Von Heerke Hummel
(Erschienen
in: „Das Blättchen“, Nr. 11/2014 - http://das-blaettchen.de/2014/05/botschaft-aus-mainz-29056.html)
In allen
Teilen der Gesellschaft gärt es infolge einer tiefen Unzufriedenheit mit der
weltweiten neoliberalen Politik und Ökonomie; auch in christlichen Kreisen. Von
dort geht seit kurzem eine „Mainzer Botschaft der Ökumenischen Versammlung 2014“
aus. Ihr Thema: „Die Zukunft, die wir meinen – Leben statt Zerstörung“.
2013 rief
die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zu einem auf
sieben Jahre angesetzten „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ auf.
Davon ermutigt, fanden sich in Mainz Anfang Mai d. J. mehr als 500 engagierte
Menschen aus Österreich, der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern, darunter
viele Expertinnen und Experten, zusammen, um in Workshops, Vorträgen und
Diskussionsforen aktuelle Probleme der kapitalistischen Wirtschafts- und
Lebensweise zu erörtern. „Mit Papst Franziskus“, heißt es in ihrer über das
Internet verbreiteten Botschaft, „sind wir der Meinung: ‚Diese Wirtschaft
tötet‘. Wir suchen eine ‚Ökonomie des Lebens‘.“
Die
Botschaft beleuchtet zunächst „Aspekte
von Gerechtigkeit heute“ und reklamiert
- eine weltweite solidarische Sicherung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen
- eine Angleichung von Einkommen und Vermögen
- einen für die heutige und zukünftige Generation gerechten Zugang zu den Ressourcen
- eine Geldschöpfung in öffentlicher Hand nach demokratisch gefassten Regeln
Um der zerstörerischen
Spirale der Gewalt zu begegnen, setzen sich die Teilnehmer der Mainzer
Versammlung ein
- für einen sofortigen Stopp von Rüstungsexporten
- für einen Militärausstieg in Schritten
- für die Anerkennung von gewaltfreier Kommunikation und ziviler Konfliktbearbeitung als Lebensmaxime
Die
Menschen, die sich als „Krone der Schöpfung“ verstanden haben, heißt es in der
Botschaft, seien zur Krone der Erschöpfung der Welt geworden. Darum werden
- die Abkehr vom Wachstumsdogma
- das Ende der Ausbeutung der Mitwelt (Natur und Mensch) und
- die Anerkennung der ökologischen Vielfalt der Kulturen
gefordert. Die
ökumenisch-christliche Basisbewegung stehe vor einer Entscheidungssituation, die
Jesus vor 2000 Jahren zum Ausdruck gebracht hat. Der entscheidende Zeitpunkt
(Kairos) für eine grundlegende Einsicht zu einem bewussten Handeln sei gekommen.
Das aktuelle Zivilisationsmodell stehe sozial, ökologisch und ökonomisch
grundsätzlich in Frage; woraus die Feststellung abgeleitet wird: „Frühe
jüdische Propheten, Vertreter anderer Weltreligionen und Jesus von Nazareth
traten öffentlich auf – so auch wir, weil Gerechtigkeit, Frieden und Ablassen
von der Schöpfungszerstörung Anliegen der Menschen-Gemeinschaft sind.“
Das ganze
Leben, so die Botschaft, wird von einer kapitalistischen Anhäufungs- und
Wachstumslogik beherrscht, die zur „Staatsreligion“ geworden ist. Diese
beherrscht unseren Alltagsverstand. Zwar erkennen viele, dass wir Nutznießer
des Systems sind, aber wir lassen uns immer noch benutzen, dieses System
bereitwillig oder gedankenlos zu legitimieren. Wir machen uns dabei eines
Verbrechens gegenüber einem Großteil der Menschheit schuldig. Dieses Verbrechen
hat viele Gesichter: Ausbeutung und Missbrauch unserer Mitwelt, soziale
Gegensätze, Ausgrenzungsmechanismen, Abwehr schutzsuchender Flüchtlinge,
Rüstungsproduktion und bewaffnete Konflikte auch für wirtschaftliches Wachstum,
die mit unserem Steuergeld finanziert werden.
Der Realität
eines „Guten Lebens“ von Wenigen, müsse die Realität eines „Guten
Zusammenleben“ aller Menschen entgegengestellt werden. Dafür sollte die Ökumene
die Transformation auf sozialer, ökologischer, ökonomischer und politischer
Ebene voranbringen. Man könne dabei auf eine Fülle an biblischen
Überlieferungen, aber auch anderer Philosophien und Religionen zurückgreifen. „Das
tätige Mitgefühl für die Mitmenschen, die Ehrfurcht vor dem Leben, die
Bewahrung und Heilung der Schöpfung, die Gewaltfreiheit, das sind
Handlungsansätze für uns, die für eine radikale Veränderung des derzeitigen
Zivilisationsmodells sorgen können“, heißt es.
Die
Konferenzteilnehmer lehnen die derzeitige „marktkonforme Demokratie“ ab,
stattdessen wollen sie eine demokratiekonforme Wirtschaftsweise und das
Abschaffen jeglicher oligarchischer Strukturen. In der solidarischen Ökonomie fänden
sich die beiden Prinzipien „Kooperation statt Konkurrenz“ und „Sinn statt
Gewinn“. Diese, erweitert um die Ideen einer gemeinwohlorientierten Ökonomie,
münden in konkreten politischen Forderungen. Die derzeitige private
Geldschöpfung müsse in die öffentliche Hand mit demokratisch gefassten Regeln
übernommen werden. Jeder Kredit soll an seiner Gemeinwohlorientierung überprüft
werden. Das biblische Zins-Verbot und die prophetische Anklage von
Nahrungsmittelspekulation seien als konkrete Forderungen zu beachten.
Den
Illusionen der kapitalistischen Ökonomie soll mit der Mainzer Botschaft eine
konkrete Alternative entgegengestellt werden. Eine dezentral verwaltete
solidarische Ökonomie könne neben der Ernährungssouveränität auch die
Energiesouveränität durch erneuerbare und nachhaltige Energien erreichen. Vor
allem im Hinblick auf die CO2-Reduzierung auf 2 t pro Person pro Jahr und dem 2
Grad-Ziel seien Energiesuffizienz (verantwortungsvoller Verbrauch) und
Energiesubsistenz (Selbsterzeugung) wichtig. Daher sei auch eine „industrielle
Abrüstung“ vonnöten.
Abgelehnt
werden die aktuell diskutierten transatlantischen Freihandels- und Investitions-abkommen
TTIP (EU-USA) und CETA (EU-Kanada) Sie müssten durch einen breiten und starken
zivilgesellschaftlichen Protest verhindert werden, da sie all die erreichten
und noch angestrebten Standards einer Wirtschaft im Dienst des Lebens aushebeln
würden. Unterstützt werden daher die zivilgesellschaftlichen Kampagnen, u.a.
des Bündnisses „Unfairhandelbar“, die dazu aufrufen, die Europawahl zur
Entscheidung gegen das TTIP und CETA zu nutzen. „Wir brauchen Strukturen, die
faires Handeln wirklich ermöglichen und die sich an ökologischen, sozialen und
friedensfördernden Bedingungen messen lassen müssen. Wir regen an, dass das
Ökumenische Netz in Deutschland einlädt zu einer Strategiekonferenz mit den
Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und allen Initiativen, die sich für die
große Transformation der Gesellschaft einsetzen“, stellt die Botschaft fest.
Entschieden wird
dem militärischen Engagement der Bundesrepublik Deutschland und aller anderen
Länder widersprochen. Aus dem Teilnehmerkreis der Ökumenischen Versammlung
wurde die Idee zur Bildung einer Arbeitsgruppe eingebracht, die sich aus
Fachleuten der zivilen Konfliktbearbeitung, des Entwicklungsdienstes, von
Organisationen der alternativen Ökonomie und Ökologie und der Friedensbewegung
zusammensetzen soll. Aufgabe wäre, ein Konzept für den Militärausstieg -
Friedenssicherung und Schutzverantwortung ohne Militär - zu erarbeiten. Dieses soll
zur öffentlichen Diskussion gestellt werden.
Für das
Überleben der Menschheit ist es elementar, formulieren die Konferenzteilnehmer,
„dass wir unseren Kindern und Enkeln ermöglichen, dass sie das, was sie beim
Eintritt in diese Welt mitbringen, weiter entfalten können: ihr urwüchsiges
Vertrauen, ihre Neugierde auf die Welt, ihre Freude und Kreativität. Der Wandel
von Lebenseinstellungen in unserer Kultur, zu der auch das Bildungswesen
gehört, vollzieht sich durch die Begegnung auf Augenhöhe, der Gleichwertigkeit
der Meinungen und gegenseitiger Wertschätzung. Damit wird den Kindern der Raum
geöffnet, Vielfalt stärker als Chance begreifen zu können. So können sie in
achtsamem, vertrauens- und liebevollem Umgang miteinander zu Konsenslösungen
kommen. Das ist die kulturelle Voraussetzung für friedlichen, Kriege ausschließenden
Umgang miteinander. So leben wir unsere Allverbundenheit in heilsamer Weise.
Wir haben uns auf diesen Weg begeben und bitten dabei um die Unterstützung
aller gesellschaftlichen Kräfte, die sich für das Überleben der Menschheit
engagieren, und bieten allen diesen Kräften unsere Unterstützung an.“
Am Ende ihrer
Botschaft sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung eine konkrete
Selbstverpflichtung zu einem persönlichen Aufbruch, zur Teilnahme am sieben
Jahre langen Pilgerweg der Ökumene zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der
Schöpfung eingegangen. Auch als konfessionell nicht gebundener Beobachter
möchte man ihnen dabei viel Erfolg wünschen!
(Der vollständige Text der Botschaft unter: Botschaft
dieser Versammlung)
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