Dienstag, 22. Oktober 1974

Fragen, die offen bleiben

Besprechung der Publikation sowjetischer Autoren "Internationale sozialistische Währung der Mitgliedländer des RGW", Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1974 - Kritik der Behauptung, der transferable Rubel sei "richtiges Geld "

In Broschürenform veröffentlichte der Verlag "Die Wirtschaft" die Übersetzung eines Sammelbändchens mit Aufsätzen zu Fragen der internationalen sozialistischen Währung von sowjetischen Autoren, unter ihnen so herausragende Funktionäre wie W. Garbusow, Finanzminister der UdSSR, N. Schein, Direktor des Finanzökonomischen Forschungsinstituts, K. Nazarkin, Präsident der Internationalen Bank für wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ), und W. Worobjow, Präsident der Internationalen Investitionsbank (IIB).

In acht Arbeiten auf insgesamt 83 Seiten weisen sie nach, welche hervorragende Rolle der transferable Rubel in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den RGW-Ländern spielt, daß das gegenwärtige System der mehrseitigen Verrechnungen in transferablen Rubeln völlig den Erfordernissen der Außenhandelsbeziehungen entspricht und dass es keiner grundsätzlichen Veränderungen bedarf (S. 46). Lesenswert ist das Büchlein für manchen vielleicht vor allem wegen der mit anderen Auffassungen geführten Auseinandersetzung. Dabei scheint mir die Widerlegung von Meinungen sozialistischer Wirtschaftswissenschaftler, die die Rolle des transferablen Rubels als Hauptinstrument des Währungs- und Finanzmechanismus’, das den Forderungen der gegenwärtigen Entwicklungsetappe entspricht, unterschätzen (Seite 17) und Vorschläge unterbreiteten, die darauf hinauslaufen, im wesentlichen auf die planmäßigen Methoden zu verzichten und zu marktwirtschaftlichen Methoden überzugehen (Seite 45), gelungener als die Auseinandersetzung mit bürgerlichen Auffassungen. Diese meinen, der transferable Rubel sei kein "richtiges" Geld, keine Währung im eigentlichen Sinne, und könne es unter den Bedingungen der planmäßigen Wirtschaftsführung, des Fehlens eines "freien Wettbewerbs der Produzenten und Güter" auch nicht sein (Seite 29).

Offensichtlich ist es leichter, die Notwendigkeit der planmäßigen Wirtschaftsführung im Sozialismus zu begründen, woraus sich die spezifischen Formen und Methoden unseres internationalen Finanzsystems als objektiv notwendig ableiten, als danach dann in genau entgegengesetzter Richtung zu argumentieren, um bürgerlichen Ökonomen nachzuweisen, daß der transferable Rubel doch "richtiges" Geld sei. In dem Buch wird nachgewiesen, daß die weitere Verbesserung sowohl der nationalen wie auch der internationalen Planung das A und O für die weitere Vervollkommnung der internationalen sozialistischen Zusammenarbeit ist (Seite 40) - und nicht die Einführung einer breiten bis hin zur vollen Konvertierbarkeit der kollektiven Währung in kapitalistische Währungen oder die "Schaffung irgendeiner kollektiven Warendeckung des transferablen Rubels in Form ‚leicht realisierbarer Waren’", ja dass, auch wenn man unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit der Konvertierbarkeit in irgendeiner Form nicht auschließen kann, "eine solche Maßnahme nicht von den grundlegenden, wesentlichen Bedürfnissen der Entwicklung der gegenseitigen ökonomischen Zusammenarbeit der sozialistischen Länder diktiert wird" (Seite 46).

Viel weniger überzeugend ist der Nachweis, daß der transferable Rubel "richtiges" Geld sei. Dabei genügt es nicht, zu zeigen, daß die kollektive Währung der RGW-Länder in der Praxis die Geldfunktionen als Maß der Werte, Zahlungsmittel und Akkumulationsmittel erfüllt (zum Beispiel Seite 36 ff.). Das praktische Wirken des transferablen Rubels in diesen Funktionen besagt nämlich noch nichts über das Wie und die inneren logischen Zusammenhänge. Feststellungen allein lassen zu viele Fragen offen; wenn sie nicht theoretisch aus den sozialistischen ökonomischen Beziehungen abgeleitet sind. Zum Beispiel: Worin besteht die stabile Golddeckung und wieso repräsentiert der transferable Rubel eine ganz bestimmte Goldmenge (die zwar in einem zwischenstaatlichen Abkommen fixiert ist), wenn er nicht gegen Gold konvertierbar ist? Wieso dient er "als Repräsentant von Gold" als Mittel des Geldausdrucks und der Messung des Warenwertes (Seite 28)? Der transferable Rubel ist ebenso wenig Mittel oder Instrument zum Messen des Warenwertes, wie das Gramm Meßinstrument zur Ermittlung des Gewichts eines Körpers ist. Was dort die Waage, ist hier der gesamte Mechanismus der sozialistischen Rechnungsführung bis hin zur Preisbildung - soweit es um die Ermittlung und Bestätigung des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwandes geht. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß die in der Literatur häufig zu findende Ansicht, die weitere Entfaltung der Funktion der kollektiven Währung als Maß der Werte erfolge über die Vervollkommnung der Preise im gegenseitigen Handel der Mitgliedländer des RGW (Seite 38), das gleiche ist, als wollte man das Gramm als Maßeinheit der Masse dadurch vervollkommnen, daß man das tatsächliche Gewicht von Produkten genauer ermittelt und exakter auf den Etiketten angibt.

Auch zum transferablen Rubel als Akkumulationsmittel (Seite 20, 28, 43 ff) bleiben Fragen offen, zum Beispiel: Wo wird denn eigentlich was akkumuliert? Völlig richtig heißt es zwar in der Broschüre: „In den kapitalistischen Ländern ist die Akkumulation von Währungsreserven in der Regel die Folge spontaner Unausgeglichenheit der internationalen Zahlungen … Der sozialistische planmäßige Charakter der gegenseitigen Zusammenarbeit der Mitglieder des RGW bedingt andere Ziele, Maßstäbe und Bedingungen der Bildung von Kreditquellen in transferablen Rubeln und folglich einen anderen Charakter der Funktion als Akkumulationsmittel. Die gegenseitigen Beziehungen der sozialistischen Länder gründen sich auf das gesunde Prinzip der planmäßigen Bilanzierung des Austausches und der Geldverrechnungen.“

Selbst wenn ein Land größere Bestände transferabler Rubel akkumuliert, ist damit noch keine vergegenständlichte Arbeit angehäuft und kein Gebrauchswert zur Verfügung. Diese Art Akkumulation drückt doch nichts anderes aus, als daß dieses Land zu dem entsprechenden Betrag mehr exportiert als importiert hat und nun einen Anspruch auf Gegenlieferungen besitzt. Die nichtkompensierten Exporte stehen der Gesellschaft als ganze aber nicht mehr disponibel zur Verfügung, und die Gegenlieferungen dem Gläubigerland noch nicht, denn es hat mit dem transferablen Rubel keine Ware mit Wert und Gebrauchswert in der Hand, sondern nichts weiter als zunächst eine Bestätigung über soundso viel für die sozialistische Staatengemeinschaft geleistete gesellschaftlich notwendige Arbeit.

Auf der Grundlage einer planmäßigen Koordinierung der wirtschaftlichen Beziehungen (sowohl im nationalen wie auch im internationalen Maßstab) gibt es keine "Verdopplung bzw. Teilung der Warenwelt in Waren und Geld", ist das Geld keine tatsächliche Ware mit Wert und Gebrauchswert. Und das ist auch die Wirklichkeit. Denn der Goldgehalt des transferablen Rubels ist eine theoretische Größe ohne jede praktische Bedeutung, die beliebig verändert werden kann, solange der transferable Rubel nicht in Gold konvertierbar ist (wozu es im Sozialismus auch gar kein Erfordernis gibt). Der Wert, die vergegenständlichte Arbeit, existiert also unter unseren sozialistischen Bedingungen real nur einmal, nämlich in den Produkten - alles andere sind ideelle Widerspiegelungen, bestimmte Formen gesellschaftlicher Buchführung. Deshalb ist der transferable Rubel für seinen Besitzer "nur" Zeichen eines gegebenen Warenkredits und damit „nur“ Mittel zur Akkumulation von Liefer- bzw. Bezugsansprüchen, nicht von tatsächlich vergegenständlichter Arbeit. Die Akkumulation von Wert, das heißt von realer vergegenständlichter Arbeit, findet also im Zusammenhang mit dem sozialistischen internationalen Warenaustausch immer nur in den importierenden Ländern statt, ist also mit dem Ausgeben, Verschwinden oder Abbuchen von transferablen Rubeln verbunden, während die exportierenden Länder mit den aus dem Export entstehenden transferablen Rubeln Lieferansprüche akkumulieren. Der Diskriminierung des transferablen Rubels durch bürgerliche Ökonomen sollte also nicht dadurch begegnet werden, daß man nachzuweisen versucht, der transferable Rubel sei eben doch "richtiges" Geld, weil er die Geldfunktionen erfüllt. Denn schließlich müssen auch die Autoren selbst feststellen, "daß bei planmäßiger Wirtschaftsführung die Ware-Geld-Beziehungen sich grundsätzlich von den spontanen kapitalistischen Marktbeziehungen unterscheiden". Und: "…das Wirken der kollektiven sozialistischen Währung (ist) untrennbar mit der planmäßigen Bewegung der materiellen Warenwerte zu ökonomisch begründeten, stabilen Preisen verbunden. Im Rahmen dieses Prozesses entwickeln sich auch die Funktionen der kollektiven sozialistischen Währung“. (Seite 63) Auch wenn der transferable Rubel die Funktion „richtigen" Geldes erfüllt, heißt das noch nicht, daß er selbst deshalb eben solches "richtiges" Geld ist. Denn er erfüllt die gleichen Funktionen auf völlig andere Weise, in einem ganz anderen wirtschaftlichen Mechanismus.

Bürgerlichen Diffamierungen der sozialistischen kollektiven Währung ist also ebenso wie fehlerhaften Auffassungen sozialistischer Theoretiker, die den transferablen Rubel mehr zu "richtigem" Geld machen möchten, der Nachweis entgegenzuhalten, daß der bestehende internationale Währungsmechanismus der RGW-Länder prinzipiell den Bedingungen unserer sozialistischen Wirtschaftsbeziehungen entspricht und dem kapitalistischen Weltwährungssystem ebenso überlegen ist, wie der Sozialismus dem Kapitalismus als Gesellschaftsordnung überhaupt. - Doch sollte das in der Hauptsache nicht nur anhand der Praxis nachgewiesen, sondern auch noch stärker theoretisch aus den ökonomischen Beziehungen in der Praxis abgeleitet werden. Die Rolle, die der transferable Rubel als internationale Währung spielen kann (Seite 71) - wobei die westlichen "Analytiker" mit ihrer Diskriminierung der sozialistischen Kollektivwährung sicherlich nachweisen wollen, daß diese sich nicht für den Handel zwischen sozialistischen und nichtsozialistischen Staaten eignet -, diese Rolle hängt schließlich nicht davon ab, wie sie oder wir den transferablen Rubel theoretisch analysieren und interpretieren, ob sie oder wir ihn als Geld bezeichnen oder nicht, sondern davon, ob und inwieweit Drittländer sich in den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen unserem ganzen Planungsmechanismus anpassen können und müssen und wie praktikabel für sie der transferable Rubel ist und wird. Die Intensität und die Rolle dieser Wirtschaftsbeziehungen für die nichtsozialistischen Länder dürften darauf großen Einfluß haben.
Eine Veröffentlichung wurde 1974 vom Chefredakteur der "Wirtschaftswissenschaft" mit der Bemerkung abgelehnt: "Es steht uns wohl nicht zu, einer Reihe hervorragender Funktionäre der UdSSR ... in dieser Form Zensuren zu erteilen und 'es besser zu wissen'".

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