Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen, Nr.4/2015 - http://das-blaettchen.de/2015/02/die-griechische-ist-europas-krise-31862.html)
Gespannt blickt Europa wieder einmal fragend nach
Griechenland: Was wird nach den dortigen Wahlen vom 25. Januar geschehen? Die
Ungewissheit der Zukunft dürfte - folgt man einer Analyse von Andreas Oppacher[i] - so
groß nicht sein. Oppacher untersucht die „wahren Ursachen der europäischen
Wirtschaftskrise“, und Griechenland wird darin viel Aufmerksamkeit gewidmet;
zumindest was den ersten Abschnitt, „Europas Krise verstehen“, betrifft. Darin
weist der Autor nach, dass Europas Krise keine Staatsschuldenkrise ist, sondern
eine Außenhandels-Schuldenkrise. Die Staatsschulden sind nicht die Ursache,
sondern die Folge der allgemeinen Krise Europas, die aus den ökonomischen
Ungleichgewichten in der Europäischen Union und besonders der Euro-Zone
herrührt. Maßgeblich haben dazu die unterschiedlichen Strategien der EU-Staaten
in der Lohnpolitik beigetragen. Und Oppacher zeigt, welchen Einfluss dies auf
die Preise, auf die Exportchancen und auf die Außenhandelsbilanzen hatte. Schon
hier wird deutlich, dass die gemeinsame europäischer Währung einer
koordinierten Wirtschaftspolitik, darunter vor allem auch einer abgestimmten
Lohnpolitik, bedarf. Also wären die griechischen Probleme doch hausgemacht, weil
man über seine Verhältnisse lebte, wie in unseren Medien so häufig zu hören
ist? Oppacher: „Was in Deutschland immer noch nicht begriffen wurde: Der
Außenhandel in einer Währungsunion funktioniert auf Dauer nur als Miteinander.“ Jedes Land müsse seine Chance
bekommen, genügend Güter exportieren zu können. Andernfalls könne es sich
irgendwann selbst keine Importe mehr leisten und scheide aus, erst als
Handelspartner und dann als Mitglied der Union.
Und was tat Deutschland?
Die Bundesrepublik, so
Oppacher, entriss den Handelspartnern seit fast zwanzig Jahren durch ein breit
angelegtes Lohndumping (im Widerspruch zu der von der EZB empfohlenen
Inflationsrate von jährlich rund 2 Prozent) nach und nach ihre Exportanteile und wurde
„das mit weitem Abstand wettbewerbsfähigste Industrieland der Welt“, aber eben
vollkommen auf Kosten der anderen. An dieser Stelle wäre festzustellen: Damit
verstieß Deutschland auch gegen den kategorischen Imperativ seines großen
Philosophen Immanuel Kant, der es allen vernunftbegabten Wesen schon vor mehr
als zweihundert Jahren als grundlegendes Prinzip der Ethik zur universellen
Pflicht machte, nur nach derjenigen Maxime zu handeln, die ein allgemeines
Gesetz sein könnte. Die Ethik des Handelns ist durchaus nicht nur ein
theoretisches Konstrukt in der Sphäre des Bewusstseins im Sinne eines Ideals auch
in ökonomischen Angelegenheiten, sondern sie ist vor allem auch von ganz
praktischer Bedeutung. Das Spiel mit der Lohndrückerei nämlich, so lesen wir im
hier besprochenen Buch, funktioniert nur, „wenn es einer betreibt und auch nur für eine gewisse Zeit. Hätte sich der
gesamte Euroraum schon vor Jahren für ein Lohndumping entschieden, wäre in
allen Ländern – auch in Deutschland – die Konjunktur abgestürzt. Schließlich
hätte eine Aufwertung des Euro den Effekt der Lohndrückerei automatisch
zunichte gemacht. Man sollte Deutschland endlich den durch nichts
gerechtfertigten Nimbus der ökonomischen Vernunft und Vorbildfunktion
aberkennen …“
Lohnkürzungen von kolossalem Ausmaß, Rentenkürzungen
sowie die Streichung beziehungsweise Kürzung von Sozialleistungen treffen die
Volkswirtschaften ins Mark. Wenn Staaten wie die im Süden Europas infolge der
von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer
Kommission (Troika) verordneten Sparpolitik die öffentliche Infrastruktur
zwangsläufig immer mehr verkommen lassen müssen, werden die betroffenen Länder
zu immer unattraktiveren Wirtschaftsstandorten. Durch diese falsche Strategie
wurde in den vergangenen Jahren „eine furchtbare Verschlimmerung der wirtschaftlichen
Lage in Europa losgetreten …“ Oppacher unterlegt seine Argumentation mit
Grafiken, beispielsweise die Arbeitslosigkeit betreffend; in Spanien und
Griechenland auf mehr als 25 Prozent. Und seine Warnung: Sollte die Politik in
Europa weiterhin zusehen, wie sich
einige Mitgliedsländer immer mehr zu riesigen Armenhäusern entwickeln, werde es
in absehbarer Zeit auch keinen Euro mehr geben. Mit der bisherigen Taktik von
Notkrediten allein werde die gemeinsame Währung nicht zu halten sein, und
niemand dürfe sich wundern, wenn auch die gesamte Europäische Union als
Institution infrage gestellt wird.
Wie real solche Gefahren mancherorts gesehen werden,
mögen Meldungen von Mitte Januar dieses Jahres zeigen, wonach die Deutsche
Bundesbank – offenbar aus Vorsicht für den Fall eines allgemeinen Krachs –
damit begonnen hat, ihre noch im Ausland liegenden Goldreserven nach
Deutschland zu holen und hier sicherzustellen. Immerhin soll die BRD mit fast
3.400 t nach den USA (mehr als 8.000 t) über die größten Goldreserven der Welt
verfügen. Die jetzige Vorsichtsmaßnahme dürfte dennoch ein außerordentlich
kurzsichtiges und praktizistisches Unterfangen sein, das nur von Angst zeugt,
die aus Unkenntnis darüber herrührt, welche ökonomischen Prozesse in und
zwischen den europäischen Volkswirtschaften ablaufen.
Im vierten Abschnitt befasst sich unser Buchautor
mit dem „Ausweg aus der Krise“ durch eine „180-Grad-Kehrtwende in der
Krisenstrategie“. die eine Doppelstrategie sein müsse.
Erstens: Das Problem der großen Ungleichgewichte im Außenhandel habe sich über viele Jahre aufgebaut und könne deshalb auch nur langfristig wieder behoben werden.
Zweitens: Die Wachstums- und Beschäftigungskrise „entstand erst in den vergangenen Jahren und wurde durch eine vollkommen inkonsistente und fehlgeleitete Strategie des Kaputtsparens drastisch verschärft.“ Dieses gravierende Problem müsse sofort und mit aller Kraft bekämpft werden, sonst brauche man sich über die Außenhandelsschulden oder über den Erhalt des Euro ohnehin keine Gedanken mehr zu machen.
Erstens: Das Problem der großen Ungleichgewichte im Außenhandel habe sich über viele Jahre aufgebaut und könne deshalb auch nur langfristig wieder behoben werden.
Zweitens: Die Wachstums- und Beschäftigungskrise „entstand erst in den vergangenen Jahren und wurde durch eine vollkommen inkonsistente und fehlgeleitete Strategie des Kaputtsparens drastisch verschärft.“ Dieses gravierende Problem müsse sofort und mit aller Kraft bekämpft werden, sonst brauche man sich über die Außenhandelsschulden oder über den Erhalt des Euro ohnehin keine Gedanken mehr zu machen.
Ein besonderer Vorzug dieses Buches: Der Autor
befasst sich sehr konkret mit den Problemen, die mit der von ihm entwickelten
Strategie verbunden sein dürften, und er ist dabei bereit, Tabus zu brechen,
die bislang als unantastbar galten. Wenn die Banken, schreibt er, ihre Aufgabe
nicht mehr erfüllen, das von der EZB zentral herausgegebene Geld zu
vernünftigen Konditionen in den Wirtschaftskreislauf weiterzugeben, „dann muss
die Frage gestattet sein, ob man sie nicht einfach ausschließen sollte.“ Und
„das würde heißen, dass die Europäische Zentralbank aktiv in das
Wirtschaftsgeschehen eingreift und somit gar nicht mehr unabhängig von der
Politik ist.“ Darum plädiert Oppacher für eine „Änderung der völlig
unzulänglichen Satzung der Zentralbank“. Anstatt den Banken Billigkredite
hinterherzuwerfen würde die EZB dann zum Beispiel frische griechische
Staatsanleihen für 100 Milliarden Euro kaufen können, und im Gegenzug müsste
der griechische Staat ihr beispielsweise 1 Prozent an Zinsen bezahlen. Das
würde für den griechischen Staatshaushalt eine Belastung von lediglich 1
Milliarde Euro pro Jahr bedeuten. So ließe sich ein effektives
Investitionsprogramm sinnvoll finanzieren. Auch die Notenbanken anderer Länder,
zum Beispiel in den USA, in Großbritannien und in Japan, hätten das schon oft
genug getan, und die viel beschworene große Inflation trete deshalb noch lange
nicht ein.
Oppachers Empfehlungen würden tatsächlich eine totale
Kehrtwende sowohl in der Krisenstrategie als auch in der ökonomischen Strategie
allgemein bedeuten. Denn man könnte und müsste in der Konsequenz solchen Denkens
noch weiter gehen und fragen, wie sinnvoll
es eigentlich ist, ein so gravierendes Problem wie die Finanzierung des
Staatswesens als Organisator unseres gesellschaftlichen Daseins abhängig zu
machen vom Auf und Ab konjunktureller Zyklen sowie wilder Spekulation. Müsste sich
der Staat nicht umgekehrt durch eine stabile Direktfinanzierung über die
Notenbank in die Lage versetzen, den konjunkturellen Verlauf des Wirtschaftens
wirkungsvoll entsprechend den gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen zu steuern?
Dazu müsste allerdings die Wissenschaft erst einmal mit einer angemessenen
Reproduktions- und Finanztheorie die Voraussetzungen schaffen. Zu hinterfragen
wäre dabei unter anderem auch, inwieweit das Wirtschaften heute noch
Privatsache von Personen sein kann beziehungsweise tatsächlich ist. Dass wir
uns auf den Weg in eine solchermaßen gekennzeichnete Zukunft zu begeben
begonnen haben, dürften auch die jüngsten Beschlüsse der EZB zum umstrittenen,
wenn auch noch ganz halbherzigen Aufkauf von Staatsanleihen (leider auf dem
teuren Umweg über Privatbanken) deutlich machen; auch wenn diese Beschlüsse nur
ein praktizistisches, der äußersten Not gehorchendes Reagieren auf
Krisensymptome darstellen. Mit Kantscher Vernunft haben sie so gut wie noch
nichts zu tun.
[i] Andreas
Oppacher, Krisenkiller. Chancen einer klugen Wirtschaftspolitik, agenda Verlag,
Münster 2014, ISBN 978-3-89688-520-3, 269 S., 19,90 €
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