Von Heerke Hummel
(Erschienen
in: Das Blättchen-online, Nr.7/2013)
Wieder
hat sich mit Thomas Fricke ein Star-Journalist (Deutsch-Französischer
Journalistenpreis 1998, von 2002 bis 2012 Chefökonom der Financial Times
Deutschland und seit 2009 auch Chefökonom der Wirtschaftsmedien von
Gruner+Jahr) mit einem Buch über die Finanzkrise zu Wort gemeldet. Dessen Titel
Wie viel Bank braucht der Mensch? Raus
aus der verrückten Finanzwelt lässt gründliches Umdenken erwarten.
Leser,
die enttäuscht sind, nachdem sie im ersten Teil (Vom Traum globalisierter Märkte zum großen Albtraum?), kaum Neues erfahren
haben, sollten das Buch an dieser Stelle auf keinen Fall aus der Hand legen.
Denn nun geht es wirklich zur Sache, wird gezeigt, „warum es ohne Bankenwahn
besser ginge“. Und es wird „ein Aktionsplan für den Bankenausstieg“ entwickelt.
Dieser umfasst:
1.
Eine
Finanztransaktionssteuer als Grundausstattung, um Wogen und Treiben an den
Märkten zu bremsen.
2.
Ein
neues Weltwährungssystem, das die guten wie schlechten Erfahrungen der
Nachkriegszeit berücksichtigt.
3.
Ein
Stoppmechanismus für Exzesse beim Handel mit Staatsanleihen – nach dem
Leitmotiv: Mit Demokratie spielt man nicht.
4.
Ein
Kapriolenschutz für Rohstoffmärkte – nach dem Grundsatz: Mit Essen spielt man
nicht.
5.
Und
vor allem ein System automatischer Korrekturen als Mittel gegen gefährliche
Euphorie- und Panikattacken – und Ersatz für die (nach Meinung seiner, Frickes,
Kriker) fehlende stabilisierende Spekulation.
6.
Dazu
eine Bonusreform für Geldhändler.
Fricke
favorisiert eine „Rückkehr zu einem Weltwährungssystem mit begründbar festeren Kursen“
unter Berücksichtigung von „Tücken und Mängeln des Bretton-Woods-Systems der Nachkriegszeit“,
wobei „nicht wie einst eine einzelne Währung wie der Dollar de facto zur
Reservewährung wird“, sondern „statt des Dollar sollte als Reserve künftig eine
eigene Recheneinheit fungieren“. Derartige Vorschläge gebe es bereits, darunter
vom chinesischen Notenbankchef Zhou Xiaochuan aus dem Jahre 2009 sowie von
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und dem Pariser Ökonomen Jean-Paul Fitoussi.
Ein solches System könnte seiner Ansicht
nach dank automatischer Kursanpassungen bei Überschreiten bestimmter
ökonomischer Parameter (zum Beispiel Inflationsrate), die das Auseinanderdriften
beteiligter Volkswirtschaften anzeigen sollen, „den Vorteil stabiler Kalkulationsgrundlagen
mit der nötigen Flexibilität … kombinieren“. Fricke beruft sich dabei auch auf
die namhaften deutschen Ökonomen Heiner Flassbeck (früherer Chefökonom der
Welthandelskonferenz – UNCTAD) sowie Peter Bofinger (Mitglied im
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung).
Überzeugend
geht der Autor auf Argumente von Skeptikern der Einführung eines solchen
Weltwährungssystems ein, um schließlich zu der Feststellung zu kommen, „ein
neues Währungssystem mit automatisch sich anpassenden Kursen könnte rasch
Wunder wirken. … Der Devisenhandel würde auf das Niveau des Austauschs von
Dollar, Euro, Pfund, Renminbi und anderen sinken, der nötig ist, um den Handel
mit Waren und Dienstleistungen sowie grenzüberschreitende Investitionen zu
finanzieren“. Und immerhin sei der Devisenmarkt „das quantitativ größte unter
den Spielfeldern der Geldjongleure“. Damit ist die Frage im Titel seines Buches
weitgehend beantwortet.
Auch
den Handel mit Staatsanleihen möchte Fricke reformieren und zu jenem Zustand
zurückkehren, „der lange als gang und gäbe galt: dass Staatsanleihen in
reicheren Ländern als sichere Anlagen einzustufen und konservativen Anlegern zu
empfehlen sind.“ Dazu wäre es unter anderem wichtig, „einen Staatsanleihemarkt
zu schaffen, auf dem Papiere nur unter starken Schutzbedingungen gehandelt
werden.“ Wichtig wäre auch, so Fricke, Stabilitätspakte ökonomisch noch
effizienter zu machen und anders aufzubauen als bisher. Denn es gehöre zur
Manie der EU-Wächter, den Abbau von Staatsschulden an jährliche Vorgaben für
Staatsdefizite zu knüpfen, und das Auf und Ab von Staatseinnahmen und –ausgaben
hänge heute zu mehr als der Hälfte von der enorm schwankenden Konjunktur ab.
An
dieser Stelle wäre (nicht nur vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes
aus) zu fragen, ob es denn überhaupt noch vernünftig ist, Staatswesen mit ihrem
relativ fixen Finanzbedarf über mal steigende, mal fallende Steuereinnahmen zu
finanzieren. Solche Frage war aber von Fricke nicht zu erwarten. Denn sie setzt
ein ganz anderes ökonomisches Denken und Verständnis von Wirtschaft voraus. Ein
solches ist aber als Folge mehr als hundertjährigen Einflusses traditioneller
bürgerlicher Wirtschaftswissenschaft mit ihrer blinden Anbetung privater
Freiheit und privaten Eigentums ohne Grenzen hier und heute nicht tonangebend.
Kritiker
aus dem linken Spektrum mögen Thomas Fricke vorwerfen, er bejahe zwar für
Europa eine gemeinsame Staatsanleihe (Euro-Bonds), damit Regierungen nicht
länger auf absurde Weise gegeneinander auszuspielen sind und „gewählte
Volksvertreter nicht mehr zu Trotteln“ gemacht werden, „die vor dem Hüsteln von
Fondsmanagern Angst haben und dann dumme Politik machen müssen, weil es ‚der
Markt‘ will“, doch er wolle zurück in die Vergangenheit der „goldenen“ fünfziger und sechziger Jahre,
er wolle das „kapitalistische System“ erhalten. Nein, Fricke will wohl nicht
zurück. Er möchte die Diktatur einer Finanzoligarchie brechen und die
Demokratie retten; auch wenn es „nur“ die im bisherigen bürgerlichen Sinne ist.
Über „Kapitalismus“ und „Sozialismus“
denkt er nicht nach.
Dennoch!
Die Frage stellt sich, was die Vorschläge von Thomas Fricke ihrem Wesen nach
bedeuten. Ein Zurück? Oder ein Vorwärts? Fricke weist mit seinem Buch einen
realistischen Weg von nationaler Enge und Engstirnigkeit in die weitere
Globalisierung menschlichen Denkens und Handelns im 21. Jahrhundert
entsprechend dem technischen Wandel, der alle Bereiche unseres Lebens
revolutioniert. Es wäre ein geeigneter Weg, um die Gefahr eines ökonomischen,
ökologischen und politischen Chaos zu bannen, wenigstens zu mindern. Es wäre
ein Weg der weiteren Reformierung der Weltgesellschaft, wie sie in etwa den
heutigen unbedingten Erfordernissen, aber auch den gegebenen Möglichkeiten und
Kräfteverhältnissen entspricht.
Wie viel Bank braucht der
Mensch? ist
kein Buch der Wissenschaft, sondern praktischer Schlussfolgerungen aus
praktischen Erfahrungen. Doch es bedeutet einen Sieg der praktischen Vernunft
über den (bis heute anhaltenden) Irrsinn ökonomischer Praxis und Theorie vergangener Jahrzehnte. Aber es ist eben nur
ein Etappensieg, weil die theoretische Analyse der neu im Entstehen begriffenen
Gesellschaft hier, auch ansatzweise, noch nicht zu finden ist. Erst wenn die
theoretischen Zusammenhänge der praktischen Verhältnisse begriffen sind, wird
es möglich sein, letztere mit aller Konsequenz so zu gestalten, dass der
Reproduktionsprozess der menschlichen Gesellschaft ökonomisch und ökologisch
dauerhaft ins Gleichgewicht kommt. Das setzt nämlich die Erkenntnis – und
entsprechendes Handeln - voraus, dass unser Reichtum nicht im Geld besteht und
zu messen ist, sondern sich in der Menge, Qualität und Vielfalt unserer
sachlichen Lebensbedingungen ausdrückt. (So mancher, der bei cyprischen Banken
mehr als 100.000 Euro deponiert hat, muss diese für ihn bittere praktische
Erfahrung gerade machen.) Ein neues Verständnis von Wirtschaft und vom
Wirtschaften brauchen wir!
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