landes – offensichtlich noch mit Gelingen – auf die bisherigen deutschen Wachstumserfolge berufen. Jedenfalls konnte nach dem Wahlsieg der SYRIZA vom 25. Januar die antigriechische Front in der EU bisher gehalten werden. Dennoch: Die Protestbewegung im Süden und Westen der EU gegen die von der BRD verordnete Politik des unsozialen Sparens dürfte in den nächsten Monaten weiter an Umfang und Kraft gewinnen. Bereits 2013 veröffentlichte der Franzose Guillaume Duval ein Buch, dessen deutsche Übersetzung im vorigen Jahr unter dem Titel „Modell Deutschland? Nein Danke!“ erschien. Duval, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Alternatives Économiques“, arbeitete mehrere Jahre in der deutschen Industrie, kann also als guter Kenner auch der hiesigen Verhältnisse angesehen werden. Seine Analyse aus französischer Perspektive macht das Buch für deutsche Leser besonders interessant. Denn der Autor hat nicht gegen die Deutschen geschrieben. Im Gegenteil! Er würdigt unsere Leistungen und wirtschaftlichen Erfolge und analysiert mit einem wirtschaftsgeschichtlichen Rückblick deren tatsächliche Ursachen, die wohl jenen nicht bewusst sind, die herablassend ganz Europa das Schrödersche Sparmodell der Agenda 2010 aufzwängen möchten. Sein Resümee: „Die deutsche Industrie ist nicht besser über die Krise hinweggekommen als die französische, weil Gerhard Schröder die Ausbreitung von Armut merkbar gefördert und aus Deutschland ein Land gemacht hat, in dem die Ungleichheit noch größer ist als in Frankreich. Die wahren Ursachen dieses Erfolgs und die nachahmenswerten Elemente des deutschen Modells liegen eher im Bereich der Mitbestimmung und der stärkeren Beteiligung der Beschäftigten an Unternehmensentscheidungen, in einem weniger autoritären und hierarchischen Management, in einer höheren gesellschaftlichen Wertschätzung der Industriearbeit, in einer größeren sozialen Mobilität, darin, dass das Land ohne die französischen Eliteschulen auskommt und in seinem Bildungssystem nicht nur auf permanenten Wettbewerb und Selektion setzt, und letztendlich in einer ausgeglicheneren föderalen Struktur …“
Deshalb mahnt Duval eindringlich, dass ein
verallgemeinerter „,Schröderismus“ – weit entfernt davon, die Lösung für Europa
zu sein - das sicherste Mittel zu seiner definitiven Zerstörung wäre. Europas
einzige Chance im weltweiten Wettbewerb um die Sicherung der
volkswirtschaftlichen Rohstoff- und Energiebasis sieht er im ökologischen Umbau
„unserer Wirtschaftssysteme“ und in der Energiewende. Nur so werde die
europäische Wirtschaft ihre gegenwärtige Krise dauerhaft bewältigen können.
Als Realist sieht Duval, dass ein solches Vorhaben
unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu schaffen ist, „wenn die einzelnen
Länder nur individuelle Schritte ergreifen“. Deshalb bedürfe es unbedingt eines
gemeinsamen europäischen Handelns. Und hier helfe kein Knausern. Um wirksam zu
sein, müsste ein solches Projekt eine ganz andere Dimension erhalten als die
mageren 120 Milliarden Euro, die 2012 von Deutschland und Frankreich für ein
dreijähriges Wachstumsprogramm zusammengekratzt wurden. Hier seien eher
Tausende von Milliarden zu veranschlagen.
Dies alles eine Utopie - auch angesichts von manchen
befürchteter Umverteilungseffekte oder früherer Erfahrungen mit Geldern
beispielsweise für Griechenland und Spanien? Der französische Ingenieur denkt
an die Gründung einer handlungsfähigen europäischen Umweltbehörde, die den
Auftrag hätte, „diesen großen gemeinsamen Plan der ökologischen Wende
flächendeckend direkt in Europa umzusetzen.“ Und er meint, dass ein solcher
europäischer „Green New Deal“ das wirksamste Mittel sein kann, „um auf einen
Streich sowohl die europäische Wirtschaftskrise zu überwinden als auch den
Prozess der europäischen Integration neu zu beleben.“
Ins Zentrum dieses Prozesses wäre Deutschland mit
seinen technischen Möglichkeiten und Erfahrungen wieder neu einzubinden.
Immerhin habe ja Deutschland viel früher als Frankreich die Bedeutung der
ökologischen Krise erkannt und beträchtliche Anstrengungen zur Nutzung
erneuerbarer Energien unternommen, um die Energieeffizienz seiner Wirtschaft zu
erhöhen und Rohstoffe zu recyceln. Daher beherrsche die deutsche Industrie die
hierfür notwendigen Prozesse weit besser als andere Länder und verfüge über die
technische Ausstattung, um sie umzusetzen. Deutschland wäre folglich der erste
Nutznießer eines europäischen „Green New Deal“.
Wer soll das bezahlen? Auf die Frage, wie ein
solches Konzept, an dessen weitergedachtem Schluss irgendwann sogar die
Schaffung eines harmonischen, dynamischen europäischen Wirtschaftsraumes stehen
könnte, zu finanzieren wäre, geht Duval als Ingenieur nicht ein. Das tut dem
Buch keinen Abbruch. Dennoch muss sie gestellt und erörtert werden, damit das
Fazit an seinem Schluss nicht nur eine schöne Vision bleibt. Schließlich
scheint Europa derzeit gerade am Problem des Geldes zerbrechen zu können, und
die Lösung des Problems ist höchst dringend. An dieser Stelle kann nur
festgestellt werden, dass Duvals Vorschläge vollkommen realistisch und
finanzierbar sein dürften, wenn man sich bei dem Vorhaben von privaten
Geldgebern und Spekulanten frei macht. Eine direkte, zinslose und möglichst
zweckgebundene Bereitstellung der notwendigen Mittel durch die Europäischer
Zentralbank in Abstimmung mit der in Aussicht genommenen europäischen
Umweltbehörde als Planungs- und Koordinierungszentrum könnte im Wesentlichen
die Lösung des Problems darstellen. Niemand müsste irgendwelche Besitzstände
opfern. Europas Wirtschaft erhielte einen massiven Konjunktur- und
Beschäftigungs- sowie Integrationsimpuls, und es könnte sogar – je nach
Ausgestaltung der Verträge – übernationales europäisches Staatseigentum
entstehen.
Auch dies alles nur Utopie? Die Macht ökonomischer
Notwendigkeit wird es früher oder später erzwingen, dass die Europäische Union sogar
Institutionen schafft, welche die wirtschaftlichen Kreisläufe in einem
vielseitigen Wechselverhältnis von Zentralismus und Eigenverantwortung planend
koordinieren. Immerhin hat die EZB unter dem Druck ökonomischer Zwänge mit
ihren - formal ungesetzlichen - Aktivitäten zum Aufkauf von Staatspapieren bereits
begonnen, sich zu einer solchen Institution zu entwickeln. Und mit ihren
vorsichtigen Ansätzen zu einer Null-Zins-Politik stellt sie, wenn auch noch unbewusst,
notwendige Weichen für ein ökonomisches Denken, das nicht mehr auf
Kapitalverwertung, also auf die Selbstvermehrung von Geld abzielt, sondern primär
auf die Schaffung sachlicher Voraussetzungen für die Befriedigung von
Bedürfnissen. Was Guillaume Duval am Schluss seines Buches vorschlägt, könnte
sich durchaus zu einem zukunftsträchtigen und beispielgebenden „Modell Europa“
entwickeln, das an die Stelle des „Modells Deutschland“ tritt. Doch das
Wichtige für uns: Deutschland hätte davon mit den größten Nutzen.
(Guillaume
Duval, Modell Deutschland? Nein Danke!, VSA: Verlag Hamburg, 2014, ISBN
978-3-89965-617-6, 213 S., 16,80 €)
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