Dienstag, 22. Oktober 2002

Von der DDR-Wirtschaftswissenschaft verkannt

Marx' Auseinandersetzung mit der Tauschbank und dem Stundenzettel der Saint-Simonisten sowie seine Kritik des Gothaer Programms

(erschienen in "DeutschlandArchiv", Zeitschrift für das vereinigte Deutschland, Heft 5/2002)

Eines der grundlegenden Postulate sozialistischer Wirtschaftstheorie in der DDR und den anderen Ländern des Realsozialismus war die These von der sozialistischen Warenproduktion, wonach die Beziehungen zwischen den volkseigenen Betrieben wie überhaupt die Beziehungen zwischen den selbständigen Wirtschaftseinheiten, also auch den genossenschaftlichen und privaten Betrieben, den Charakter sozialistischer, weil planmäßig gestalteter, Warenbeziehungen haben sollten.

Wohl wissend, daß Marx und Engels in dieser Frage ganz anderer Auffassung waren, wurde behauptet - so nicht nur die damalige offizielle Lehrmeinung, sondern die Darstellungen in der gesamten sozialistischen Wirtschaftsliteratur -, die "Klassiker" hätten sich in dieser wichtigen Frage geirrt, hätten die Praxis nicht voraussehen können. Dies war um so weniger zu verstehen, als ja Karl Marx in seinen Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie, in der Auseinandersetzung mit den Saint-Simonisten und der von ihnen vorgeschlagenen Tauschbank, ein Wirtschaftssystem als Konsequenz jener utopischen Vorstellungen karikierte, welches bei kritischer Betrachtung der Realität genau dem entsprach, was in den Ländern des Sozialismus nicht nur gelehrt, sondern auch praktiziert wurde, wie die folgenden Auszüge leicht erkennen lassen:



"Die Bank, die die Stundenzettel ausgibt (In der DDR die Staatsbank und gesamter staatlicher Wirtschaftsleitungsapparat - H.H.), kauft die Waren zu ihren Produktionskosten, kauft alle Waren, und zwar kostet ihr das Kaufen nichts, als die Produktion von Papierschnitzeln, und gibt dem Verkäufer (Produktionsbetrieb - staatlich, privat oder genossenschaftlich - H.H.), anstatt des Tauschwerts, den er in einer bestimmten substantiellen Form besitzt, den symbolischen Tauschwert der Ware, in andren Worten eine Anweisung auf alle andren Waren zum Belauf desselben Tauschwerts. Der Tauschwert als solcher kann natürlich nur symbolisch existieren, obgleich dieses Symbol, um es als Sache anwenden zu Können - nicht bloß als Vorstellungsform -, sachliches Dasein besitzt; nicht nur ideelle Vorstellung ist, sondern wirklich vorgestellt in einer gegenständlichen Weise. (Ein Maß kann in der Hand behalten werden; der Tauschwert mißt, aber er tauscht nur aus, indem das Maß aus der einen Hand in die andere übergeht.) Also die Bank gibt für die Ware Geld; Geld, das exakt eine Anweisung auf den Tauschwert der Ware, d.h. auf alle Waren von demselben Wert, ist; die Bank kauft. Die Bank (der Staat mit seinem Handels- und Planungsmonopol - H.H.) ist der allgemeine Käufer, der Käufer nicht nur dieser oder jener Ware, sondern aller Ware. Denn sie soll eben den Umsatz jeder Ware in ihr symbolisches Dasein als Tauschwert bewerkstelligen. Wenn sie aber der allgemeine Käufer ist, muß sie auch der allgemeine Verkäufer sein, nicht nur das Dock, worin alle Waren deponiert werden, nicht nur das allgemeine Warenhaus, sondern der Besitzer der Waren, in demselben Sinn, wie es jeder andre Kaufmann ist. Ich habe meine Ware a gegen den Stundenzettel b ausgetauscht, der ihren Tauschwert vorstellt; aber nur, damit ich dies b nun beliebig wieder in allen wirklichen Waren c, d, e, etc. metamorphosieren kann. Kann nun dieses Geld zirkulieren außerhalb der Bank? Anders als zwischen dem Inhaber des Zettels und der Bank? Wodurch ist die Konvertibilität„t dieses Zettels gesichert? Es sind nur zwei Fälle möglich. Entweder sämtliche Wareninhaber (Produkte oder Arbeit) wollen ihre Ware zu ihrem Tauschwert verkaufen, oder einige wollen, andre nicht. Wenn sie alle zu ihrem Tauschwert verkaufen wollen (Marx unterstellt hier tatsächliche Freiwilligkeit privater Produzenten, also kein staatliches Zwangsmonopol - H.H.), so werden sie nicht den Zufall abwarten, ob sich ein Käufer findet oder nicht, sondern gehn sofort zur Bank, treten ihr die Ware ab und erhalten ihr Tauschwertzeichen, Geld, dafür: lösen sie gegen ihr eignes Geld ein. In diesem Fall ist die Bank (das staatliche Wirtschaftsleitungssystem - H.H.) der allgemeine Käufer und Verkäufer in einer Person. Oder das Gegenteil findet statt. In diesem Fall ist der Bankzettel bloßes Papier, behauptet bloß das allgemein anerkannte Symbol des Tauschwerts zu sein, hat aber keinen Wert. Denn dies Symbol hat das eigen, daß es nicht nur den Tauschwert vorstellt, sondern im wirklichen Austausch derselbe ist. Im letztren Fall wäre der Bankzettel kein Geld, oder nur konventionelles Geld zwischen der Bank und ihren Kunden (nur auf dem DDR-Binnenmarkt - H.H.), nicht auf dem allgemeinen Markt. Es wäre dasselbe, was ein Dutzend Speisekarten sind, die ich im Abonnement bei einem Wirt erhalte, oder ein Dutzend Theaterbilletts, die beide Geld vorstellen, aber das eine nur Geld bei dieser bestimmten Speisetafel, das andre in diesem bestimmten Theater. Der Bankzettel (also auch das DDR-Geld - H.H.) hätte aufgehört den Anforderungen des Geldes zu entsprechen, da er nicht im general public, sondern nur zwischen der Bank und ihren Kunden (nur auf dem Binnenmarkt der DDR - H.H.) zirkulierte. Wir müssen also die letztre Unterstellung fallen lassen.
Die Bank (die staatliche Wirtschaftsleitung - H.H.) wäre also der allgemeine Käufer und Verkäufer. Statt der Noten könnte sie auch cheques ausgeben und statt dieser einfache Bankaccounts führen. Je nach der Summe der Warenwerte, die X an sie abgelassen, hätte er dieselbe Wertsumme in andren Waren an sie gut. Ein zweites Attribut der Bank wäre notwendig, den Tauschwert aller Waren, d.h. die in ihnen materialisierte Arbeitszeit, authentisch zu fixieren (staatliches Festpreissystem des Amtes für Preise - H.H.). Aber hier könnten ihre Funktionen nicht enden. Sie müßte die Arbeitszeit bestimmen, in der die Waren hervorgebracht werden Können, mit den Durchschnittsmitteln der Industrie, die Zeit, in der sie hervorgebracht werden müssen (staatliches Normensystem - H.H.). Aber auch dies wäre nicht hinreichend. Sie hätte nicht nur die Zeit zu bestimmen, in der ein gewisses Quantum Produkte hervorgebracht werden muß, und die Produzenten in solche Bedingungen zu setzen, daß ihre Arbeit gleich produktiv ist (also auch die Distribution der Arbeitsmittel auszugleichen und zu ordnen), sondern sie hätte die Quanta Arbeitszeit zu bestimmen, die auf die verschiednen Produktionszweige verwandt werden soll (Staatliche Plankommission - H.H.). Das letztre wäre nötig, da, um den Tauschwert zu realisieren, ihr Geld wirklich konvertibel zu machen, die allgemeine Produktion gesichert werden müßte und in solchen Verhältnissen, daß die Bedürfnisse der Austauschenden befriedigt werden. Das ist noch nicht alles. Der größte Austausch ist nicht der der Waren, sondern der der Arbeit gegen Waren... Die Arbeiter Würden nicht ihre Arbeit an die Bank verkaufen, sondern den Tauschwert für das volle Produkt ihrer Arbeit erhalten etc. Genau dann besehn wäre die Bank nicht nur der allgemeine Käufer und Verkäufer: sondern auch der allgemeine Produzent. In der Tat wäre sie entweder die despotische Regierung der Produktion (das war sie unter Politbüromitglied Günter Mittag im wahrsten Sinne des Wortes - H.H.) und Verwalterin der Distribution, oder sie wäre in der Tat nichts als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte (genau das tat man in der DDR mit der willkürlichen Preisfestlegung nicht und beraubte sich so jeder Möglichkeit, exakte Aufwand-Nutzen-Berechnungen anzustellen - H.H.). Die Gemeinsamkeit der Produktionsmittel ist vorausgesetzt etc., etc. Die Saint-Simonisten machten ihre Bank zum Papsttum der Produktion."1

Niemand sah, wollte oder durfte sehen, daß mit dem staatlichen Planungs- und Preisbildungsmonopol dem Wesen nach genau eben jene Verhältnisse geschaffen worden waren, wie sie Marx oben beschreibt. Der Staat war der allgemeine Käufer und Verkäufer, er bestimmte, was, für wen, unter welchen Bedingungen, mit welchen Mitteln und zu welchen Kosten zu produzieren war - egal ob von der staatlichen, halbstaatlichen, privaten oder genossenschaftlichen Wirtschaft.

Während Kritiker der sozialistischen Planwirtschaft immer wieder ihre Unbeweglich auf Grund des Zentralismus sowie mangelnde Kreativität infolge angeblich fehlender Interessiertheit der Betriebe und der Werktätigen vorgeworfen haben, dürfte ihr entscheidender Mangel vor allem jedoch in ihrer Unfähigkeit bestanden haben, selbständig eigene, objektive Kosten-Nutzen-Berechnungen anzustellen. Dessen Ursache bestand in der Organisation des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses als sozialistischer Warenaustausch zwischen den Wirtschaftseinheiten auf der Basis eines zentral geplanten Preissystems. Mit diesem Preissystem wurde zugegebenermaßen massenweise gesellschaftliche Arbeit ("Wert") zugeteilt und umverteilt, so daß nirgendwo mehr der tatsächlich in den Produkten vergegenständlichte gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand als Grundlage jeder realen Kosten-Nutzen-Rechnung ausgewiesen wurde. Anstatt - wie Marx und Engels gedacht hatten - die Produktion und Verteilung von Gebrauchswerten zu organisieren (was ja auch geschah) und ganz einfach über die gesellschaftliche Produktion Buch zu führen, die in den Erzeugnissen tatsächlich vergegenständlichte Arbeit als (Geld-)Kosten von Produktionsstufe zu Produktionsstufe bis zum fertigen Konsumgut - dem letztendlichen Ziel aller Produktion - statistisch zu erfassen, drückte man mit großem Aufwand die Gebrauchswertmengen in nichts sagenden Wertgrößen (z.B. Fräsmaschinen für 20 Millionen Mark - was bedeutet das?) aus, welche die Kostenstruktur des gesellschaftlichen Produkts infolge der über den Preis praktizierten Umverteilung gesellschaftlicher Arbeit völlig falsch widerspiegelten. Wenn die DDR mit zahlreichen Strukturentscheidungen wie Chemisierung, Elektronisierung der Volkswirtschaft usw. der BRD immer wieder um Jahre hinterher hinkte, so gewiss auch deshalb, weil man die Effizienz solcher Entwicklungen gar nicht aus der eigenen Wirtschaft heraus zu beurteilen vermochte, sondern nachmachte, was sich im Westen bereits geraume Zeit vollzog und dann allmählich auch für die Beobachter im Osten als offenbar lohnend erkennbar wurde. Und dann wurden die Preise so zurechtgemodelt, daß die "Warenproduzenten" diese neue Entwicklung vollziehen konnten. Die Preise waren damit für die Wirtschaftsleitung kein objektives Entscheidungskriterium, sondern ein subjektiv mehr oder weniger willkürlich eingesetzter ökonomischer Hebel.

Bürgerliche Kritiker des Sozialismus wie Ludwig Mises hatten schon, als die praktischen Sozialismus-Versuche (in der Sowjetunion) noch in den Kinderschuhen steckten, kritisch auf dieses Problem der Effizienzermittlung in einer sozialistischen Wirtschaft hingewiesen.2 Mises witterte mit sicherem Instinkt in jeder Beschränkung der Freiheit des Kapitals durch den Staat einen Schritt zum Sozialismus:"Auch die Beschränkung der Befugnisse des Eigentums ist ein Mittel der Sozialisierung. Wenn ihm die Verfügungsmöglichkeit stückweise genommen wird, indem der Staat sich immer mehr Einfluß auf die Bestimmung der Richtung und der Art der Produktion sichert und von dem Ertrag der Produktion einen immer größeren Teil heischt, so wird dem Eigentümer immer mehr entzogen, bis ihm schließlich nur der leere Name des Eigentums bleibt, das Eigentum selbst aber ganz in die Hände des Staates übergegangen ist." Genau das geschah ja dann mit den privaten und halbstaatlichen Betrieben in der DDR. Mises konnte sich gesellschaftliche Produktion nicht anders vorstellen als durch den Austausch von Warenäquivalenten vermittelt - wie allerdings Jahrzehnte nach ihm noch ganze Generationen sozialistischer Wirtschaftstheoretiker.

Dabei hatte Marx in seinen Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (Kritik des Gothaer Programms) schon 1875 das Wesen sozialistischer Produktionsverhältnisse folgendermaßen umrissen:"Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren ... Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent - nach Abzügen - exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden; die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds) und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleichviel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück."3

In rund sieben Jahrzehnten real existierenden Sozialismus' vermochten es seine Theoretiker nicht, in den von ihnen geschaffenen Verhältnissen deren von Marx und Engels umrissenes Wesen zu erkennen und sie dementsprechend einfach und effektiv zu gestalten. Statt dessen blieben sie in theoretischen Verbrämungen von Parteibeschlüssen stecken, die sich von Parteitag zu Parteitag, von ZK-Plenum zu ZK-Plenum „änderten, so daß man mit deren Drehen und Wenden und "theoretischer Untermauerung" kaum hinterher kam, wobei man sich zu den eigentümlichsten Konstruktionen verstieg und jede Logik vergewaltigte. Beispielsweise schlug Prof. Ottmar Lendle in den 50er Jahren in der Zeitschrift "Wirtschaftswissenschaft" allen Ernstes vor, den Arbeitsaufwand zur Herstellung der verschiedensten Erzeugnisse sowie von Gold exakt zu erfassen und zu vergleichen, um einen Goldwert-Preis der Waren planmäßig festlegen zu können, ohne sich zu fragen, wie das denn zu bewerkstelligen sei, wie die so genannte komplizierte auf einfache gesellschaftliche Durchschnittsarbeit zu reduzieren sei und vor allem wer und was gewährleisten würde, daß solche Preise der Wirtschaft die richtigen, notwendigen Impulse geben.

In dem von Walter Ulbricht in Auftrag gegebenen Buch Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR wurde die marxsche Feststellung aus der Kritik des Gothaer Programms zitiert, nach der der individuell zu verteilende Lohnfonds der Gesellschaft sich nach Abzug einer Reihe gesellschaftlicher Fonds aus dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt ergebe, um dann zu behaupten: "An diesem Fonds partizipiert jeder produktiv Tätige entsprechend dem ... sozialistischen Aneignungsgesetz nach seiner Arbeitsleistung. Der ihm individuell zufallende Anteil an diesem Fonds wird als individuell angeeignetes Produkt bezeichnet, dessen Geldform der Lohn ist."4 Es wurde aber nicht entwickelt, wie diese Geldsumme, der Lohn des Einzelnen (oder auch des Betriebskollektivs) als Anteil praktisch ermittelt und wodurch er bestimmt wurde, denn es wurde nicht dargelegt (und konnte nicht dargelegt werden), wie die Arbeitsleistung berechnet und in Geldeinheiten umgerechnet wurde. Wenn der Lohn - wie behauptet - die Geldform des Anteils der Werktätigen am individuell zu verteilenden Konsumtionsfonds der Gesellschaft gewesen wäre, müsste er, da das Geld allgemeines Äquivalent, allgemeine Ware ist, das Äquivalent für eine verkaufte Ware, die Arbeit, respektive Arbeitskraft, gewesen sein. Das widersprach aber den damaligen Grundpostulaten, der Lehrdoktrin und den sozialistischen Eigentumsverhältnissen. Es war die Offenbarung des tiefen theoretischen Widerspruchs, der Fehlerhaftigkeit aller Theorien, wonach im Realsozialismus Ware-Wert-Geld-Beziehungen herrschten.

Der Lohn des Arbeiters wie das Gehalt des Angestellten, des Betriebsleiters oder Ministers war kein allgemeines Äquivalent für eine verkaufte Ware (Arbeitskraft), keine Wertsumme, sondern nichts weiter als eine Quittung für geleistete Arbeit. Und wenn auch diese Quittung nicht direkt über soundso viel Stunden geleistete Arbeit, sondern über soundso viel Mark lautete, so hätte ebenso gut in Ostereiern gerechnet werden können. Denn wenn jemand für eine Stunde Arbeit vier Mark erhielt und die Gesellschaft im Durchschnitt für eine Stunde Arbeit zwei Mark zahlte, so hieß das nicht mehr und nicht weniger, als daß diese Person (obwohl sie nur eine Stunde tatsächlich gearbeitet hatte) in dieser einen Stunde zwei Stunden gesellschaftliche Durchschnittsarbeit leistete.

In der Honecker-Ära mit Günter Mittag als zentralem Wirtschaftsdiktator erübrigten sich tiefergehende theoretische Überlegungen und verschwanden aus der Literatur. Da wurde nur noch subjektiv gefärbter Pragmatismus betrieben und von der Hand in den Mund gelebt, bis die Wirtschaft vor dem Ruin stand und ein Rentner, der sich von seinen für ihn möglichen Fahrten in den Westen ein paar Computerdisketten mitgebracht hatte, Mitte der achtziger Jahre in den staatlichen An- und Verkaufläden pro Stück weit über einhundert Ostmark bekam, für einen Computer, der damals im Westen 3.300 DM kostete, sogar 69.000 (!) Ostmark. Allerdings konnte er damit weder einen Hauskauf anzahlen noch ein Auto erwerben, denn dafür hätte er - eben weil es keine Warenproduktion, sondern eine nach weitgehend sozialen Gesichtspunkten gestaltete, zentral geleitete Wirtschaftsorganisation gab - eine staatliche Genehmigung bzw. eine Anmeldung benötigt.

1 Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Dietz Verlag Berlin 1953, S.72 f.f.
2 L. Mises, Die Gemeinwirtschaft, Jena 1932. S.31 u.288
3 In: Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Berlin (Ost)1961, Bd.2, S. 15f. 4 Berlin (Ost) 1969, S.253f.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen