Von
Heerke Hummel
(Erschienen in: „Das Blättchen“, Sonderausgabe
1/2013 - http://das-blaettchen.de/)
Etwa ein halbes Jahrzehnt dümpeln Europa und die
industrialisierte Welt nun schon durch eine Dauerkrise mit immer neuen Facetten.
Kein Wunder also, dass die durchaus nicht neue Idee eines bedingungslosen
Grundeinkommens (BGE) für jeden Staatsbürger kräftig an Fahrt aufgenommen hat
und Zuspruch in allen politischen Lagern sowie sozialen Schichten findet! Der
Titel „Irrweg Grundeinkommen“[i]
kündigt bereits die Stoßrichtung eines Buches an, das Illusionen beseitigen
soll und sich darum sehr gründlich mit einem solchen Vorhaben auseinandersetzt.
„Die Art der Verteilung der Einkommen ist entscheidend für das Funktionieren
der Wirtschaft“, heißt es darin gleich zu Beginn, „und deswegen sind
Verteilungsfragen zutiefst und zuerst wirtschaftspolitische
Fragen und können nicht befriedigend beantwortet werden, ohne sie in den
Kontext einer erfolgversprechenden wirtschaftspolitischen Konzeption zu
stellen.“ (S. 9)
Dieser sich selbst gestellten Aufgabe werden die
Autoren auf eine Weise gerecht, die es wohl auch dem ökonomisch nicht
sonderlich Gebildeten ermöglicht, ihrer Argumentation zu folgen. Zunächst
stellen sie die in Deutschland am meisten diskutierten Modelle eines BGE vor
und unterziehen sie einer kritischen Analyse. Dann unternehmen sie einen
wirtschaftspolitischen Rückblick und beleuchten die Ursachen des nicht endenden
Wirtschaftsdesasters der jüngeren Vergangenheit mit umfangreichem statistischen
Material, das den wirtschaftspolitischen Kurswechsel im Gefolge eines neuen,
neoliberalen ökonomischen Weltbildes
seit den 1970er Jahren belegt. Deutlich wird dabei die von Deutschland im
Unterschied zu anderen europäischen Staaten jahrelang verfolgte
Wirtschaftsstrategie einer starken Lohnzurückhaltung (im Verhältnis zur
Produktivitätsentwicklung) hervorgehoben, die maßgeblich die derzeitigen
Ungleichgewichte in der EU mit verursachte. Man könnte diesen Teil auch als
eine volkswirtschaftliche Analyse aus praktischer Sicht und darum auch für
Laien verständlich und bildend bezeichnen.
Das Fazit ist die (wenn auch banale) Erkenntnis,
dass eine (Markt-)Wirtschaft nur funktioniert, wenn verbraucht wird bzw. verbraucht
werden kann, was produziert wurde. (Und Deutschland als Exportweltmeister hat nach
neuesten Angaben einen jährlichen Außenhandelsüberschuss von mehr als 200
Milliarden Dollar.) In Deutschland, schreiben die Autoren, wurde die Politik
einer einseitigen Förderung der Unternehmensgewinne durch den Staat und durch
die Tarifpartner so weit getrieben, dass die Unternehmen buchstäblich nicht
mehr wissen, wohin mit dem Geld. Auch weisen sie nach, dass höheres Einkommen
der wohlhabenden Gesellschaftsschichten dank verringerter Steuern nicht über
höhere Ersparnis und Kapitalakkumulation zu mehr Investitionen geführt haben. Stattdessen
floss das Geld zu einem erheblichen Teil in die Spekulationsblasen der Finanzmärkte.
Andererseits kann aber auch nur verbraucht werden,
was produziert wurde. Und hier schließt sich der Kreis der Überlegungen: „Wenn
sich alle Bürger eines Landes auf den Anspruch des bedingungslosen
Grundeinkommens berufen und nur das tun, was ihnen gerade Spaß macht, was aber
nicht notwendigerweise am Markt von irgendjemand anderem nachgefragt wird, gibt
es keine ausreichende materielle Grundlage, aus der heraus die gesetzlichen
Ansprüche jedes einzelnen gegen den Staat, gegen die ‚Allgemeinheit‘, bedient
werden können.“ (S. 38) Das Thema Grundeinkommen sei durch Angst aufgekommen,
heißt es an anderer Stelle: Angst um Art und Bezahlung der Arbeitsplätze, um
die Leistungsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung
sowie um die fortschreitende Umverteilung von unten nach oben durch den Staat
und durch die Tarifpartner. Das Thema widerspiegele aber auch die große
Illusion bei vielen, man könne mit einer einzigen Maßnahme, mit einem
heilbringenden Konzept, diese Probleme alle auf einmal lösen und zudem die
Bedürftigkeitsprüfung der Transferbezieher ein für allemal beseitigen. Das
Grundeinkommen, so die schließliche Feststellung, kann eine grundlegend falsche
Primärverteilung, wie sie derzeit herrscht, nicht korrigieren. Das grundlegende
ökonomische Bindungselement der Gesellschaft (neben ethischen, sozialen und
historischen natürlich), bestehe darin, dass Arbeitsteilung produktiver ist als
Autarkie und lohnend sein muss für alle (nicht nur für einige), damit alle eine
hohe Motivation haben, bei der Arbeitsteilung mitzumachen und sich nicht
auszuklinken. In diesem, übrigens in allen Teilen des Buches zutage tretenden ökonomischen
Realismus liegt seine Stärke und Überzeugungskraft.
Vehement warnen die Autoren vor revolutionären
Lösungsversuchen für Probleme der heutigen Gesellschaft. Man könne sich zwar
wunderschöne Modelle ausdenken, in denen Milch und Honig fließen. Doch in
Wirklichkeit gebe es nur ganz wenig erprobte und zugleich erfolgreiche Arten
des Wirtschaftens. In dem Buch wird von einer sinnvollen Balance zwischen Markt
und staatlicher Steuerung gesprochen, die durch ständige Korrekturen in kleinen
Schritten anzusteuern ist. Den Autoren ist zuzustimmen in der Auffassung, völlig
neue und unerprobte Regelungen wie ein Grundeinkommen einzuführen, ohne ganze
gesellschaftliche Funktionsstrukturen zu zerschlagen, erfordere ein Maß an
staatlicher und ökonomischer Kompetenz, das einfach nicht vorhanden ist. Es
führt – zu dieser Schlussfolgerung wird der mitdenkende Leser kommen, auch weil
so viele große Umwälzungen in der Vergangenheit es schon gezeigt haben – über
einen kurzen Moment der reinen Lust (an der Arbeit) in ein langes Chaos und damit
zum allgemeinen Frust.
Auch hierin ist den Verfassern schließlich beizupflichten:
„Das System der Marktwirtschaft kann hervorragend funktionieren, aber nur dann,
wenn es nicht in erster Linie der Umverteilung zugunsten der Mächtigen
missbraucht wird. Wenn man die Rahmenbedingungen aufstellt, innerhalb derer die
Marktkräfte (und vor allem die Akteure! – H. H.) wirken sollen, muss es Ziel
sein, ökonomische Ergebnisse zu zeitigen, die allen Mitgliedern der
demokratischen Gesellschaft zugutekommen und die Lebensbedingungen der
folgenden Generationen nicht zerstören.“ Und hinzufügen sollte man bzw. zu
wünschen wäre auch eine Kritik der völlig leistungslosen Einkommen aus Zins und
Dividenden aller Art, die heute durchaus bedeutende „Marktkräfte“ darstellen.
Von den Autoren wurden sie leider nicht einmal erwähnt, obwohl doch im Buch –
wenigstens der Sache nach - für eine Leistungsgesellschaft plädiert wird, die
diesen Namen wirklich verdient.
[i] Heiner
Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper: „Irrweg Grundeinkommen.
Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden“, Westend Verlag
GmbH, Frankfurt/Main 2012, ISBN 978-3-86489-006-2, 224 Seiten, 16,99 €
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