Dienstag, 15. November 2011

Banker, hört die Signale!


Von Heerke Hummel

(Erschienen in: Das Blättchen, Nr. 23/2011 - www.das-blaettchen.de)

So skeptisch man die Ergebnisse des G20-Gipfels im südfranzösischen Cannes auch beurteilen mag – eines hat er erreicht: Er erteilte der Welt eine Lektion in Sachen Demokratie. Griechenlands Ministerpräsident Papandreou wurde vom internationalen Finanzadel bzw. dessen Machtausübenden gezwungen, seine Ankündigung einer Volksbefragung über die erpressten Sparmaßnahmen zurückzunehmen. Die Völker dürfen – nach welchem Modus auch immer - frei ihre Herren wählen. Doch wo sie eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums erzwingen wollen, endet der Spaß, auch wenn nur auf diese Weise der ökonomische Kreislauf funktioniert, der produzierte Reichtum konsumiert werden kann. Da soll dann eher gespart und dank Massenarbeitslosigkeit einfach weniger geleistet und produziert werden. Gegen diese volksverachtende Strategie wehrt sich das griechische Volk schon seit Monaten mit seinen Protesten und Streiks, weil „freie Wahlen“ nicht helfen. Diese Aktionen, wie auch die Vorgänge auf dem G20-Gipfel, zeigen, dass Demokratie kein Geschenk, kein Zustand (der Ruhe) ist, sondern gesellschaftliche Aktion. Um mit Goethe zu reden: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!
Von Athen ist der zündende Funke des Widerstands nach New York an die Wall Street und von dort zum Frankfurter Bankenzentrum übergesprungen. Die Forderung nach Regulierung und Reformierung der Finanzarchitektur ist unüberhörbar geworden, weil sie die Massen zu ergreifen beginnt. Doch niemand sollte sich von Beschlüssen wie denen des Treffens von Cannes einlullen lassen. Denn die angekündigte Kontrolle von 29 Großbanken weltweit – beispielsweise die Bonizahlungen an die Manager oder die Auflage hoch spekulativer Fonds betreffend – sind eher Beruhigungspillen für das Gewissen der Akteure und für das öffentliche Gemüt. Dennoch sind es, wenn viel zu kleine, Schritte in die richtige Richtung. Diesen müssten folgen die Beendigung der Spekulation an den Finanz- und Warenmärkten und schließlich die Einführung möglichst weltweiter Mindestlöhne einerseits und Höchsteinkommen andererseits; denn die ungeheuren Spannungen und Konflikte im sozialen und politischen Bereich, die schon vorhandenen und vor allem die für die Zukunft bereits absehbaren, resultieren aus den desaströsen Ungleichgewichten in der Welt.  All dies würde immer noch nicht das System in Frage stellen, die leistungslose Vermehrung von Finanzreichtum durch Zinsnahme, Renditen usw.
Wie undendlich weit man von einer solch echten Beseitigung der Krisenursachen noch entfernt ist, zeigte in Cannes die strikte Weigerung des einstigen Hoffnungsträgers Amerikas, Obama, über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auch nur zu reden. Der Präsident erweist sich damit wieder einmal als Marionette der US-amerikanischen Hochfinanz, die mit Finanzspekulationen offenbar unsäglich verdient und nicht ablassen will von dem Grundsatz „Geld regiert die Welt!“ – allen Geschwafels von Demokratie zum Trotz.
Zu Fragen ist nach der Verantwortlichkeit der Personen, die sich in Cannes versammelten. Hätten andere in der heute gegebenen Situation in der Welt bessere, weiter reichende Beschlüsse fassen und dann auch realisieren können? Wohl kaum! Gregor Gysi soll in einer Stellungnahme vom Fehlen einer europäischen Führungspersönlichkeit gesprochen haben; sicherlich zu Recht. Doch hätte eine solche in der Auseinandersetzung mit Amerika, China, Russland usw. mehr bewirken können (wenn sie denn überhaupt „klüger“ wäre)? Offenbar ist die Welt zwar objektiv überreif für die Einrichtung einer Institution zur solidarischen „Bewirtschaftung“ der Welt im allgemeinen Interesse (als Gegensatz zum egoistischen Kampf aller gegen alle), doch subjektiv ist sie nicht in der Lage, mutig die notwendigen Schritte dahin zu tun. Das gilt besonders für die hoch industrialisierten Staaten. Sie müssten beispielgebend voran gehen nach dem Kantschen Grundsatz „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte!“. Solchem Grundsatz wird die Politik, betrieben von wem auch immer, wohl nur – wenigstens einigermaßen - gerecht werden können, wenn der Druck, dem sie zu folgen hat, groß genug ist. Das ist besonders auch der Druck gelebter Demokratie, der Straße, der nicht nachlassen sollte und wahrscheinlich auch nicht nachlassen wird. Bezeichnend und zukunftsweisend ist, dass sich der Bewegung für eine Reformierung des Finanzsystems nun auch „Fachleute“ des Bankwesens anzuschließen beginnen. Doch wo bleiben die Stimmen aus der Wissenschaft? Wo sind die wirtschaftstheoretischen Grundlagen für neues Denken in der Praxis? Die von Karl Marx im „Kapital“ entwickelte Theorie – so richtig und wichtig sie zu seiner Zeit auch war – reicht für die heutige Situation und ihre Bewältigung allein nicht mehr aus. Sie muss entsprechend den heutigen Bedingungen in der Welt der Wirtschaft weitergedacht werden, um zur geistigen Grundlage nicht nur der ökonomischen Fachwelt, insbesondere des Finanzsektors, sondern auch einer breiten Volksbewegung für ein zeitgemäßes Wirtschaften auf unserem Planeten werden zu können.
Der Druck auf die Politik wird nicht nachlassen, solange die Krise nicht wirklich bewältigt ist, ihre Ursachen beseitigt sind. Und das Wenige, was dazu in jüngster Zeit europaweit und international beschlossen wurde, lässt vermuten, dass die Feuerwehreinsätze auf oberster Ebene so schnell nicht abreißen werden. Natürlich ist Sparen dringend angesagt – doch im Sinne eines vernünftigen Wirtschaftens, eines vernünftigen Umgangs mit den Ressourcen unseres Planeten, auch mit denen der Gesellschaft, insbesondere was ihr Arbeits- und Denkvermögen betrifft. Diese Sparsamkeit hat mit dem, was derzeit alles unter dieser Bezeichnung für Europa beschlossen wurde, nichts zu tun. Sie setzt sich auch nicht spontan durch das Wirken der Kräfte und Gesetze des vom Egoismus beherrschten Marktes durch, wie uns vergangene Jahrzehnte, ja ein ganzes Jahrhundert gelehrt haben. Sie bedarf einer ziel- und zweckgerichteten, zunehmend international orientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik – auch unter Nutzung eines regulierten Marktes als Wirkungsfeld persönlicher Initiative und Verantwortung sowie als Messfeld der ökonomischen Effektivität.
So verstandene Sparsamkeit bedarf eines ökonomischen Umdenkens und der Reformierung des Geld- und Finanzsystems mit dem Ziel, eine solche Verteilung des erzeugten Reichtums der Gesellschaft herbeizuführen, die zu vernünftigem Wirtschaften führt und den sozialen Frieden in Europa und der Welt sichert. Vordringlich sind dabei Maßnahmen, welche die leistungslose Bereicherung durch Zinsen und Renditen in all ihren Erscheinungsformen einschränken und schließlich ganz abschaffen. Denn der im Geld ausgedrückte Wert als Sinnbild von Reichtum ist das Produkt von Arbeit für die Gesellschaft. Er wird durch Arbeit geschaffen, entsteht weder aus sich selbst heraus (durch „natürliche“ Vermehrung) noch durch Verleih oder Spekulation. Die Behauptung, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft, ist eine große Zwecklüge. Denn in dieser heutigen Gesellschaft sind die Privatvermögen der geleisteten Arbeit ihrer Besitzer umgekehrt proportional. In Griechenland beispielsweise, heißt es, besitzen zwei Tausend Familien 80 Prozent der griechischen Vermögenswerte. Früchte ihrer Arbeit? Ihnen verordnen die EU-Oberen keine Spar- oder Zahlungsauflagen, obwohl es doch vor allem ihr Staat war, der sich in ihrem Interesse und zum leistungslosen Nutzen fremder Geldgeber verschuldete.
Darum wehrt sich das Volk Griechenlands gegen die Sparauflagen der  EU. Es hat die Aktion der Demokratie wieder zum Leben erweckt. Seine Signale treffen vielerorts auf offene Ohren. Die Proteste in aller Welt gegen die Bankenwelt zeigen es eindrucksvoll. Auch Politiker und Banker weltweit sollten sie nicht überhören. Der soziale Friede steht auf dem Spiel.

Buchveröffentlichungen des Autors: „Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum“, Projekte-Verlag, Halle 2005; „Gesellschaft im Irrgarten – Die Tragik nicht nur linker Missverständnisse“, Nora-Verlag, Berlin 2009

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