Mittwoch, 6. Juli 2011

Kurzschluss

(Kommentar zu: Markus Kerber, Warum Deutschland die Euro-Zone verlassen sollte, in „Handelsblatt“, 04.07. 2011)
Professor Kerber übersieht wohl, dass das eigentliche ökonomische Problem der EU – wie übrigens der Erde – nicht in den Finanzen, sondern in den realwirtschaftlichen Strukturen liegt. Diese vermag der vom Konkurrenzprinzip dominierte Markt nicht zu harmonisieren. Die Vermehrung von Geld (Finanzen) als Ziel allen Wirtschaftens bildet zwar Wirtschaftsstrukturen heraus, die diesem Ziel (zumindest kurzfristig) dienlich sind; doch die Verwertung von Kapital ist auf Dauer nicht mit der Notwendigkeit vereinbar, dass die erzeugte Waren- und Wertmasse (von denen, die sie produziert haben) konsumiert werden kann. Das wurde der Welt schon vor fast 150 Jahren von einem Herrn namens K. Marx auch theoretisch erklärt. Und wer seine Erzeugnisse zum Beispiel nach Griechenland exportieren möchte, muss auch von dort, wenigstens in der Bilanz, in gleichem Maße importieren – was entsprechende Strukturen und Preise (und Löhne) für griechische Erzeugnisse und Leistungen voraussetzt. Deutsche Exporteure waren in der Vergangenheit froh, dass sie nach Griechenland exportieren konnten, auch wenn sich das Land dabei verschuldete. Sie tragen für Griechenlands Defizit nicht weniger Verantwortung als die Griechen. Denen (und anderen) ist heute nur zu helfen durch harmonisierende struktur- und finanzpolitische Maßnahmen im Rahmen der gesamten EU, wozu nicht zuletzt auch Standards beispielsweise für Mindestlöhne und Höchsteinkommen sowie Richtlinien für den Umgang mit Finanzwerten gehören müssten. Insbesondere müsste das ganze  Finanzsystem von der Spekulation befreit werden. Denn Spekulation (wie Wetten auf eine Staatspleite) ist der diametrale Gegensatz von vernünftigem Wirtschaften. Aber davon scheinen wir noch weit entfernt zu sein, solange die Wirtschaftswissenschaft als Politikberaterin vom liberalen Zeitgeist beherrscht wird, der nur noch finanzpolitisch statt real-volkswirtschaftlich zu denken vermag. So gesehen widerspiegelt die ganze Finanzkrise nur eine Geistes- und Bewusstseinskrise, nämlich eine Krise der Wirtschaftswissenschaft.

Markus Kerber hatte geschrieben:

Warum Deutschland die Euro-Zone verlassen sollte
Als vor gut einem Jahr mit dem Ausbruch der Griechenlandkrise das Anfangssäuseln eines großen Sturms begann, wollte nahezu kein Politiker wahrhaben, welche Herausforderungen auf die EU zukommen würden.  Auch ahnte noch niemand, mit welcher Ungeniertheit die EU-Granden unter der geistigen Führung der Pariser Machthaber, Trichet in Frankfurt, Barroso und Barnier in Brüssel und damals Strauss-Kahn in Washington die Spielregeln – jenseits von rechtlichen Normen – neu definieren würden. Trotz der Illegalität dieses Vorgehens hatte das Bundesverfassungsgericht nicht den Mut, es dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen.
Mit derselben Dynamik verpasste es die politische Klasse die Regeln für den Eintritt in die Europäische Währungsunion (EWU) ökonomisch zu ertüchtigen und die Bestimmungen für Austritt und Ausschluss zahlungsunfähiger EWU-Länder neu zu schreiben.
Was 2010 im Lichte des betrügerischen Staatsbankrotts Griechenlands jedenfalls politisch anzupacken gewesen wäre – nämlich Austritt und Ausschluss mit den zu Gebote stehenden Machmittel zu regeln, um ein Zeichen zu setzen und weitere Fälle der Griechenland-Pathologie zu verhindern, käme heute zu spät, weil die Schieflage der EWU sich nicht mehr durch den Austritt einzelner Länder – unabhängig vom Problem der gerechneten Altschulden – lösen lässt. Dies werden nicht nur die „Euro-Retter“ als Gefangene ihrer Fehlprognosen zu verhindern wissen, sondern würde den verbleibenden Eurozonen-Ländern so hohe fiskalische Austrittslasten  auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen bail outs von Irland und Portugal auferlegen, dass sie daran wahrscheinlich kein Interesse hätten.
Daher bleibt als Antwort auf die Erpressungspolitik Griechenlands lediglich  der Austritt der Länder mit strukturellem Handelsbilanzüberschuss, also neben Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Finnland auch Luxemburg.
Es ist das politische Verdienst Hans-Olaf Henkels, als erster diese Notwendigkeit erkannt zu haben und – entgegen aller politischen Korrektheit – Frankreich in diese neue Währungsunion nicht einbeziehen zu wollen.  Dies lässt sich nicht nur als Sanktion für Sarkozys und Trichets fahrlässige Garantiererklärungen für Griechenland im vergangenen Jahr gut vertretbar begründen, sondern auch zwingend aus dem schädlichen Einfluss Frankreichs auf die institutionelle Praxis der EWU herleiten. Niemand hat so systematisch den Stabilitätspakt ignoriert und politisch ausgehöhlt wie Frankreich und damit die geistig-politischen Voraussetzungen für seine faktische Suspendierung gelegt.
Unvergessen ist der Auftritt von Sarkozy vor dem Ecofin (Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminister) 2008, um zu erklären, warum trotz bester Konjunktur zu Beginn jenes Jahres  Frankreich auf einer Verschiebung der Stabilitätsziele nach 2010 bestehen müsse. Die exception francaise ist mit regelgebundener Fiskalpolitik genauso wenig vereinbar wie die Parasitenmoral der griechischen Politikelite.
Die Untauglichkeit aller bisher eingesetzten, großzügigen EU- Maßnahmen gegenüber Griechenland beschleunigen die Erkenntnis, dass die Lösung der EWU-Probleme nicht mehr systemimmanent, sondern nur noch durch konzertierten Austritt aus der Eurozone zu erreichen ist. Insoweit darf man den Demonstranten in Athen für Ihren Protest gegen die „ EU-Diktatur“ und dem griechischen Oppositionsführer für seinen Widerstand gegen die Einführung einer funktionierenden Steuerverwaltung dankbar sein. 
Die Geduld der Deutschen nicht nur mit den griechischen Bankrotteuren, sondern den deutschen Abgrund-Politikern neigt sich dem Ende zu. Aber wer zu den neuen Ufern einer Stabilitätswährungsunion  gelangen will, muss noch mächtig gegen den Strom der veröffentlichten Meinung schwimmen.

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